Hi, meinen Namen erfahrt ihr später und ich wohne im besten Land der Welt. Amerika, das Land, in dem Träume wahr werden. Ich wohne in der Nähe von New York auf Long Island und brauche ungefähr eine Stunde in die Stadt.
Ich wohne in einem der etwas größeren Dörfer an der Ostküste. Dort besuche ich die örtliche Highschool. Und ich bin, wie soll ich es sagen, ein Mädchenschwarm - Das meine ich ernst :P! Die Girls fliegen mir nur so nach und ich muss sagen, dass ich das schon ziemlich geil finde. Vor allem die Mädchen aus dem Cheerleader Team. Ich selbst bin Mitglied des Footballteams an der Schule und bin, ohne jetzt arrogant oderso klingen zu wollen, sehr beliebt. Man könnte schon fast sagen, dass ich der beliebteste Junge an der Schule bin. Und der Heißeste - Klingt das übertrieben oder arrogant? Wahrscheinlich schon, aber das ist mein Charakter – deal with it.
Ich bin 1,87 groß und zufrieden damit. Kann zwar sein, dass ich noch wachse, wäre aber auch okay wenn es so bleibt wie es ist. Ich habe kurze blonde Stachelhaare und graue Augen - Die Kombi kommt gut an. Seht mich an – ich bin Beweisstück A. Da mein Dad das Fitnesscenter im Dorf leitet und ich meine Freizeit eigentlich nur da und am Strand verbringe, kann ich mich ohne T-Shirt sehr wohl sehen lassen. Meine Mom ist Schauspielerin und Sängerin. Sie hat es schon sehr weit gebracht, denn im Moment ist sie am Off-Broadway in New York City zu sehen. Bevor ich auf die Welt kam, hatte sie einmal eine große Rolle direkt am Broadway. Das Publikum toste jedes Mal, wenn sie die Bühne betrat. Doch dann wurde sie schwanger und die Zweitbesetzung spielte von da an die Hauptrolle in Evita. Ich kann mich nicht beschweren, denn am Off-Broadway verdient sie auch sehr gut und hat zusätzlich am Wochenende für mich und meinen Dad Zeit. Ich bin ein Einzelkind, also hätte ich eigentlich sehr viel Aufmerksamkeit kriegen müssen, aber das habe ich nicht. Mein Vater beschäftigte sich lieber mit seinem Gym als mit mir und meine Mum war nicht sehr oft zuhause, obwohl sie sich sehr bemühte so oft wie möglich da zu sein. Ihr Arbeitsleben ließ es nicht zu.
Unser Haus ist sehr groß, dafür dass kaum jemand je dort ist. Da wir es uns leisten konnten wohnten wir im Viertel der Reichen und der Schönen - Ich bin beides. Was nicht heißt, dass wir reich sind und in einer Villa wohnen, aber im Vergleich zu den meisten anderen hatten wir schon ordentlich Kohle. Das Haus ist klasse aber die schnöselige Gegend dort mag ich gar nicht. Dort habe ich eigentlich keine Freunde. Also keine echten. Natürlich taten sehr viele so als wären sie gut mit mir befreundet, aber das war nicht so. Die meisten mochten mich wahrscheinlich nur weil ich beliebt war. Ziemlich durchschaubar war das aber schon und deswegen verbrachte ich meine freie Zeit lieber mit Anderem. Es ist schon komisch, wenn man das so sagt, aber eigentlich habe ich fast keine Freunde und schon gar keine Freundinnen. Die letzte platonische Freundin hatte ich in der Grundschule und alles was nachher kam war… nunja nicht platonisch. Man könnte sagen ich war ein Einzelgänger. Ich war immer am glücklichsten allein, wobei ich irgendwann anfing Ausnahmen zu machen für gewisse körperliche Affären. Was ich nicht leiden konnte, waren die Sorte von Mädchen, die anhänglich wurden. Nichts ging mir mehr auf die Nerven. Zum Glück gab es ein paar, die genauso wie ich selbst mehr Interesse am Körper hatten. Da gab es nie Geheule, wenn ich mich nicht auf ein romantisches Date treffen wollte. Meine Einstellung hatte aber zur Folge, dass mich sehr viele Mädchen auf der Schule nicht ausstehen können. Sehr viele hoffen zwar immer wieder, dass ich sie irgendwann „bemerken“ würde und es dann ein Happy End und eine große Traumhochzeit geben würde - Wie Barbie und Ken. Nur bin ich nicht Ken. Ich bin Brandon.
Aber einen richtigen Freund habe ich. Jason kommt aus eher ärmlichen Verhältnissen. Er ist Afroamerikaner und richtig cool drauf. Ich hatte schon sehr viel Scheiße mit ihm gebaut. Er hat vier Geschwister und auch sonst eine sehr große Familie. Seine Eltern verstehen sich mit meinen sehr gut. Wir kamen aus zwei krass verschiedenen Welten, aber wir hatten mehr gemein als uns sonst voneinander unterschied. Ich liebe es, wenn das Haus voll und voller Stimmen ist. Jasons Familie ist sehr musikalisch. Seine Mutter sang in der Kirche die Gospel-Hauptstimme und versteht sich in der Hinsicht fantastisch mit meiner Mutter während Jasons Vater als Mechaniker arbeitete. Jason ist der Zweitälteste und arbeitet neben der Schule schon als Pizza-Lieferant. Ich helfe ihm oft dabei, indem ich ihn mit meinem Wagen zu den Kunden fuhr, denn er selbst besaß nur ein Fahrrad und träumte noch von seiner eigenen Karre. Manchmal kam ich mir sehr beschissen vor, wenn ich sah, wie gut es mir im Gegensatz zu ihm geht. Ich komme mir viel zu protzig vor mit meinem Auto, das ich von meinem Vater als verspätetes Geburtstagsgeschenk bekommen hatte. Jason ist der beste Freund, den man sich wünschen kann. Er war immer für alles zu haben und hatte auch immer ein offenes Ohr für mich. Noch dazu hatte er einen sehr guten Humor und war der witzigste Typ, den ich kannte. Aber das war nicht schwer. Die meisten Witze, die ich hörte waren einfach nur dumm und borderline diskriminierend. Ich konnte oberflächliche Witze nicht ausstehen.
Ich selbst kann nicht wirklich sagen, dass ich witzig bin - Hat niemand gemerkt, oder? Ich habe dafür andere Qualitäten. Ich bin ein sehr guter Sportler, bin auch soweit gut in der Schule und kann tanzen. Das weiß allerdings niemand, denn ich tanze nur zuhause in meinem Zimmer - Groß genug ist es ja. Tatsächlich wollte ich nicht, dass die Leute von meiner Passion erfahren, denn das war was, das nur mir gehörte. Mit Ausnahme von Jason. Hin und wieder kommt er mich besuchen und sieht mir zu obwohl er sich beim klassisch Tanzen nicht auskennt und mir immer wieder einreden möchte es doch lieber mit Hip Hop versuchen sollte.
Im Großen und Ganzen könnte man jetzt sagen, dass ich mich nicht beschweren könnte über mein Leben. Aber da ist diese eine Sache. Nun ja, lest besser selber…
Mein Tag fing so an wie bisher jeder. Ich nahm allein am Frühstückstisch mein Frühstück ein (in Form eines Shakes, den ich mir aus allerlei Früchten, Proteinpulver und Eiswürfeln selbst im Mixer zubereitete), lief meine kleine Joggingrunde und duschte mich vor der Schule nochmal gründlich. Diese Prozedur war Routine, denn ich legte großen Wert auf Gesundheit und Fitness - außerdem weiß außer mir und meinen Eltern tatsächlich kaum einer von diesem Ritual. Ich hatte früh damit angefangen um meinen Dad nachzueifern und ihm zu beeindrucken. Danach startete ich mein Auto und holte Jason ab. Wie immer war dieser alles andere als gut aufgelegt. Ich war da anders. Ein typischer unerträglich gut gelaunter Morgenmensch. Wie jeden Morgen schlürfte er an einem Kaffee-Latte, den ich bei Starbucks gekauft hatte, während ich ihn zu laberte. Er beschwerte sich zwar nie, doch ich wusste, dass ich ihm manchmal ziemlich auf den Sack ging.
Nach fünfzehn Minuten kamen wir endlich an der High-School an. Das Gebäude war schon sehr heruntergekommen. Ein hässlicher Betonklotz, den unzählige Graffiti zierten. Meine Eltern wollten trotzdem, dass ich hier zur Schule ging. Die Hierarchie war einfach. Eigentlich ist es in jeder High-School in Amerika beinahe gleich aber ich erkläre es gerne nochmal; Die beliebtesten Jugendlichen waren die Sportler und die Cheerleader. Wer in der Schule mit einer Footballjacke oder einer Cheerleader-Uniform herumrannte, hatte sofort einen höheren Stand. Danach kamen die Hockey-, Soccer- und Basketballspieler, das Volleyball Team und die Theatergruppe. Danach kamen die Leute die allen egal waren und ganz unten die Nerds, die Streber und die, die nirgendwo dazugehörten. In der Schule war man besser in einer Clique unterwegs oder so richtig cool. Sonst wurde man förmlich erdrückt. Mobbing und Schlägereien waren hier alles andere als ungewöhnlich aber was dagegen zu machen, war eine beinahe unmöglich zu bewältigende Aufgabe. Da konnte sich unsere Direktorin noch so anstrengen alles zu ändern indem sie uns immer wieder Vorträge über die Folgen des Mobbings vortrugen. Es half rein gar nichts. In unserer Schule gab es einfach zu Viele, die einfach zu viel Spaß daran hatten zu mobben.
Ich selbst kann mich glücklich schätzen meine blau-weiße Footballjacke zu tragen. Jason hingegen hielt nicht viel von Football. Er war lieber im Basketballteam tätig. Es klingt wie ein Klischee, doch war der Grund dafür, dass es weniger Trainingsstunden gab, was wichtig war, da er sonst seinen Nebenjob nicht ausüben hätte können.
Ich stieg aus meinem Auto aus und sah zu wie sich eine große Menge Schüler über diesen armen Jungen lustig machten. Liam war eigentlich in Ordnung. Er sah sehr gut aus mit dem dunklen Haar und den grün-blauen Augen und seinem fast ansteckenden Lächeln, das allerdings in letzter Zeit nicht allzu oft zu sehen war. Ich kannte ihn schon seit Ewigkeiten. Als wir noch in der Middle-school waren war er einer der beliebtesten Jungen an der Schule. Er spielte auch im Footballteam mit, wo er eine kurze Zeit lang auch Quarterback war. Aber auf einmal rutschte er in der Schulordnung ganz nach unten. Und das wegen eines ganz einfachen Grundes: Er war schwul und hatte sich geoutet. Was ihn dazu gebracht hatte, wusste ich nicht genau. Vielleicht hatte er gedacht, dass es für die Leute um ihn herum keinen großen Unterschied gemacht hätte. Wenn das so war, hatte er sich getäuscht gehabt, denn auf einmal stand er alleine da. Er wurde aufs Ärgste gemobbt und verließ aus diesem Grund auch das Footballteam. Dafür stieg er in die Theatergruppe ein. Die Leute waren eigentlich die einzigen die ihn nicht wie einen Aussätzigen behandelten, aber sich aber nicht zu oft mit ihm sehen lassen wollten. Alles was er hatte war sein Freund Connor. Connor war ein eigener Fall. Er war ein typischer klischeehafter Schwuler, hatte aber einen höheren Rang als Liam in der Schulhierarchie. Connor war Mitglied bei den Cheerleadern, beim Volleyballteam und Co-Leiter der Theatergruppe. Auch wenn über ihn nicht weniger schlecht geredet wurde, so hatte er jedoch die Unterstützung von sehr vielen Mädchen, die alle mit ihm befreundet waren. Es kam mir sehr ironisch vor. Liam war ein klasse Kerl, der einen sehr guten Footballspieler abgab und der auch Humor hatte und wurde doch wie Scheiße behandelt, während Connor wie ein ganz normaler Schüler behandelt wurde. Vermutlich war das so weil sich niemand den Zorn der Freundinnen von ihm zuziehen wollte. Seine Clique war seine persönliche Schutzmacht während Liam eigentlich keine richtigen Freunde hatte. Da er nicht besonders viele Interessen mit den Cheerleadern teilte, waren diese auch nicht so oft zur Stelle, wie für seinen Freund. Eine Freundin hatte er allerdings, soweit ich wusste, die ihm aber auch nicht immer helfen konnte. Jetzt zum Beispiel war niemand da. Da es so aussah als würde ihm gleich was Schlimmeres passieren als nur blöd angeredet zu werden, nickte ich Jason zu und ging rüber.
„Na, du Schwuchtel?“, sagte Alvin. Seine Begleiter lachten blöd als Alvin das Wort „Schwuchtel“ aussprach.
„Ja genau du Schwuchtel!“, wiederholte Percy, der Alvins persönlichen Schatten darstellte und lachte blöd.
„Fick dich, Alvin!“, sagte Liam genervt und ging geradeaus weiter aber Alvin und seine Gruppe Halbstarker rannten ihm hinterher.
„Das ist aber nicht höflich einfach wegzugehen während ich mit dir rede.“, raunte Alvin.
„Lass mich in Ruhe!“, sagte Liam und beschleunigte seine Schritte.
„Ich glaube hier braucht jemand eine Lektion!“, sagte Alvin lachend und schnappte sich Liams Schulter. Liam drehte sich wütend um.
„Du bist sehr mutig wenn du deine Footballjacke trägst und deine Speichellecker um dich herum hast, oder? Wie wäre es wenn du mal mutig genug wirst mir deine Meinung zu sagen wenn ihr nicht fünf gegen einen seid?“
„Halt dein Maul du kleines…“
Inzwischen hatte ich die Gruppe erreicht.
„Alvin!“, rief ich und ging schnell dazwischen.
„Hey, Bro!“, sagte Alvin erfreut. In seinem eigenen Kopf waren wir seit Jahren dicke Kumpel. Er selbst hatte eine so beschissene Persönlichkeit und ein Gesicht, das dazu passte und so hatte er nicht gerade viel Erfolg beim anderen Geschlecht. Vielleicht dachte er seine Chancen würden sich bessern, wenn er sich an mich hielt, doch ich bezweifelte das. Ich wollte alles andere als mit ihm befreundet sein, allerdings war ich auch nicht besonders scharf auf Stress mit ihm.
„Hallo Alvin, was soll das schon wieder?“
„Kleine Lektion in Höflichkeit.“, sagte er schon fast unschuldig.
„Lasst ihn einfach in Ruhe.“, bat ich ihn.
„Wieso denn? Seit wann interessierst du dich für den da?“, fragte er und legte so viel Verachtung in die letzten zwei Wörter wie möglich.
Ich ignorierte ihn, sah kurz zu Liam und bedeutete ihm zu gehen. Mit einer Spur Dankbarkeit im Gesicht entfernte er sich so schnell es ihm möglich war. Ich wandte mich wieder Alvin zu.
„Tu ich nicht.“, sagte ich bestimmt. „Aber es ist absolut unnötig ihm das Leben schwer zu machen. Er kann doch nichts dafür, oder?“
„Wer weiß das schon?“, sagte Alvin hitzig. „Ich weiß nur, dass das sogar in der Bibel steht!“
„Seit wann bist du denn religiös?“, sagte ich mit einer Spur Belustigung in der Stimme.
„Scheißegal man!“, rief er. „Es ist ekelhaft, wenn Typen es miteinander tun!“
„Tu mir den Gefallen und lass ihn in Ruhe, ok?“, sagte ich mit Nachdruck.
„Nein! Fällt mir gar nicht ein, Bro!“, rief er und zustimmendes Gemurre war zu hören. „Außer du verkuppelst mich mit irgendeiner geilen Cheerleaderin.“
„Ich versuch es.“, sagte ich und er nickte.
„Danke Bro. Wenn ich erstmal eine Freundin habe, hab ich sowieso keine Zeit mehr für den Homo.“
Damit war das Gespräch beendet. Ich wollte keine einzige Sekunde mehr mit Alvin und den Chipmunks - So nenne ich sie gerne - verbringen. Ich ging gemeinsam mit Jason in das Gebäude.
„Ich finde es richtig cool, dass du dich für Liam einsetzt.“, sagte Jason. „Aber warum machst du das überhaupt?“
„Ich finde es einfach nicht richtig, wenn jemandem das Leben schwer gemacht wird, hab ich doch schon gesagt.
Das müsstest du doch am besten verstehen.“
„Wieso? Weil ich schwarz bin?“, fragte er.
„Nein du Idiot, weil deine Familie sich nicht immer alles leisten kann. Meinst du ich hätte nicht mitbekommen, dass immer wieder jemand über die Second-hand Sachen lacht die du anhast?“
„Ach so, ja stimmt.“, sagte er und nickte.
„Wenn du willst kannst du mal was von meinen alten Sachen haben…“, fing ich an, doch Jason unterbrach mich.
„Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass ich das nicht will. Es ist ja schon mehr als genug, dass du mir bei den Pizzen hilfst.“
„Wie du meinst.“, sagte ich.
Ich hatte mein Schließfach erreicht und holte meine Bücher heraus. Schnell verstaute ich meine Bücher in meinem Ranzen. Dann hörte ich einen Knall und sah auf. Liam war wieder einmal gegen die Spint-Wand geschubst worden. Traurigkeit lag in seinen Augen. Ich schüttelte meinen Kopf. Ich verstand nicht warum jeder auf ihm herumhacken musste. Ich selbst hatte absolut kein Problem mit Homosexuellen. Aber ich hatte auch nicht allzu viel Kontakt mit Vielen, außer einem. Jason stupste mich an.
„Beeil dich mal!“, sagte er.
„Ja klar.“, sagte ich und warf die Türe meines Spints zu.
Der Geschichtsunterricht der schon etwas labilen Mrs. Schroeder war so ziemlich das langweiligste Fach in der gesamten Schule. Das lag zum Teil daran, dass sie den gesamten Unterricht nur aus dem Schulbuch vorlas und zum Teil an ihrem monotonen Tonfall. Tests oder mündliche Überprüfungen hatten wir nie. Ich wusste nicht ob sie es immer vergaß oder ob sie sich nicht die Mühe machen wollte uns nach schulischen Leistungen zu benoten. Es ging das Gerücht um, dass sie immer am Ende des Schuljahres mit einem Würfel über unsere Noten entschied, aber ich nahm an, dass sie uns einfach danach bewertete wie sehr sie uns mochte. Da ich den Unterricht nie störte, hatte ich bis jetzt immer eine Zwei in dem Fach bekommen. Damit war ich vollkommen zufrieden. Normalerweise verbrachte ich die Stunde immer damit Musik zu hören oder auf der Tischplatte vor mich hin zu dösen, aber heute war es anders gewesen. Ich dachte zur Abwechslung mal über ein produktives Thema nach – nicht zu glauben, oder? – Und zwar über die Ungerechtigkeit der Diskriminierung. Ich selbst war noch nie diskriminiert worden, aber ich bekam viel von dem ganzen Zeug mit. Sei es Rassismus, Xenophobie oder Homophobie, war ich täglich umgeben davon. Sogar in dieser Stunde wurde ständig über Liam hergezogen. Ständig erzählte irgendjemand einen Schwulenwitz, der nur als lustig empfunden wurde, weil einer anwesend war. Sonst hätte vermutlich niemand darüber gelacht, außer vielleicht Alvin und seine Streifenhörnchen-Freunde. Die kringelten sich jedes Mal, wenn es jemand schaffte seine gleichgültige Miene zu brechen. Mich nervte das ganze einfach nur noch. Ich sah zu Liam rüber. Inzwischen hatte er gelernt, dass ihm nichts entging, wenn er die ganze Stunde über Musik hörte. Leise trommelte er mit den Zeigefingern auf seinen Tisch und bewegte seinen Kopf und die Lippen zur Musik. Der Tisch neben ihm war frei, da sein Freund war ein Jahr jünger war als er. Ich fragte mich, womit er diese Ausgrenzung verdient hatte. Eigentlich tat er ja nichts Böses. Natürlich würde ich es alles andere als lustig finden, wenn er mir an den Hintern fassen würde oder diese ganzen anderen Sachen, vor denen Alvin jede einzelne Sekunde warnte. Obwohl eigentlich wäre es mir egal. Aber ich glaubte nicht, dass Liam das machen würde. Ich beobachtete für eine Weile seine Lippen und versuchte herauszufinden welchen Song er gerade tonlos mitsang, bis ich merkte, dass ich ihn anstarrte. Schnell senkte ich den Blick wieder auf meinen vollgekritzelten Schreibblock. Normalerweise dachte ich im Geschichtsunterricht über andere Dinge nach. Ich versank langsam wieder in den kleinen, üblichen Träumen.
Das Klingeln der Schulglocke riss mich aus meinen Tagträumen. Freudig stand ich auf. Der Geschichtsunterricht war der letzte vor der Mittagspause. Mrs. Schroeder las unbeirrt weiter aus dem Buch in ihrer Hand vor. Ich gluckste als ich drauf kam, dass es nicht einmal das Geschichtsbuch war, sondern der zweite Teil von Harry Potter. Ich schüttelte den Kopf. Ich verstand nicht warum sich noch nie jemand über diese Frau beschwert hat. Wahrscheinlich weil sie noch nie jemanden durchfallen hatte lassen. Oder weil sie sowieso die einzige Person war, die diesen Job haben wollte.
Ich ging hastig mit Jason im Schlepptau zur Kantine. Das Essen dort war manchmal sogar richtig lecker. Das war etwas, das unsere Schule besonders machte. In den meisten High-Schools konnte man sogar Gefängnisessen dem vorziehen, das man dort serviert bekam. Wie dort das Essen schmeckte wusste ich sehr gut. Etwa einmal im Jahr mussten alle Jungen der gesamten Schule eine Art Workshop machen. Wir verbrachten einen Vormittag im Gefängnis um uns von dummen Ideen abzubringen. Die Kriminalität war in der Gegend nicht wirklich hoch, aber es gab genug alte Leute, die schon die Polizei riefen, wenn jemand in zerrissenen Jeans vor ihrem Haus eine Zigarette rauchte. Die Vormittage im Knast waren schon gruselig. Ich hatte nicht vor jemals irgendwas Gesetzeswidriges zu machen seitdem ich gesehen hatte wie die Toiletten aussahen und vor allem wo sie sich befanden. Nämlich direkt in der Zelle ohne irgendwelche Trennwände. Versteht mich nicht falsch, ich geniere mich nicht vor anderen. Es gibt ja schließlich nichts, das ich verstecken musste aber ich war nicht wirklich scharf darauf vor anderen mein Geschäft zu verrichten.
Jason und ich stellten uns an und bekamen von den Sozialarbeitern an der Essensausgabe eine große Portion Essen. Ich nahm mein Tablett und hielt Ausschau nach einem freien Platz. Ich erblickte einen freien und auch ungewöhnlich sauberen Tisch und ging schnell dahin. Jason brauchte noch etwas länger, weil er sich noch einen Kaffee holen wollte. Also setzte ich mich auf die Bank und spürte sofort die Folgen. In einer High-School sollte man immer aufpassen bevor man sich hinsetzt.
„Verdammte Scheiße!“, fluchte ich und betrachtete meine Jeans. Ich hatte einen unansehnlichen, weißen Dressing-Fleck auf meinem Hintern. Ich schnappte mir die eine Serviette, die wir zum Essen bekamen und wischte vorsichtig den Fleck weg.
„Sieht heiß aus, King!“, rief eine Stimme. Ich kannte die Stimme gut, denn die Person zu der sie gehörte redete einen in der Tat sehr oft an. Meistens versuchte ich ihn dann immer abzuwimmeln, da mich seine kleinen Problemchen nicht interessierten.
„Hi, Connor.“, sagte ich und schnaufte durch die Nase aus. Connor stand vor mir in seiner blau-weißen Cheerleader-Uniform – er trägt gottseidank eine Hose und keinen Rock-, und seiner typischen Gelfrisur.
„Soll ich dir helfen das wegzumachen?“, fragte er und verschränkte die Arme. „Ich hab Erfahrung auf dem Gebiet“
„Nein, danke.“, sagte ich. Das fehlte mir gerade noch.
„Na dann eben nicht, ich wollte sowieso was anderes von dir.“
Ich seufzte und wischte den Rest des Dressings weg und setzte mich auf eine Dressing freie Stelle der Bank. Connor wuselte um den Tisch herum und setzte sich mir gegenüber hin. Ich beschloss ihn so schnell es ging loszuwerden.
„Was willst du, Connor?“, fragte ich und schob meinen Salat beiseite. Ich hatte erstmal keine Lust auf Dressing mehr.
„Erstens, kann ich den Salat haben?“
„Klar, ist das alles? Und wieso isst du kein Fleisch?“, fragte ich und biss von meinem Stück ab.
„Weißt du eigentlich wie schnell man von diesem Zeug fett wird?“, fragte Connor schon fast geschockt. „Ich bin zwar Cheerleader aber nur das Training reicht nicht. Ich muss mich sehr gesund ernähren um schlank zu bleiben. Meinst du ich würde diese Figur einfach so aufgeben?“
Er deutete auf seine schlanken Lenden. Ich rollte mit den Augen. Das war mal wieder typisch Connor.
„Nein, natürlich nicht.“, sagte ich und versuchte so gut es ging zu verbergen, dass er mir auf die Nerven ging. Ich wartete darauf, dass Connor endlich sein zweites Anliegen nannte um ihn so schnell es ging abzuschütteln. Der Junge war wie eine Klette wenn er nicht Rede und Antwort bekam. Doch vorerst hatte etwas Anderes seine Aufmerksamkeit.
„Oh, da kommt mein Freund. Liam! Hierher!“
Ich drehte mich um und sah wie Liam zu unserem Tisch kam. Er hatte seinen Teller und seinen Becher nicht auf einem Tablett sondern in der Hand. Ich wusste warum. Alvin machte sich oft einen Spaß daraus ihm sein Tablett so von unten aus der Hand zu schlagen, dass Liam eine Ladung Essen auf sein T-Shirt bekam. Er setzte sich mir gegenüber neben Connor. Dieser drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: „Hi, Baby!“
Ich sah es gleichgültig mit an. Ich hatte das gerade schon oft genug gesehen um mich noch darüber zu wundern oder zur Seite sehen zu müssen – ja, das hatte ich eine Zeit lang gemacht, na und?
„Hi“, sagte Liam nur und nickte mir zu. Dann widmete er sich seinem Essen. Er hatte wie ich Fleisch auf seinem Teller.
„Also“, sagte Connor und tippte mir auf den Arm, damit ich von meinem Essen aufsah. „Ich finde du solltest zu den Cheerleadern kommen“
Ich verschluckte mich und hustete erstmal.
„Klasse Idee, oder? Ich hab schon unseren Coach gefragt. Sie hat gemeint, dass es Uniformen in deiner Größe geben würde“
Liam gluckste. Offenbar hatte er daran gedacht wie ich wohl in der blau-weißen Uniform aussehen würde.
Als ich mich wieder eingekriegt hatte, sagte ich bestimmt: „Nein Connor, ein hundertprozentiges Nein!“
„Wieso nicht? Du würdest klasse aussehen und könntest uns bei Hebe-Übungen helfen! Da wären die Performances spitze. Ich hätte auch schon super Ideen für…“
Connor begann eine ausführliche Rede über die Vorzüge des Cheerleader-Teams zu halten. Ich versuchte ihn nicht einmal zu unterbrechen. Das würde letztendlich mehr Zeit kosten als bringen. Stattdessen aß ich in aller Ruhe mein Essen. Nachdem Connor geendet hatte, sah er mich mit hochgezogenen –perfekt gezupften - Augenbrauen fragend an.
„Nein Connor, keine Chance.“, sagte ich so geduldig wie möglich. „Erstmal könnte ich nicht gleichzeitig Football spielen und mich dabei anfeuern und zweitens ist Cheerleadern nicht was für jeden Jungen. Stell dir mal mich mit Pompons vor.“
Liam lachte auf. Connor boxte ihn in die Seite.
„Lach nicht. Du müsstest mich eigentlich dabei unterstützen ihn hier zu überzeugen! Außerdem könntest du selber zu uns kommen. Du hast nicht die Football-Ausrede.“
Liam hörte auf zu lachen.
„Hör zu Connor, nur weil dir das gefällt, heißt es noch lange nicht, dass es jedem Jungen gefällt. Brandon hat es schon gesagt.“, sagte er schnell.
Ich nickte und sagte: „Sorry, Connor!“ und trank meine Cola aus.
„Schade. Du wärst eine Bereicherung für uns gewesen“ sagte Connor und fing irgendein Gespräch über Fitness mit Liam an.
Ich nutzte die Chance und stand auf und suchte Jason. Er war nicht aufgetaucht wie er es gesagt hatte. Ich fand ihn in der Mitte des Raumes.
„Wo warst du denn?“, fragte ich. „Weil du mich nicht da weggeholt hast, musste ich mir eine Predigt von Connor anhören!“
„Sorry man. Ich, ähm hatte Probleme den Zucker zu finden.“, sagte er schnell.
„Du trinkst Kaffee doch immer ohne Zucker.“, sagte ich.
„Deswegen hatte ich auch Probleme ihn zu finden.“, sagte er grinsend.
„Ja, aber dann wollte ich nicht von meiner Gewohnheit abkommen und habe den Zucker dann doch weggelassen.“
„Aha, gib doch zu, dass du absichtlich nicht gekommen bist um Connor zu entkommen.“
„Ja, von mir aus, ich gebe es zu“
„Soso, so stelle ich mir einen besten Freund vor.“, sagte ich säuerlich.
„Ich glaube nicht einmal der beste Freund auf der Welt würde nicht verlangen freiwillig in die Nähe von Connor zu kommen.“, sagte Jason entschuldigend.
Ok, das gab Rache. Ich stieß wie per Zufall an sein Tablett in den Händen.
„Ups“, sagte ich und grinste böse.
„Ach, Mensch Brandon! Jetzt hast du meinen Kaffee umgestoßen!“
„War gar nicht meine Absicht. Immerhin weißt du diesmal wo der Zucker steht, wenn du dir einen neuen holst“, sagte ich mit leichter Ironie im Unterton.
Jason boxte mir in die Seite und ich musste lachen. Nachdem Jason einen neuen Kaffee geholt und sein Mittagessen gegessen hatte, gingen wir in Richtung der Sportplätze. Ich verabschiedete mich von Jason am Basketballplatz und ging weiter zum Umkleidekabine neben dem Footballfeld.
Ich betrat die Umkleide und begrüßte meine Mitschüler. Der Raum war relativ groß und auch gut ausgestattet. Unser Football-Coach malte die kniffligen Strategien auf ein Whiteboard um sicherzugehen, dass jeder die Taktik verstehen würde. Tatsächlich waren manche Spieler hier ziemliche Dumpfbacken. Aber für das Spiel waren sie perfekt, denn sie waren massig und stark. Ich war nicht ganz so massig, dafür flink und wendiger. Aufgrund dieser Eigenschaften war ich auch Quarterback. Ich sperrte meinen Sport-Spint auf und holte meine Sachen daraus hervor. Doch bevor ich den Spint selber schließen konnte, wurde er zugeknallt. Ich erschrak und drehte mich zur Seite.
„Hey, Brandon.“, sagte Alvin grinsend und entblößte dabei seine schiefen Zähne. Er lehnte sich lässig mit dem linken Oberarm an den Spint. Diese Pose hatte er sich von mir abgeguckt, glaub ich.
„Hi, Alvin. Was willst du?“, fragte ich leicht genervt. Wieso wollten immer nur die Leute mit mir reden, die mir tierisch auf die Eier gingen?
„Na, wissen ob du schon eine geile Cheerleaderin für mich klar gemacht hast.“, sagte er schleppend.
„Ähm“, sagte ich. Ich hatte bisher noch bei keiner versucht sie zu überreden, denn die meisten hätten schon bei „Hey, du kennst doch Alvin.“ die Nase gerümpft. Sogar die, die nicht so wählerisch waren.
„Was jetzt?“, fragte Alvin ungeduldig.
„Es ist so, dass die die ich bisher gefragt habe, ähm…“, ich suchte nach einer Ausrede. „Ähm… die wollen, ähm…“
Ich war ein begnadeter Ausredenfinder.
Alvin sah mich verständnislos an.
„Was wollen die?“, fragte er mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Die… wollen… ältere Freunde! Genau das ist es! Die finden dich zu jung.“, sagte ich so überzeugend wie möglich und nickte heftig.
„Alle?“, fragte Alvin stirnrunzelnd.
„Ähm, ja. Also von denen, die ich gefragt habe und die keine Freunde haben, schon. College Typen undso. Weil die schon Alk kaufen können“, sagte ich so ernst es ging.
Alvin dachte angestrengt nach ob das stimmen könnte, was ich ihm gesagt hatte. Es sah wie Schwerstarbeit aus. Dann nickte er.
„Ja, das kann sein. Cheerleader sind heiß und heiße Mädchen sind beliebt. Und beliebte Mädchen haben oft schon einen Freund.“
Ich versuchte über diese Feststellung nicht zu lachen. Aus seinem Mund hörte es sich an als ob er das zum ersten Mal hörte.
„Aber du versuchst es doch weiter, oder Brandon?“, fragte er.
„Ja klar!“, sagte ich und dachte dabei an Liam und den Ärger den ich ihm damit ersparen könnte. „Für dich doch immer.“
Ich hoffte, dass er die Ironie in dem Wörtchen „dich“ überhörte. Aber meine Sorgen waren unbegründet.
„Danke, Bro!“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. Danach ging er weg und mischte sich in ein Gespräch zwischen zwei anderen Mitspielern ein.
„Bedank dich nicht zu früh. Not gonna happen“, sagte ich leise, als er außer Hörweite war. Am liebsten würde ich mich gar nicht mit dem Widerling abgeben aber eine Feindschaft mit Alvin würde rein gar nichts bringen. So hatte ich wenigstens noch die Möglichkeit so viel Schaden wie möglich zu verhindern. Liam war nicht mal der einzige Schüler der unter ihm litt.
„Ok, Leute! Teambesprechung!“, brüllte unser Coach durch die Umkleide. Alle gingen zu der weißen Tafel. Unser Coach stand mit grimmigen Blick davor.
„Bevor ich euch Lappen die neue Strategie erkläre hab ich noch eine schlechte Neuigkeit! Noah hat sich bei einer schlimmen Schlägerei den Oberarmknochen gebrochen. Und zwar so das er gesplittert ist. Das heißt, er kann das restliche Jahr nicht spielen und das heißt, dass wir einen Mann zu wenig haben. Wir sind schon mitten in der Saison, also wird ein guter Ersatz aufzutreiben schwierig werden und muss außerdem schnell gehen. Ich überlass das am besten euch Jungs. Ihr kennt eure Mitschüler am besten. Nehmt das bitte ernst. Also bringt bitte nur Jungs zum Vorspielen, die es auch sicher drauf haben und nicht einfach nur eure Kumpels. Ich hab keine Lust auf irgendwelche Kindergartenvorstellungen. Das hier ist Football, nicht Cheerleadern! Geht das in eure Köpfe?“
Rundum nickten alle. Hin und wieder hörte man ein „Alles klar, Coach“. Er sah in die Runde. Dann zuckte seine Hand zu seiner Pfeife. Er blies hinein und ließ die meisten durch den schrillen Ton aufschrecken.
„Dann bewegt eure Ärsche hier raus! Fünf Runden um den Platz bevor wir spielen!“, brüllte er und wies mit der Hand nach draußen. Ich schloss mich schnell dem Haufen an und rannte hinaus aufs Feld.
Nach dem Training behielt mich mein Coach noch etwas da. Er wollte sich nochmal über das Rekrutieren des Neuen zu unterhalten, doch ich hatte so gar keine Lust dazu. Immerhin hätte ich jetzt frei und ich vergeudete meine freie Zeit nur sehr ungerne. Da war es egal ob es Football oder der Geschichtsunterricht von Mrs. Schroeder war. Aber vor allem störte es mich, dass er immer nur mich dabehielt, während die anderen schon seit einer Viertelstunde in der Umkleide waren. Genervt sagte ich schließlich: „Tut mir leid Coach Baker, aber ich hab noch einen wichtigen Termin und muss los.“
„Wichtiger als Football und zu gewinnen?“, fragte er skeptisch.
„Ähm ja. Ich… muss… zum… äh Zahnarzt! Genau! Ich hab einen wichtigen Zahnarzttermin.“
„Aha, na dann viel Spaß beim Zahnarzt. Ich verlass mich darauf, dass du auch die Augen offen hältst und die anderen motivierst auch an den richtigen stellen zu suchen“, sagte Coach Baker glucksend und ging in Richtung Schule davon. Erleichtert ging ich zurück zur Kabine. In der Kabine war fast niemand mehr mit Ausnahme von Eliot und Taylor. Eliot war einer meiner richtigen Freunde, zumindest manchmal. Wir redeten nicht allzu viel aber wenn wir doch mal ein paar Worte wechselten verstanden wir uns ganz gut. Er war durch meine Hilfe ins Team gekommen und war nun unser Kicker. Andere Positionen lagen ihm nicht so ganz, da er eher schmächtiger war. Taylor war hingegen alles andere als schmächtig. Er war der zweite Runningback neben Noah. Jetzt war er wohl der erste und dementsprechend glücklich. Mit ihm verstand ich mich aber nicht wirklich toll. Taylor war noch dazu mein Nachbar und wohnte direkt neben mir. Also wirklich direkt. Die Architekten hatten unsere Häuser sehr nahe aneinander gebaut. Das Fazit war, dass etwa fünf Meter zwischen meinem und Taylors Zimmer war (so wie in diesem einen Taylor Swift Musikvideo, ihr wisst schon welches). Unsere Zimmer hatten beide sehr große und breite Fenster und ich gab allerdings sehr gut darauf Acht, dass meine Vorhänge an gewissen Zeiten gründlich verschlossen waren.
Ich stellte mich zu den beiden in die Dusche. Es war eine Gemeinschaftsdusche, die nicht mal über Ansätze von Trennwänden verfügte. Alvin hatte sich schon sehr oft darüber beschwert. Mir war das ziemlich egal. Wir waren ja alle Jungs, also was soll‘s? Ich schämte mich für gar nichts und die kleinen Erektionen, die man eben hin und wieder mal bekam waren doch ganz normal, oder? Zumindest nahm ich an, dass es bei den anderen genauso war. Ich war zwar zugegeben schon etwas neugierig wie das da unten bei den anderen Jungs aussah, aber ich riss mich immer zusammen. Aber trotz alldem wollte Alvin lieber in seinen verschwitzten Sachen nach Hause fahren und dort duschen. Für mich wäre das unvorstellbar.
„Man, Coach Baker geht mir so dermaßen auf den Sack.“, sagte ich und griff nach meinem Shampoo. „Wieso muss der immer mich nach dem Training dabehalten und zulabern?“
„Vielleicht steht er auf dich, Quarterback.“, sagte Taylor gelangweilt. Wenn wir nicht unter der Dusche stehen würden, hätte ich ihm einen Arschtritt verpasst. Die Vorstellung, dass ein Lehrer auf dich stehen könnte war ja gruselig.
„Sei still, Runningback!“, sagte ich deswegen nur.
„Was sonst, King?“, fragte er schelmisch.
„Wirst du schon sehen, ähm… keine Ahnung wie du im Nachnamen heißt.“
Eliot lachte, während Taylor die Dusche verließ.
„Sehr lustig, King.“, sagte er noch.
Eliot kicherte immer noch. Ich fand das nicht ganz so lustig, dass ich nach achtzehn Jahren noch immer nicht wusste wie mein Nachbar hieß.
„Wie findest du das mit Noah?“, fragte Eliot.
„Ziemlich scheiße. Der Kerl hat sich immer in Schwierigkeiten gebracht, aber er war ein klasse Runningback. Ich weiß nicht ob wir mit Taylor so gut sein werden wie mit Noah.“
„Vielleicht finden wir noch einen guten Ersatz. Alvin hat vorhin die ganze Zeit von seinem Kumpel Percy geredet.“
„Percy?“, fragte ich ungläubig. „Der ist ja noch kleiner und schwächer als du!“
„Danke“, sagte Eliot halb verärgert.
„Sorry, so hab ich das nicht gemeint. Du hast ja eh viel Kraft in den Beinen und du musst ja auch nicht viel mehr drauf haben um ein guter Kicker zu sein, aber Percy ist das reinste Hack-und-back-Männchen. Wie soll der einen guten Runningback abgeben?“
„Weiß ich doch. Wen würdest du vorschlagen?“, fragte Eliot.
„Ich weiß nicht. Vielleicht versuche ich Jason zu überreden.“
„Jason hasst Football.“, sagte Eliot.
„Man kann es ja mal versuchen.“
„Na gut. Ich geh dann mal. Dann ciao, Brandon!“
„Bis morgen, Eliot!“, rief ich ihm hinterher. Nun war ich alleine im Umkleideraum. Ich ließ mich von nichts hetzen und duschte mich in aller Ruhe zu Ende.
Fröhlich pfeifend verließ ich die Umkleide und ging zu dem großen Parkplatz vor der Schule und suchte mein Auto. Um zum Parkplatz zu kommen müsste ich eigentlich um das gesamte Stadion und dann noch um das Schulgebäude herumlaufen, aber ich kannte einen Schleichweg. Bei den Küchen gab es einen Notausgang direkt am Footballplatz. Ich schlich mich fast jedes Mal auf Samtpfoten, ja genau wie ein Kätzchen oder in meinem Fall wie ein Löwe oder ein Tiger, durch die Küche, ließ etwas von den übrig gebliebenen Nachspeisen mitgehen und verschwand durch die Küchentür auf den menschenleeren Schulgang. Danach nahm ich den Hinterausgang mit der Behindertenrampe und kam schließlich an den Müllcontainern vorbei. Ich warf meinen Puddingbecher in den Container und wollte schon weitergehen, als ich ein Wimmern hörte. Ich sah mich um. Niemand war zu sehen. Ich guckte hinter die Container, fand aber niemanden. Dann vernahm ich wieder ein Stöhnen. Diesmal sah ich in den Container und erschrak. Dort drin lag Liam. Er sah gar nicht gut aus. Er hatte ein lila Auge und etliche Schrammen und blaue Flecken.
„Liam!“, rief ich erschrocken. Langsam kam er zu sich „Wie kommst du denn da rein?“
„Na wie wohl?“, fragte er zornig. „Alvin und seine scheiß Speichellecker haben mir aufgelauert und mich zusammen geschlagen und dann hier reingeworfen. Oder meinst du ich verbringe hier gerne meine Nachmittage?“
„Diese Arschgeburt!“, knurrte ich. Sowas durfte niemand machen. Ich kletterte in den Container und sah mir die Sache etwas genauer an. Ich verstand nicht warum er nicht vorher schon wieder rausgeklettert war, fragte aber nicht. Ich schlang meine Arme um ihn und zog ihn vorsichtig hoch. Seine Kleidung roch etwas unangenehm. Er wankte.
„Alles ok?“, fragte ich.
„Nein“, sagte er und hielt sich den Kopf. „Irgendjemand hat mit etwas Hartem auf mich eingeschlagen und mich am Kopf getroffen.“
„Ach du scheiße!“, sagte ich. „Na, dann komm mal besser mit. Ich fahre dich nach Hause.“
Teil 4 – Wenn er das Zuckerbrot nicht will, kriegt er die Peitsche
„Das ist sehr nett von dir Brandon, aber das musst du nicht machen.“, sagte Liam und versuchte aufrecht zu stehen.
„Blödsinn! Natürlich muss ich das machen. Ich kann dich in dieser Verfassung doch nicht alleine lassen. Was ist wenn du irgendwo zusammenbrichst?“
„Ich breche schon nicht zusammen.“, sagte Liam und versuchte ein paar Schritte zu gehen. Er wankte immer noch. Schnell stützte ich ihn indem ich seinen linken Arm hinter meinen Hals zog und seine Hand mit meiner festhielt. Seine Haut fühlte sich warm und weich an.
„Ich bringe dich nach Hause, ok?“, sagte ich nochmal in einem Ton, der keinen Platz für Wiederspruch zuließ.
„Na gut. Danke Brandon.“, sagte Liam leise.
„Keine Ursache.“, sagte ich. Ich war wütend auf Alvin. Wenn ich den Kerl das nächste Mal sehen würde, konnte er was erleben. Sowas durfte man einfach nicht machen.
Vorsichtig brachte ich Liam in Richtung Auto. Auf dem Weg dahin fragte ich: „Ist das schon öfter vorgekommen?“
„Ja, schon ein paar Mal. Aber diesmal war es besonders schlimm. Vielleicht waren sie wütend weil du sie heute Morgen in die Schranken gewiesen hast. Oder weil ich sie dreckige Hurensöhne genannt habe.“, sagte er und lachte einmal trocken auf.
Trotz der unschönen Situation musste ich auch lachen. Liam lächelte stolz. Er schien stolz auf sich zu sein. Das konnte er auch. Er hatte sich einer Überzahl gestellt und hatte nicht nachgegeben. Ich wusste nicht, ob ich diesen Mut aufgebracht hätte.
„Davon hab ich gar nichts gewusst. Wieso hast du nie was gesagt?“, fragte ich. Die Antwort kannte ich schon
„Ich muss selbst damit fertig werden. Außerdem hat jeder seine eigenen Probleme. Warum sich dann noch meine aufbürden?“
„Wo ist dein Auto?“, fragte ich. „Ich fahr dich damit nach Hause und hole meines dann einfach morgen ab. Ich könnte am Morgen zur Schule joggen.“
„Ich nehme den Bus zur Schule“, sagte er.
„Du hast du kein Auto?“, fragte ich überrascht.
„Doch schon, aber ich fahre nicht damit zur Schule. Mir wurden schon zu oft die Reifen zerstochen und die Scheiben beschmiert. Einmal sogar eingeschlagen.“
„Oh“, sagte ich. Schlechtes Gewissen beschlich mich. Ich hatte mich einmal beteiligt an den Schmierereien. Wir haben pinke Farbe aus dem Kunstunterricht gestohlen. Ich wusste nicht einmal, wessen Auto es war.
Ich kam mit Liam zum Parkplatz. Liam erblickte etwas und stöhnte auf.
„Das glaube ich jetzt nicht!“, sagte ich.
Alvin und Percy standen an mein Auto gelehnt und rauchten Zigaretten. Liam versuchte mich aufzuhalten, doch angetrieben von Wut und schlechtem Gewissen, konfrontierte ich die Gruppe.
„Alvin!“, rief ich.
Alvin sah auf.
„Hey Bro, ich hab schon auf dich gewar… Was machst du denn mit dem da?“
„Die bessere Frage ist, was machst du mit ihm?“, fragte ich zornig.
„Weiß nicht was du meinst“, sagte er. Aus seinem Tonfall hörte ich, dass es ihm überhaupt nicht leidtat. Er war sogar stolz darauf.
„Was soll das Alvin? Ich dachte wir hätten einen Deal!“
„Haben wir doch immer noch. Ich lass dieses Stück schwule Scheiße in Ruhe wenn du mir eine geile Cheerleaderin klarmachst. Und das hast du nicht geschafft.“
Liam lachte laut auf und Alvins Fokus richtete sich auf ihn.
„Was willst du damit sagen, Homo?“, fragte Alvin provozierend.
„Dass du eine hässliche Arschgeburt bist mit einem noch beschisseneren Charakter! Glaubst du ernsthaft irgendjemand interessiert sich für dich. Ich wette nicht mal deine Mutter wollte dich haben“, erklärte Liam wütend.
„Halt. Dein. Maul!“, verlangte Alvin schäumend.
„Und wenn nicht? Kommst du dann wieder mit fünf deiner „Freunde“, die dir den Rücken stärken müssen, bevor du dich auch nur irgendetwas traust?“, provozierte Liam weiter. Er hatte Blut geleckt. Höchste Zeit einzugreifen.
„Geh zum Auto“, sagte ich im ruhigen Tonfall „Das silberne dort drüben“
Liam wollte widersprechen, aber ich fiel ihm ins Wort: „Ich kümmre mich um den hier“
„Was? Wieso hilfst du dem?“, fragte Alvin, während er zusah, wie Liam sich entfernte, allerdings nicht ohne seine Mittelfinger zu präsentieren. „Du bist mein Bro, du müsstest zu mir halten.“
„Hör mir mal gut zu, Bro“, sagte ich in ruhigem, aber bedrohlichen Tonfall „Ich weiß nicht was dein Problem ist mit ihm, aber das hört jetzt auf. Du wirst ihn nicht mehr schlagen, nicht anfassen, nicht mal ansehen. Wenn du ihn weiter quälst, sorge ich persönlich dafür, dass du aus der Mannschaft fliegst“
„Was?“, fragte Alvin entsetzt.
„Du hast mich schon verstanden! Ich bin Team Captain und der Coach mag mich definitiv mehr als dich. Wenn ich ihm erzähle, dass du ständig deine Position riskierst, weil du einen Schüler mobbst, bist du raus“
„Das würdest du nicht“, sagte er und wurde rot im Gesicht „Das würde der Coach nicht. Ich bin einer seiner besten Spieler!“
„Einer der Besseren“ korrigierte ich „und absolut ersetzbar. Wir haben eh bald Tryouts. Willst du es riskieren?“
„Aber… Für den?“, fragte Alvin und versuchte einen guten Grund zu finden „Aber er ist eine Schwuchtel! Ein Schwanzlutscher und ein…“
„Mir egal“, sagte ich, doch meine Gedanken landeten bei pinker Farbe.
„Ohh gefällt er dir? Ist es das?“, fragte Alvin „Hat dich der Homo angesteckt oder sowas?“
Heißes Blut lief in meine Ohren, doch ich versuchte meinen Ton ruhig zu halten. „Ich steh nicht auf Kerle“, sagte ich. So einen Blödsinn hatte ich noch nie gehört. Mein Resümee sprach für sich.
„Fällt mir ein bisschen schwer das zu glauben, wenn du dich mit dem abgibst. Da könnte man auf falsche Gedanken kommen“, sagte Alvin drohend.
Ich trat einen Schritt nach vorne, sodass nur ein Meter zwischen uns war. Ich überragte Alvin und er musste zu mir aufsehen. Das gefiel ihm gar nicht. „Lass es sein, ok?“, sagte ich leise „Ich kann auch ganz anders“
Alvin sah mir in die Augen, schürzte die Lippen und nickte. „Ist ok King. Dann geh halt. Aber das merk ich mir“, sagte er drohend
„Genau! Das merken wir uns!“, rief Percy, der sich nun einmischte und ähnliche Aussagen kamen von den anderen Chipmunks. Ich nickte, ging ein paar Schritte rückwärts, während ich die Bande im Auge behielt und drehte mich schließlich um und ging zu meinem Auto.
„Alles ok?“, fragte ich Liam, der schon dort stand.
„Ich hasse den Kerl.“, sagte Liam. Ich beförderte ihn auf den Beifahrersitz und setzte mich ans Steuer.
„Tut mir leid für den Gestank“, sagte er und roch an seiner Jacke.
Ich lächelte und sagte: „Ach was. Ist doch nicht deine Schuld und nichts, das nicht durch ein bisschen Lüften nicht wieder weggeht“
Liam sah erleichtert aus: „Okay… und danke“
„Keine Ursache. Stört es dich wenn ich das Radio einschalte?“, fragte ich.
„Nein, gar nicht.“, meinte Liam erleichtert wegen der Stimmungsaufhellung.
Ich drehte das Radio auf und schaltete so lange um, bis ich einen Song gefunden hatte, den ich gerne mochte. Ich bewegte meinen Oberkörper zu der Musik und summte die Melodie mit. Eine Zeit lang schwiegen wir. Mir behagte das Schweigen nicht. Ich raffte mich auf das zu fragen, was ich schon immer mal wissen wollte.
„Wie kommt es eigentlich, dass Connor beliebter ist als du?“
Liam gluckste: „Tja, das ist schon merkwürdig, oder?“
„Als Hetero wärst du vermutlich ganz an der Spitze“, sagte ich
Liam lachte und sagte: „Das würde alles einfacher machen, ja. Aber das bin eben ich. Und ich kann nichts dagegen machen“
Ich sah kurz von der Straße ab und zu Liam rüber. Seine Mundwinkel zuckten.
„Was Connor angeht, habe ich eine Theorie: Ich denke das liegt daran, dass Connor eben wirklich etwas feminin ist. Er macht fast nur Sachen die Mädchen machen und hängt auch nur mit Mädchen herum. Connor hat sehr viele Freundinnen mit denen er shoppen geht oder mit denen er sich Modemagazine ansieht und sich über Kosmetik und solche Sachen unterhält. Er ist außerdem bei den Cheerleadern und im Volleyballteam und es macht ihm auch nichts aus sich in der Mädchenumkleide umzuziehen. Dass er etwas klischeehaft ist, ist sein größter Schutzschild“
Ich fing an zu verstehen und nickte.
„Ich dagegen bin nicht so. Ich weiß, ich bin ganz sicher schwul aber ich bin nicht so wie Connor. Ich kann mit Mode und Kosmetik nichts anfangen. Deswegen habe ich auch nicht so viele Freundinnen. Außerdem kann ich mich nicht bei den Mädchen umziehen. Dabei fühle ich mich komisch. Ich bin kein schwuler bester Freund aus dem Fernsehen. Ich habe versucht ein bisschen mehr wie Connor zu sein, um auch diese Vorteile zu genießen, aber das bin einfach nicht ich, weißt du? Ich bin zu hetero für die Mädchenumkleide und zu schwul für die Jungs. Ich passe nirgends dazu. Ich habe nirgends wirklich Platz“
„Ach so. Wäre es dann nicht klug wenn du dir einen ähnlichen Schild aufbaust wie Connor? Du könntest zum Footballteam kommen. Da könntest du allen zeigen wie falsch sie mit dir liegen und würdest gleichzeitig sogar beliebt werden. Es wird etwas dauern, aber sie werden dich anfangen zu respektieren, wenn du gut spielst“
Liam lachte traurig, ich habe bisher nicht gewusst das sowas geht, und sagte: „Angenommen, ich könnte überhaupt so gut spielen, wie du annimmst, die meisten wollen sich doch gar nicht überzeugen lassen. Die wollen das Bild, das sie sich von mir gemacht haben, behalten. Ich werde für die meisten immer der sein, der ich jetzt bin. Nämlich der Schwule, den niemand leiden kann. Der typische Außenseiter und ein Loser“
„Du bist kein Loser.“, sagte ich. „Ich weiß doch wie gut du spielen kannst und dass du witzig bist und gutaussehend und…“
Ich sah wieder zu ihm rüber. Er war in der Tat sehr hübsch. Dunkelbraune Haare, die immer cool gestylt waren, auf eine Art und Weise, die ich selbst nie hinbekommen würde, Augen so blau wie das Meer, beinahe makellose Haut. Nun grinste er.
„Joa schon. Man muss ja nicht schwul sein, um zu erkennen, dass du gut aussiehst und Alvin eine Hackfresse ist.“, sagte ich und heftete meinen Blick wieder auf die Straße.
„Ich bin nicht schwul!“, sagte ich schnell, um das sicher zu stellen.
„Lass dich nicht verarschen“, sagte Liam „Ich weiß ja wie viele Mädchen du schon hattest“
„Das stimmt.“, sagte ich und eine seltsame Erleichterung machte sich breit.
„Ich wäre an deiner Stelle nicht so stolz darauf.“, sagte Liam. „Diese Mädchen sind teilweise sehr zerbrechlich. Connor hat mir schon oft erzählt wie sie sich bei ihm ausgeheult haben.“
Die Erleichterung wich einem unangenehmen Gefühl. Ich hatte mir selten Gedanken darum gemacht, ob meine Abenteuer für andere auch so belanglos waren, wie für mich.
„Die meisten wissen auf wen sie sich einlassen, wenn sie es versuchen.“, sagte ich und sah weiter stur auf die Straße.
„Wenn du meinst.“, sagte Liam. „Behalte nur vielleicht im Hinterkopf, was ich dir gesagt habe“
Eine Zeit lang fuhren wir wieder schweigend nebeneinander, bis ich mich nach dem Weg erkundigte. Liam gab mir Auskunft und ich fuhr den besagten Weg entlang.
„Ich finde immer noch, dass du es zumindest beim Football-Team versuchen solltest.“, sagte ich irgendwann.
„Hast du schon mal mitgekriegt, wie Jungen in einer Umkleidekabine auf mich reagieren? Außerdem ist da noch Alvin.“
„Die werden dich schon in Ruhe lassen.“, sagte ich. „Ich lege ein gutes Wort für dich ein. Die meisten hören auf mich weißt du. Bleib einfach in meiner Nähe und bei den cooleren Jungs und dir wird nichts passieren“
„Mach was du willst, aber ich glaube nicht, dass es viel helfen wird. Wenn ich nicht gut spiele, werden sie sagen, dass Schwule nicht gut sind im Männersport. Wenn ich sehr gut spiele, werden sie anfangen einen Groll zu hegen, weil ein Schwuler sie auf ihrem Feld schlägt“
„Das wäre doch ziemlich cool oder nicht?“, meinte ich „Genau das hätten die doch verdient. Und auch wenn sich einige ärgern werden, sind wir doch ein Team. Gewinnt einer, gewinnen alle“
Liam zuckte mit den Schultern.
„Probiere es zumindest. Du hast nicht viel zu verlieren.“, drängte ich aufmunternd.
„Vielleicht“, sagte er. Nach einer Weile fügte er noch was hinzu: „Brandon? Wieso machst du das? Ich meine wieso hilfst du mir? Ich könnte dir doch egal sein“
Ich dachte kurz darüber nach. Ich war kein Robin Hood, der sich ständig für die Armen und Schwachen einsetzte. Ich hatte kein Vergnügen an Grausamkeiten, war allerdings für Pranks zu haben. Dann fiel mir die pinke Farbe wieder ein.
„Ich weiß nicht.“, sagte ich nur. „Aber ich finde, es war das Richtige“
Liam antwortete erstmal nicht. Dann sagte er: „Ich mag dich. Du wärst ein toller Freund. Ich muss hier aussteigen.“
„Ok“, sagte ich und fuhr an den Rand. „Ciao“, sagte ich und gab Liam die Hand. Seine Hand war warm und die Haut weich.
„Ciao“, sagte er. „Und nochmal danke.“
Damit schlug er die Autotür zu und ließ mich wegfahren.
„Du wärst ein toller Freund“
Dieser Satz schwirrte mir noch bis Zuhause im Kopf herum.
Ich kam nach Hause und sah zu meinem Haus auf. Es war ein mittelgroßes, schneeweißes Gebäude von neuester Architektur. Unser Garten war so ordentlich als ob jemand alles genau mit Lineal und Wasserwaage abgemessen hätte. Unser Pool war beleuchtet. Ich liebte es nachts im beleuchteten Pool zu baden. Da der Pool beheizt war, war auch die nächtliche Kälte kein Problem. Unser Nachbarhaus sah genau gleich aus wie unseres, nur war es spiegelverkehrt und mit Holzschindeln verkleidet. Mein Nachbar Taylor und ich hatten eine Fehde laufen welches unserer Häuser das Original war. Komischerweise stand in unserer Einfahrt ein mir unbekanntes Auto. Es stand so blöd da, dass ich mein Auto nicht richtig parken konnte und es so an den Bordstein stellen musste. Kopfschüttelnd besah ich mir das Auto. Das Kennzeichen erkannte ich nicht. Für welches Land stand denn bitte A? Für Australien? Seit wann kennen wir Australier? Mir war es eigentlich gleich wer es war. Die Verantwortlichen würde ich zurechtweisen damit mein Auto auf seinen rechten Platz kam.
Ich schloss die Türe auf und ging gleich in die Küche. Meine Mom war überraschenderweise da und noch überraschender war, dass sie gekocht hatte. Gerade hatte sie einen dampfenden Braten aus dem Ofen geholt. Als ich mich räusperte drehte sie sich um und rief erfreut: „Hallo, Liebling! Du solltest dir die Schuhe ausziehen.“
Genervt davon, dass sie sich noch immer nicht gemerkt hatte, dass ich es nicht mehr ausstehen konnte, wenn sie mich Liebling nennt, seit ich fünf Jahre alt war, verschränkte ich die Arme und sagte: „Hallo, Mutter. Wer hat draußen so ungünstig geparkt? Ich komme nicht auf meinen Platz“
Ich betonte das „Meinem“ so gut wie möglich aber meine Mutter hörte meinen Ärger nicht. Es kann natürlich auch sein, dass sie ihn überhörte.
„Oh ja. Wir haben Gäste.“, sagte sie strahlend und fing an zu pfeifen während sie den Braten in etwas zu dicke Scheiben schnitt. Das Kochen lag ihr nicht so. Tatsächlich war es mein Vater, der von den beiden am öftesten kochte, und selbst das war eher selten der Fall.
„Ach ja? Wo sind sie?“, fragte ich.
„Im Wohnzimmer, Liebling. Aber zuerst solltest du nach oben gehen. In deinem Zimmer ist jemand der auf dich wartet.“
Am liebsten wollte ich sofort ins Wohnzimmer stürmen und unsere Gäste darauf hinweisen, dass sie ihr Auto umzuparken haben, aber ich vermutete stark, dass meine Mutter nicht allzu gutheißen würde. Also ging ich nach oben. Vor meiner Zimmertüre saß fiepend mein Hund Rex. Ich hatte den kuscheligen Berner-Sennenhund zu meinem zehnten Geburtstag bekommen. Inzwischen war er ausgewachsen aber immer noch sehr anhänglich. Sogar so sehr, dass er sein Hundekörbchen ignorierte und neben meinem Bett auf einem Teppich schlief. Mit großen Augen sah er mich an.
„Da ist jemand Fremdes in deinem Terrain.“, versuchte er wohl zu sagen. Ich stieß die Tür auf und ging in mein Zimmer. Eine junge Frau um die 22 saß mit überschlagenen Beinen auf meinem Bett. Sie war sehr hübsch, hatte schulterlanges, hellbraunes Haar mit blauen Strähnen. Sie trug zerrissene Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift „The Bitch Is Back!“ ihre Augen hatten die gleiche Farben wie meine.
„Lange nicht gesehen, Cousin.“, sagte sie lachend, legte ihr Handy weg und stand auf. Sie war fast so groß wie ich.
„Clara!“, rief ich erfreut auf. Ich umarmte meine Cousine stürmisch und vergaß sogar, dass vermutlich sie es war, die auf meinem Parkplatz geparkt hatte. Clara war die einzige Cousine, die ich hatte. Meine Mutter hatte einen älteren Bruder, der mit seiner Frau und Clara nach Europa gezogen waren als Clara neun Jahre alt war. Für sie war das alles eine große Umstellung aber zumindest war sie bilingual aufgewachsen. Während sie noch hier gelebt hatte, war sie wie meine Schwester gewesen. Mit ihr hatte ich sogar mehr Scheiße gebaut als mit Jason, allerdings kindischeres Zeug.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich glücklich.
„Nun, meine Eltern wollten euch mal besuchen kommen und da bin ich natürlich mitgekommen. Ich habe dich vermisst Cousin und wollte mir diese Chance nicht entgehen lassen. Außerdem sind wir gerade im Gespräch wieder nach Amerika zu ziehen. Europa war schön, aber ich denke doch, dass ich in Wahrheit hier zuhause bin.“
„Du willst hierher ziehen?“, fragte ich erfreut.
„Ja, es ist schon alles mit meinen und deinen Eltern geklärt. Ich wohne bei euch bis ich was Eigenes und einen Job gefunden habe.“
„Du wohnst bei uns?“, fragte ich erfreut. Dann fiel mir noch etwas ein. „Dann muss ich dich aber gleich auf eine unumstößliche Regel aufmerksam machen. Der Parkplatz, auf dem dein Auto steht ist meiner.“
Clara grinste: „Sorry, Brandy!“
Ich rief rot an. Den Spitznamen Brandy hat mir Clara gegeben als ich vier war. Seitdem musste ich die Tatsache ertragen, dass ich einen Weinbrand gerufen wurde. Das schlimmste war, dass er mir nicht mal schmeckte. Im Gegenteil.
Ich und Clara saßen noch eine Zeit lang auf meinem Bett und quatschten über alte Zeiten und über das, was uns in letzter Zeit widerfahren war. Ich erzählte ihr von meiner High-School, von Jason, von dem langweiligen Geschichtsunterricht von Mrs. Schroeder und von Football.
Clara hörte mir aufmerksam zu, doch ihre Aufmerksamkeit schwand als Rex mit großen Augen hereinkam und sich zu unseren Füßen niederließ. Clara war eine Große Tierliebhaberin und fing sofort an ihm den Rücken zu kraulen. Ich machte nebenbei Musik und fragte Clara über ihre letzten Jahre in Europa aus, doch sie gab nicht viel davon preis. Irgendwas von einem Musical und etlichen Partys war die Rede aber ich bekam sonst nicht wirklich viel aus ihr heraus.
Später am Abend saß ich unten im Wohnzimmer und unterhielt mich mit meiner Tante und meinem Onkel. Anders als Clara hatte mein Onkel einen sehr starken Akzent aber verstehen konnte ich ihn trotzdem sehr gut. Rex war mir zum Glück trotz der Streicheleinheiten von Clara immer noch treu. Mein kuschliger Hundefreund schlief glücklich auf dem Wohnzimmerboden zu meinen Füßen. Später geriet seine Loyalität etwas ins Wanken als Clara ihm etwas von ihrem Braten anbot. Mein Hund war bestechlich, na klasse.
Meine Eltern begannen eines dieser Erwachsenengespräche, denen man einfach nicht zuhören kann. Darum beschloss ich mit Rex Gassi zu gehen. Sein Fiepen verriet mir, dass ihn wohl etwas drückte. Ich verabschiedete mich schnell um nicht in das Gespräch einbezogen zu werden. Clara warf mir einen finsteren Blick zu. Sie musste gerade meinem Vater Fragen zu Europäern und deren Politik beantworten und konnte daher nicht mitkommen.
„Bis später, Brandy.“, sagte sie.
„Bis später, Clara.“, sagte ich grinsend und zog an Rexs Leine. Mit Hundeblick, und das meine ich wörtlich, hatte er Clara um noch einen Happen Braten angebettelt. Wiederwillig kam er mit und verrichtete ein kleines Geschäft an dem Briefkasten von Taylors Haus. Ich lachte aufgrund seiner Wahl und ging mit Rex an den Strand. Dort ließ ich ihn von der Leine um ihn seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen zu lassen. Krabben jagen. Ich setzte mich in den kühlen Sand und ließ die nächtlich-kühle Priese über mein Gesicht streifen. Ganz in der Nähe stand ein Leuchtturm zu dem es mich oft zog. In dem Turm wohnte niemand. Der alte Mann, der jede Nacht das Licht anmachte wohnte etwas weiter entfernt in einer Fischerhütte. Ich sah hinaus aufs Meer. Der Mond spiegelte sich auf dem Wasser. Fast jede Nacht konnte man hier die Sterne sehen. Ich legte mich auf den Rücken und sah hinauf. Ich konnte einige Sternzeichen erkennen. Mich faszinierte es jedes Mal wieder die glitzernden Punkte zu bewundern. Die Tatsache, dass manche dieser Sterne möglicherweise schon gar nicht mehr existierten machte mich komischerweise ein klein wenig betrübt. Nichts war unvergänglich. Sogar der hellste und wichtigste Stern würde irgendwann zu einer gigantischen Supernova explodieren.
Das Meer rauschte leise. Diese Atmosphäre hatte zum Zweck, dass sich fast jede Nacht irgendwelche Pärchen aufhielten. In der Ferne sah ich zwei Gestalten im Sand sitzen. Auch ich war schon öfter mit irgendwelchen Mädchen hier gewesen. Die Mädchen waren in dieser romantischen Atmosphäre fast geschmolzen, jedoch konnten sie alles nie in Ruhe genießen. Früher oder später hatte mich ihre Anwesenheit zu nerven begonnen. Jetzt wo ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich mit keinem Mädchen wirklich glücklich gewesen war. Sogar Connor hatte sein Glück mit Liam gefunden. Liams Augen hatten die Farbe des Meeres und seine Hände waren weich und warm. Wieso musste ich gerade jetzt an Liam denken?
Ich stand auf und streifte mir Schuhe und Socken ab. Barfuß ging ich hinunter zum Strand und ließ meine Füße vom Wasser umspülen. Ich grub meine Zehen in den Sand und ließ das Wasser mich kitzeln. Es war gar nicht kalt. Ich beschloss noch schnell baden zu gehen. Ich wollte schon rufen, dass ich vorhatte ins Wasser zu gehen aber da fiel mir wieder ein, dass diesmal niemand da war, dem ich Bescheid sagen musste. Ich stapfte zurück zu meinen Schuhen und stopfte mein Handy und meine Geldbörse zu den Socken in die Schuhe und streifte mir mein Shirt ab. Nachdem ich auch meine Hose ausgezogen hatte, hielt ich inne. Ich sah mich um. Niemand war zu sehen, abgesehen von meinem Hund und einer Handvoll Krabben. Das Pärchen war weit genug entfernt also zuckte ich mit den Schultern und entledigte mich auch meiner Boxer-Shorts. Nackt stapfte ich hinunter zum Strand und watete ins Wasser. Das Wasser war kühl aber nicht kalt. Es war angenehm. Angenehmer als das warme Wasser in unserem Pool. Ich stand inzwischen schon bis zur Brust im Wasser. Ich ließ mich nach hinten fallen und schloss die Augen. Das salzige Meerwasser umfing mich. Ich ließ mich eine ganze Weile lang treiben. Dann schwamm ich ein paar Züge nach draußen. Ich liebte das Wasser. Es war schon immer mein Element gewesen. Beim Schwimmen kam mir alles leichter, schwereloser vor. Alle Probleme und Schwierigkeiten fielen von mir ab und ich vergaß die Zeit.
Irgendwann wurde ich aber von einem Jaulen aufgeschreckt. Mein Hund hatte doch tatsächlich eine Krabbe an seinem Schwanz hängen - ihr wisst welchen ich meine, also hört auf zu lachen; das Tier hat Schmerzen! -. So schnell es ging kam ich aus dem Meer und trennte vorsichtig das blöde Schalentier von Rex und warf die krabbe zurück ins Meer. Rex fiepte. Selber schuld. Das war nicht das erste Mal aber der Hund lernt wohl nie dazu. Ich hörte Stimmen und wurde sofort scharlachrot. Ein anderes Pärchen näherte sich. Sofort spurtete ich zu meinen Sachen und zog mir meine Boxershorts über. Gerade noch rechtzeitig. Eliot kam ganz in der Nähe mit einer hübschen Cheerleaderin die Böschung heruntergelaufen. Beide lachten. Ich sah, dass sie Händchen hielten. Offenbar waren sie sehr mit sich beschäftigt, denn sie bemerkten weder mich noch meinen winselnden Hund.
Ich trocknete mich mit meinem Shirt ab und zog mir meine Hose an. Meine Schuhe, das nasse Shirt und die Socken nahm ich in die eine und Rexs Leine in die andere Hand. Barfuß und mit nacktem Oberkörper lief ich nach Hause. Ich passte gut auf meine Füße auf als ich an Taylors Briefkasten vorbei kam. Zuhause legte ich erstmal mein Shirt auf einen Heizkörper und duschte mir das Meersalz ab. Während ich mir in der Dusche die Haare wusch, wurde ich nachdenklich. Eliot hatte glücklich ausgesehen mit seiner Freundin. Zumindest nahm ich an, dass es seine war. Aber wieso war ich noch nie so glücklich wie er gerade? Vielleicht lag es aber einfach daran, dass ich die Richtige noch nicht getroffen hatte. Es fiel mir schwer Leute an mich heranzulassen. Sogar zu meinen Eltern war ich distanziert. Sie waren nie viel da gewesen und als Kind war das manchmal echt hart gewesen. Ich hatte Clara und als sie dann weggezogen ist, hatte ich einen Hund bekommen. Vielleicht wusste ich einfach nicht, wie man liebte.
Der nächste Tag lief wie am vorigen. Allerdings mit einem kleinen Unterschied: Clara saß am Frühstückstisch und ließ die Treue meines Hundes bröckeln. Rex stand nie am Vormittag vor zehn Uhr auf doch seitdem Clara hier war, hatte sich das offenbar verändert. Sie fütterte ihn mit Speckstückchen. Der Radio spielte eine, für den Morgen, angenehme Musik ab.
„Morgen“, sagte ich und setzte mich auf einen der Hocker um unseren Küchentisch.
„Morgen, du Sonnenschein.“, sagte sie fröhlich und wuschelte mir durch meine blonden Stachelhaare. Ich kannte genug Leute, die jedes Mal auszuckten, wenn jemand an ihren Haaren herumfummelten aber ich nicht. Meine Haare waren kurz geschnitten und einmal mit der Hand durchfahren brachten sie wieder in Ordnung.
„Warum bist du schon so früh munter?“, fragte ich und stopfte Früchte in den Mixer, um mir meinen täglichen Shake zu mischen.
„Ich fahre mit dir in die Schule.“, sagte sie gut gelaunt und strich sich Marmelade auf eine Scheibe gebutterten Toast.
„Wie bitte?“, fragte ich ungläubig. Wieso verdammt nochmal wollte Clara in die Schule? Sie hatte doch ihren Abschluss.
„Ich will mich nach einem Teilzeitjob umschauen.“, sagte sie lächelnd und biss in ihren Toast. Mit vollem Mund erklärte sie mir: „Ich hab mir gedacht, in einer High-School gibt es bestimmt etwas Kleines für mich und ich wäre auch immer in der Nähe meines Lieblingscousins.“
Kopfschüttelnd holte ich mir die Eiswürfel aus dem Kühl-Fach und leerte sie in den Mixer.
„Ich bin dein einziger Cousin.“, sagte ich, stellte den Mixer an und die Geräusche von zerhackten Früchten und Eiswürfeln und das Summen des Mixers unterbanden eine weitere Unterhaltung. Ich wusste nicht, ob ich es gut fand, dass Clara vorhatte sich einen Teilzeitjob an meiner Schule zu suchen. Einerseits waren die Schüler bei weitem nicht sehr respektvoll, wenn es um heiße, junge Lehrerinnen ging. Andererseits war Clara nicht niemand, der sich von einer Handvoll pubertierender Jugendlicher unterkriegen ließ, zumindest hoffte ich das. Clara aß in aller Ruhe zu Ende bis ich den Mixer abstellte und mir den Shake genehmigte.
„Willst du noch was, bevor wir losfahren?“, fragte sie.
„Nein, danke. Viel zu fettig.“, sagte ich und warf einen Blick in die Pfanne.
„Ohhh, natürlich. Seit wann bist du denn so sehr auf sowas fixiert?“ fragte sie und schüttete die übrigen Streifen in den Futternapf von Rex.
„Keine Ahnung. Aber zu viel fettigem Zeugs krieg ich sowieso Magenschmerzen. Außerdem fahren wir noch nicht in die Schule. Ich gehe vorher noch joggen und duschen. Dann können wir von mir aus fahren. Willst du mitkommen?“
Clara lachte: „Nein danke. Ich bleibe lieber hier und werde fett.“
„Von mir aus.“, sagte ich. „Aber wenn du schon nicht mitkommst, nehme ich ihn hier mit.“
Ich legte Rex die Leine an. Er winselte, denn einer der Gründe, dass er immer spät aufstand war, dass er mein Joggingtempo kannte. Aber ich kannte keine Gnade und zog ihn mit. Früher oder später genoss er die Bewegung. Das wusste ich aus Erfahrung.
Eine Dreiviertelstunde später saß Clara munter plappernd neben mir auf dem Beifahrersitz und verrichtete meine eigentliche Aufgabe: durch zu viel Reden zu nerven. Irgendwann drehte ich den Radio auf, aber Clara kam nicht in den Sinn mitzusingen. Daher drehte ich den Radio ab und ließ sie reden.
Jason war überaus überrascht, dass er diesmal hinten sitzen musste. Noch überraschter war er als er Clara erkannte.
„Seit wann ist denn deine Cousine wieder hier?“, fragte er.
Ich wollte schon antworten, aber Clara war schneller.
„Du kannst mich ruhig selbst fragen. Ich bin gestern angekommen und gehe mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr so schnell hier weg.“, sagte sie zwinkernd. „Übrigens schön dich wiederzusehen, Jason.“
„Danke“, sagte Jason verlegen. „Und schön, dass du dich an meinen Namen erinnerst, Clara.“
„Was denkst denn du, bitte? Dass ich den Namen des besten Freundes meines Lieblingscousins vergesse?“, sagte sie lachend.
„Du hast doch nur einen Cousin.“, sagte Jason verwirrt. Ich blickte ihn vielsagend an. Jason schmunzelte. Clara war inzwischen schon wieder durch etwas anderes abgelenkt worden. Von ihrem Sitz.
„Sag mal Brandy, warum riecht der Sitz so merkwürdig?“
Ich wurde ein klein wenig rot. Zum einen, weil sie mich vor meinem besten Freund Brandy genannt hatte, zum anderen weil es mir komischerweise peinlich war, dass ich Liam heimgefahren hatte. Zögernd erzählte ich die Geschichte wie ich Liam im Müllcontainer gefunden hatte, ihn vor Alvin und seiner Clique beschützt und danach heimgefahren hatte.
Clara nickte als ich zu Ende erzählt hatte.
„Der Arme.“, sagte sie. „Ich habe schon so einiges an gay Drama miterlebt, aber das klingt nach einer ganz anderen Liga.“
„Du hattest in Europa mit Schwulen zu tun?“, fragte Jason ungläubig.
Clara nickte: „Ja. Ich war sogar mal in einen verknallt aber der hatte einen Freund und war nicht geoutet. Ich hatte null Ahnung und als es dann rauskam war ich anfangs ziemlich geschockt. Aber dann sind wir irgendwie Freunde geworden.“
Ich musste grinsen. Irgendwie hörte sich das lustig an.
Als wir dann zur Schule kamen sah ich schon von weitem Alvin. Er und seine kleine Bande von Speichelleckern warfen mir böse Blicke zu während sie wie üblich an ihren Zigaretten zogen. Aber irgendwas hielt sie davon ab herzukommen und mich wegen gestern zu belästigen. Vermutlich die Eier, die sie nicht besaßen.
Jason und ich gingen wie jeden Morgen zu unseren Spints und holten unser Zeug für die erste Stunde. Nur diesmal redete Clara auf uns ein. Sie fragte uns aus über die Schule und über irgendwelche Schüler und Lehrer, die vorbeigingen. Das zog ungewünschte Aufmerksamkeit auf uns. Genervt zeigte ich ihr dann das schwarze Brett der Schule und den Weg zum Büro unserer Direktorin, überließ es ihr allerdings den Weg selbst zu finden. Sie war schon groß, sie konnte das bestimmt.
Die Kantine war diesen Mittag zum Glück nicht überfüllt. Jason und ich erwischten eine Bank ohne Dressing in einer stillen Ecke. Aber gewisse Leute fanden mich natürlich trotzdem. Es dauerte gar nicht lange bis Connor im Anmarsch war, aber diesmal in Begleitung. Headcheerleaderin Vivien und ihr beste Freundin Dianna. Dianna hatte lange rabenschwarze Haare und eine bleiche Haut. Sie stammte aus Kanada. Sie war sehr hübsch und daher auch beliebt. Vivien war eine überaus hübsche Latina, die aber über einen Charakter verfügte der mich strahlkotzen ließ. Für sie hielt eine Freundschaft nur so lange wie der entsprechende Beliebtheitsstatus. Obendrein war sie eine Zicke. Ich mochte sie nicht wirklich, also setzte ich ein gezwungenes Lächeln auf.
„Hiii, Brandon.“, sagte sie mit breitem Lächeln, das ihre weißen Zähne zeigte. Perfekt gerade und gebleicht.
„Hi“, sagte ich kurz angebunden und zog die Mundwinkel hoch.
„Hiii, Brandon.“, sagte Dianna. Offenbar waren ihr die Grüße ausgegangen.
Die etwas hohle Art von Dianna fand ich immer wieder lustig. Genervt sah Vivien zu Dianna. Insgeheim vermutete ich, dass Vivien mit Dianna nichts am Hut hätte wenn da nicht ihre Beliebtheit wäre.
„Wir haben uns gefragt ob du zu unserer Party kommen willst?“, fragte Vivien zuckersüß.
„Das wird bestimmt klasse.“, sagte Connor eifrig und schwang sich sofort neben mich auf die Bank. „Ich selbst hab zwar nichts gekriegt aber mein Süßer hat uns Alkohol besorgt. Gutes Zeug“
Ich musste grinsen bei dem Gedanken wie Connor versuchte Alkohol zu kaufen und dabei älter als 21 zu wirken.
„Ich weiß nicht.“, sagte ich. Eigentlich hatte ich gerade keine Lust auf eine Cheerleader-Party. Aber dann bekam ich einen Tritt gegen mein Schienbein. Jason sah mich flehend an. Ich hatte ganz vergessen, dass ihm Dianna gefiel. Ich verstand sofort.
„Willst du es dir nicht noch überlegen?“, fragte Vivien. „Taylor hat schon zugesagt.“
„Eigentlich wollte ich ja was mit Jason machen.“, sagte ich.
„Von mir aus kann der auch kommen, aber bitte komm, Brandon. Ohne dich ist es nicht so lustig.“, sagte Vivien wimpernklimpernd. Ich tat so als würde ich kurz überlegen. Dann sagte ich: „Joa, wieso nicht?“
„Klasse!“, rief Connor. „Das wird bestimmt super!“
Ich sagte nichts darauf, sondern wollte anfangen meine Mahlzeit einzunehmen, als ich sah, dass Clara hinter Vivien und Dianna aufgetaucht war. Offenbar stand sie dort schon länger, denn als Begrüßung hörte ich ein: „Hiii, Brandon.“
„Hi, Clara.“, sagte ich und besah mir die verärgerte Miene von Vivien. Dianna hatte nicht einmal gemerkt, dass Clara sie gerade nachgeäfft hatte.
„Wer ist das denn? Ist die nicht schon viel zu alt für die Highschool?“, fragte sie und deutete auf Clara. Clara, die gut fünf Jahre älter war als Vivien sah sie belustigt an. Man merkte deutlich, dass Vivien es nicht gewohnt war verarscht zu werden.
„Ich bin die Cousine von Brandon, die hochnäsigen Cheerleaderinnen gerne Arschtritte verpasst.“, sagte Clara. Vivien ließ sich nicht anmerken, ob sie die aussage getroffen hatte. Stattdessen schenkte sie Clara ein schneeweißes Lächeln.
„Wir gehen dann mal.“, sagte sie und zog Dianna mit. Connor blieb sitzen.
„Sag mal Connor, ist das da was du um die Schulter trägst eine Hello-Kitty Tasche?“, fragte ich und deutete auf die weiß-pinke Umhängetasche von Connor.
„Ja, die ist doch niedlich, oder? Und außerdem eine Seltenheit. Die wurde nur hundert Mal produziert“, sagte er stolz.
„Cool“, sagte ich, nicht wissend was ich sonst hätte sagen können.
„Die ist doch wirklich niedlich.“, sagte Clara und setzte sich neben Jason. „Wer waren denn diese Tussen? Sind das Freunde von dir, Brandy?“
„Brandy?“, sagte Connor mit leuchtenden Augen. Ich stöhnte auf. Diesen Spitznamen würde Connor nie wieder vergessen.
Erfolgreich war ich den Fängen der High-School, sowie etlichen Nervensägen, entkommen und konnte endlich meinen Freitagnachmittag genießen. Connor nannte mich ab sofort nur noch Brandy. Er fand den Namen sehr niedlich. Genau das ließ er mich mindestens fünfmal wissen, bevor ich mit Jason und Clara in mein Auto stieg und nach Hause fuhr. Ich brachte erst meinen besten Kumpel heim und beschäftigte mich dann mit meiner scheinheilig aussehenden Cousine.
„Musste dir der Spitzname unbedingt rausrutschen?“, knurrte ich.
„Sorry, Brandy.“, sagte Clara. „Sei doch froh, der Spitzname ist cool."
„Großartig“, wegen dir hängt mir Connor jetzt noch mehr am Hals als sonst sowieso schon.“
„Ach Connor hieß der Knabe also.“, sagte Clara grinsend. „Ich glaube der steht auf dich.“
„Ich glaube auch. Ich weiß gar nicht wie sein Freund es mit ihm aushält.“
„War das der hübsche, dunkelhaarige Junge, der immer wieder zu uns rüber gesehen hat?“, fragte Clara.
„Hat er das?“, fragte ich. „Habe ich gar nicht bemerkt.“
„Oh doch. Er hat irgendwo hinter deinem Rücken gesessen. Liam heißt er, oder? Der den du gerettet hast?“
„Ja genau. Das war Liam.“, sagte ich. Ich wollte nicht mehr darüber reden.
Clara nickte mit einem verschmitzten Lächeln, das ich nicht wirklich verstand.
Etwas später war ich zuhause und säuberte mein Auto. Mit lauwarmem Wasser und ein paar Sprays machte ich mein Auto wieder geruchsneutral. Clara war währenddessen zum nächsten großen Hafen gefahren um sich zu erkundigen wann das Transportschiff mit ihren Sachen ankam. Anscheinend hatte sie tatsächlich vor, von heute auf morgen nach Amerika zu ziehen. Ich würde sehr gerne wissen, was sie denn dazu getrieben hatte. Aber ich bekam nicht mehr genug Zeit, um darüber nachzudenken, denn mein Dad kam aus dem Haus und direkt auf mich zu.
„Branden! Hilfst du mir im Gym aus? Travis kann nicht und ich kann den Laden nicht alleine schmeißen.“, fragte er.
„Von mir aus. Aber ich kann nicht ewig. Ich bin heute noch auf einer Party. Also spätestens um Acht bin ich dann weg.“, sagte ich. Ich half meinem Dad gerne. Wir verbrachten sonst nicht besonders viel Zeit miteinander und ich bekam außerdem ein bisschen Geld dafür.
„Auch nicht wild. Ab Acht schaff ich‘s allein. Sonst hilft mir eben auch mal Lucia bei der harten Arbeit.“
Lucia war eine weitere Angestellte, die für die Kasse, die Smoothies und Powerriegelbar verantwortlich war.
„Ich komme dann gleich nach Dad, ich muss hier noch was erledigen.“
„Alles klar, mein Sohn, bis später!“
„Bis später!“, rief ich ihm nach.
Während ich weiter mein Auto putzte, dachte ich an die Party am Abend. Irgendwie hatte ich in letzter Zeit keine Lust mehr auf Partys. Das war doch immer das Gleiche. Laute Musik, Alkohol und ein Mädchen mit dem ich später irgendwann verschwand. Der nächste Tag brachte dann immer Kopfweh und schlechte Laune mit sich. Auch wenn die Mädchen auf der Party immer cool drauf waren, verloren sie diese Eigenschaft am nächsten Tag früher oder später. Ganz zu schweigen vom großen Heulen, wenn ich mich nicht auf ein zweites Date treffen möchte. Darauf hatte ich keine Lust mehr. Diese Party würde anders werden, nahm ich mir vor.
Wenig später war ich mit meinem Vater im Gym und machte eben gerade was so anstand. Neuen die Geräte erklären, sauber machen, den Snackautomaten auffüllen und auch in den WCs das Klopapier nachfüllen. Es ist nicht wirklich lustig den Schweiß der Männer wegzuwischen, die hier Work out machten ohne ein Handtuch zu verwenden, aber ich war inzwischen daran gewöhnt. Heute war besonders viel los. Mein Vater und ich hatten sehr viel zu tun und die Zeit verging umso langsamer. Um fünf Uhr sagte dann mein Dad zu mir: „Brandon, geh doch mal schnell rüber in den großen Raum. Wir haben neue Stammkunden. Zwei Jungen in deinem Alter haben sich hier angemeldet und jemand muss noch die Einführung machen. Ich war zu beschäftigt, um sie richtig einzuführen. Mach du das bitte, ich muss hier was reparieren.“
„Klar Dad, mach ich gerne!“, rief ich ihm zu. Einführung war eigentlich die beste Arbeit hier. Alles, was man machen musste, war erklären wie man die Geräte richtig bedient, wie sonst alles hier funktioniert und vor allem Muskeln spielen lassen um zu zeigen, dass man hier Erfolg haben würde. Da ich meinem Dad nicht sehr ähnlich sehe wissen die meisten nicht, dass ich mit dem Gym aufgewachsen bin, sondern denken ich wäre ein ganz gewöhnlicher Teenager, der hier erst seit ungefähr zwei Jahren hier arbeitete. Ich ging in den nächsten Raum, in dem ich hoffentlich die beiden Neuen finden würde. Fröhlich klatschte ich in die Hände und rief laut: „So, wer sind denn hier die Neuen?“
Die Antwort kam prompt.
„Huhu! Brandyy! Ich und Liam haben uns heute hier angemeldet! Klasse, oder?“, rief eine begeisterte, gedehnte Stimme.
Connor war äußerst außergewöhnlich bekleidet. Statt einer kurzen Hose und Tanktop, oder anderen Sportsachen, trug er ein Outfit, das nach 80er Aerobic Kleidung aussah. Ein Hautenger, neonfarbener Bodysuit. Dazu hatte er ein Stirnband auf, das ihm eventuell sich lösende Haare aus der Stirn halten sollte. Da dieses Stirnband wegen des vielen Gels in seinen Haaren völlig nutzlos für ihn war, nahm ich an, dass es ihm einfach gefiel.
„Hi, Connor.“, sagte ich wenig begeistert. Connor lief bereits auf einem Laufband.
„Du scheinst das schon gut zu können. Hast du sowas schon mal gemacht?“, fragte ich.
„Ja, ich habe sogar eins zuhause. Jeden Tag laufe ich mindestens 8km“, sagte er stolz.
„Ah, cool.“, sagte ich. Ich fragte mich, warum er dann hier war. „Und was ist mit den anderen Geräten? Bist du mit denen vertraut?“
„Mit denen die ich benutzen werde, ja.“, sagte Connor. „Dieses ganze Muskelaufbauzeugs interessiert mich nicht. Ich versuche nur schlank zu bleiben.“
Ich schmunzelte und vergaß zu erwähnen, dass Connor das einzige männliche Weser hier war, das jemals nur schlank werden und keine zusätzlichen Muskeln wollte. Aber für jedem das Seine.
„Nun, dann brauchst du die Einführung ja offenbar nicht.“, sagte ich. „Wenn du nicht weißt, wo hier die WCs oder die Duschen sind, die sind da hinten und die Saft Bar ist am Eingang.“
„Es gab eine Einführung?“ fragte er mit Kulleraugen. „Ich meinte natürlich ich habe absolut keine Ahnung wie alles hier funktioniert!“
Ich musste lachen, erklärte ihm dann aber, dass ich Liam einführen würde und dann zurückkommen würde falls – Betonung auf Falls – er noch Fragen hatte. Ich führte Liam herum und erklärte ihm die Geräte, kontrollierte seine Haltung und gab ihm Tipps für einen Trainingsplan. Zuletzt warnte ich ihn sich nicht zu übernehmen und verließ ihn, um eine Pause einzulegen. Die Pause hielt sich kurz, da Connor angelaufen kam und sich alle Knöpfe am E-Bike erklären ließ. Mein Dad rettete mich und schickte mich zurück in Richtung Krafttraining. Ich vermutete, dass mein Dad nicht wollte, dass ich nicht zu viel Kontakt mit einem so bunten Vogel wie Connor hatte.
Ich betrat den kleinsten Raum des Gyms, wo die Hanteln und Gewichte waren. Gerade als ich hereinkam sah ich mit wie Liams Arme unter der Last eines Gewichts auf der Langhantelbank zusammenbrachen. Liam stieß einen Schrei aus als ihm das schwere Gewicht auf den Brustkorb knallte. Sofort lief ich zu ihm hin und hob vorsichtig das, eindeutig zu schwere Gewicht, von Liam herunter.
„Liam was machst du denn?“, fragte ich als die Stange zurück auf die Halterung hievte.
Liam versuchte stark vor mir auszusehen aber so ein Gewicht konnte sehr wehtun. Ich sah mich für eine Sekunde um. Wie konnte es sein, dass im Gym mehr los war als sonst aber niemand dabei war, um ihm zu helfen? Liams Gesicht war schweißüberströmt. Seine Headsets waren ihm aus den Ohren gerutscht und auf seinen Trainingsklamotten waren Schweißflecken zu sehen. Er verzog schmerzhaft das Gesicht.
„Alles ok bei dir?“, fragte ich besorgt und besah mir sein Gesicht.
„Weiß nicht.“, sagte er. In seiner Stimme lag Schmerz.
„Lass mich mal sehen.“, sagte ich und setzte mich neben ihn. Vorsichtig zog ich sein Shirt hoch. Beeindruckt stellte ich fest, dass Liam bereits einigermaßen gut trainiert war. In der Schule bekam man nichts davon mit, da er sich nicht wirklich hauteng anzog. Vorsichtig strich ich mit meinen Fingern über seinen Oberkörper und übte an bestimmten Stellen leichten Druck aus. Die Untersuchungen auf mögliche Verletzungen war Standard. Mein Vater hatte mir genau gezeigt was man bei Verletzungen jeder Art, die hier im Gym passieren kann, tun muss. Behutsam prüfte ich, ob er sich etwas gebrochen hatte. Seltsamerweise gefiel mir das hier. Das Tasten auf Liams Oberkörper fühlte sich gut an. Ich sah zu Liam. Sein Gesicht war immer noch etwas verzogen doch etwas anderes erregte meine Aufmerksamkeit. Seine Augen waren für gewöhnlich grimmig und entschlossen. Doch in diesem Moment waren sie weich aber auch unendlich traurig. Und immer noch erinnerten sie an das Meer. Ich stellte auf einen Schlag fest wie hübsch Liam war. Doch im nächsten Moment fiel mir ein, worüber ich gerade nachdachte, und fuhr mir mit meiner Hand peinlich gerührt an den Hals und sagte: „Äh- Ähm also gebrochen hast du dir nichts, aber ich nehme an, dass du dir die Rippen geprellt hast oder sowas, also pass auf, dass du in nächster Zeit nichts an die Brust geknallt kriegst, sonst könnte das schmerzhaft sein. Wenn du sicher gehen möchtest, geh am besten zum Arzt, aber ich kenn diese Art von Prellung vom Football… also…“
Liam nickte. Vorsichtig zog er sein Shirt komplett aus und betrachtete seine Brust im Spiegel. Ein paar blaue Flecken wurden langsam sichtbar.
„Du hast dich ein bisschen überschätzt.“, sagte ich und deutete auf das Gewicht. „Das ist für Anfänger wie dich noch zu schwer. Außerdem kannst du dir dabei schwer verletzen. Besser du fängst kleiner an.“
Liam nickte und plötzlich schossen ihm Tränen in die Augen. Das wunderte mich sehr. Normalerweise blieb Liam immer stark. Ich hatte ihn mal gesehen als er zusammengeschlagen wurde. Keine einzige Träne war über seine Augen gekommen. Aber nun flossen sie zu beiden Seiten herunter. Ich hatte sie bemerkt, obwohl Liam sich sofort umdrehte und sie wegwischte.
„Alles gut? Die Flecken gehen bald wieder weg“, sagte ich. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich war nicht gut in sowas. schließlich fasste ich ihm an die Schulter so wie ich es immer bei Jason tat, wenn es ihm schlecht ging. Er zuckte und schüttelte meine Hand ab. Liam wischte sich die Nase.
„Tschuldigung“, sagte er. „Du bist der erste Junge, der kein Arsch zu mir ist. Die anderen sind nur nett, wenn irgendein Erwachsener in der Nähe ist“
Er drehte sich wieder zu mir um. „Weißt du, dass mich niemand mehr, seitdem ich geoutet bin, angefasst hat? Niemand der von meiner Homosexualität weiß gibt mir gern die Hand außer meine Familie und reifere Erwachsene. Weißt du wie das ist, wenn du behandelt wirst, als hättest du die Pest?“
Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte mir das nicht wirklich vorstellen.
„Es ist einfach scheiße und tut weh“, sagte Liam „Mehr als die Schläge, die ich abkriege. Aber auch die tun weh.“
Ich fand keine Antwort. Ich war vollkommen überfordert, dass ein anderer Mann so offen über Gefühle sprach. Es war fast schon unangenehm, aber gleichzeitig fesselte es mich.
„Machst du deswegen das hier?“, fragte ich schließlich und deutete auf die Hantelbank. „Wegen fehlenden Muskeln machst du es ja offensichtlich nicht.“
Liam versuchte zu lächeln und sagte: „Es ist schrecklich hilflos zu sein. Egal, wie viele Liegestützen ich mache, ich komme mir so schwach vor.“
Ich nickte.
„Ich glaube was dich wirklich stärker machen würde, ist ein guter Freund und unter anderem auch eine Footballjacke. Jemanden der allein ist kann man viel schneller Mal eine reinhauen.“
„Tja, nur ist es nicht so einfach als geouteter Schwuler an einer High-School wie dieser einen Freund zu finden.“
„Ich könnte dein Freund sein“, sagte ich und war selbst davon überrascht.
Liam sah mich ungläubig an.
„Du willst mit mir befreundet sein? Versteh ich das richtig? Also so richtig und nicht nur wenn gerade keiner dabei ist?“
„Sicher. Ich würde gerne dein Freund sein. I-i-ich meine natürlich ich wäre gerne mit dir befreundet.“, sagte ich und ich wurde etwas rötlich und ärgerte mich.
„Schon klar. Ich weiß schon, wie du das hier meinst.“, sagte Liam und lachte. Er sah so anders aus, wenn er lachte. Viel weniger traurig. Seine Augen funkeln wieder. „Aber bist du sicher? Ich finde das echt nett von dir, aber wenn du das gerade nur aus Mitleid sagst oder deine Meinung bei erster Gelegenheit wieder änderst, wäre es mir lieber, wenn wir einfach weiter machen wie bisher.“
Ich überlegte kurz, sagte dann aber: „Ich mein das ernst. Wirklich“
Liam sah etwas misstrauisch aus, nickte aber und lächelte dann.
„Cool“ sagte ich etwas peinlich berührt und reichte ihm die Hand. Er schlug ein und grinste. Ich war stolz auf das, was ich getan hatte. Kurz standen wir uns gegenüber und wussten nicht, wie es jetzt weiter ging.
„Also jetzt da wir Freunde sind: willst du einen Smoothie? Als Sohn vom Ladenbesitzer krieg ich die umsonst.“, sagte ich.
Gemütlich saß ich mit Liam an der Bar. Ich hatte meinen üblichen Erdbeer-Banane-Smoothie und Liam Mango. Wir hatten uns schon etwas unterhalten. Gerade sagte ich: „Ach übrigens, das nächste Mal, wenn du an der Hantelbank bist und ein schwereres Gewicht hast, frag jemanden im Raum. Das ist hier vollkommen normal. Wir helfen einander“
Liam sah zu Boden und sagte: „Ich habe mich nicht getraut. Ich bin es gewohnt, dass man unfreundlich zu mir ist und mir niemand hilft“
„wobei geholfen? Hi, ihr Süßen!“, rief uns eine enthusiastische Stimme zu. Connor kam zu uns. Er hatte sein Handtuch um den Hals hängen, aber von Schweiß war keine Spur zu sehen. Er setzte sich neben Liam auf den Hocker und küsste Liam auf die Wange. Ich sah dabei zur Seite und nippte stattdessen an meinem Smoothie.
„Spendierst du mir einen Smoothie, Schatz?“, fragte Connor Liam wimpernklimpernd. Wenn ein anderer Typ das so gesagt hätte, hätte ich das lächerlich gefunden, aber ich kannte Connor jetzt schon länger und inzwischen wunderte mich sowas schon gar nicht mehr. Connor fing an wie ein Wasserfall zu reden. In der Hinsicht war er Clara sehr ähnlich. Ich und Liam kamen nicht mehr dazu nur noch ein Wort zu wechseln, denn Connor beanspruchte alle Aufmerksamkeit für sich alleine. Ich kam nicht einmal dazu zu erwähnen, dass Liam vor einer Viertelstunde ein Gewicht auf dem Brustkorb fiel und ihm sicherlich etliche Rippen geprellt hatte. Irgendwann wurde es mir zu blöd. Ich kam mir langsam überflüssig vor und da Connor nicht zulassen würde, dass ich einen Satz zu Ende brachte konnte ich genauso gut gehen.
„Bis später.“, sagte ich und ließ die zwei an der Bar sitzen.
„Tschüüüs, Brandy!“, sagte Connor.
„Bis später.“, sagte Liam zum Glück völlig normal. „Wir sehen uns dann wahrscheinlich auf der Party, oder?“
„Ja, sicher.“, sagte ich und winkte noch kurz zum Abschied. Ich freute mich, dass er da sein würde.
Der Betrieb im Gym hatte inzwischen nachgelassen und mein Dad ließ mich gnädigerweise gehen und steckte mir obendrein noch einen Zwanziger für die Party zu. Ich bedankte mich bei meinem alten Herrn und ging nach Hause. Dort zog ich mich erstmal um. Ich tauschte meine Trainingssachen gegen Jeans und ein cooles Hemd und brachte meine Haare mit etwas Wachs in eine Coole Form. Bevor ich wegging, traf ich noch auf Clara. Sie ließ sich erschöpft auf das Sofa im Wohnzimmer fallen und prompt hüpfte Rex zu ihr und legte sich neben sie. Mein wuscheliger Freund hatte Clara schon sehr ins Herz geschlossen.
„Und wie war‘s am Hafen?“, fragte ich.
„Ziemlich langweilig.“, gähnte sie. „Zwei volle Stunden herumstehen und warten nur um dann zu erfahren, dass es noch mindestens zwei Wochen dauern wird.“
„Du Arme!“, sagte ich mit gespieltem Mitleid und zog mir eine dünne graue Jacke an.
„Das nächste Mal nehme ich einfach Rex mit. War der schon mal am Hafen oder der Stadt?“
„Nein und ich weiß auch nicht, ob das eine so gute Idee ist. Er hat Angst vor größeren Menschenmengen. In der Hinsicht ist er immer noch der niedliche kleine Welpe, den ich zum Geburtstag gekriegt habe.“
Rex gähnte und stieß dabei einen Quietscher aus.
„Ich würde ihn schon beschützen.“, meinte Clara und kitzelte Rex am Kinn. Mein Hund war der einzige kitzlige Hund, den ich kannte.
„Du bist ziemlich fertig, oder?“, fragte ich Clara.
„Das fragst du, weil du hoffst, dass ich nicht zur Party mitkomme, oder Brandy?“, fragte sie zwinkernd. Ich grinste.
„Wie gut du mich kennst.“, sagte ich lachend.
„Keine Panik, ihr Kinder seid mir zu langweilig und ich habe nicht vor heute auf diese Titten-Monster zu treffen. Ich mach mir lieber einen feinen Abend hier zu Hause. Immerhin ist euer Fernseher riesig.“, sagte Clara grinsend.
Ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch. War aber positiv überrascht. Ich warf ihr eine Chipstüte aus dem Vorratsschrank hin.
„Die wirst du brauchen.“, meinte ich zwinkernd.
„Danke“, sagte Clara und ließ Rex an der Packung schnüffeln.
„Ok, dann bis später!“, rief ich ihr zu.
„Bis später! Und ach, Brandon?“
Ich drehte mich nochmal um. Clara grinste: „Wenn du irgendwann mit einer dieser hohlen Tussen ankommst, rasiere ich in der Nacht dir deine Haare ab.“
Ich lachte und sagte: „Hab dich auch lieb, Clara.“
In etwa einer Viertelstunde kam ich gemeinsam mit Jason bei der Party an. Soweit ich es erkennen konnte, war es Diannas Haus. Ich war schon mal hier wegen einer anderen Party. Damals hatte sie an der Tür gestanden und den Partygästen anstatt Bier, oder Ähnlichem, Süßes verteilt. Inzwischen war sie etwas klüger geworden. Sie war nur hin und wieder etwas begriffsstutzig. Aber seitdem Vivien sie unter ihre Fittiche genommen hatte, wusste sie immerhin genau wie man Jungen rumkriegt.
„Danke, dass du mich mitgenommen hast.“, sagte Jason zu mir. Er starrte zu Dianna, die sich gerade durch ihre langen, dunklen Haare fuhr und sich gerade mit Taylor unterhielt.
„Kein Problem Man, versuchst du sie dir aufzureißen? Dann musst du dich beeilen. Wenn du dich nicht beeilst, landet sie heute noch bestimmt mit Taylor im Bett.“, sagte ich.
Jason nickte.
„Ähm und wie verhindere ich das?“, fragte er.
„Keine Ahnung. Beeindrucke sie mit irgendwas oder bring sie zum Lachen. Und sei ein bisschen Bad Boy mäßig drauf“
Jason nickte.
„Soll ich dir helfen?“, fragte ich ihn.
„Ne, schon in Ordnung. Wenn überhaupt, schaff ich das allein.“, sagte Jason und nickte heftig, um seiner Aussage mehr Ausdruck zu verleihen.
„Wie du willst.“, sagte ich. „Ich hole mir bis dahin was zu trinken.“
Ich ging in die Küche und holte mir ein Bier. Danach setzte ich mich in der Nähe von der Tanzfläche auf einen Hocker. Ganz in der Nähe sah ich Liam und Connor tanzen. Sie sahen sehr verliebt aus und ausnahmsweise wurden sie von allen in Ruhe gelassen. Connor war sehr vorsichtig wegen Liams geprellten Rippen. Ich kannte die beiden inzwischen sehr gut. Irgendwie war Connor ein ganz lieber Kerl, der eben seine Eigenheiten hat. Auch wenn man annehmen könnte, dass er mit jedem Jungen flirten würde, wusste man, wenn man ihn so sah, dass Connor seinen Freund mit Sicherheit liebte. Von Liam bekam ich einen sehr ähnlichen Eindruck. Ich sah zu wie sie sich küssten und diesmal sah ich nicht weg. Etwas regte sich in mir, während ich ihnen beim rummachen zusah. Es war winzig, stach aber trotzdem wie eine Nadel zu. Ich war sehr verunsichert wegen diesem Gefühl. Ich war mir sehr sicher, dass ich nicht schwul war, denn seitdem ich denken konnte, interessierte ich mich schon für Mädchen. Und dieses Abtasten von Liams Brust änderte das? Das war doch eher unwahrscheinlich. Ich versuchte meine Gefühle zu ergründen. Was ging in mir vor? Ich wollte doch nicht was mit einem Kerl anfangen, das hatte ich noch niemals gewollt. Ich besah mir die beiden nochmal. Ganz deutlich spürte ich den Stich nochmal; heiß und kalt zugleich. Aber war ich wirklich eifersüchtig auf einen der beiden oder generell auf glückliche Paare? Eher auf glückliche Paare, denn das würde mehr Sinn machen.
Ich befreite mich aus meiner kleinen Trance und kippte mir den Rest des Bieres den Rachen hinunter. Ich stand auf und ging in den Garten und blickte mich um. Ein sehr hübsches Mädchen mit blonden, gelockten Haaren fiel mir ins Auge. Mit meinem üblichen coolen Lächeln ging ich zu ihr und fragte sie: „Hi, willst du tanzen?“
Ich sah sie öfters in der Schule, doch eigentlich wusste ich nur das; Sie war Mitglied der Theatergruppe und die beste Freundin von Liam. Sie könnte ein Cheerleader sein, aber es war allgemein bekannt, dass sie Cheerleader affig fand und sich gerne über sie lustig machte. Sie blickte auf. Sie hatte ein perfektes Gesicht und leuchtend blaue Augen.
„Das kannst du vergessen, King.“, sagte sie schnippisch und nippte an ihrem Bier.
„Wieso nicht? Ich bin allein und sehe gut aus, du bist alleine und siehst einfach unglaublich heiß aus und ich weiß, dass du tanzt wie ein Traum. Außerdem hast du weit und breit keine männliche Begleitung.“
Sie sah mich genervt an und sagte: „Hör zu, King. Du bist objektiv betrachtet gutaussehend und sicher auch unterhaltsam aber genauso arrogant. Such dir eine Andere. Gibt sicher noch ein paar, die nicht auf deine Maschen reingefallen sind.“
Ich war es gewohnt solche Antworten zu hören.
„Ich könnte diese Masche bei niemanden außer dir verwenden“, sagte ich zwinkernd. „Niemand sonst hier kann tanzen wie ein Traum“
„Charmant“ sagte sie gelangweilt, allerdings schmunzelte sie kurz. „Ich gehe mit dir tanzen, wenn du mir eine Sache verrätst: Du gehst jetzt seit mehr als acht Jahren mit mir in Schule. Wie heiße ich?“
„Ich weiß nicht.“, sagte ich perplex.
„Ich verabschiede mich hiermit von dir.“, sagte sie und ging davon.
Eine solche Abfuhr hatte ich schon lange nicht mehr bekommen. Aber ich machte mir nichts draus. Ich wollte ohnehin niemanden abschleppen, fiel mir ein. Stattdessen tanzte ich einfach für mich allein. Ich bewegte mich zur Musik und achtete nicht mehr auf alles um mich herum. Ich schloss meine Augen und machte einfach das, wozu mich die Musik trieb.
Durch eine Anlage wurde Musik abgespielt, zu der man perfekt tanzen kann. Schon bald kamen sich andere dazu. Eine kleine Gruppe Cheerleaderinnen gesellte sich zu mir. Die meisten waren nett oder hübsch oder beides, aber bei keiner konnte ich mir vorstellen, dass ich mit ihr zusammen sein könnte. Jetzt wo ich darüber nachdachte, hatte es noch nie eine geschafft mich lange Zeit in ihren Bann zu ziehen und eigentlich war das auch der Grund, warum ich noch nie eine Beziehung zugelassen habe. Ich hörte auf zu tanzen. Alle grinsten mich an, nur ich hatte gerade nichts zu lachen. Was war nur mit mir los? Das hier war eine Party, und nicht mal eine schlechte. Ich hatte auf einen Schlag keine Lust mehr.
Ich spielte eine Runde Bier Pong mit den Jungs, die wir haushoch verloren. Meine Unkonzentriertheit hatte zur Folge, dass ich und mein Teampartner zwei Drittel aller Becher austrinken mussten. Ich setzte mich schließlich mit dem letzten Becher auf eine Bank und führte ihn zum Mund. Der herbe Geruch stieg mir in die Nase und ich stellte es weg. Auf meine Hände zu starren war genauso wenig hilfreich. Ich fühlte mich scheiße und wusste nicht recht warum. Aber so langsam kam ich drauf warum: mein Leben war für auf den ersten Blick toll. Aber auf den zweiten schon gar nicht mehr so schön. Jeder andere Junge, den ich kannte war zumindest schon mal verliebt gewesen. Jason hatte mir schon mindestens fünfmal von seinem neuen Schwarm erzählt. Der Junge war einerseits total cool und andererseits so, wie soll ich es sagen, so romantisch. Während ich in meinem Zimmer getanzt habe, hat er mir genau erzählt warum die Mädchen so klasse waren. Er beschrieb ihre Augen, erzählte von ihren Hobbys, welche Musik sie hören, nach welchen Duft sie rochen und so weiter. Man merkte, dass er sich ernsthaft verknallt hatte. Mir waren Düfte, Augenfarben und Hobbys immer egal gewesen. Mir wurde gerade klar, dass ich höchstwahrscheinlich ein zu großes Arschloch war, um es verdient zu haben mich ernsthaft zu verlieben. Geschweige denn eine der schönen Love-Stories die man hin und wieder im Fernsehen sah. Betrübt sah ich zu Boden.
Dann stand ich ruckartig auf. Seit wann kümmerte mich sowas überhaupt? Verliebt sein ist öde und Romantik auch und die Mühe und die Umstände nicht wert. Da war ich lieber ein glücklicher Single und konzentrierte mich lieber auf meine Freunde und Zukunft. Nach noch ein paar Getränken war ich in halbwegs guter Stimmung, doch irgendwann beschloss ich dennoch zu gehen, doch jemand war von hinten an mich herangetreten und hatte mir die Hände auf die Augen gelegt.
Teil 9 – Ich bin kein gutes Vorbild, Kinder (nicht nachmachen!)
Ich trabte nach Hause. Es war vier Uhr in der Nacht und ich schämte mich abgrundtief. Nicht nur weil ich mich volllaufen hatte lassen, sondern auch wegen den Folgen: Ich war mal wieder mit einer Cheerleaderin im Bett gelandet. Und diese Cheerleaderin war zu meinem Unglück auch noch Vivien. Sie war es die mir die Augen zugehalten und mir anschließen in den Nacken gebissen hatte. Es war nicht fest und sie hatte sie es geschafft mich zu verführen. Aber schon als wir dabei waren spürte ich, dass es ein Fehler war. Ich hatte mich einsam gefühlt und war betrunken. Dann war sie einfach da und hatte mich abgelenkt mit den verführerischen und dreckigen Sachen, die sie mir ins Ohr flüsterte, den Küssen und ihren festen Brüsten. Nachdem sie mich in irgendein Zimmer gelotst hatte und wir unseren Spaß hatten, lag ich auf dem Rücken und fühlte mich um kein Stückchen besser. Vivien schien schon eher glücklich zu sein. Sie wuschelte mir durch die Haare und sagte: „Das sollten wir nochmal machen“
Ich brummte nur etwas und Vivien fing an zu reden: „Der Abend war einfach super. Es gab Alkohol, es lief gute Musik, ich hab mit mindestens fünf Jungen getanzt…“
Ich dachte mir meinen Teil dabei. Aber ich sollte leise sein, denn immerhin war es, der mit ihr in der Kiste gelandet ist.
„Ich hab neue Leute kennen gelernt, wir hatten Sex…“
„Was aber nicht heißt, dass wir zusammen sind.“, erinnerte ich sie. Das wollte ich nämlich so gar nicht. Und das Wissen, dass Clara das mit dem Rasierer ernst gemeint hatte, spielt da nicht mal eine so große Rolle.
„Ich weiß.“, sagte Vivien. „Ich kenn deine lockere Art. Immerhin ist das nicht das erste Mal, dass wir in dieser Position sind, oder?“
Ich brummte. Da hatte sie leider Recht. Sie hatte mich auch schon auf einer anderen Party verführt.
„Apropos Position, halt mal still bitte“, sagte sie, während sie in ihrer Handtasche kramte. Schließlich zog sie ein klarsichtiges Säckchen heraus.
„Was machst du da?“, fragte ich milde interessiert.
„Spaß haben“, sagte sie und entleerte einen Teil des Inhalts auf meine nackte Brust.
„Hast du nen Schein?“, frage sie.
„Dein Ernst?“, fragte ich sie.
„Absolut“ sagte sie und brachte das Pulver mit ihrer gefälschten ID-Karte in Form.
„Hintere Hosentasche“ sagte ich nur.
Nachdem sie ihre Line gezogen hatte, hielt sie mir den gerollten Schein hin. Ich seufzte und zog mit das Koks in die Nase. Ich stöhnte auf nach dem Brennen, das dies verursachte und ließ meinen Kopf wieder aufs Kissen sinken. Ich war nicht stolz darauf, doch half es die Gewissensbisse aus meinem Kopf zu vertreiben, sowie etliche störende Gedanken.
„Weißt du was mich heute Abend als einziges gestört hat? Dieses widerliche Rumgemache von Connor und dem anderen Schwulen.“, ließ Vivien mich wissen.
„Lass sie doch.“, sagte ich und schloss die Augen. Auf dieses Gespräch hatte ich überhaupt keine Lust.
„Uuääähhh, also ich kann da nicht hinsehen. Du etwa?“, fragte sie angewidert.
„Mir doch egal.“, sagte ich nur. Dass ich Eifersuchtsgefühle gekriegt habe als ich die beiden gesehen habe, verschwieg ich ihr lieber.
„Also ich finde die sollen dafür nach Hause gehen. Dort können die dann, von mir aus, alle möglichen schwulen Sachen machen, die sie wollen.“, sagte Vivien. Ich rutschte ein Stück von ihr weg.
„Wir sind auch nicht nach Hause gegangen“, meinte ich dazu.
„Das ist doch was anderes. Wir sind hot und die sind… naja gay“, sagte sie und kicherte.
„Du würdest gut mit Alvin zusammenpassen.“, sagte ich dumpf.
„Ich hoffe du meinst damit irgendeinen anderen Alvin den ich nicht kenne. Einen hübschen vom College“, sagte sie und rümpfte lachend die Nase.
„Ich dachte eigentlich du magst Connor.“, sagte ich.
„Oh, komm schon Brandon. Ich tu doch nur so. Meinst du mich interessiert was aus dem wird wenn er mit der Schule fertig ist? Wahrscheinlich Friseur oder Modedesigner oder was ähnlich Schwules.“
Mir reichte es endgültig. Diese dumme Schlampe hatte ein sogar für ihre Verhältnisse bodenloses Niveau erreicht.
„Was machst du denn?“, fragte Vivien und setzte sich auf. Sie strich sich ihre hellbraunen, schulterlangen Haare aus dem Gesicht. „Komm wieder zu mir! Komm, wir ziehen noch was“
„Ich kann auf diesem Sofa nicht schlafen.“, sagte ich. In Gedanken fügte ich „Bei dir“ hinzu.
Ich zog mir meine Hose und mein Hemd wieder an und ging aus dem Zimmer.
„Das Sofa kann man doch ausziehen!“, rief sie mir hinterher, doch ich hatte schon die Tür hinter mir geschlossen. Ich wankte durch das Haus, an den noch feiernden Menschen vorbei und vermied alle Blicke. Ich schlüpfte in meine Schuhe und stöhnte auf. Irgendein Witzbold hatte Bier reingekippt. Ich zog mir meine Schuhe und die Socken aus, nahm sie in die Hand und ging barfuß nach Hause. Zurzeit war es noch warm und damit bestand kein Problem. Der Gehsteig war angenehm kühl und hell vom Mond beschienen. Die Nacht war wolkenlos und sehr hell. Ich konnte überdeutlich sehen. Ich schämte mich dermaßen, dass ich mich auf Vivien eingelassen hatte. Hiermit schwor ich mir mit diesen kleinen Nummern aufzuhören. Keine davon hatte sich jemals gelohnt.
Als ich zuhause ankam stellte ich fest, dass ich meinen Haustürschlüssel nicht finden konnte. Ich wollte niemanden aufwecken und ging stattdessen zum Meer. Ich setzte mich in den Sand und lehnte mich an die Böschung. Ich starrte aufs Meer hinaus. Das Wasser war ruhig und das Mondlicht wurde darin gespiegelt. Ein heller Streifen Mondlicht auf dem dunkelblauen Wasser. Vielleicht lag es daran, dass ich betrunken und auch noch high war, aber alles sah einfach wunderbar aus. Noch war es dunkel aber am nächsten Morgen würde es wieder eine blaugrüne Farbe haben. Die Farbe von Liams Augen. Da war er schon wieder. Ständig tauchte er in meinen Gedanken auf. Seine Augen, sein Lächeln, sein nackter Oberkörper…
Der Sex mit Vivien hatte mich nicht abgelenkt, sondern die Eifersucht nur noch verstärkt und das Kokain hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Ich hatte viel zu viel Negatives empfunden, um mich davon abzulenken, dass ich gefühlstechnisch einsam war. Zurecht, denn ich hatte ja immer alle sofort von mir weggestoßen. Ich wollte mich nicht verletzlich machen. Davor hatte ich Angst. Ich fürchtete mich davor jemanden in mein tiefstes Inneres blicken zu lassen. Denn ganz tief drinnen wo keiner außer mir es sehen kann, bin ich nicht der, der ich vorgebe zu sein.
Ich wollte das Meer nicht mehr ansehen. Die Farbe des Meeres erinnerte mich zu sehr an diese Augen. Aber daran wollte ich nicht denken, doch irgendwie musste ich. Immer und immer wieder. Ich begann die Farbe zu hassen und gleichzeitig zu lieben. Die Farbe war ein Traum aber ich hasste sie für die Gedanken, die sie in mir hervorruft. Ich hasste mich für diese Gedanken. Mein Gehirn drehte sich im Kreis. Ich liebte den Gedanken. Ich versuchte sie zu verdrängen, aber sie waren da und blieben da. Ich wandte meinen Blick ab vom Meer und sah auf meine nackten Füße. Ich bewegte meine Zehen auf und ab und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, zu sitzen.
Ich lief runter zum Strand und durchs Wasser. Ich holte wütend mit dem Fuß aus und trat das Wasser. Doch es kam zurück genauso wie die Gedanken. Ich trat und trat und irgendwann kamen mir die Tränen. Ich kniete mich ins Wasser und weinte leise vor mich hin. Das Wasser war kalt. Ich schüttete mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Meine Augen brannten fürchterlich, doch es war mir egal. Ich sehnte mich nach Hause. Nach meinem Hund, meinen Eltern und nach Clara, doch ich konnte nicht nach Hause.
Meine Sachen waren nass. Mein Handy war zum Glück wasserfest aber meine Jeans hatte Flecken bekommen. Ein paar Hundekekse, die ich für Rex immer in der Tasche hatte, hatten sich im Wasser aufgelöst. Meine Kleidung triefte vor Nässe und ich schleppte mich zum Leuchtturm. Er war abgeschlossen, also legte ich mich draußen auf die Terrasse. Mit dem Blick auf das verfluchte Blau des Meeres und mit Tränen in den Augenwinkeln. Ich fühlte mich schwach, wie ein kleiner Junge. Trotzig wischte ich die Tränen weg. Dieses Blau…
Ich saß auf einer Wiese unter einem Baum. Einer Weide mit langen Ästen. Ich lehnte mit dem Rücken an den Baumstamm, der gleichzeitig ein Turm war. Zu meinen Füßen befand sich ein Weiher, doch konnte es auch ein Meer sein, das konnte ich nicht genau sagen. Der Himmel war blau und violett und orange und… blau. Ich kannte diesen Ort irgendwoher. Mit ihm verband ich etwas aus meiner Kindheit, aber mir fiel nicht mehr ein, was es war. Jemand kniete neben mir. Zuerst nahm ich die blauen Striemen auf seiner Brust wahr, und dann war die haut wieder makellos. Ja, mit Sicherheit war es ein Junge.
„Tut es weh?“, fragte ich wie von selbst.
„Kaum noch.“, sagte der Junge.
Ich streckte meine Hand nochmal nach ihm aus. Diesmal aber nach seinem Gesicht. Ich konnte winzige Bartstoppeln fühlen. Der Junge griff nach meiner Hand. Seine Finger umschlossen meine. Dieses Gefühl war wunderschön. Schöner als alles was ich bisher gefühlt habe. Ich fühlte mich sicher. Geborgen. Geliebt. Der Junge lächelte mich an. Seine blau-grünen Augen fanden meine. Liam. Mein Mundwinkel zuckte schüchtern. Liams Kopf rückte ein kleines Stück näher. Ich kannte diese Situationen. Ich wusste was ich machen musste, doch es war sehr viel schwieriger als jemals zuvor. Ständig musste ich daran denken was passieren würde wenn ich was falsch machen würde. Ich sah in das Gesicht des jungen. Schönes Gesicht. Ich legte meine Hand aus seinen Hinterkopf. Seine dunklen Haare bewegten sich etwas im Wind. Unsere Nasenspitzen berührten sich. Jetzt gab es kein zurück mehr. Ich schloss meine Augen und genoss die Berührung unserer Nasen. Ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen spüren.
„Was zum Teufel machst du hier, Junge?!!!“
Ich schreckte hoch. Der Weiher und die Weide waren weg und stattdessen war da der harte Boden der Terrasse und der Tatsachen. Die Stimme die mich geweckt hatte gehörte zu einem unrasierten Mann mit langen Mantel und wasserfesten Stiefeln, die aussahen als ob sie schon von Piraten getragen wurden.
„Wieso bist du hier?“, fragte er mich aufgebracht.
„Moin, Captain.“, sagte ich müde. „Ich bin‘s, Brandon.“
Seine Miene wurde weniger wütend. „Ach, du bist’s. Du weißt doch, dass man hier nicht schlafen darf.“, sagte der Captain. Er war eigentlich kein Captain mehr. Seitdem er im Ruhestand war, war seine einzige Aufgabe der Leuchtturm.
„Kannst du mir mal erklären warum du nicht zuhause bist?“, fragte er.
„Kein Schlüssel.“, sagte ich nur.
„Dann geh mal besser heim, Junge.“, sagte er. „Es ist schon Morgen.“
„Alles klar, Captain.“, sagte ich und stand auf.
„Hast du getrunken, Junge?“, fragte er streng.
„Und mehr“, dachte ich, zuckte aber als Antwort nur mit den Schultern.
„Und wenn du das nächste Mal so spät draußen bist, klingelst du gefälligst bei dir zuhause. Du kannst nicht einfach so draußen schlafen. Da wirst du schneller krank als dir lieb ist, verstanden?“
„Aye aye, Captain.“, sagte ich und machte mich von Dannen. Aber nach Hause ging ich noch nicht. Zuerst holte ich mir mein Auto. Ich fand Jason schlafend auf der Rückbank. Der Gauner hatte meinen Schlüssel stibitzt. Ich weckte ihn und fuhr ihn nach Hause. Er hatte kein Glück bei Dianna gehabt. Sie war irgendwann mit einem anderen Jungen verschwunden und hatte sowohl Jason als auch Taylor stehen lassen. Schweigend brachte ich Jason nach Hause. Ich hörte ihm geduldig zu, sagte aber nichts. Mir war überhaupt nicht nach reden. Dafür hatte ich viel zu viele störende Gedanken. Gedanken vor denen ich etwas Angst hatte. Der Traum hatte es überdeutlich gezeigt. Möglicherweise war ich genauso wie Liam und Connor. Eine gruselige Vorstellung. Aber ich wollte das nicht. Ich konnte nicht so sein. Ich hatte verdammt nochmal nur ein Leben und das wollte ich anders verbringen. Ich wollte eine Familie. Ich wollte eine Frau und Kinder mit denen ich in einem Haus leben kann. Ich wollte irgendwann eine Tochter haben, die ich vor Jungen wie mir warnen wollte. Ich wollte einen Sohn mit dem ich Football spielen konnte. Solange ich denken konnte, hatte ich mir meine Zukunft so vorgestellt. Und jetzt musste ich draufkommen, dass das wohl nie möglich sein wird. Ich wollte nicht schwul sein. Ich wollte mich nicht ändern. Ich wollte hetero bleiben und mich in Mädchen verlieben. Schwul zu sein passte mir nicht. Aber andererseits fand ich den Traum auch schön. Aber es war ein Traum und in Realität würde sowas sicher nicht passieren. Ich machte eine Phase durch, ja das musste es sein. Außerdem war ich high und betrunken, als mich diese Gedanken erschlichen. Scheiß Drogen. Die konnten einem ganz schön das Gehirn verwirren. Das kam alles daher, dass ich so oft was mit Schwulen zu tun hatte. Immerhin wurde ich schon beinahe vier Jahre von Connor belagert und Liam kannte ich noch länger. Da musste irgendwas durcheinandergebracht worden sein. Erleichtert über diese Erklärung ging ich nach Hause. Doch dann wurde ich doch wieder unsicher. Irgendwie musste ich mir Sicherheit verschaffen. Aber wie? Dann fiel mir etwas ein. Was ganz Simples, aber es würde mir zu hundert Prozent Sicherheit verschaffen, dass mir beweisen würde, dass ich noch normal war.
Am Abend saß ich allein mit meinem Hund in meinem Zimmer. Ich hatte überhaupt keine Sicherheit bekommen. Im Gegenteil. Ich war nur noch verwirrter, unsicherer und sogar etwas angeekelt von mir selbst. Ich lag mit dem Gesicht auf dem Bett. Mein Hund leistete mir Gesellschaft. Er durfte neben mir liegen. Rex war sogar etwas einfühlsam, zumindest kam es mir so vor. Er schnupperte an meinem Ohr und an meinen Haaren. Sein Hundekopf ruhte auf meinem Arm und wenn ich Rex ansah, sah er mich so an als würde er fragen wollen: „Was ist mit dir los? Wieso zwingst du mich nicht zum Joggen?“ oder „Kann ich dir vielleicht mit einem Schlabber-Knutscher auf dein Ohr helfen?“ Ich lächelte.
„Sorry Großer, aber du kannst mir leider nicht helfen.“
Rex gähnte. Ich drehte meinen Kopf auf die andere Seite. Mein Blick fiel unweigerlich aus dem Fenster. In Taylors Zimmer brannte das Licht. Er war zuhause und machte Work-out. An seiner Zimmerdecke war eine Stange angebracht, auf der er Klimmzüge machte. So ein Angeber. Mein Blick blieb an ihm hängen. Ich fand seine Muskeln schon sehr schön anzusehen. Irgendwann sah er auch zu mir rüber. Um nicht so auszusehen, als ob ich die ganze Zeit gespannt hätte, was ich ja auch nicht getan habe – ich fand nur seine Muskeln beeindruckend -, nickte ich ihm zu. Er bleckte die Zähne und nickte zurück. Ich stand auf und ließ die Jalousien runter. Den Anblick auf durchtrainierte Jungen konnte ich mir sparen. Vor allem jetzt da ich so verwirrt war. Es war zum Heulen. Ich ließ mich zurück auf mein Bett fallen und benutzte Rex als Kopfkissen. Rex winselte kurz, war dann aber wieder still. Ich schloss meine Augen und murmelte: „Was ist nur mit mir los?“
„Möchte ich auch gerne wissen.“, sagte eine Stimme und ich erschreckte mich so, dass ich mich so ruckartig aufrichtete, dass ich Rex dazu brachte von meinem Bett zu hopsen und sich hinter den Beinen der Person, die gesprochen hatte, versteckte.
„Was ist denn nur mit dir los, Brandy?“, fragte Clara mich.
„Seit gestern bist du die ganze Zeit so komisch drauf. Ist was passiert auf der Party?“, fragte Clara zu mir und setzte sich neben mich.
Ich starrte wieder zu meinen Füßen.
„Mit mir ist nichts.“, sagte ich.
„Du weißt schon, dass du mir vertrauen kannst, oder?“, fragte sie.
„Du hast einen Tag gebraucht um meinen dämlichen Spitznamen in der ganzen Schule verbreitet.“, sagte ich darauf.
„Och Brandy, geht dir das so zu Herzen? Und dämlich ist der nicht. Der gibt so einem harten Kerl wie dir etwas Niedliches, was meiner Meinung nach sehr gut zu dir passt.“, sagte Clara und knuffte meinen Oberarm.
„Das ist es nicht. Du hast es einfach so erzählt.“, sagte ich.
„Eigentlich hab ich‘s absichtlich gemacht um dich zu ärgern.“, gab sie zu.
Ich nickte.
„Aber hör zu: Das war ja nicht wirklich wild, sonst hätte ich‘s natürlich nicht getan. Ich weiß, was ich sagen darf und was nicht.“, sagte sie noch.
„Weiß ich doch.“, sagte ich und sah auf und blickte sie an. Sie hatte große kupferfarbene Augen. Ich kannte sie gut. Ich kannte sie schon lange. Ich wusste, dass ich ihr vertrauen konnte.
„Ich bin in letzter Zeit, also erst seit gestern Nachmittag am Nachdenken. Ich bin mir auf einen Schlag total unsicher.“, sagte ich. Jedes Wort, das ich über die Lippen brachte, war Schwerstarbeit.
„Unsicher? Wegen was denn?“, fragte sie.
„Über… über meine…“, setzte ich an. Mir war noch nie ein Satz so schwergefallen.
„Über deine was?“, fragte Clara geduldig.
„Über meine Sexualität.“, drückte ich heraus und sah sofort wieder zu meinen Füßen. Ich erwartete alles Mögliche. Aber alles, was sie machte, war sich auf meinen Rücken zu stützen.
„Ach Brandy, sowas kommt vor. Öfter als du annimmst.“
„Ach wirklich? Falls ich wirklich schwul bin, bin ich einer von drei Schwulen in einer High School, an die an die tausend Schüler gehen.“
Clara lachte: „Das stimmt mit Sicherheit nicht. Geschätzt sind zehn Prozent der Weltbevölkerung homosexuell. Das wären an deiner Schule dann um die hundert Leute. Und dann gibt es noch sehr viel mehr Bisexuelle, so wie du wahrscheinlich auch einer bist. Und das ist auch total in Ordnung so.“
Ich sah auf.
„Das wusste ich nicht.“, sagte ich nicht. „Ich dachte das wären viel weniger.“
Clara lachte. „Nein, ganz sicher gibt es so einige versteckte Schwule an deiner Schule“.
Ich nickte und sagte: „Aber ich will das doch gar nicht. Ich will das nicht sein.“
Clara lächelte. „Ich schätze mal, dass du da nicht viel machen kannst, falls es so ist. Falls es überhaupt so ist. Bist du dir denn sicher?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Keinen Schimmer. Ich habe wirklich keine Ahnung.“
Clara sah mich fragend an.
„Hast du schon versucht es herauszufinden?“
„Ja, hab ich.“, sagte ich verdrießlich.
„Und wie das?“
„Ich… ich hab mir… einen Schwulenporno angeguckt.“
Clara lachte laut los.
„Oh mein Gott! Brandy, so doch nicht!“, sagte sie.
„Wieso nicht?“, fragte ich sie verwirrt. „Das ist doch nur logisch.“
„Was hast du dir gedacht als du dieses Filmchen gesehen hast?“, fragte sie verschmitzt.
„Um ehrlich zu sein, hat sich gar nichts geregt!“, sagte ich.
„Und das wundert dich mit dem Druck, den du dir gerade machst?“
„Ich wollte einfach nur Sicherheit haben. Aber es hat mich nur umso mehr verunsichert“, sagte ich wahrheitsgemäß.
„Ich muss dir hoffentlich nicht erklären, dass Pornos nicht viel mit der Realität zu tun haben, oder? Ich hab ne bessere Idee. Warte mal. Ich komm gleich zurück und sag dir, was du am besten machen musst, ja?“, sagte sie.
Ich nickte. Sie ging nach draußen in den Flur. Ich hörte, dass sie telefonierte. Geduldig wartete ich ab, bis sie wieder reinkam. Sie nahm meinen Laptop vom Schreibtisch und gab darauf etwas ein. Dann drückte sie mir den Laptop in die Hand.
„Hier, sieh dir mal das hier an. Ich habe einen guten Freund gefragt und der hat gemeint, das könnte dir vielleicht helfen. Wenn du es schön findest, ist es sehr wahrscheinlich, dass du zumindest bisexuell bist.“
Ich sah sie an.
„Und was, wenn ich es gar nicht wissen will?“, fragte ich.
„Nun, dann wirst du bestimmt nicht schlauer. Wenn du zu feige bist dir selbst zu gestehen, was du wirklich fühlst, wirst du nicht glücklich. Ich kenne jemanden, der sich wegen seiner Unsicherheit ziemlich viel Scheiße eingehandelt hat. Er hat dann einen Fehler gemacht, den er seitdem bereut hat. Mach was du willst, aber ich würde dir raten es dir anzusehen. Und lüg dich nicht selbst an. Es ist immer besser sich nicht zu verstellen. Nur wer den Menschen mag, der du in wirklich bist, mag dich wirklich.“
Ich sah Clara an. Sie hatte sich in vieler Hinsicht sehr verändert.
„Wann bist du nur so cool geworden?“, fragte ich sie.
„Im wunderschönen Österreich, nehme ich mal an.“, sagte sie. „Ich entführe dir mal Rex, ja? Den hast du vorher ja fast erdrückt.“
„Schon gut. Nimm ihn mit.“, sagte ich.
Clara verschwand mit Rex aus dem Zimmer. Ich starrte auf meinen Laptop. Ich befand mich auf einer Streaming Seite und ein Film namens „Call me by your name“ war ausgewählt. Ich zögerte. Doch irgendwann klickte ich schließlich auf Play.
Das Video rührte mich sehr. Es gab ein trauriges Ende, doch der Film war sehr schön. Die beiden Hauptcharaktere waren keine bunten Klischees, sondern einfach Menschen, die sich ins selbe Geschlecht verliebten. Nicht viel anders als alle anderen, nur ein bisschen. Beim Ende wurde mir warm ums Herz. Irgendwie wollte ich sowas auch und dann doch wieder doch nicht. Aber dann kam doch wieder die Angst über mich. Fürchterliche Angst vor Reaktionen und anderem. Einerseits könnte ich das haben, wenn ich wollte, doch andererseits war mein Leben ziemlich cool, so wie es war. Ich klappte den Laptop zu. Ich wusste immer noch nicht, was ich wirklich wollte.
In einer Stunde kam Clara zu Tür herein.
„Na, bist du klüger geworden?“, fragte sie und setzte sich neben mich.
„Ich weiß nicht.“, sagte ich.
„Was ist denn so schlimm daran schwul zu sein?“, fragte sie mich.
„Schau dir mal an was mit Liam passiert.“, sagte ich. „Die halbe Welt ist ohne Grund gegen ihn.“
„Die Menschheit denkt auch teilweise immer noch, dass Schwarze minderwertig wären und Frauen dürften nicht wählen sollten.“, sagte sie schulterzuckend. „Was Menschen sagen, ist oft einfach schlichtweg falsch.“
„Aber auch, wenn es nicht wahr ist, sind dennoch die meisten fest davon überzeugt.“, argumentierte ich.
„Die Menschen waren auch mal fest davon überzeugt, dass die Erde eine Scheibe ist und dass auf einem Berg lauter Götter wohnen, die mit Blitzen werfen.“, sagte Clara. „Und die meisten in deinem Umfeld vielleicht. Du würdest staunen, wie cool Menschen an anderen Plätzen sind“
„Ja schon, aber…“, setzte ich an, aber ich wurde sofort unterbrochen.
„Nichts aber. Und jetzt komm, du Jammerlappen.“, sagte sie und stand auf. Clara zog mich hoch.
„Was willst du machen?“, fragte ich.
„Komm mal mit.“, sagte sie. Sie führte mich in das Zimmer, das sie bezogen hatte. Es waren schon einige persönliche Gegenstände im Zimmer verteilt.
„Weißt du noch, was wir damals immer gemacht haben, als ich noch hier gewohnt habe?“, fragte sie.
„Sicher“ sagte ich und Freude stieg in mir auf als Clara ihre Gitarre auspackte.
„Ich habe es immer geliebt, wenn wir zusammen gesungen haben.“, sagte sie.
„Ich habe inzwischen nachgelassen.“, sagte ich.
„Ist nicht wild. Bei diesem Song brauchst du nicht viel singen. Außerdem hast du genug Zeit zwischen den Strophen und dem Refrain, um zu tanzen. Das hast du als Kind immer geliebt.“, sagte sie. Clara zupfte eine Melodie auf der Gitarre.
„Ja“, sagte ich augenrollend „Als Kind“
„Kennst du das hier noch, cool boy?“, fragte sie.
„Natürlich. ‚Never going back again‘ von Fleetwood mac. Das haben wir doch meinem Dad zum Geburtstag vorgesungen, weil das seine Lieblingsband war.“
„Genau. Dann zeig mir mal, was du kannst.“, sagte sie, knuffte mich in die Seite und fing an zu spielen.
Es brauchte noch ein bisschen Überzeugung, bis ich mitmachte. Beim Gesang unterstützte sie mich, aber schon durch das Tanzen tankte ich neue Kraft. Clara sang immer noch so glockenhell wie vor zehn Jahren. Die musikalische Ader hatte Clara von ihrem Vater, dem Bruder meiner Mom.
„Du tanzt immer noch wunderbar. Bist du bei irgendeiner Gruppe?“, fragte Clara neugierig. Ich setzte mich auf die Bettkante neben sie.
„Nein, das will ich nicht. Ich tanze nur für mich allein und eine Handvoll anderer Leute.“
„Wirklich schade.“, sagte Clara „Daraus könntest du durchaus was machen.“
„Ich weiß nicht.“, sagte ich. Ich stellte meine geheime Passion schon immer etwas in Frage. Woher sollte ich denn wissen, ob ich es wirklich kann oder ob mir das nur die paar Leute sagen, die mich schon mal dabei gesehen haben?
„Danke Clara. Das hat Spaß gemacht. Aber ich muss erstmal eine Nacht darüber in einem Bett schlafen. Ich bin gerade sehr verwirrt und muss das alles erstmal verarbeiten.“
„Nimm dir Zeit.“, sagte Clara. „Aber stell in der Zeit nichts Blödes an!“
Ich schmunzelte. Dann verließ Clara mein Zimmer und ich schloss hinter mir ab. Ich wollte alleine mit meinen Gedanken sein und mir eventuell nochmal den Film ansehen.
Die ganze nächste Woche blieb ich zuhause. Allgemein bekannt war, dass ich krank war und deswegen das Bett hüten musste. Ich bekam von einem ganzen Haufen Leute auf dem Handy lieb gemeinte Gute-Besserungs-Nachrichten in meinen Instagram DMs. Auf Whatsapp bekam ich weniger Nachrichten, da ich meine Nummer nicht gerne teilte. Ich bekam eine lustige Nachricht von Jason und eine von Elliot. Am Dienstag-Abend bekam ich noch eine Nachricht auf Instagram, die mir die Stimmung besserte.
Hey, schade, dass du nicht in der Schule warst. Bis jetzt hat Alvin mich tatsächlich in Ruhe gelassen. Mal sehen wie lang das anhält Dafür wollte ich mich bedanken
Gute Besserung übrigens! :*
Ich starrte die Nachricht für eine Weile an. Sie kam von einem privaten Profil, doch ich konnte durch das Profilbild und dem Namen erkennen, dass es Liam war. Ich antwortete schon kurz nach Eingang der Nachricht:
Hi Liam, ich bin’s, Brandon Schreib mir auf Whatsapp!
Und fügte meine Handynummer hinzu. Es dauerte nicht lange bis ich dort eine Nachricht von einer unbekannten Nummer bekam. Hey :)
Ich speicherte die Nummer ein und schrieb zurück:
Hier seh ich Nachrichten schneller ;) Ich geb meine Nummer nicht so gern her… Du gehörst sozusagen zu den Leuten mit denen ich wirklich reden will und von denen ich auch tatsächlich den Namen kenne :smiley: Übrigens danke für die Nachricht
Ich starrte auf mein Handy ob ich vielleicht noch eine Antwort kriegen würde. Ich wartete nur eine kurze Weile.
Oh, cool :D Ich fühle mich geehrt zur Elite zu gehören Schon cool wenn man sowas braucht um sich die Leute vom Leib zu halten. Was hast du eigentlich? Ist es was Schlimmes?
Ich fand es sehr lieb wie er sich um mich sorgte. Auf den nächsten Moment fand ich mich selbst dämlich, dass ich sowas dachte. Warum verhielt ich mich auf einmal so? Das war doch nicht ich. Trotzdem flogen meine Finger über den Touchscreen um eine Antwort geschrieben.
Nein, nicht wirklich. Mir geht es nur nicht so besonders. :/ Bin etwas fertig. Ich weiß noch nicht wann ich wieder in die Schule kommen werde
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Und deine Eltern machen das mit? Hört sich ja wild an :P Man sieht sich
Ich schmunzelte.
Ja, denen ist das egal. Haben nicht mal wirklich nachgefragt was los ist Man sieht sich ;)
Ich legte mein Handy weg. Da ja erst Dienstag war, sah ich ihn natürlich nicht so bald wieder. Ich brauchte Zeit für mich – viel Zeit. Immerhin wurde mein gesamtes Leben gerade von heute auf morgen umgestülpt. Und ich hatte nicht mal Gewissheit. Mein Kopf war viel zu voll um mir über mich selbst klar zu werden. Es war zum Heulen – natürlich hab ich das nicht gemacht, das ist immer noch nicht wirklich mein Ding.
Am Freitag wollte ich immer noch nicht in die Schule. An diesem Tag war meine Mom in New York auf einer Gala oder sowas und mein Vater war im Gym. Da meine Eltern nicht zuhause waren, musste ich nicht so tun als würde ich meine mysteriöse Krankheit auskurieren. Ich schwamm in der Abenddämmerung im Pool herum. Das Wasser war angenehm warm. Die Beleuchtung war schon an, also hatte es etwas Magisches durch das grell hellblaue Nass zu schwimmen. Rex saß am Beckenrand und sah sehnsüchtig auf das Wasser. Aber herein durfte er nicht. Baden war für ihn nicht drin. Ich ließ mich treiben bis eine Stimme mich zum Nachbarhaus rüber blicken ließ.
„Du siehst ja überaus kränklich aus, King!“, rief Taylor herüber.
„Kümmere dich um deinen Kram, Tay! Und stör mich nicht beim Kurieren!“, rief ich zurück.
„Hmm, schon klar!“, sagte er spöttisch und ging ins Haus. Bevor er die Tür zuschlug hörte ich noch wie er „Schwänzer!“, rief.
„Penner“, sagte ich nur für mich und schwamm weiter meine Bahnen. Nach einer Weile hörte ich das Klacken von hohen Schuhen auf steinernen Fließen und blickte, während ich noch auf dem Rücken vor mich hin dümpelte, gerade nach oben in das Gesicht von Clara höchst-selbst.
„Wie lange willst du diese Mitleidstour noch abziehen?“, fragte sie mich und sah sorgenvoll drein.
„Ich weiß nicht. Solange bis ich mir über mich selbst im Klaren bin.“, sagte ich und suchte mit meinen Fingern den Beckenrand.
„Das geht so nicht weiter. Sowas ist ein langer Prozess und du kannst dich nicht wochenlang selbst bemitleiden oder dich krankschreiben lassen, nur weil du zu feige bist um ehrlich zu dir selbst zu sein.“, sagte sie.
„Das ist nicht so einfach wie du denkst.“, sagte ich mürrisch.
„Ist es das nicht? Hört sich nämlich sehr einfach an. Magst du Jungen oder Mädchen lieber?“
„Eben das ist es ja. Ich mag Mädchen schon gerne. Bei Jungen bin ich mir nicht sicher. Aber irgendwie haben die schon was, aber eigentlich interessiert mich nur einer.“, sagte ich.
„Dann bist du bi.“, sagte Clara achselzuckend. „Zumindest als Zwischenlösung. So, Kriese beendet“
Ich lachte und verdrehte die Augen. „Ja, vielleicht. Aber sei nicht zu streng zu mir. Ich stehe hier sozusagen an einer Kreuzung und muss mich zwischen dem Leben, das ich nicht führen möchte und meinen ganz normalen, traurigen Alltag entscheiden.“
„Und der traurige Alltag hört sich verlockend an?“, fragte sie.
„Ja. Immerhin bin ich da wie alle anderen. Aber ich hab Angst davor, dass der andere Weg der Richtige ist.“, sagte ich.
„Wieso denn? Was ist denn so schlimm daran schwul zu sein?“, fragte sie.
„Hast du hier schon mal die Leute reden gehört?“, fragte ich sie und lachte freudlos auf. „Hier zu sagen, dass man schwul ist, ist das so wie wenn man in der Grundschule sagt, dass man verliebt ist. Es macht dich zu einem Weichling, du bist eklig und jeder macht sich über dich lustig obwohl du nichts dafür kannst.“
Clara kniete sich an den Beckenrand. Sie legte ihre Hand auf meine. Meine eigenen Finger waren um ein Glied länger und sahen weit weniger zart aus.
„Warum denkst du überhaupt daran, dass du dich für irgendwas oder gegen was anderes entscheiden musst? Du musst gar nichts entscheiden. Du kannst machen, was immer du willst“
„Ich… ich will auch machen, was ich will“, sagte ich. Das stimmte auch. Das war meine Lebenseinstellung.
„Ach Brandy, heißt das du weißt schon, was dein Weg sein wird?“
Ich sah geradeaus. Dann nickte ich langsam „Ja, das heißt aber nicht, dass ich das toll finde. Um ehrlich zu sein, macht es mir Angst.“
Clara lächelte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ach Brandy. Ich finde es richtig großartig, dass du es dir schon nach einer Woche schon so weit bist. Und vor allem, dass du nicht in Lebsthass verfallen bist. Weißt du wie lange die meisten Leute für sowas brauchen? Die stecken dann jahrelang in der „das ist nur Einbildung und ich will es nicht weil es falsch ist“- Phase. So schlimm finde ich es gar nicht. Alles hat seine guten und schlechten Seiten.“
Etwas in ihrem Tonfall ließ mich ruckartig in ihr Gesicht sehen.
„Wie meinst du das?“, fragte ich grinsend.
„Och, sagen wir mal, dass ich Erfahrungen gemacht habe.“, sagte sie schelmisch.
„Erzähl!“, forderte ich sie auf. Meine Hände stützte ich am Beckenrand ab.
„Ich weiß nicht.“, sagte sie.
„Ach komm schon. Du willst es doch erzählen, das sehe ich dir an, also raus damit!“, sagte ich lachend.
„Na gut.“, sagte sie und stupste meine Nase. „Aber nur für dich, ok?“
Ich nickte gespannt.
„Es war vor ungefähr einem Jahr.“, fing Clara an. „Damals hatte wieder mal ein Freund mit mir Schluss gemacht. Ich war langsam am Verzweifeln. Ich hatte kein Glück bei den Jungen. Da kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht mein Glück mal bei anderen Mädchen versuchen sollte. Ich hatte ein sehr schönes Date mit einem netten Mädchen, wir hatten uns geküsst und auch Sex. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht schön war, aber es war nicht das was ich wollte. Ich habe es ihr gesagt und sie meinte es wäre für sie ok, da sie schon irgendwie gemerkt hat, dass etwas fehlt. Wir haben die Sache nach einem zweiten Mal Sex beendet und sind dann getrennte Wege gegangen. Ich bereue nichts von alldem, denn jetzt weiß ich was ich will. Ich will meinen Prinzen und nichts Anderes. Aber bisher hat er sich noch nicht blicken lassen, also muss ich weitersuchen.“
Clara lächelte mich an. Ich musste irgendwie grinsen.
„Du bist ganz schön abgefuckt, weißt du das?“, fragte ich grinsend.
„Sehr charmant.“, sagte sie lachend und fuhr mir durch meine nassen Haare.
„Aber ich kaufe dir irgendwie nicht ab, dass ihr nur zwei Mal Sex hattet.“, sagte ich und bespritze sie mit Wasser.
„Ertappt“, sagte sie lachend und hob die Hände. „Wir haben beschlossen, dass beziehungstechnisch zwar nichts zwischen uns laufen wird aber es war eine recht einsame Zeit und der Sex war klasse und deswegen ist das Ganze noch etwas länger gelaufen.“
Ich lachte und schüttete ihr eine Handvoll Wasser ins Gesicht.
„Also wart ihr sowas wie Sex-Freundinnen?“
Clara zuckte mit den Schultern und sagte: „tja, ein bisschen bi schadet nie“
„Du Luder!“, sagte ich lachend. Ein weiteres Mal bekam Clara eine Ladung Wasser ab.
„Das musst gerade du sagen!“, sagte sie. „Und hör auf mit dem Wasser!“
„Was sonst?“, fragte ich neckend und leerte ihr noch ein paar Hände über ihren Kopf.
„OK, jetzt reicht’s.“, sagte sie, zog sich Schuhe und Strümpfe aus, legte Handy und Geldbörse weg und sprang mitsamt Hotpants und T-Shirt in den Pool. Und zwar direkt auf mich drauf. Meine Cousine war schon verrückt.
„Hüa!“, rief sie und rammte mir die Fersen in die Seite, was unter Wasser nicht weh tat.
„Geh von mir runter!“, beschwerte ich mich. Zur Strafe tauchte sie meinen Kopf unter. Dadurch konnte ich ihr jedoch entkommen. Nachdem wir uns ausgetobt hatten, saßen wir klatschnass am Beckenrand. Wir hatten uns beruhigt.
„Hattest du keine Angst davor was passieren könnte, wenn jemand rausfinden, dass du Sex mit einem Mädchen hattest?“, fragte ich.
„Nein. Bei Mädchen ist das ja nicht so ungewöhnlich. Viele Mädchen experimentieren. Außerdem war es ja nur was Körperliches. Aber bei euch Jungen ist das wieder was anderes, nicht wahr? Ich denke die meisten Jungen haben einfach Angst davor, dass es ihnen gefallen könnte oder, dass es mehr als was Körperliches werden könnte. Deswegen lehnen es die meisten generell schon ab auch nur daran zu denken.“, sagte sie sachlich.
„Was denkst du sollte ich tun?“, fragte ich.
„Gib dem Ganzen eine Chance. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du später immer noch sagen, dass es eine Phase oder was Einmaliges war. Oder es macht dich glücklich und du gibst dem Ganzen eine Chance. Aber verschwende keine Zeit damit dich vor den Nachteilen zu fürchten und versuche die Vorteile zu genießen.“
Ich schluckte bei dem Gedanken an den Porno.
„Weißt du was?“, sagte ich irgendwann. „Bi sein klingt eigentlich cool“
Clara lachte und stimmte mir zu. Sie ließ mich allein und noch etwas im Pool treiben. Lange starrte ich in den dämmrigen Himmel. Dann ließ ich die Luft aus und mich auf den Boden des Pools sinken. Dort saß ich in dieser seltsam knackenden Unterwasser Stille, bis mir die Luft knapp wurde. Plötzlich manifestierte sich ein Gedanke in meinem Kopf. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgekippt. Ich war Brandon King. Ich hatte schon immer gewusst was ich mochte und hab auch nie davor zurück geschreckt danach zu streben. Damit würde ich auch jetzt nicht aufhören.
Ich tauchte wieder aus dem Wasser auf und schnappte keuchend nach der Abendluft. Meine Lungen füllten sich und das Keuchen wurde zu Lachen. Statt nervös und ängstlich fühlte ich mich irgendwie rebellisch gerade und meine Sorgen und Befürchtungen gingen in meiner Euphorie unter.
Am späteren Abend bekam ich noch eine Nachricht von Liam.
Hi, ich wollte nur mal fragen wie es dir geht :)
Wieder ganz gut. Aber war schon wichtig, dass ich heute noch zuhause geblieben bin. Aber jetzt bin ich wieder fit. :D
Cool, ähm was ich noch fragen wollte: Da wir ja jetzt sowas wie Freunde sind wollte ich fragen ob wir mal was gemeinsam machen wollen? Pizza essen oder sowas? Ich meine nur wenn du Lust hast und willst unso
Ich schmunzelte und schrieb zurück:
Ob du willst musst du selber wissen, aber ich würde schon gerne Wenn du Pizza bestellen willst, komme ich mit dem Pizzaboten ;)
Cool, ich sag dir dann bescheid ok?
Ist gut Freu mich
Ich legte mein Handy weg. Ich fühlte mich wieder lebendig. Neue Energie durchflutete mich. Aber ich verbrauchte sie nicht mit Sit-Ups und Liegestützen sondern griff zu meinem Handy und schrieb eine Nachricht. Danach griff ich mir meine Jacke und verließ mein Zimmer. Ich wollte noch etwas erledigen.
Ich schlang meine Arme um den Körper. Die Luft war nicht kalt, aber das was ich vorhatte ließ mich leicht frösteln. So aufgeregt war ich seit meinem allererstersten Footballspiel nicht mehr. Aber das hier war nichts im Vergleich dazu. Damals hatte ich mir nicht alle möglichen Szenarien vorgestellt und dabei gezittert. Ich hätte fahren können, aber ich wollte den Weg lieber zu Fuß gehen weil ich mich psychisch auf mein Vorhaben vorbereiten wollte – außerdem waren meine Hände verschwitzt und würden mit Sicherheit vom Lenkrad abrutschen. Ich hatte Angst vor dem was kommen würde. Die Euphorie und der Tatendrang waren auf dem Weg weggelaufen und hatten mich mit Angst und Panik alleine gelassen. Ich zwang mich ruhig zu bleiben und konzentrierte mich nur noch aufs Gehen. Schließlich kam ich an. Ein Wohnblock, der aus vielen Wohnungen bestand. Von diesem Haus blätterte die Farbe und viele der Fenster sahen verlassen aus. Ich klingelte an einer der Türen im Erdgeschoss. Auf dem heruntergekommenen Schild stand der Name „Bolt“. Die Tür wurde mir geöffnet. Eine warmherzige Frau mit Lachfältchen stand in der Tür. Sie war ein ganzes Stück kleiner als ich, aber hatte es durchaus in sich.
„Hallo, Brandon, mein Lieber.“, sagte sie lächelnd.
„Hallo, Mrs. Bolt.“, sagte ich.
„Du weißt doch, dass du mich Elizabeth nennen sollst.“, sagte sie und bat mich herein. Die Wohnung war vollgestopft mit allem Möglichen. Sie war eindeutig zu klein für die Anzahl der Leute, die hier wohnten. In der Küche saß Elizabeths ältester Sohn, Jack. Er war schon mit der Schule fertig und arbeitete als angehender Koch in einem kleinen Restaurant im Ort. Ich winkte ihm und ging weiter. In einem Zimmer hörte ich zwei Mädchen laut mit ihren Puppen spielen. Mariah und Isabelle. Ich betrat den kleinsten Raum in der Wohnung. Zwei Betten standen gegenüber an den Wänden. Das eine Bett gehörte Jack. Auf dem anderen saßen zwei Jungen. Der eine war Ollie, der Zwillingsbruder von Isabelle. Der andere war mein bester Freund. Jason las gerade seinem kleinen Bruder aus einem Buch vor. Dann bemerkte er mich und grinste.
„Der Schwerkranke kommt mich besuchen.“, sagte er grinsend.
„Weiter“, verlangte Ollie laut.
„Später, ja?“, sagte Jason. „Versprochen“
„Ok“, sagte der Kleine, rutschte vom Bett und rannte nach draußen.
„Hey, man.“, sagte er und gab mir die bro fist.
„Hi Jason, kann ich mit dir reden?“, fragte ich etwas schüchtern.
„Klar, immer und über alles.“, sagte er und klopfte neben sich auf die dünne Bettdecke. Ich setzte mich neben ihn. Er legte mir sofort den Arm um die Schulter. Ich atmete tief durch. Ich versuchte was zu sagen aber alles was ich rausbrachte klang wie eine exotische Urwaldsprache.
„Hast du das Fremdsprachensyndrom? Dann stell bitte wieder auf Englisch, weil ich kein Wort verstehe.“, sagte er.
„Tschuldigung“, nuschelte ich – ja, ein Wort; ich bin stolz auf mich.
„Also was ist los, man? Normalerweise kommst du immer angekündigt.“, sagte Jason.
„Tja, wie soll ich das jetzt am besten sagen? Ähm, ich war nicht krank die letzten Tage.“, sagte ich um es langsam angehen zu lassen. Jason tat so als würde er vor Schreck vom Bett fallen. Er rollte sich ab und deutete mit den Zeigefingern auf mich.
„Glückwunsch, dann hast du erfolgreich eine Woche geschwänzt.“, sagte er.
„Aber gut ging es mir trotzdem nicht wirklich“, sagte ich, schmunzelte allerdings.
Jason setzte sich sofort wieder neben mich und legte seinen Arm wieder um meine Schulter.
„Sorry, das wusste ich nicht. Was ist denn los? Ist jemand gestorben?“, sagte er behutsam. Ich schüttelte meinen Kopf.
„Jason es ist so, ich habe in letzter Zeit sehr viel über mich nachgedacht“
Ich versuchte sie zurückzuhalten aber sie kamen doch. Diese abscheulichen, schwach machenden Tränen.
„Ich glaub ich steh auch auf Jungs, Jason.“, sagte ich und bereitete mich vor auf was kommen würde.
„Bitte hass mich nicht. Ich- Ich kann‘s mir nicht aussuchen. Es –es ist einfach da, dieses Gefühl und ich kann es nicht abstellen und…“, doch weiter kam ich nicht, denn Jasons Reaktion verschlug mir die Sprache. Er drückte mich an sich und klopfte mir auf die Schulter.
„Bro, jetzt chill mal“, sagte und klopfte mir auf die Schulter. „21. Jahrhundert undso“
Ich schluchzte auf und fing an zu lachen und dann zu weinen. Ich war so erleichtert und die reaktion von Jason hatte mich gerührt. Nach ungefähr fünf Minuten hatte ich mich beruhigt. Ich schniefte nur noch hin und wieder.
„Chill mal“, sagte Jason und bot mir ein Taschentuch an. „Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass du mal so vor mir losheulen würdest.“
„Ich auch nicht.“, lachte ich.
„Wie hast du’s gemerkt?“, fragte mich Jason.
Ich erzählte ihm alles von Anfang an. Er nickte.
„Du bist wohl in Liam verknallt.“, stellte er fest.
„Ja. Aber was ist mit dir? Müsstest du nicht geschockt sein“
„Nicht wirklich. Ich kenn dich schon ne ganze Weile und hatte immer schon den Verdacht, dass da was ist. Nicht weil du so dich besonders gay benimmst, oderso, versteh mich nicht falsch. Es war einfach so ein Gefühl“
Ich nickte. Manchmal kennen Freunde dich wirklich besser als du dich selbst.
„Aber eine Frage habe ich an dich…“, sagte Jason ernst.
„Frag was du willst.“, sagte ich leicht verunsichert.
„Wie findest du meinen Arsch?“, fragte er, drehte sich um und hielt mir sein Hinterteil ins Gesicht
Ich brüllte vor Lachen. Jason kugelte sich währenddessen auf seinem Bett und lachte so laut, dass man jeden einzelnen seiner schneeweißen Zähne sehen konnte.
„Perfekt“, sagte ich irgendwann. „10 von 10, besser geht’s nicht“
Jason wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich war auch einigermaßen erleichtert, dass ich mir offenbar keine Sorgen um unsere Freundschaft machen musste.
„Gut zu wissen. Und? Was willst du jetzt machen?“, fragte Jason mich.
Ich blickte auf die graue Wand, die mit Postern von Basketballern bespickt war.
„Ich hab keine Ahnung.“, sagte ich.
„Willst du dich outen?“, fragte Jason vorsichtig.
„Nope. Das mit Sicherheit nicht. Schon gar nicht, weil ich mir über mich selbst immer noch nicht ganz im Klaren bin.“, sagte ich. „Außerdem weiß ich genau wie man behandelt wird, wenn man auch auf Jungs steht, in unserer High School. Außerdem möchte ich meinen Status nicht so unbedingt verlieren.“
„Kann ich verstehen. Würde es dir nicht helfen mal mit Schwulen zu reden oder sowas?“, fragte Jason.
„Vielleicht. Aber mit wem denn? Mit Connor auf keinen Fall.“
Jason lachte und sagte dann: „Kann ich verstehen, aber was ist mit Liam?“
„Auf keinen Fall, das möchte ich nicht. Ich hab gerade mal Freundschaft mit ihm geschlossen und wenn ich jetzt ankomme mit ‚Hilf mir, ich glaube ich bin auch schwul‘, wird er sicher denken, dass ich ihm meine Freundschaft nur angeboten habe, weil ich was von ihm will. Ne, das brauch ich nicht. Außerdem könnte ich das auch nicht. Er ist doch glücklich mit Connor und das muss ich ihm zuliebe akzeptieren.“
Jason nickte. Es war schon wahr, dass ich nie was anbrennen ließ aber ausspannen geht gar nicht. Das konnte ich irgendwie nicht.
„Wie wäre es mit den Freunden von Clara? Du weißt schon, von denen sie erzählt hat.“, schlug Jason vor.
„Nein, die wohnen sicher irgendwo in Australien…“
„Österreich“, verbesserte er mich. „Europa, nicht Ozeanien.“
„Wie auch immer. Du weißt doch, dass ich in Geographie nie aufgepasst habe.“
„Egal, rede weiter.“, sagte Jason.
„Ja die wohnen sicher weit weg und die müsste ich dann über Skype kontaktieren und dann verstehe ich die Hälfte nicht“ sagte ich.
„Hmm, was hältst du von einem Forum für Schwule?“, fragte Jason.
„Ne, ich mag keine Foren. Da könnte jeder Account gefälscht sein und alles was du reinschreibst bleibt dann für immer drinnen und wenn das dann jemand liest der mich kennt, bin ich dran.“, sagte ich unsicher.
„Was sollte jemand der nicht schwul ist auf einem Forum für Schwule suchen? Also ich glaube nicht, dass da Gefahr für dich besteht.“, sagte er.
„Ja, vielleicht hast du Recht aber ich mag das trotzdem nicht. Generell bei sozialen Netzwerken. Da weiß man eigentlich nie wer am anderen Ende der Leitung sitzt. Am Ende heule ich mich bei einem Pedo-Bär aus, nein danke!“
„Schon gut. Aber viele andere Möglichkeiten fallen mir leider nicht ein.“
Ich dachte nach. Mir fiel auch nichts ein.
„Außer…“, sagte Jason und sah mich belustigt an „Du würdest dich trauen in die Szene zu gehen und dort selber Leute kennen lernen. Oder in eine Schwulenbar.“
„Als Ungeouteter und alleine? Keine Chance! Da ist die Gefahr, dass mich wer sehen könnte viel zu groß. Außerdem bin ich da nicht gerne alleine. Ich kenn da doch keinen und hab keinen Schimmer wie die ticken.“, sagte ich resigniert.
„Dann bin ich mit meinem Latein am Ende.“
„Schon ok, du hast sowieso schon so viel für mich getan.“, sagte ich und umarmte ihn. „Danke, dass du für mich da bist.“
„Klar doch, wir sind doch Brüder, schon vergessen?“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. „Da lässt man sich doch nicht hängen.“
„Natürlich nicht, Blutsbruder.“, sagte ich grinsend und fuhr über die Narbe.
„Da haben wir ziemlich große Scheiße gebaut, weißt du noch?“, fragte er.
„Klar. Clara hat deswegen immer noch Gewissensbisse.“, sagte ich. „Gerade gestern habe ich sie damit geärgert. Zur Strafe hat sie mich mit Toast beworfen.“
„Deine Cousine ist einsame Spitze.“, sagte Jason grinsend. „Aber das war sie schon immer.“
Bevor ich ihm Recht geben und ihm die nervigen Seite meiner hinreißenden Cousine erläutern konnte, wurde die Tür geöffnet. Jasons Mom lugte herein.
„Stör’ ich euch?“, fragte Elizabeth.
„Nein, nein schon ok Mrs. Bo… ich meine Elizabeth.“
Elizabeth Bolt lächelte als ich sie beim Vornamen nannte, dann wechselte ihr Gesicht den Ausdruck.
„Alles ok mit dir, Brandon?“, fragte sie besorgt. „Du siehst noch etwas kränklich aus.“
„Ach, das ist nichts. Mir geht es gut.“, sagte ich beschwichtigend aber sie wirkte nicht wirklich überzeugt.
„Wie du meinst. Möchtest du zum Abendessen bleiben? Ich hab euch Brote hergerichtet.“
Ich wusste, dass es unhöflich wäre das jetzt abzulehnen, also blieb ich noch etwas. Danach ging ich aber sofort. Ich verabschiedete mich von Jason, dem sein kleiner Bruder Ollie schon am Fuß hang und bettelte, er solle ihm weiter den Zauberer von Oz vorlesen. Jason drückte mich nochmal kurz. Es gab mir Kraft und ich war erleichtert, dass er nicht Angst davor hatte mich zu berühren. Ich hatte schon mitgekriegt, dass Leute weggezuckt sind nur weil sie Connor oder Liam gestreift hatten, als ob das eine Ansteckende Krankheit wäre. Ich ging mit leichterem Gefühl nach Hause. Es war schön zu wissen, dass es tatsächlich Leute gab die mich so mochten, wie ich im tiefsten Inneren war.
Später am Abend lag ich auf meinem Bett und überlegte. Ich wollte eigentlich schon mit jemanden reden, der selbst schwul ist um mir aus meiner Unsicherheit zu helfen. Liam wollte ich es auf keinem Fall auf die Nase binden. Noch nicht. Ich war schon am Überlegen ob ich es riskieren konnte mit Connor darüber zu reden als ich eine Nachricht bekam. Sie war von Jason.
Hey man, das mit dir hat mir keine Ruhe gelassen und da hab ich mich nach Ollies Gute-Nacht Geschichte nochmal im Internet schlau gemacht und hab da etwas gefunden. Das ist perfekt und gefällt dir garantiert ;)
„Sccchhht!“, zischte ich. „Doch nicht so laut! Was ist, wenn uns jemand hört?“
„Jetzt komm schon, dich erkennt sowieso keiner. Außerdem ist das hier nicht das einzige Haus weit und breit. Du könntest genauso gut beim Italiener gewesen sein, also stell dich nicht so an.“, sagte Jason leicht genervt.
„Ja, schon gut. Ich will nur kein unnötiges Risiko eingehen. Vor allem, weil ich mir nicht mal sicher bin ob das hier jetzt nur eine Phase oder sowas ist.“, sagte ich.
„Ich hätte gedacht, du machst das, weil du dir schon fast sicher bist?“, fragte Jason.
„Ja, aber eben nur fast. Ich habe keine Ahnung was mit mir los ist. Alles, was ich weiß, ist, dass ich das hier am liebsten vergessen würde, um ein stinknormales hetero Leben zu führen.“
„Oh man, da kriegt jemand kalte Füße“, meinte Jason. „Das sagst du jetzt doch nur, weil du Schiss hast, also komm jetzt. Und akzeptier dich endlich, sonst verkauf deine Sachen und bestell für das Geld Lady Gaga her damit sie dir zeigen kann, wie Selbstliebe funktioniert“
„Das hört sich viel einfacher an, als es am Ende ist, Jason.“, sagte ich hitzig. „Wenn ich jetzt durch diese Tür gehe und es sich herausstellt, dass es die richtige ist, schließen sich für mich aber gleichzeitig ein riesiger Haufen anderer Türen! Und durch ein paar davon zu gehen hatte ich mir schon ewig gewünscht. Außerdem haben auch alle riesige Erwartungen davon, was ich mal machen werde.“
„Dafür öffnen sich vielleicht Türen oder auch Fenster, durch die du lieber gehen würdest.“
„Vielleicht“
„Wir werden sehen.“, sagte Jason.
„Ja wir… DUCK DICH!“, rief ich und drückte ihn runter.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte er mich.
„Im Gastgarten vom Italiener sitzt Lucia. Du weißt schon, sie arbeitet bei uns im Gym. Wenn die mich hier sieht, petzt sie das mit Sicherheit meinem Dad. Die ist das größte Klatschmaul im Ort.“
„Beruhige dich mal. Uns erkennt sowieso niemand. Apropos wie würdest du das eigentlich machen, wenn du das hier annimmst? Mit Football und dem Gym“
„Wenn die besser zahlen als mein Dad, geh ich nur noch zum Trainieren ins Gym“, sagte ich nur. Das konnte ich mir später auch noch überlegen.
Ich und Jason hatten beide Kapuzenpullis an. Die Kapuze hatte ich mir tief in die Stirn gezogen. Die Sonnenbrille hatte ich weggelassen, weil Jason meinte, das sähe lächerlich aus. Ich schielte zum Italiener. Lucia starrte weiterhin nur auf ihr Handy. Sie sah nicht mal auf als der Kellner zu ihr kam. Schon etwas unhöflich, aber das war unser Glück.
„Ok, lass uns weitergehen. Aber schnell!“, sagte ich im gedämpften Tonfall. Jason nickte. Wir gingen im Laufschritt weiter und kamen schließlich zu unserem Ziel. Wir blieben erstmal in der Nähe stehen.
„Können wir nicht umdrehen?“, fragte ich. Ich wurde zunehmend nervöser.
„Ich schon, aber du, mein Freund, gehst dort rein. Jetzt sind wir schon extra hergekommen, jetzt kneif nicht.“, sagte Jason.
„Bitte lass mich mit dir schwimmen gehen!“, flehte ich.
„Kommt nicht in Frage!“, sagte Jason bestimmt. „Und jetzt sag nicht, dass ich dir meine Nüsse borgen muss, weil du deine wohl verloren hast.“
„Sehr lustig.“, sagte ich. „Weißt du was? Haha! Du bist reingefallen – ich bin nie unsicher über meine Sexualität gewesen und war schon immer hetero. Verarscht! Also los, lass uns Pasta essen gehen!“
„Alter, ernsthaft?“, fragte Jason. „Auf das hier würde nicht mal meine kleine Schwester reinfallen. Sei gefälligst ein Mann und geh da jetzt rein. Du sollst sowieso zur Hintertür gehen und klopfen.“
Ich zog meine Schultern ein und sagte: „Na gut, ich mach das jetzt.“
„Ich habe dich im Auge.“, sagte Jason und begleitete mich bis hinter das Gebäude. Mit zittrigen Fingern betätigte ich die Klingel. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Türe. Ich blickte zu Boden. Dann hörte ich die Stimme eines jungen Mannes.
„Hi, ähm was wollt ihr?“, fragte die Stimme.
„Hi“, sagte Jason. „Es geht um meinen Kumpel. Er möchte bei euch mal reinschnuppern und ich begleite ihn nur weil er sich allein nicht traut.“
„Stimmt doch gar nicht.“, sagte ich und blickte zum ersten Mal auf.
Ein junger Mann, der so aussah, als wäre er in unserem Alter stand in der Türe. Und zwar oben ohne. Ich wurde rot. Der Junge grinste selbstbewusst und strahlte eine besondere Art Stolz aus. So ähnlich wie Connor. Er war sehr attraktiv. Er hatte braunes, leicht gelocktes Haar, das er kurz trug und etwas vom Kopf abstand. Er hatte goldbraune Augen und war glattrasiert. Er sah sehr gepflegt aus.
„Ach so, ihr seid das. Dann bist du Brandon, stimmt’s?“, fragte er und hielt mir seine Hand hin. Ich ergriff sie. Ein fester Händedruck. Er zog die Augenbrauen hoch.
„Ja… jaja ich bin Brandon.“, sagte ich.
„Und 18?“, fragte er.
Ich nickte.
„Großartig“ sagte der junge Mann. „Dann komm mal rein.“
Ich nickte und als ich ins Haus gezogen wurde, sah ich hilfesuchend zu Jason. Er grinste und rief mir zu: „Ich bin am Strand, bis du fertig bist.“
Ich nickte. Der junge Mann schloss die Tür und ich fand mich in einem mittelgroßen Raum wieder.
„So“ sagte der junge Mann und blickte mich prüfend an. „Du siehst schon mal nicht schlecht aus. Und du willst bei uns wirklich mal für einen Tag reinschnuppern?“
Ich nickte.
„Großartig. Dann zieh mal dein Oberteil aus.“ Ich tat, was er verlangte. Mit nacktem Oberkörper stand ich jetzt da.
„Nicht schlecht. Wenn du sonst alles gut machst, kannst du von mir aus sofort hier anfangen.“, sagte er.
Ich nickte wieder.
„Welche Größe trägst du normalerweise?“
„L“
„Na gut.“, sagte er schelmisch und holte etwas aus einem Schrank
„Also, hier sind deine Arbeitsklamotten.“, sagte der junge Mann und überreichte mir einen Packen Klamotten in Größe M.
„Zieh die an und gehe danach durch diese Tür da. Ach übrigens, hier kannst du mich Ray nennen.“, sagte er zwinkernd und verließ den Raum. Ich blickte mich unsicher um. Jetzt könnte ich abhauen. Ich könnte so tun, als wäre ich hier gewesen und könnte Jason einfach was vorlügen. Aber jetzt wollte ich das hier schon durchziehen. Also zog ich mir das Arbeitszeug an. Zum Glück war ich trainiert, denn sonst würde ich in der Hose mit Sicherheit aussehen wie eine Presswurst. Auf jeden Fall war die Hose sehr körperbetonend. Aber unterhalb der Knie war die Hose doppelt so breit geschnitten wie üblich. Zu meiner Uniform gehörten noch ein brauner Gürtel und zur Farbe passenden Stiefel. Außerdem ein Cowboyhut und das Beste für mich: ein Lederstreifen mit Löchern für die Augen. Eine Maske wie der Lone Ranger eine getragen hatte. Ich betrachtete mich im Spiegel, der an der Wand hing. Niemand würde mich so erkennen. Der Job, für den ich mich hier „beworben“ hatte war sehr speziell (Nein, ich wollte nicht Stripper werden, calm down!). Ich war Bedienung in einer Schwulenbar. Zuerst war ich skeptisch, da eine Schwulenbar ja das war, was ich zuerst als Möglichkeit ausgeschlossen hatte. Aber ich schnupperte in einer Schwulenbar und Restaurant rein, die ein Thema hatte; Nämlich der Wilder Westen. Das hieß, dass die Bediensteten sich verkleideten und oben ohne rumliefen, ein bisschen wie Hooters. Die Bar war sehr bekannt und auch sehr erfolgreich.
Ich ging durch die Tür und kam gleich in die Bar rein. Obwohl ich die Idee erst bescheuert fand, war ich doch in gewisser Weise beeindruckt. Ich selbst kam mir vielleicht komisch vor in der Aufmachung, aber was ich jetzt sah, war nicht schlecht. Ein Dutzend anderer Typen im Cowboykostüm war hier beschäftig und ich musste zugeben, dass sie gar nicht mal schlecht aussahen. Um ehrlich zu sein, sahen die richtig heiß aus. Ich erkannte Ray an der Theke. Er hatte ebenfalls ein Cowboykostüm an, nur in Weiß und auf seinem Hut hing ein goldener Stern. Die Atmosphäre war ebenfalls der absolute Hammer. Im Hintergrund hörte man lässige Country-Musik und an den ockerfarbenen Wänden hingen Felle und alte Sepia-Bilder. Die ganze Bar erinnerte ein bisschen an einen Saloon. Eine eiserne Wendeltreppe führte nach oben, denn die Bar hatte zwei Stöcke. Ich ging zu Ray an die Theke. Er zog die Augenbrauen hoch.
„Und? Gefällt es dir hier?“, fragte er.
„Ich weiß noch nicht so recht. Es ist auf jeden Fall sehr speziell.“
„Warte ab, nach schon einer halben Stunde willst du hier nie mehr weg. Du bist nicht der Erste, der am Anfang Zweifel hatte. Warte kurz.“, sagte er und rief einen anderen Mitarbeiter.
„Übernimm hier mal kurz, ok? Ich will den Neuen hier einarbeiten.“
„Alles klar, Sherriff.“, sagte der Typ und ging hinter die Bar und zwinkerte mir zu.
Ray führte mich zu einem Schränkchen und holte einen Block und eine Geldbörse und einen Stift heraus. Er erklärte mir schnell die Preise. Danach führte er mich herum.
„Die Preise für die Getränke sind ja einfach zu merken aber das hier solltest du wissen. Du würdest hier dreimal die Woche arbeiten. Immer vier bis fünf Stunden mit jeweils einer kurzen Pause dazwischen. Wenn Gäste hereinkommen und du gerade keine Zeit hast, weil du anderswo beschäftigt bis, nick ihnen zu damit sie wissen, dass sie bemerkt worden sind. Das Trinkgeld, das du hier kriegst, darfst du behalten. Verdienen würdest du fünfzehn Dollar in der Stunde, plus Trinkgeld. Versuch so deutlich wie möglich zu schreiben. Wenn du dich verließt und was Falsches bringst, müssen die Gäste nicht bezahlen, dürfen es aber behalten. Außerdem gewöhne dich besser daran, dass du angemacht wirst. Das kann man hier in diesen Outfits schlecht verhindern. Sieh es als Kompliment und lächle einfach. Ein Vorteil hier ist, dass du hier anonym arbeiten kannst. Wir verwenden alle Spitznamen. Meiner ist Sherriff.“
Ich versuchte das alles im Kopf zu behalten. Ray redete sehr schnell und hüpfte immer von einem Punkt zum anderen.
„Ist klar.“, sagte ich und nickte.
„Hast du eine Idee für einen Spitznamen für dich?“, fragte er schelmisch.
Ich überlegte kurz. „Hat schon irgendwer Angel?“
Ray grinste und sagte: „Nein, da hast du dir einen guten Namen ausgedacht. Passt zu dir“
„Danke“, sagte ich und griff mir nervös in den Nacken.
„Hast du noch Fragen?“, fragte Ray.
„Ja, eine schon noch. Ich bin mir mit meiner Sexualität noch nicht wirklich im Klaren und habe gehofft hier mal mit Schwulen Leuten zu reden, ohne mich dabei offenbaren zu müssen.“
Ray lachte.
„Während deiner Schicht wirst du nicht viel zum Reden kommen, aber wenn du willst, kannst du deine Pause dafür verwenden. Ich würde mich da direkt für bereit erklären mit dir ein bisschen zu quatschen.“
Seine Augen funkelten.
„Ja, klar. Das wäre nett von dir, Ray.“, sagte ich.
„Hier drinnen bin ich Sherriff.“, ermahnte er mich. „Du bist nicht der Einzige hier, der seine Identität geheim halten will.“
Er zwinkerte. Ich wurde leicht rot.
„Tschuldigung“, sagte ich.
„Schon gut. Kommt mir das nur so vor oder bist du schüchtern?“, fragte er.
Schüchtern? Noch nie hatte mich jemand als schüchtern bezeichnet.
„Nein, eher nicht, aber das ist alles sehr neu für mich und auch ungewohnt. Außerdem kenne ich hier niemanden.“
„Naja, jetzt schon.“, sagte Ray und klopfte mir auf die Schulter. „Denk immer daran. Hier kennt dich kein Mensch. Du kannst also so ruhig ein bisschen mehr Selbstvertrauen haben. Du siehst gut aus und hast auch einen gewissen Charme. Nutz den aus und besorg dir einen Haufen Trinkgeld.“
„Ok, danke Sherriff.“, sagte ich ermutigt. Was er sagte, machte Sinn. Hier konnte ich mich völlig normal aufführen. So wie ich in der Schule war und dort war ich beliebt. Da konnte ich doch auch sicher hier die Leute für mich gewinnen.
„Bereit für deine erste Schicht für den geilsten Job der Welt?“, fragte Ray.
„Ich denke schon.“, sagte ich selbstsicher.
Ray grinste und sagte: „Sehr gut. Und Angel?“
„Ja, Sherriff?“
Ray grinste schelmisch und sagte: „Denk dir nichts dabei, wenn du hin und wieder was auf deinen Knackpo kriegst. Ich fürchte, ich kann da leider nur schwer widerstehen.“
Erschöpft lehnte ich mich gegen die Bar. Ray mixte gerade irgendeinen Cocktail. Dann bemerkte er mich und rutschte in meine Richtung.
„Und? Wie hat es dir gefallen?“, fragte er.
„Bisher fand ich es super.“, sagte ich strahlend. Die Leute hier waren mir sympathisch. Die meisten strahlten eine gewisse Lebensfreude aus. Viele hatten versucht mit mir zu flirten, aber darauf ging ich nicht ein. Ich lächelte nur still.
„Wie lange willst du eigentlich noch hier bleiben? Du bist schon länger als drei Stunden hier.“, sagte Ray.
„Was ernsthaft? Ist mir gar nicht so vorgekommen.“, sagte ich und sah auf meine Uhr. Tatsächlich war ich schon dreieinhalb Stunden hier.
„Für Überstunden bezahle ich dich normalerweise nicht.“, sagte Ray und grinste.
„Versteh schon“, sagte ich. „Ähm, hast du jetzt dann Zeit zum Quatschen?“
„Von mir aus. Meine Schicht ist in fünf Minuten zu Ende, aber auf die kommt’s jetzt auch nicht mehr an.“, sagte Ray und rief irgendeinen anderen Angestellten zu sich. Er übernahm die Bar und Ray und ich gingen uns umziehen. Das machte mich ein wenig nervös, denn Ray hatte gar kein Problem damit sich vor mir umzuziehen, als wäre es nichts. In der Football Umkleide brauchten manche Jungs Jahre, bis sie damit halbwegs klarkamen. Nachdem wir wieder angezogen waren, gingen wir nach draußen. Sofort zog ich mir meine Kapuze wieder über. Ray fand meine übertriebene Vorsicht lustig. Er lachte und neckte mich ein klein wenig. Nach einigen Metern Entfernung streifte ich die Kapuze ab und ging wieder aufrecht. Ray lud mich auf ein Crêpe ein. Ich sagte nicht nein, obwohl ich es normalerweise vermied Nutella zu essen. Ray meinte ich solle mir hin und wieder was gönnen und ich stimmte ihm zu und biss in den Crêpe. Er schmeckte köstlich.
Ray schlug vor zum Strand zu gehen und dort zu reden. Wir schlenderten hin und setzten uns auf die Böschung. Es war schon finster und es waren nur noch sehr wenige Leute unten. Ich begann schon wieder auf das wunderschöne Meer hinauszublicken. Morgen würde es wieder die Farbe von Liams Augen annehmen. Ray stupste mich an.
„Also? Was wolltest du nochmal wissen?“, fragte er.
„Wie ist es so schwul zu sein?“, fragte ich.
Ray lachte und sagte: „Nicht viel anders als hetero zu sein, nehme ich mal an. Nur liebst du eben keine Mädchen. Was aber nicht heißt, dass diese Art von Liebe schlecht ist. Nächste Frage?“
„Wie ist es so sein Schwulsein auszuleben?“
„Hmm, gute Frage. Für mich ist es inzwischen ganz gewöhnlich mich nicht mehr verstecken zu müssen. Wenn du dich dazu entschließt, trennst du automatisch die Spreu vom Weizen. Die Leute, die dich nicht so nehmen wie du bist, brauchst du nicht. Die braucht keiner. Aber die, die dich wirklich mögen werden keinen großen Unterschied sehen. Für die meisten wird es aber sehr interessant sein, also bereite dich darauf vor eine Menge Fragen zu beantworten“
„Das heißt, dass du dich geoutet hast?“, fragte ich.
„Ja“, sagte Ray und nickte. „Ich habe es damals meinem Ex-Freund zuliebe gemacht.“
„Wie lange ist das her?“, fragte ich neugierig.
„Da war ich achtzehn, also etwas länger als drei Jahre.“, sagte er.
„Und, wie haben die Leute um dich herum reagiert?“, fragte ich.
„Wie schon gesagt, die meisten haben es akzeptiert, andere nicht.“, sagte Ray.
„Was war mit deiner Familie?“, fragte ich ein bisschen zögerlich.
„Mein Dad hat es gelassen hingenommen, aber er ist nicht wirklich interessiert an seinen Kindern. Meine Mom hatte Schuldgefühle weil sie gedacht hat, dass sie in meiner Erziehung was falsch gemacht hat. Und mein Bruder, tja. Mein Bruder hasst mich seitdem dafür.“
„Das tut mir leid.“, sagte ich.
„Schon gut. Inzwischen hab ich nur noch mit meiner Mom Kontakt. Von meinem Dad hab ich zu meinem letzten Geburtstag eine Grußkarte mit einem Batzen Geld bekommen. Mehr nicht. Das Geld hab ich in die Bar investiert.“
„Warte mal. Heißt das die Bar gehört dir?“, fragte ich.
„Ja. Hast du das nicht gewusst? Ich dachte das hätte ich erwähnt.“, sagte Ray und grinste.
„Ja Andeutungen gab es schon, aber da hab ich gedacht, das wäre Spaß.“, sagte ich. „Wie kommt es, dass du eine eigene Bar besitzt?“
„Mein Dad ist ein sehr hohes Tier. Er ist Immobilienmakler und hat seinen Firmensitz direkt in New York. Die Bar sollte abgerissen werden aber ich und mein Ex hatten die Idee von einer Themenbar und haben sie ihm für einen Schnäppchenpreis abgekauft. Letztes Jahr konnten wir ihm alles zurückzahlen. Wie du siehst waren diese Ideen sehr gut. Wir haben das Lokal inzwischen sogar vergrößert. Früher gab‘s nur das Erdgeschoss.“
Ich nickte beeindruckt.
„Ähm, Ray?“
„Ja?“
„Wie hast du es letztendlich gewusst ob du jetzt schwul bist, oder ob du nur eine Phase durchgemacht hast?“
„Klingt, als wärst du im Zwiespalt.“, sagte er und durchbohrte mich mit einem intensiven Blick.
„Ja, ich bin in einer echt blöden Situation und ich hab keine Ahnung was ich machen soll.“, sagte ich und sah auf den sandigen Boden.
„Erzähl mal.“, sagte er und schlang seinen Arm um Schulter, als wären wir beste Freunde.
Ich erzählte alles. Fast so viel wie ich Clara erzählt hatte. Am Ende sah Ray nachdenklich aus.
„Was sagst du zu dir selbst?“, wollte er wissen.
„Ich weiß es eben nicht wirklich. Ich hatte schon so viele Mädchen mit denen ich geküsst habe und Sex hatte. Das hat immer Spaß gemacht und war für mich sehr einfach. Aber wirklich verliebt habe ich mich noch nie. Aber bei Liam ist das genau umgekehrt. Meine Gefühle drehen bei dem Gedanken an ihn und seine Augen durch und ich würde nichts lieber machen als ihn zu küssen“, sagte ich.
Jetzt hatte ich es ausgesprochen. Genau das was ich mich noch nie getraut hatte. Weder bei Clara noch bei Jason. Aber bei Ray war es irgendwie anders. Ich spürte, dass er mich verstand und mir ganz sicher helfen konnte.
„Ich glaube du hast die Antwort selbst gefunden. Die Lust ist nur ein kleiner Bruchteil vom Verliebt sein. Wichtig ist, was dein Herz sagt. Und wenn es dir sagt, dass dieser Junge dich glücklicher machen kann als der häufige Sex mit irgendwelchen Mädchen, ist das dann auch so. Manchmal sollte man nicht zu viel nachdenken. Wenn sich was richtig anfühlt, ist es das wahrscheinlich auch.“
„Danke Ray.“, sagte ich.
„Kein Problem.“, sagte er. Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Dann sagte er nochmal was.
„Ein Jammer, dass du so verknallt bist. Ich weiß nicht ob du das weißt, aber du bist ganz schön süß. Falls du irgendwann draufkommen solltest, dass Liam doch nicht der Richtige für dich ist, lass es mich wissen. Du weißt, wo du mich findest“, sagte Ray, zwinkerte mir zu und küsste mich auf die Wange.
Damit stand er auf und ging wieder in Richtung der Bar. Ich blieb verdattert sitzen. Ich dachte nach. Ray war durchaus ein guter Fang. Er sah gut aus, war gut gebaut und hatte eine besondere Art, die mir gut gefiel. Aber mir ging Liam nicht aus dem Kopf. Vermutlich wäre es einfach besser wenn ich mich mit Ray verabreden würde anstatt zu hoffen, dass sich Liam jemals von Connor trennen würde um mit mir zusammenzukommen. Aber das würde vermutlich niemals passieren. Da fiel mir etwas ein:
Liam antwortete erstmal nicht. Dann sagte er: „Ich mag dich auch. Du wärst ein toller Freund. Ich muss hier aussteigen.“
Liam hatte gesagt, dass ich ein toller Freund wäre. Damals hatte ich angenommen, dass er Kumpel meinen würde. Aber hatte er das vielleicht anders gemeint? Wünschte er sich vielleicht insgeheim mit mir zusammen zu sein? Oder war das nur Wunschdenken? Ich wusste, dass man vieles falsch deutet, wenn man verliebt war. Aber ich wollte diese kleine Hoffnung für mich behalten.
Noch eine Weile blieb ich sitzen und wog meine Optionen ab, bis plötzlich mein Handy vibrierte. Ich hob ab.
„Wo steckst du, man? Ich warte jetzt schon eine Ewigkeit auf dich!“
„Oh, Jason. Tut mir leid. Ich komme sofort. Wo bist du?“
„Bei deinem Auto.“, sagte er mürrisch.
„Tut mir echt leid, man“, sagte ich
„Schon gut. Aber komm jetzt. Ich will so langsam mal nach Hause.“
„Ok, bis gleich.“
„Bis gleich.“
Ich spurtete zurück zu meinem Auto. Jason wartete auf mich. Er sah leicht verstimmt aus.
„Was hat da denn so lange gedauert?“, fragte er.
„Ich hab erst dreieinhalb Stunden gearbeitet und danach hab ich mich noch mit meinem Chef unterhalten.“
„Der Chef? Ernsthaft?“, fragte er. Ich nahm an, dass er meinen würde, dass Ray ein alter Sack wäre oder so.
„Mein Chef ist der, der uns geöffnet hat.“, sagte ich und sperrte das Auto auf. Wir stiegen ein und ich fuhr los und erzählte ihm wie ein so junger Typ schon seine eigene Bar besaß.
„Über was habt ihr sonst noch geredet?“, fragte Jason.
„Über so ziemlich alles was ich dir auch gesagt habe.“, sagte ich.
„Und hat er dir helfen können?“, fragte Jason.
„Ja. Er hat mir sehr geholfen.“, sagte ich.
„Inwiefern hat er dir mehr helfen können als ich oder Clara?“
„Bei ihm war das anders. Er hat das Ganze vermutlich schon selbst erlebt. Irgendwie habe ich jetzt weniger Angst. Wenn das mein Weg ist, ist er das und ich versuche das Beste daraus zu machen.“
„Was wirst du machen?“, fragte Jason neugierig.
„Versuchen eine Chance bei Liam zu kriegen.“, sagte ich.
„Glaubst du, dass er sich von Connor trennen wird?“, fragte er.
„Ich hab keine Ahnung. Aber die Hoffnung besteht und ich werde zumindest versuchen ihm näher zu kommen. Wenn ich es jetzt lasse, werde ich mich immer fragen was passiert wäre wenn es gut gegangen wäre.“
Jason nickte.
„Ich hoffe sehr, dass du kriegst, was du willst. Aber du weißt, dass du gerade dabei bist jemandem den Freund auszuspannen?“, sagte er.
Ich biss mir auf die Lippe. Er hatte Recht.
„Ich möchte nur Zeit mit ihm verbringen. Ich werde nicht aktiv versuchen seine Beziehung zu zerstören“, meinte ich nach einer kleinen Nachdenk-Pause.
„Aber passiv schon?“, fragte Jason und kicherte dann.
Es dauerte einen kleinen Moment, bis ich verstanden hatte und Jason eine reinhaute.