Liebe macht blind?

Liebe macht blind?

01.11.2018 23:28

Ich möchte euch mal eine Geschichte erzählen ... meine Geschichte ...

September 2011


Ich möchte euch mal eine Geschichte erzählen ... meine Geschichte ...

September 2011
Im Forum für schwule Jungs, Boypoint, lernte ich den User faith kennen. Wie wir ins Gespräch kamen, weiß ich gar nicht mehr, aber wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Wir chatteten oft und viel miteinander und schnell hegte ich Gefühle für diesen Jungen, der sogar gar nicht so weit weg von mir wohnte. Er zeigte mir natürlich auch Bilder von sich und rein optisch gesehen, war er schon mein Traummann schlechthin, aber natürlich zählten auch die inneren Werte. Ich empfand ihn als sehr lieb, einfühlsam und lustig. Als dann Anfang Oktober meine Oma verstarb, meine Eltern ins Krankenhaus fuhren, und ich allein Zuhause war, da wollte ich nur eins: mit faith chatten! Der Junge hatte mich verzaubert und zum Glück kam er schon recht bald in den Chat. Ich war an dem Abend sehr traurig, aber der Junge schaffte es mich mit nur ein paar wenigen Worten zu trösten.
Dann irgendwann der Schock: Ich erfuhr, dass faith Krebs hatte und seine Überlebenschancen sehr gering waren. Das riss mir erst einmal den Boden unter den Füßen weg. Meine Mutter hatte selber einmal Krebs, als ich noch ganz klein war. Angst breitete sich in mir aus, denn ich hatte gerade erst meine Oma verloren ...
Ich glaube es war im Dezember, als faith von heute auf morgen verschwand und sich im Forum nicht mehr blicken ließ. Ich wurde schier wahnsinnig, denn ich wusste nicht, ob ihm etwas zugestoßen sein könnte. Er antwortete nicht auf meine Nachrichten, auch nicht bei facebook. Ich vermisste ihn so sehr und meine Sorge um ihn war so groß, dass ich am Silvesterabend einen Nervenzusammenbruch hatte. Die Zeit verrann, die Monate vergingen, aber ich hatte ihn nie vergessen. Irgendwann machte ich mich auf die Suche nach ihm. Ich wusste zwar in welcher Ortschaft er wohnte, aber nicht wo genau. Sein Nachname half mir leider auch nicht weiter, also hab ich etwas gemacht, was mir viel Mut abverlangte. Ich zog durch die Straßen, mit einem Bild von faith, und fragte die Leute, ob sie ihn kannten und wüssten, wo er wohnte. Die Menschen hielten mich vermutlich für irre, aber das war mir schlichtweg egal. Leider blieb meine Suche erfolglos. Dann, es war Juni 2012, meldete er sich endlich wieder bei mir. Doch was er mir zu sagen hatte, war alles andere als schön. Er hat sich verändert und wäre nicht mehr derselbe Junge wie damals. Außerdem wäre er in die Schweiz gezogen, wo er von einem speziellen Arzt behandelt wurde. Ich sollte ihn vergessen ...
Ihn vergessen ..., dass konnte ich nicht. Niemals! Ich glaubte schlimmer konnte es nicht mehr kommen, aber da irrte ich mich gewaltig. Im September 2012 fand ich heraus, dass die Bilder, die er mir von sich geschickt hatte, einen Studenten aus Amerika zeigten, der im Frühjahr 2012 verstorben war! Und auf einmal fiel alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Erstens war ich traurig, dass faith nicht der war, der er vorgab zu sein und zweitens war der Junge auf den Bildern tot! Ich trauerte um diesen Jungen, obwohl ich ihn noch nicht einmal kannte und verspürte einen unvorstellbaren Schmerz. Ich war sogar kurz davor, meine Prüfungen hinzuschmeißen. Ich gebe zu, ich war damals schon sehr naiv. Liebe macht wirklich blind und ja, ich habe ihn wirklich geliebt!
Ein Jahr später kam ich mit einem anderen User von Boypoint ins Gespräch, der zugleich auch ein guter Freund im Chatroom war. Er fragte mich nach faith, da ihm bekannt war, dass ich mich gut mit ihm verstand. Daraufhin erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Dann erzählte dieser User mir, dass er ebenfalls in faith verliebt war und dieser angeblich auch ihn, bis er sich auch bei ihm irgendwann nicht mehr meldete. Dieser verdammte Mistkerl hatte also nicht nur mein Herz gebrochen, sondern auch noch das von anderen Menschen und uns quasi alle nur benutzt und für dumm verkauft.

Warum ich das hier erzähle? Dieses Erlebnis hat mich in den letzten Jahren massiv beeinflusst. Seit jeher fällt es mir schwer, Menschen zu vertrauen. Mich macht es wütend zu sehen, wenn Menschen sich im Internet als etwas ausgeben, was sie gar nicht sind und denen kann ich nur sagen: Lasst das sein! Ihr wisst anscheinend gar nicht, was ihr damit anrichtet. Der andere User, der in faith verliebt war, war bereits in Therapie. Jeder Mensch hat nur eine Seele und ein Herz, bricht man eines davon, oder auch beides, so kann das schlimme Konsequenzen haben.
Noch heute verfolgt mich dieses Ereignis. Ich denke nicht an faith, sondern vielmehr an die Nächte, in denen ich stets wach lag und bitterlich weinte. Einmal ... und das gebe ich offen zu ... saß ich mit einem Messer in der Hand auf dem Boden. Doch ich war zu schwach mir selber Leid zuzufügen bzw musste ich an meine Familie denken. Das könnte ich ihnen im Leben nicht antun. Dies war leider nicht der einzige Schmerz in den letzten Jahren, aber mit Sicherheit einer der Schlimmsten. Es gibt noch andere Menschen, die mich sehr verletzt haben, sogar noch schlimmer ... und manchmal fühle ich mich wie ein Zombie der durchs Leben torkelt. Mein Herz wurde mir so oft gebrochen und ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder Liebe für eine Person zu empfinden. Dabei habe ich eigentlich nur einen Wunsch: Die Schulter eines Jungen den ich mag zum anlehnen. Kein reden, kein weinen, einfach nur still dasitzen und mich anlehnen können, in dem Wissen, nicht allein zu sein.

Skystar

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  • Erstellt von Skystar In der Kategorie Allgemein am 01.11.2018 23:28:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 19.11.2018 20:38
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Kommentare
  • delfino
    09.11.2018 11:42

    Danke, daß Du den Mut hattest, das zu berichten. Gerade wenn einen jemand sehr enttäuscht, fällt es doch um so schwerer, das anderen (in dem Fall sogar völlig Fremden) mitzuteilen, gerade weil es doch sowas tiefst Persönliches ist.

    Deine Gefühle kann ich voll nachvollziehen. Ich hatte mich Anfang vorigen Jahres in einen Jungen verliebt, der um einiges jünger ist als ich. Der hat mir zwar nie irgendwelche Versprechungen gemacht und wir hatten auch nie was, aber ich wußte sofort: DAS ist er, auf den ich mein Leben lang gewartet hatte.

    Hätt ich nicht selbst alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann, wären wir vielleicht Freunde geworden. So aber verachtetet er mich, obwohl er durchaus ziemlich schwul sein kann, wie ich durch seine Tweets bei Twitter weiß.

    Ich schreibe Dir das vor allem, weil ich diesen Schmerz, diese Sehnsucht nach jemandem, den man mag und wenn dann doch nichts draus wird, voll und ganz nachvollziehen kann. Kein Tag, an dem ich nicht an ihn denken und sehr oft Tränen.

    Im Endeffekt geht es mir wie Dir: Jemanden finden, den man ihm Arm halten kann, um nicht allein zu sein, aber auch dem anderen die selbe nötige Vertrautheit und Gewissheit geben zu können.

    Und ja: Liebe macht blind.



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