Ab kommenden Montag werde ich die vierte und zugleich auch die letzte Geschichte meiner "Mystic Love"-Tetralogie hier posten. In diesem großen Finale treten allerlei Charaktere aus "Der Tierflüsterer", "Die Kunst der Magie" und "Aura - Licht und Schatten" auf. Die Kapitel folgen wie immer am Montag, am Mittwoch und am Freitag. "Der Schattenphönix" startete im Januar 2014 bei Boypoint, wurde aufgrund mehrerer und längerer Pausen aber erst im Februar 2017 beendet. Insgesamt konnte ich damit mehr als 37.000 Klicks verbuchen. Zum Vergleich: "Der Tierflüsterer" hatte 25.000 Klicks, "Die Kunst der Magie" knapp über 28.000 Klicks und "Aura - Licht und Schatten" fast 33.000 Klicks! Und im Gegensatz zu den Vorgängern, gibt es hier gleich ganze 28 Kapitel:
1. Eine andere Welt (1-3) 2. Die Zeiten ändern sich (1-5) 3. Schlosshotel Phönix (1-3) 4. Im Schattenwald (1+2) 5. Das Wiedersehen (1-4) 6. Auf Wanderschaft (1-3) 7. Vergangene Gefühle (1-3) 8. Feuer, Wasser, Erde, Luft (1-5) 9. Die Kunst einen Phönix zu zeichnen (1+2) 10. Ewiges Leben (1-4) 11. Neue Hoffnung! (1-3) 12. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A (1-7) 13. Schatten der Vergangenheit (1-3) 14. Entscheidung aus Liebe (1-4) 15. Ein hoffnungsloser Kampf? (1+2) 16. Der Verrat und deren Folgen (1-4) 17. Rückkehr in die Schattenwelt (1-3) 18. Rachepläne (1-3) 19. Der magische Kompass (1-3) 20. Im Zeitstrudel (1-6) 21. Die Abspaltung des Bösen (1-3) 22. Showdown im Schattenwald (1+2) 23. Das Puzzle fügt sich (1-3) 24. Vom Schatten besessen (1-3) 25. Der Gebieter über die sieben Tugenden (1-4) 26. Das Opfer (1-3) 27. Die Wiedergeburt (1-4) 28. Abschied (1-6)
1. Eine andere Welt – Teil 1 Immer wenn ich in einem Buch zu Beginn die Zeilen „Es war einmal…“ lese, muss ich augenblicklich mit den Augen rollen. Sind alle Autoren so einfallslos, dass sie keinen eigenständigen Satz auf die Reihe bekommen? Ich beginne meine Geschichte anders. Ich schreibe nicht „Es war einmal…“, nein, ich schreibe „Es war unendlich mal…“. Klingt doch gleich sehr viel besser oder? Wieso ich das so schreibe, das lest ihr jetzt! Es war unendlich mal, in einer uns unbekannten und unvorstellbaren Welt. Eine Welt der Liebe und Freundschaft. Dort gab es keine Umweltverschmutzung, keine sinnlosen Kriege, kein rassistisches Verhalten und vor allem keine inkompetenten Politiker! Wünscht sich nicht jeder Mensch aus unserer Welt, frei und unabhängig zu sein? Ich will nicht zu sehr von meiner Geschichte abweichen, also kommen wir zum Kern des Ganzen. Schließt eure Augen und stellt euch kilometerweite grüne Weiden vor, große Wälder voller Leben, schneebedeckte Berge die unbezwingbar erscheinen und Ozeane, Seen und Flüsse, dessen Wasser klar und rein ist. Tagsüber strahlt die Sonne am blauen Himmel und zur Dämmerungszeit eine rotorangene Sonne die romantische Gefühle hochkommen lässt. Nachts funkeln dann die Sterne und der Mond strahlt in seinem weißen Glanz. Die wenigen Menschen die in dieser wundersamen Welt leben, beginnen ihren Tag stets mit einem Lächeln im Gesicht. Der Bäcker steht bereits in der Nacht auf, um den Bürgern frische Backwaren anbieten zu können. Ein Hahn kräht zur frühen Morgenstunde und die ersten Menschen wünschen sich einem wunderschönen guten Morgen. Kinder tollen gefahrlos auf der Straße und spielen mit Bällen, Seilen, oder Hufeisen, während Hunde um sie herumtollen und liebevoll mit dem Schwanz wedeln. Frauen sangen fröhliche Lieder, während sie ihr Zuhause sauber hielten und das Abendessen vorbereiteten. Starke und tapfere Männer hoben schwere Lasten und taten alles, damit es ihren Familien gut ging. Ja, es war eine glückliche Welt und dies hatte auch einen ganz besonderen Grund. Im Zentrum dieser Welt, umgeben von Bäumen und einem See, stand ein prachtvolles Schloss, in dem ein heldenhafter und gutmütiger Prinz lebte. Sein Name war Prinz Phönix. Er war gerade einmal 21 Jahre jung, sein Haar so rot wie Feuer, seine Haut so zart wie die eines Säuglings, seine Augen leuchteten strahlend grün wie Smaragde und sein Herz war so groß wie die eines Riesen. Der junge Prinz wuchs ohne seine Eltern auf und Geschwister hatte er auch eine. Doch für ihn waren seine Bediensteten seine Familie. Sein Butler Rufus war zu jeder Zeit wie ein Vater zu ihm und die Köchinnen und Heilpraktikerinnen Gisela und Regina waren wie zwei große Schwestern für ihn. Der junge Prinz liebte sein Volk über alles. Reichtum und Macht waren ihm nicht wichtig und dafür wurde er mit der Zuneigung seines Volkes belohnt. Doch so schön das Leben von Prinz Phönix auch war, so fehlte ihm dennoch etwas zu seinem Glück: Die große Liebe! Dem Prinzen lagen die jungen Mädchen dieser Welt zwar zu Füßen, denn jedes Mal wenn sie ihn auf seinem Ross angeritten kommen sahen, brachen sie in Jubelgeschrei aus, doch war es nicht die Liebe eines Mädchen, dass er begehrte. Der junge Prinz sehnte sich nach einer starken Schulter zum Anlehnen, nach einem wohlgeformten Kussmund der keinerlei Lippenstift aufzuweisen hatte und nach dem Charakter eines liebevollen, fürsorglichen und tapferen jungen Mannes. Ja, der junge Prinz fühlte sich der Männerwelt hingezogen. Sein Volk wusste davon und hatte damit keinerlei Probleme, wenn auch die Herzen vieler junger Mädchen darunter zu leiden hatten. Doch die Suche nach der großen Liebe gestaltete sich als durchaus schwierig, denn Prinz Phönix trug ein Geheimnis in sich. Während die Menschen um ihn herum mit der Zeit sichtlich alterten, blieb er äußerlich auf ewig jung, bis er eines Tages in grüne Flammen aufgeht und als Säugling wiedergeboren wird. Hinzu kamen, dass er fantastische Kräfte besaß, die er aber stets im Verborgenen hielt, um keinen Schaden anzurichten. Aufgrund dieser Tatsachen, ereignet sich die Suche nach der großen Liebe als äußerst schwierig, denn wie soll der Prinz eine Beziehung führen, wenn seine Liebe früher altert und stirbt als er. Er ist auf ewig dazu verdammt allein zu sein… oder? Jedes Mal, wenn der junge Prinz seinen Geburtstag feierte, lud er sein gesamtes Volk zu sich aufs Schloss ein, um eine unvergessliche Feier zu schmeißen. Auch Freunde und Bekannte aus weiter Ferne reisten herbei, um sich Prinz Phönix die Ehre zu geben. So auch der wohlhabende und galante Lord Dragon VI. zusammen mit seinem Sohn, Prinz Dragon VII. Schon seit Generationen war die Dragon-Dynastie etwas ganz Besonderes. Sie waren stark, furchtlos und stolz, und ihre Körper unzerstörbar. Prinz Phönix und Prinz Dragon verstanden sich auf Anhieb sehr gut. Prinz Phönix war sofort Feuer und Flamme für Prinz Dragon, der schulterlanges schwarzes Haar trug und dessen Augen rubinrot leuchteten. Sein Lächeln würde selbst Steine zum Schmelzen bringen und sein Auftreten, samt seiner Zuvorkommenheit, behagte Prinz Phönix sehr. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“, fragte Prinz Dragon und reichte Prinz Phönix seine rechte Hand, während er sich verbeugte. „Mit dem allergrößten Vergnügen.“ Prinz Phönix nahm die Hand von Prinz Dragon und gemeinsam begaben sie sich Hand in Hand in den großen Ballsaal, an dessen Decke an die fünfzig Kronleuchter befestigt waren und den Saal hell erleuchteten. Während des ganzen Tanzes, sahen die Beiden sich tief in die Augen und sprachen kein Wort miteinander. Es fühlte sich wie ein Traum an, der soeben in Erfüllung gegangen war, dachte sich Prinz Phönix, der sein Glück kaum fassen konnte. Als der Tanz zu Ende war, nahmen die Beiden sich eine kleine Erfrischung, in Form einer Feuerzangenbowle, zu sich. Ja ich weiß, das klingt gerade alles andere als logisch, aber die beiden Prinzen sind nun mal Feuer und Flamme, wenn ihr versteht. Hinterher schlenderten sie hinaus in den Rosengarten des Schlosses und nahmen Platz auf einer weiß gestrichenen Bank, die an einer Hecke stand. In der Ferne hörte man das Zirpen der Grillen und das Quaken von Fröschen, die von dem nicht weit entfernt gelegenen See herdrangen. „Dies ist ein sehr schöner Abend.“, sagte Prinz Dragon. „Ursprünglich hatte ich heute gar nicht vor zu kommen, aber mein Vater überzeugte mich.“ „Und bereust du es?“, fragte Prinz Phönix vorsichtig und unsicher nach. „Keine Sekunde.“, antwortete Prinz Dragon ihm und lächelte. Dann beugte er seinen Kopf zu Prinz Phönix herüber, schloss seine Augen und schenkte ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Es war der glücklichste Moment im Leben von Prinz Phönix und sein Leben war äußerst lang. Doch würde dieses Glück auch auf Dauer sein? Prinz Phönix wollte sich derzeit keinerlei Gedanken dazu machen und das Hier und Jetzt in vollen Zügen genießen. Als die Beiden sich wieder voneinander lösten, griff Prinz Dragon mit beiden Händen um seinen Hals und band sich eine Kette los, die er hinterher behutsam in die Hände von Prinz Phönix lag. An der Kette war ein Amulett befestigt, in dem zwei Symbole eingraviert worden waren – eine weiße Sonne und ein schwarzer Mond. „Ich will dir dieses Amulett zu deinem Geburtstag schenken. Es ist ein Familienerbstück, aber ich weiß, dass es in deinen Händen gut aufgehoben sein wird.“ Prinz Phönix lächelte Prinz Dragon dankbar an und die Beiden küssten sich anschließend noch einmal.
2. Eine andere Welt – Teil 2 Die Tage die darauf folgten, waren unvergesslich für Prinz Phönix. Prinz Dragon blieb noch ein paar Tage auf seinem Schloss, so dass sie viel Zeit miteinander verbringen konnten. Sie saßen mit den Füßen im Wasser taumelnd auf einem kleinen Steg am See, während die Sonne von oben auf sie herab schien. „Hast du Lust zu Schwimmen?“, fragte Prinz Dragon und wartete keine Antwort ab. Ehe sich Prinz Phönix versah, zog Prinz Dragon sich splitterfasernackt aus. Prinz Phönix wurde unweigerlich rot im Gesicht, was sehr mit seinen roten Haaren harmonierte. Prinz Dragon grinste und drehte ihm sein blankes und knackiges Hinterteil zu, ehe er mit einem Luftsprung in den See sprang. „Was ist, kommst du?!“, rief er ihm aus dem Wasser heraus zu, nachdem er sich sein nasses Haar nach hinten schob. Prinz Phönix schmunzelte zunächst, dann zog auch er sich komplett aus und sprang mit einem Hechtsprung ins Wasser. „Wieso hat das so lange gedauert? Etwa wasserscheu?“, fragte Prinz Dragon ihn frech, woraufhin Prinz Phönix sich auf ihn stürzte und sein Kopf kurz unter Wasser drückte. „Boah, das machst du nicht noch einmal!“, rief Prinz Dragon ihm hinterher keuchend zu, allerdings mit einem Lächeln im Gesicht. Es folgte ein kleiner Wasserkampf, bei dem die Beiden sehr viel Spaß miteinander hatten. Der Spaß hatte jedoch ein Ende, als Regina auf dem Steg angelaufen kam. „Mein Prinz, wo bleibt ihr denn nur so lange? Habt ihr etwa vergessen, dass ihr verabredet seid?!“ „V-Verabredet?“, fragte Prinz Dragon verunsichert. „Nicht das was du jetzt denkst.“, sagte Prinz Phönix ganz schnell, während sie Beide zurück ans Ufer schwammen. „Ich bin mit einer Dame verabredet. Den Termin kann ich unmöglich absagen.“ Prinz Phönix war es etwas unangenehm Prinz Dragon sitzen zu lassen, doch die Frau, mit der er sich nun traf, war von enormer Wichtigkeit für ihn. Also begab er sich auf dem schnellsten Weg ins Schloss zurück, wo er in einem kleinen Raum bereits erwartet wurde. Vor einem kleinen Bücherregal stand eine Frau, sie hatte langes schwarzes Haar und ihre Augen waren ungewöhnlich groß, doch sah sie keinerlei komisch aus. Sie trug ein lila-glänzendes und sehr enganliegendes Kleid. Sie lächelte mir verführerisch zu, als ich auf sie zukam. „Es ist schön sie wieder zu sehen Sofia. Ihre Reise in die höchsten Berge war demzufolge erfolgreich?“ „Ich habe ihren Auftrag ausgeführt mein Prinz.“, sagte Sofia und senkte ihren Kopf leicht ehrbietungsvoll. „Das Objekt befindet sich an dem vereinbarten Ort und kann nur mithilfe dieses Kompasses gefunden werden.“ Sofia zog einen kleinen Kompass hervor und überreichte diesen Prinz Phönix. „Bewahren sie den Kompass gut auf, man kann schließlich nie wissen.“ „Ich hoffe inständig, dass ich ihn nie gebrauchen muss.“, sagte Prinz Phönix, während er den Kompass genauestens studierte. Die Kompassnadel zeigte direkt in Richtung der Berge. „Ich danke ihnen von Herzen Sofia. Rufus hat nicht gelogen. Sie sind wie ein schleichender Schatten, der an jedem unbemerkt vorbei kommt und zu hundert Prozent zuverlässig ist.“ Sofia bedankte sich bei Prinz Phönix und wollte zur Tür hinausmarschieren. Doch dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Es freut mich, dass sie jemanden gefunden haben, dem sie ihre Liebe schenken können. Doch wissen sie auch, worauf sie sich da einlassen?“ Sofia sprach unverkennbar von seiner beginnenden Romanze mit Prinz Dragon und ihm war das Problem durchaus bewusst. „Prinz Dragon wird mit jedem Lebensjahr älter und irgendwann wird seine Haut alt und tattrig sein. Sie hingegen mein Prinz, werden zwar auch älter, aber ihr Körper und ihr Geist wird auf ewig jung bleiben. Während Prinz Dragon eines wunderschönen Tages den Tod erleidet, werden sie wieder neugeboren und ihr Leben ohne ihn fortsetzen.“ „Seien sie still! Ich will das nicht hören!“, schrie Prinz Phönix sie plötzlich an, während er seine Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, konnte man in seine nun feuchten Augen blicken. Sein Schrei zeigte allerdings Wirkung, denn Sofia wurde stumm und stand lediglich da. Sie hielt es nicht einmal für angebracht Prinz Phönix in den Arm zu nehmen, ihn zu trösten, oder sich bei ihm zu entschuldigen. „Bis bald mein Prinz.“, verabschiedete sie sich letztendlich und ohne ein weitere Wort, ließ Prinz Phönix sie ziehen.
Als Prinz Phönix in den Rosengarten ging, um nach Prinz Dragon zu sehen, fand er ihn vor dem kleinen Gehege einer dazugehörigen Scheune vor, in der sich die Pferde ausruhten. Mit seiner starken Hand streichelte er sanft über das rosarote Fell eines…Einhorns! Es war tatsächlich ein Einhorn und zudem auch noch rosarot, ist das zu glauben? „Sein Name ist Jay!“, rief Prinz Phönix Prinz Dragon zu und gesellte sich dazu. Auch er fing an, über das rosarote Fell des Einhorns zu streicheln, auf dessen Kopf ein goldenes spitzes Horn herausragte. „In meinem ganzen Leben hab ich noch nie ein so wundervolles Tier gesehen.“, sagte Prinz Dragon, der nur noch Augen für das Einhorn hatte, während Prinz Phönix ihn ausdruckslos anstarrte. „Das Horn ist bestimmt sehr wertvoll, oder?“ „Ja, ist es.“, antwortete Prinz Phönix ihm und entdeckte in Prinz Dragons Augen plötzlich eine ganz andere – ihm noch unbekannte – Seite. Sollte dies keine Luftspiegelung sein, so schienen dessen Augen gerade mächtig zu funkeln. Prinz Phönix bekam ein ungutes Gefühl und wollte schnell das Thema und den Ort wechseln. „Wollen wir vielleicht ins Schloss gehen und uns unterhalten?“ „Warum denn? Heute ist doch so ein schöner sonniger Tag und ich glaube Jay mag mich.“, sagte Prinz Dragon, der dem Einhorn das Maul streichelte. „Jeder Tag ist schön und sonnig und mir wäre es wirklich lieber, wenn wir jetzt wieder ins Schloss gehen, denn ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.“, sagte Prinz Phönix standhaft. „Worüber denn?“, fragte Prinz Dragon ihn verwirrt. „Ich… Es fällt mir wirklich schwer dir das zu sagen…“ Prinz Phönix wollte in aller Ruhe mit Prinz Dragon darüber sprechen, doch dieser wollte nun wissen was los ist und harkte solange nach, bis Prinz Phönix nachgab. „Ich halte es für das Beste, wenn du noch heute abreist und wir uns auch nicht wieder sehen. Das alles hier war von Anfang an ein großer Fehler!“
3. Eine andere Welt – Teil 3 Prinz Dragon war sehr enttäuscht von der Entscheidung die Prinz Phönix fällte. Er hatte sich doch bereits über beide Ohren verliebt und nun soll er abreisen? Doch Prinz Phönix Entscheidung stand fest, wenn sie ihm auch selber nicht leicht fiel. Traurig blickte er der Kutsche hinterher, in der Prinz Dragon abreiste. Wieder war er allein und womöglich für immer. Bereits als kleiner Junge, war Prinz Phönix sich seines einsamen Schicksals bewusst. Sein Butler Rufus saß jeden Abend an seinem Bett und las ihm Märchen aus Büchern vor, ehe er einschlief. „Da kam ein edler Prinz auf seinem weißen Ross herbeigeritten und begutachtete die schlafende Prinzessin in ihrem gläsernen Sarg. Die sieben Zwerge die dabei standen trauerten um die wunderschöne Prinzessin. Doch als der edle Prinz der scheinbar verstorbenen Prinzessin einen Kuss auf die Lippen gab, erwachte sie zu neuem Leben und ritt mit dem Prinzen den Sonnenuntergang entgegen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute in ihrem prachtvollen Schloss am Meer, umgeben von der Natur und ihren Mitbewohnern, den Tieren.“ „Das ist eine sehr schöne Geschichte.“, sagte der kleine Prinz Phönix damals zu seinem Butler. „Rufus? Finde ich, wenn ich groß bin, auch die Liebe meines Lebens?“ Rufus lächelte den kleinen Prinzen zärtlich an. „Ihr wisst doch, mein Prinz, man soll die Hoffnung niemals aufgeben.“ Rufus gab dem Prinzen, der wie ein Sohn für ihn war, einen Kuss auf die Stirn. Dann deckte er ihn mit der Bettdecke zu, machte alle Lichter aus und verließ sein Gemach. Als Prinz Phönix in jener Nacht einschlief, träumte er erstmals von etwas ganz Außergewöhnlichem. Er träumte von einer anderen Welt, in der jeder Mensch irgendwann seine große Liebe fand. Zuerst sah er zwei Jungs im Wald stehen. Der eine Junge hielt ein Eichhörnchen in seinen Händen, während der andere mit Schlamm besudelt war. Dann verschwamm das Bild und er stand zwischen mehreren Menschen die ausgelassen feierten. Zwei Jungs in ihren Anzügen stachen besonders hervor. Der Junge mit dem kurzen blonden Haar, forderte den anderen Jungen zum Tanzen auf. Sie schienen sich gerade auf einer Hochzeit aufzuhalten. Dann verschwamm das Bild erneut und der Prinz konnte einen Jungen dabei beobachten, wie er einen anderen Jungen aus dem Wasser zog und ihm somit das Leben rettete. Der kleine Prinz fragte sich damals natürlich wer diese Jungs waren und wieso sie ihm im Traum erschienen, doch eine Erklärung dafür blieb ihm lange Zeit verwehrt.
Wieder zurück in der Gegenwart stand Prinz Phönix hoch oben am Schlossturm und schaute zum Himmel empor. Es war eine sternenklare Nacht und er konnte eine Sternschnuppe vorbeiflitzen sehen. Der Prinz schloss seine Augen und wünschte sich etwas von ganzen Herzen. Dann begab er sich wieder hinunter und wurde in seinem Gemach bereits von Gisela und Regina erwartet. „Verzeiht die Störung mein Prinz, aber meine Schwester und ich würden euch gerne noch nachträglich ein Geburtstagsgeschenk überreichen.“, sagte Gisela und hielt eine kleine Schatulle in ihren Händen, während Regina etwas schüchtern neben ihr stand. „Es ist nichts Besonderes, aber Rufus hat uns erzählt, dass sie vor kurzem ihre Leidenschaft dafür entdeckt haben.“ Gisela überreichte dem jungen Prinzen die Schatulle und als er sie öffnete, kamen ein Pinsel und Zeichenstift zum Vorschein. „Rufus hat erzählt, sie zeichnen und malen sehr gerne.“, fügte Regina hinzu. Der Prinz lächelte sanft und bedankte sich herzlich bei den beiden Köchinnen mit einer liebevollen Umarmung. Dann verließen die beiden Schwestern sein Gemach und er setzte sich an einen Tisch und zog ein Blatt Pergament hervor, auf dem er sofort den Zeichenstift zum Einsatz brachte.
Am nächsten Morgen kam ein schwarzer Reiter ans Schloss, der den Prinz zu Sprechen erwünschte. Rufus überbrachte Prinz Phönix die Nachricht, der zunächst zögerte. „Sagen sie ihm, dass er sich noch ein wenig gedulden soll und ich gleich runterkomme.“, wies der Prinz seinen Butler an. Er trug noch seinen Morgenmantel und mochte es nicht gerne, bereits so früh gestört zu werden. Er begutachte noch einmal seine Zeichnung vom letzten Abend. Dann klopfte es. Doch das Klopfen kam nicht von der Tür, sondern vom Fenstersims. Eine Person mit schwarzem Umhang schwebte in der Luft und winkte dem Prinzen zu. „Verzeihen sie die Störung. Darf ich eintreten?“ Prinz Phönix fand das Verhalten des Fremden äußerst unsympathisch und aufdringlich. Da es sich aber offenbar um einen Magier handelte, wollte er ihn nicht abweisen und ließ ihn herein. Der Fremde schwebte in das Zimmer und als er mit beiden Beinen auf dem Boden landete, zog er sich seine Kapuze zurück und das Gesicht eines Jungen kam zum Vorschein. Von wegen schwarzer Zauberer – der Junge hatte schneeweißes und kurzes Haar, seine Haut war so rein wie des Prinzen und seine Augen schimmerten saphirblau. Die Stimme des Jungen klang einfach himmlisch und wenn Prinz Phönix es nicht besser wüsste, hätte er den Jungen für einen Engel gehalten. „Wer sind Sie?“, fragte Prinz Phönix den fremden Jungen. „Mein Name ist Seraphiel.“, antwortete der engelhafte Junge ihm. „Ich bin zu euch gekommen um euch mitzuteilen, dass…“ …mein Handy klingelt. Ich schlug das Buch „Der Schattenphönix“ zu und zog mein Handy aus der Hosentasche. „Ja hallo? Ja, hier ist Dominik Rottbach... Wenn sie ein Autogramm wollen, dann wenden sie sich an meinen Manager. Vielen Dank!“ Ich legte wieder auf und war sichtlich genervt von den permanenten Anrufen meiner Fans. Ich saß in meiner eigenen Wohnung, betrachtete das Buch, das vor mir lag und konnte gar nicht glauben was ich dort soeben las. Ich griff mit meiner Hand nach dem Amulett, das um meinen Hals hing. Bis auf den Unterschied, dass es im Buch eine weiße Sonne und ein schwarzer Mond und bei mir genau verkehrt herum war, bestand die Möglichkeit, dass von ein und demselben Amulett die Rede war. Aber das war doch unmöglich…, oder?! Ich las mir den Namen des Autors von „Der Schattenphönix“ durch: Alexander Kinimod! Der Name sagte mir rein gar nichts. Ich bereute es inzwischen, dass ich das Buch, dass mir Oma Forster vor über zwei Jahren schenkte, erst jetzt zu lesen begann, aber ich fand schlicht und einfach nie Zeit dafür. Und jetzt las ich Dinge darin, die mir einen Schauer über den Rücken liefen – allem voran der Traum über den Jungen der einen anderen Jungen aus dem Wasser zog. Dies würde nämlich haargenau auf Marcus und mich zutreffen. Sowas ist aber unmöglich! Das ergab nämlich alles keinen Sinn, da das Buch vor über zwanzig Jahren veröffentlicht wurde. Erneut klingelte mein Handy und wieder ging ich ran. „Ja hallo, ja ich bin Dominik Rottbach und wenn sie ein Autogramm wollen, dann wenden sie sich bitte an meinen Manager.“, ratterte ich inzwischen auswendig herunter. Doch dann horchte ich auf, denn es war kein Fan, sondern meine Mutter.
4. Die Zeiten ändern sich: Nick – Teil 1 Zwei Jahre waren seit der Sonnenfinsternis, der Geburt meines Bruders Felix und dem Tod von Oma Forster vergangen. Vieles in meinem Leben hatte sich geändert. Ich begann ein Buch über meine Erlebnisse zu schreiben und als es in den Handel kam, schoss es von Null auf Platz 1 der Rangliste. Na, bin ich gut oder bin ich gut? Mit dem selbstverdienten Geld konnte ich mir eine eigene Wohnung und meinen Führerschein leisten, den ich gegen eure Erwartungen bestand. Ich war so froh von Zuhause ausgezogen zu sein, denn das Geplärr meines kleinen Bruders ging mir ziemlich auf die Eier. Kann der sich nicht ein Beispiel an mir nehmen? Ich war immer ein Mustersohn! Doch nun befand ich mich mit meinem Auto auf dem Heimweg, nachdem mich meine Mutter anrief. Leider fuhr ich ein wenig zu schnell und es dauerte nicht lange, da hörte ich auch schon hinter mir die Sirenen eines Polizeiautos heulen. Ich hielt rechts am Seitenstreifen, öffnete mein Fenster und blickte in das Gesicht eines mir sehr vertrauten Polizisten. „Einen wunderschönen guten Tag Herr Blum.“ „Schleim mich hier nicht mit deiner vorgeheuchelten Nettigkeit voll Dominik. Diese Masche zieht bei mir nicht.“, erwiderte Herr Blum. „Du bist 15 km/h über der Geschwindigkeitsbegrenzung gefahren.“ „Echt? Waren das so viel?!“, entgegnete ich erstaunt und gewohnt sarkastisch. „Sind sie sicher, dass sie das richtig gesehen haben? Vielleicht sollten sie mal eine Augenoperation in Erwägung ziehen.“ „Okay, das reicht. Fahrzeugpapiere und Führerschein bitte.“, befahl Herr Blum. Mir war klar, dass der Spaß hier zu Ende war. Dennoch wusste ich ein Mittel, wie ich aus der Lage unbeschadet heraus kam. „Hören sie Herr Blum, da sie und meine Mutter nun zusammen sind, also mit allem Pipapo, sprich rumknutschen, Händchen halten, sich gegenseitig befummeln“, Herr Blum verdrehte die Augen und ich verdrängte mein Kopfkino, „sollten sie wissen, dass meine Mutter gerade nach meinem Grandpa sucht, der wieder einmal aus dem Heim entflohen ist. Nur für den Fall, dass sie das interessiert…“ Und wie ihn das interessierte. Mein Plan ging auf und ich grinste innerlich.
„Leopold, du auch hier?!“, fragte meine Mutter ihren – ich nenne ihn einfach mal Liebhaber – während ein Kinderwagen neben ihr stand, in dem mein kleiner Bruder Felix faul rumlag. „Ja und wieso muss ich von deinem respektlosen Sohn erfahren, was geschehen ist?“, erwiderte Herr Blum. „Nur weil ich im Dienst bin, heißt das nicht, dass ich nicht erreichbar bin.“ „Es tut mir Leid. Ich wollte keine große Sache daraus machen. Schließlich ist er nicht das erste Mal weggelaufen. Ich dachte Dominik und ich würden ihn alleine finden.“ „Ja genau, du, ich und der kleine Hosenscheißer im Kinderwagen da.“, äußerte ich mich frech. „Wie lange wird er denn schon vermisst?“, fragte Herr Blum meine Mutter und versuchte nebenbei sie zu beruhigen, in dem er ihre Arme streichelte. Ich bekam Schüttelfrost von dem Anblick. Ich mag Herr Blum und es freut mich, dass meine Mutter wieder jemanden gefunden hat, mit dem sie ihr Leben teilen möchte, dennoch war mir dieser Anblick noch immer unangenehm und ungewohnt. „Er wird bereits seit drei Stunden vermisst. Die Pflegerinnen können sich das auch nicht erklären, wie er entwischen konnte.“, antwortete meine Mutter ihm. „Mach dir keine Sorgen. Wir finden ihn.“, sagte Herr Blum felsenfest überzeugt. „Du und Felix ihr fahrt bei mir im Polizeiauto mit und wir durchsuchen die Gegend. Dominik wird in die Innenstadt fahren und dort nach ihm suchen. Sind alle damit einverstanden?“ Ich nickte und fragte mich gerade was lauter ist: Die Sirenen eines Polizeiautos, oder mein kleiner plärrender Bruder?
Als ich in der Innenstadt ankam, waren alle Parkplätze besetzt, also nahm ich mir einen im Halteverbot und hoffte, dass ich wenigstens einmal heute Glück hatte. Es war Mitte Juli und wir hatten das schönste Sommerwetter, dafür aber auch volle Fußwege. Die Menschen liefen mit ihren Sonnenhüten und Sonnenbrillen umher, während sie unterwegs zum shoppen waren. Kleiner Kinder quengelten ihre Eltern an, sie hätte gerne ein Eis, aus der überteuerten Eisdiele. Ich quetschte mich durch die Passanten hindurch und hielt nebenbei Ausschau nach meinem Opa. Ich betete, dass wir ihn schnell finden würden, denn er war nicht in der besten Verfassung. Alles begann im April letzten Jahres, als er lediglich vergas, wo er seine Brille vorm Schlafengehen hingelegt hatte. Dabei lag sie wie immer auf seinem Nachtkästchen. Doch dies war nur einer von mehreren Fällen. Einmal war er zum Einkaufen zum neuen Kaufhaus neben dem Skatepark gefahren und wusste hinterher nicht mehr, wo er das Auto abgestellt hatte. Gut, das ergeht vielleicht vielen Menschen so, aber aufgrund dieser und noch einiger anderer Vorfälle, ließ er sich eines Tages von einem Arzt untersuchen und es stellte sich heraus, dass mein Opa an Demenz litt. Meine Mutter und mich traf es wie ein Schlag ins Gesicht, denn noch ein weiteres Familienmitglied in so kurzer Zeit zu verlieren, würden wir nicht verkraften. Da meine Mutter mit meinem kleinen Bruder aber schon genug ausgelastet war, sorgten wir dafür, dass mein Opa in einem Heim unterkam, wo er rund um die Uhr betreut wurde – allerdings schlampig wie ihr seht. Da er nämlich immer wieder vergaß, wie er dorthin kam, büxte er gelegentlich aus. Die ganze Situation stimmte mich traurig, denn ich hatte meinen Opa sehr lieb und wollte ihn um keinen Preis verlieren. Ich suchte die ganze Innenstadt ab, doch blieb meine Suche erfolglos. Niedergeschlagen begab ich mich zurück zu meinem Auto, als das Glück schließlich doch noch auf meiner Seite war. Ich entdeckte meinen Opa auf einer Bank sitzend. Bei ihm standen zwei Jungs – einer davon war Lars Birnbaum. „Sie müssen hier bleiben Herr Rottbach. Ich werde ihre Familie kontaktieren.“, sagte Lars zu ihm, während er sein Handy ans Ohr hielt. „Das musst du nicht mehr Lars, ich bin schon da.“, sagte ich herbeiflitzend und setzte mich neben meinen Opa, der mit einem leeren Blick zum Himmel empor blickte. „Ich war gerade mit meinem Freund Benni unterwegs ins Freibad, als ich deinen Opa entdeckte. Du hast mir ja mal erzählt, dass er an Demenz litt, da wollte ich dich sofort anrufen.“, erklärte Lars mir. „Vielen Dank euch Beiden.“, sagte ich lächelnd zu ihnen und begutachtete dabei auch Lars Freund. Die Beiden schienen richtig glücklich miteinander zu sein. Danach wandte ich mich wieder an meinen Opa. „Grandpa, was machst du denn für Sachen. Du darfst doch nicht einfach abhauen.“ Mein Opa blickte mich schließlich an und sagte mit leicht zittriger Stimme: „A-Aber ich m-muss doch zu dem S-Schloss.“ Ich blickte meinen Opa verwirrt an. „I-Ich muss z-zum Schloss Phönix.“ Noch während mein Opa diese Worte sprach, fuhr ein Abschlepptransporter mit meinem Auto an uns vorbei. Ich ließ meinen Kopf sinken und dachte mir – Scheiße!
5. Die Zeiten ändern sich: Leon – Teil 2 „Einen wunderschönen guten Tag. Mein Name Chloé Fontaine und ich berichte ihnen heute live aus Paris, aus dem Musée d’Orsay, in dem ein talentierter Nachwuchskünstler seine neuesten Werke präsentiert.“, sagte eine französische Reporterin in die Kamera, während sie ein Mikrofon in den Händen hielt. „Der Nachwuchskünstler heißt Leon Schopp und zog vor etwa drei Jahren von Deutschland hierher, um an einer privaten Kunstakademie zu studieren. Sein großes Talent wurde für die Professoren schnell sichtbar und so mauserte sich Leon Schopp in nur kürzester Zeit zum neuen Star am Kunsthimmel. Ich habe nun die Ehre, ein Live-Interview mit dem jungen Mann zu führen. Herr Schopp, wie fühlen sie sich jetzt, wo ihre neusten Werke in einem der berühmtesten Museen von Paris ausgestellt werden?“ Meine Hände zitterten, doch damit es nicht so auffiel, schob ich mir alle zehn Sekunden mein schulterlanges schwarzes Haar hinter die Ohren. „Es fühlt sich sehr gut an.“, antwortete ich der Reporterin lediglich. Ich hasste Interviews, doch wollte ich nicht unhöflich sein. Außerdem würde ich so noch größere Bekanntheit erlangen, was ich mir keineswegs entgehen lassen durfte. „Können sie bitte kurz auf ihre neuesten Werke eingehen.“, bat mich Chloé Fontaine, während sie mir ihr Mikrofon ein wenig aufdringlich unter die Nase hielt. „Also es sind insgesamt sieben einzelne Bilder, die aber miteinander verwoben sind.“, antwortete ich ihr und zeigte dabei auf meine Bilder an der Wand. „Das erste Bild zeigt einen Jungen im Kunstseminar, wo er ein unbekleidetes männliches Model abzeichnen soll. Dabei spürt er das erste Mal seltsame Schwingungen. Das zweite Bild zeigt den Jungen dabei, wie er sich nach diesem männlichen Model sehnt und Schmetterlinge in seinem Bauch spürt. Das dritte Bild zeigt die beiden Jungs, wie sie sich zum ersten Mal küssen und der Junge verwirrt ist, da er immer geglaubt hat, er wäre heterosexuell. Das vierte Bild zeigt den Jungen, wie er sich bei seinem besten Freund outet, dieser ihn aber von sich stößt. Dabei zerbricht ihre Freundschaft. Das fünfte Bild zeigt die beiden Jungs dann in intimer Stellung. Der Junge vergisst alle Hemmungen und versucht sich zu entspannen. Das sechste Bild zeigt dann, wie das männliche Model dem Jungen seine Liebe gesteht und ihm zum Tanzen auffordert und das siebte und letzte Bild zeigt erneut beide Jungs. Der Junge lässt das männliche Model gehen, da dieser sich in einen anderen Jungen verliebt hat und er selber sich noch nicht für eine derartige Beziehung bereit fühlt.“ „Das klingt aber nach einer sehr traurigen Geschichte.“, sagte Cloé Fontaine leicht betrübt. „Es geht das Gerücht um, dass diese Bilder auf wahre Begebenheiten beruhen. Stimmt dieses Gerücht?“ „Ich kann nur so viel sagen, dass…“, begann ich zu antworteten und versuchte mir schnell eine plausible Ausrede im Kopf zurecht zu legen. Diese Reporter sind aber auch aufdringlich… Ich konnte meinen Satz allerdings nicht zu Ende sagen, denn jemand sprach dazwischen. „Mein Schüler wird ihnen keine weiteren Auskünfte mehr geben.“ Die Reporterin und ich drehten uns zur Seite und blickten denselben Mann an. Ich lächelte, denn es war Shane West. „Sind sie nicht sein Mentor Professor Shane West und haben ihm nicht erst die Chance geboten, in Frankreich auf einer privaten Kunstakademie studieren zu können?“, fragte Frau Fontaine ihn nun. „Ja, der bin ich, aber nun entschuldigen sie uns, es warten noch andere Gäste.“, antwortete Shane ihr leicht unfreundlich, packte mich am Ärmel und zog mich beiseite.
Als der ganze Trubel um meine neuen Kunstwerke zu Ende war, ging ich in meine Suite, die hell beleuchtet war. Es war ein kleines und bescheidenes Zimmer mit einem großen Fenster und einem Balkon. Am Fenster hingen grau-weiße Gardinen und auch die Bettwäsche war weiß. Schräg gegenüber von meinem Bett stand noch eine Couch, in der ich es mir abends gelegentlich gemütlich machte und mir französische Sender im Fernsehen ansah. Auch ein Zeichentisch mit Drehstuhl befand sich im Raum, auf dem eine kleine Schatulle lag, in der meine magischen Kunstutensilien lagen. Shane folgte mir in meine Suite. „Musstest du zu der Reporterin gleich so unhöflich sein?“, fragte ich ihn, während ich mein Jackett aufs Bett warf und, mir meine Ärmel hochkrempelte. „Ja musste ich, denn du bist viel zu gutmütig und leichtgläubig. Da muss dich irgendwer vor deinen Dummheiten bewahren.“, erwiderte Shane und in mir begann ein Vulkan zu brodeln. „Hör auf mich zu bevormunden. Ich bin kein kleines Kind mehr.“, entgegnete ich wütend und drehte mich zu ihm um. „Nur weil du mein Mentor bist, hast du kein Recht, so über mich zu reden.“ Shane guckte mich böse funkelnd an, während er langsam auf mich zutrat. Doch dann huschte ein Grinsen über sein Gesicht und im nächsten Moment küsste er mich auf den Mund. „Du bist süß, wenn du dich aufregst.“, sagte er hinterher breit grinsend und ich wurde rot im Gesicht. „Ich bin nicht süß.“, nuschelte ich in meinen Dreitagebart hinein, der mich erwachsener aussehen ließ. Ich hatte die letzten Tage keine Zeit mich zu rasieren, also ließ ich ihn fürs Erste dran. Shane lächelte mich weiterhin an, während er auf den Balkon rausging um eine Zigarette zu rauchen. Ich schaute ihm hinterher und erinnerte mich an die letzten Jahre hier in Frankreich zurück. Damals reiste ich ganz alleine hierher und studierte an der privaten Kunstakademie, für die Shane mich bewarb. Es war ein halbes Jahr vergangen, als Shane mich dann überraschend besuchte und mir erklärte, dass er nun mein Kunstprofessor und Mentor sei. Ich war erfreut, denn es gab keinen Besseren als ihn. Er war streng, aber auch gerecht und wollte stets das Beste für seine Studenten. Wir gingen ein paar Mal aus – ins Kino, in ein französisches Restaurant, auf den Eiffelturm, ja sogar in die Oper – bis wir uns eines Abends das erste Mal küssten und eine Affäre begannen. Auch hier war es nämlich nicht gern gesehen, wenn der Professor etwas mit einem seiner Studenten am Laufen hatte. Doch ich mochte Shane und er mochte mich, also gingen wir dieses Abenteuer gemeinsam ein, das bis heute standhält. „Ich wurde heute übrigens von einer Frau aus Deutschland angerufen, die dich und dein Talent gerne buchen würde.“, sagte Shane zu mir, als er vom Rauchen zurückkam und die Balkontür schloss. „Sie würde sich sehr über dein baldiges Kommen freuen und dich auch reichlich dafür bezahlen.“ „Du weißt doch, dass mir Geld nicht so wichtig ist.“, erwiderte ich gelangweilt. „Das hab ich zu ihr auch gesagt. Dann hat sie gesagt, solltest du dies sagen, soll ich dir sagen, dass sie dein Geheimnis kennt und du lieber nicht ausschlagen solltest.“, erzählte Shane weiter. Das klang beinahe wie eine Drohung… „Hat dir diese Frau auch ihren Namen genannt?“, fragte ich. „Nein, aber sie hat mir ihre Adresse durchgegeben und gemeint, dass du es dir gut überlegen sollst.“, antwortete Shane und überreichte mir dabei einen kleinen weißen Zettel, auf dem die Adresse geschrieben stand. „Ich kenn dein Geheimnis und ich weiß, dass ein paar deiner Freunde dein Geheimnis kennen, aber woher weiß die Frau davon?“ „Noch ist nicht sicher, ob sie irgendetwas weiß!“, entgegnete ich laut. Shane schien scharf nachzudenken und ich konnte mir genau vorstellen, was jetzt gleich kommt. „Sag mal Leon…, du hast deine magischen Kunstutensilien aber nicht wieder benutzt oder?!“ „Was nein?!“, antwortete ich ihm schockiert. „Du weißt doch genau, dass ich alles um mich herum vergesse, wenn ich sie einsetze. Außerdem will ich auf ehrliche Art und Weise berühmt werden.“ „Gut…, dass freut mich sehr.“, sagte Shane, dem sichtlich ein Stein vom Herzen fiel. Dann gab er mir nochmals einen Kuss auf den Mund und dieses Mal hielt er länger an. „Und gehst du hin?“ Ich hielt nach wie vor den Zettel in meinen Händen und begutachtete die Adresse – Schlosshotel Phönix. „Ich weiß es noch nicht.“, antwortete ich ihm unschlüssig, denn offen gesagt, war mir dies auch egal. Ich legte den Zettel auf eine Kommode und schnappte mir Shane mit einem Lächeln im Gesicht. „Ich will erstmal was ganz anderes.“, sagte ich zu ihm und zog ihn mit auf das große Bett, wo wir uns wieder innig küssten und uns schon bald die Kleidung vom Leib rissen.
6. Die Zeiten ändern sich: Max & Zack – Teil 3 Wenn die Menschen mich im Sommer auf der Straße sehen, dann denken sie sofort, dass ich ein cooler Rocker bin, der kifft, säuft und keinerlei Regeln befolgt. Wieso ich das denke? Trotz meiner großen Augen, die mich gutmütig erscheinen ließen, waren es allen voran meine vielen Tattoos, die den Menschen Vorurteile in den Kopf bohrten. In den letzten Jahren ließ ich mir noch einige neue Tattoos auf meinen Körper stechen und sogar ausmalen. Inzwischen waren meine komplette Brust und mein rechter Arm mit Tattoos übersät und auch hinten weiter unten befand sich Eines. Ob ich verrückt bin? Womöglich…, ich finde mich sehr oft in Situationen wieder, die verrückt erscheinen. In meiner Jugend griff ich zu Drogen und nahm an waghalsigen Aktionen wie U-Bahn-Rennen teil. Vor drei Jahren flog ich mit meinem besten Kumpel Zack nach Spanien und wir führten eine Beziehung – zumindest für kurze Zeit. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Zack und ich so etwas wie eine Beziehung miteinander führen könnten, dafür war er einfach nicht der Typ für. Außerdem waren wir immer wie Brüder zueinander, auch wenn er in einer reichen Snob-Familie aufwuchs und ich in einer Pflegefamilie, nachdem mich meine Mutter als Baby vor dem Waisenhaus absetzte. Mal ehrlich – unterschiedlicher können die Lebensverhältnisse doch gar nicht sein oder?! Jedenfalls hielt unsere Beziehung nicht sehr lange. Ich war mit meinen Gedanken immer wo anders und er war mit seinen Händen immer wieder bei anderen Jungs und Mädchen. Noch eine verrückte Idee: Wir beschlossen schließlich eine offene Beziehung zu führen und das lief bisher so gut, dass sie bis zum heutigen Tage noch standhielt. Eines Tages sagten wir dem warmen Spanien aber Adios und dem kalten Deutschland wieder Hallo. Ich saß an meinem Schreibtisch und starrte in meinen Laptop vor mir, der mir ein leeres weißes Blatt Papier anzeigte. Dabei konnte ich deutlich erkennen, wie die Bräune an meinen Armen fast gänzlich verschwunden war. Zu meinen Füßen spürte ich ein flauschiges Fell und ein Schnurren, das von meinem Kater Gero stammte, der wieder einmal nur faul rumlag. Kater müsste man sein, denn ich darf darüber nachgrübeln, wie meine Bachelor-Arbeit aussehen soll. Da wartet eine Menge Arbeit auf mich… Mein Handy, das zu meiner rechten lag, fing zu vibrieren an und zeigte den Namen meiner besten Freundin Fiona auf dem Display an. Vermutlich wollte sie wieder ihren Frust an mir auslassen, dass sich ihr Liebesleben in einem Tief befindet. Als guter Freund höre ich auch gerne zu, doch nicht auch noch beim gefühlt hundertsten Mal. Ich hab schließlich auch noch andere Dinge zu tun… Mein Handy vibrierte weiter und weiter… die Frau gibt wohl niemals auf was? Schlussendlich gab ich nach, da mir ohnehin die Konzentration für die Bachelor-Arbeit fehlte und nahm den Hörer ab. „Hey Fiona, was gibt es?“ „Ich hab gerade meinen absoluten Tiefpunkt erreicht.“, sagte sie in einem eiskalten Ton. „Ja das weiß ich schon.“, erwiderte ich recht gelangweilt und drehte mich dabei ein wenig auf meinem Stuhl. „Maria hat dich abserviert, du warst sauer und hast ihr unzählige Flüche an den Kopf geworfen und nun fühlst du dich einsam und willst, dass ich mit dir Pizza esse. Stimmt´s?“ „Davon rede ich doch gar nicht du Dummkopf!“, rief mir Fiona im Hörer entgegen. „Ich rede von meinem Friseurtermin, den ich soeben hatte. Ich ließ mir meine lange Mähne abschneiden!“ „Du hast was?!“, entgegnete ich leicht erschüttert, aber auch belustigt. „Das ist nicht witzig!“, schrie sie mich an. „Schon gut, schon gut, tut mir Leid.“ Doch konnte ich mir mein Lachen nur schwer verkneifen. Ich drehte mich auf dem Stuhl weiterhin hin und her, als etwas anderes meinen Blick auf sich zog. „Du Fiona, ich muss jetzt Schluss machen. Tut mir wirklich wahnsinnig Leid mit deinen Haaren. Ich schließe sie bei der nächstbesten Gelegenheit in meine Gebete mit ein.“ „Nein du legst jetzt nicht auf und seit wann bist du eigentlich religiös…?“ Doch da hatte ich auch schon aufgelegt und streckte meine Hand nach etwas Rundem aus, das meinen Blick auf sich zog.
Ich stieg aus dem Fahrstuhl aus und marschierte an mehreren Bürotischen, samt ihren Computern und Druckern vorbei, bis ich an einer blauen Tür ankam. An der Wand daneben war ein kleines Schild angebracht, auf der Zacharias Tanner geschrieben stand. Ich klopfte zweimal und nur nach wenigen Sekunden vernahm ich von Drinnen ein Herein. Als ich das Büro meines besten Freundes betrat, fielen einem als erstes die großen Büroschränke ins Auge. Dazwischen befand sich ein großer breiter Bürotisch, auf dem sich allerlei Papierkram stapelte. Zack saß in einem bequemen Lederstuhl, während ihm von hinten die Sonne durch die großen Fenster hereinschien und ihm reichlich Licht spendete. Er trug einen äußerst galanten schwarzen Anzug, mit blauer Krawatte. Sein blondes Haar war hochgestylt und eigentlich sah er so ziemlich scharf aus, wenn das Ganze nicht einen Haken hätte. „Hey, na du Workaholic.“, sagte ich sarkastisch gelaunt zu ihm und setzte mich in den Stuhl ihm gegenüber. „Was machst du denn hier?“, fragte er mich ganz erstaunt. „Du kommst mich hier doch so gut wie nie besuchen, außer dem einen Mal, wo ich dir meinen Arbeitsplatz zeigte.“ „Wenn ich dich nicht besuchen komme, dann sehe ich dich ja nie.“, erwiderte ich weiterhin sarkastisch. „Du arbeitest so viel, dass du gar keine Zeit mehr für deine Freunde hast.“ „Hör ich da einen kleinen Vorwurf heraus?“, fragte Zack mich. „Du weißt doch, dass mir die Arbeit hier Spaß macht. Außerdem hatte ich keine andere Wahl…“ „Als doch noch in die Firma deines Vaters einzusteigen? Na herzlichen Glückwunsch.“, sagte ich. „Was hätte ich denn tun sollen?!“, fragte mich Zack nun gereizt, denn dieses Thema hatten wir schon so oft. „Nach dem Herzinfarkt meines Vaters, brauchte er jemanden, der sich um die Geschäfte hier kümmert. Hätte ich ihn und damit auch meine Familie in Stich lassen sollen?“ „Lass uns nicht weiter darüber reden. Du kennst meinen Standpunkt und ich deinen, alles andere führt nur wieder zu Streit.“, sagte ich schließlich und gab nach. „Ich bin auch nicht deswegen hier.“ „Sondern?“, fragte Zack mich, während er kurz etwas in seinen Computer eingab. Bevor ich in Erklärungen ausbrach, legte ich ihm meinen Kompass auf den Tisch, der sich unaufhörlich zu drehen schien. „Das macht er jetzt schon eine ganze Zeit lang und nur zu jeder vollen Minute hält er kurz an und zeigt in eine bestimmte Richtung.“ „Das ist… eigenartig.“, erwiderte Zack, der nur einmal kurz hinsah und sich danach wieder seiner Arbeit widmete. „Ist das der Kompass aus dem Mystic-Shop?“ „Ja ist er und da ich der Sache auf den Grund gehen möchte, wollte ich dich fragen, ob du mich eventuell begleiten könntest. Du arbeitest jetzt seit über einem Jahr in der Firma deines Vaters, fast ohne jeglichen Urlaub, dreizehn Stunden am Tag. Irgendwann reicht es doch, oder?!“, sagte ich. „Ich kann hier nicht weg, dass weißt du doch…“, erklärte Zack mir, doch das war mir herzlich egal. „Verdammt Zack, willst du wirklich zu dem werden, was dein Vater geworden ist?!“, schrie ich ihn etwas lauter an – ungewollt, aber vielleicht zeigte dies ja Wirkung bei ihm. „Das ist nicht fair…“, entgegnete Zack und blickte mich wütend an. „Bitte begleite mich.“, bat ich ihn nun etwas höflicher und sah ihn mit meinem Dackelblick an. Zack schien mit sich zu hadern. Ich glaube, dass er sogar sehr gerne mit mir mitkommen würde, er sich aber seinem Vater verpflichtet fühlt. Früher oder später, wird dies ihm das Genick brechen… „Ich will nicht, dass du dich zwischen mir und deiner Familie entscheiden musst, denn du warst immer für mich da…, aber wenn du mich begleiten willst, weißt du ja wo du mich findest.“ Ich stand vom Stuhl auf und marschierte mit einem letzten Blick auf meinen besten Freund zur Tür hinaus.
7. Die Zeiten ändern sich: Justin – Teil 4 Ich ging über die nasse Felsenformation und auf das Ende des Geheges zu. Hinter mir hörte ich ein Watscheln und als ich mich umdrehte, blickte ich auf einen süßen Pinguin hinab, der mich von unten herauf ansah. „Ich hab keinen Fisch mehr. Du und deine Freunde haben alle aufgegessen.“, sagte ich zu ihm und ich konnte beobachten, wie mich der Pinguin traurig ansah. „Das nächste Mal bring ich noch mehr Fische mit, okay? Und für dich einen besonders Großen!“ Der Pinguin gab einen erfreuten Laut von sich und watschelte zurück zu seinen Artgenossen. Sie stellten sich in einer Reihe auf und sprangen nacheinander ins kühle Wasser. Das wunderschöne Wetter lockte auch dieses Jahr wieder sehr viele Zoobesucher an, vor allem Eltern mit ihren kleinen Kindern. Ich sperrte das Gehege hinter mir ab und marschierte zum Vogelhaus, wo ich eine Verabredung hatte. Als ich dort ankam hörte ich das Zwitschern der Vögel. Ich war ein bisschen zu früh dran, also wartete ich auf meine Verabredung und stolzierte ein wenig im Vogelhaus umher. Vor dem Papageienkäfig blieb ich allerdings stehen, denn ein anderer Junge zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Junge hatte strahlend blaues Haar, einen dunklen Teint und wirkte auf den ersten Blick durchweg sympathisch, ohne dass ich ihn überhaupt kannte. Der Junge kam zu meiner Freude auf mich zumarschiert, nachdem er mich erblickte und stellte mir eine höchst interessante, aber auch eigenartige Frage: „Guten Tag, du arbeitest hier im Zoo oder? Weißt du etwas über den Feuervogel Phönix, denn das ist mein absoluter Lieblingsvogel.“ Ich blickte den Jungen überrascht und wortlos an. Der wiederrum lächelte unentwegt und ich fragte mich schon, ob ich Fischreste im Gesicht kleben hatte. Als ich meine Schüchternheit schließlich ablegte, sagte ich: „Du interessierst dich für eine Sagengestalt? Ich weiß nur, dass der Phönix, wenn er stirbt, sich zu Asche verwandelt und kurz darauf wieder neu zum Leben erwacht.“ „Vielen Dank.“, sagte der Junge höflich und ging ohne ein weiteres Wort, aber mit einem Lächeln im Gesicht davon. Dabei kam er auch an meiner Verabredung vorbei, die endlich eintraf. Anthony saß in seinem Rollstuhl und blickte den blauhaarigen Jungen hinterher. „Hast du einen neuen Verehrer?“ Wieder wurde ich rot im Gesicht. „Erzähl nicht so ein Quatsch, natürlich nicht!“ Anthony grinste mich an, was seltsam bei ihm aussah, da er nur selten ein heiteres Gesicht auflegte. „Wieso wirst du denn so rot im Gesicht? Ich würde es mir für dich wünschen, wenn du wieder jemanden hättest, mit dem du dich glücklich fühlst. Deine letzte Beziehung liegt jetzt schon wie lange zurück?“, fragte Anthony mich und da musste ich nicht lange überlegen. „Ziemlich genau viereinhalb Jahre – das war meine Beziehung mit Bobby damals.“, antwortete ich ihm ein wenig deprimiert. Seit damals hatte ich keinerlei Beziehung mehr, auch wenn das ein oder andere Mädchen, oder der ein oder andere Junge ein Flirtversuch bei mir gewagt hatte. Doch an diesen Jungs hatte ich keinerlei Interesse und an den Mädchen erst recht nicht. „Du wolltest dich mit mir hier treffen. Also was gibt es?“, fragte ich Anthony schließlich. „Das würde ich dir viel lieber zeigen. Komm mit!“, forderte er mich auf und fuhr mit seinem Rollstuhl voraus, während ich hinter ihm her schlurfte. Wir verließen das Vogelhaus und durchquerten den Zoo, bis wir an einem großen Gehege ankamen. Inzwischen ging die Abendsonne bereits unter und die Bäume in dem Gehege spendeten Schatten vor der Hitze. Anthony und ich betraten das Gehege, in dem früher die Bisons grasten, die wir aber erst vor ein paar Monaten in ein anderes Gehege verlegten. Ich dachte dieses Gehege wäre leer und war umso überraschter, als ich eine Herde Wildpferde über das Gras galoppieren sah. Zu meiner großen Freude befand sich auch mein bester Freund Whisper, ein schönes weißes Ross, unter diesen Pferden. Stolz und edel galoppierte er mit den anderen Pferden durch das Gehege und ein Glücksgefühl breitete sich in mir aus. „Du hast ihn hierher verlegen lassen?“, fragte ich Anthony. „Überraschung!“, riefen auf einmal mehrere Personen gleichzeitig. Es waren Anthony, meine beste Freundin Anja, ihr Ehemann Paul und mein Vater, der mich sofort in seine Arme nahm und mir herzlichst zum 23.Geburtstag gratulierte. „Alles Gute mein Sohn!“, rief er mir stolz zu. „Du meine Güte, meinen Geburtstag hab ich glatt vergessen.“, murmelte ich leicht verlegen. „Ich weiß und deshalb war es ideal für eine Überraschungsparty.“, zwinkerte mir Anja zu, die mich ebenfalls gratulierend in die Arme nahm. Nach ihr gratulierte mir auch Paul recht herzlich, dem ich für so vieles dankbar war. Er und Anja nahmen mich vor über vier Jahren bei sich auf und brachten mir im Laufe der Jahre das Lesen und Schreiben bei, das ich inzwischen auch beherrschte. Mein Vater trat damals einen Alkoholentzug an und als er davon endlich loskam, war er wieder derselbe liebevolle Vater aus meiner Kindheit, den ich so sehr vermisst hatte. Die letzten paar Jahre waren so herrlich schön. Mein Vater und ich vertrugen uns wieder miteinander und zogen zusammen in eine neue, sehr schöne und einladende Wohnung. Er widmete sich wieder seinem alten Hobby, dem Fotografieren von Tieren und verdiente damit ab sofort sein Geld, während ich weiterhin im Zoo arbeitete und mittels meiner Gabe sehr viel Gutes für die Tiere vollbringen konnte. Mein Vater, Anja, Paul und Anthony wussten von meiner Gabe, mit Tieren zu sprechen, Bescheid und so musste ich mich nicht mehr groß verstecken oder mich in ihrer Nähe verstellen. Ich fühlte mich frei! Wir feierten meinen Geburtstag im Pferde-Gehege und im Schutze der Natur. Paul stand am Grill und brutzelte uns ein paar saftige Steaks heraus. „Keine Angst, kein Pferdefleisch!“, rief er mich lachend zu, während ich zusammen mit allen Anderen an einer Biertischgarnitur saß und ausgelassen feierte. „Ich finde es wird langsam an der Zeit, dass du mal hier rauskommst und dein eigenes Leben lebst.“, sagte Anja zu mir und ich verdrehte die Augen, da wir dieses Thema bereits zur Genüge ausdiskutiert hatten. „Du willst doch nicht für den Rest deines Lebens hier im Zoo arbeiten, Justin!“ „Was soll ich denn sonst machen?!“, erwiderte ich. „Studieren kann und will ich nicht und ich liebe nun einmal Tiere.“ „Dann dürfte das hier, vielleicht dein Interesse wecken.“, mischte sich mein Vater ein und schob mir einen weißen Umschlag entgegen. Ich öffnete den Umschlag und zog daraus ein Foto hervor, auf dem ein Schloss, inmitten eines Waldes und umgeben von Bergen und einem See, abgebildet war. „Das ist das Schlosshotel Phönix und laut einiger Aussagen, leiden die Tiere in der Umgebung an einer unbekannten und unheilbaren Krankheit.“, erklärte mir mein Vater. „Mit deiner Gabe könntest du vielleicht mehr als jeder noch so professionelle Tierarzt herausfinden.“ „Ich stelle dich gerne von deiner Arbeit frei Justin.“, sagte Anthony. „Deine Entscheidung, ob du dort hin möchtest und der Sache auf den Grund gehst.“ Ich blickte meinen Vater und meine Freunde abwechselnd an. Sie waren alle so lieb und verrückt zugleich. „Also schön, ich nehme den Auftrag an und werde euch nicht enttäuschen!“
8. Die Zeiten ändern sich: Tobias & Bobby – Teil 5 Ich stand vor dem Spiegel und rückte mir meine grüne Krawatte zurecht. Auch meine Frisur nahm ich noch einmal in Augenschein, denn heute musste einfach alles perfekt sitzen. Noch ein wenig Parfüm aufgesprüht… „Tobias, ich denke das reicht jetzt.“, sagte eine Stimme hinter mir und als ich mich umdrehte, schaute mir meine beste Freundin Nina aus meinem Laptop entgegen, der auf meinem Bett lag. Sie befand sich gerade in Amerika und wir hielten eine Videokonferenz ab, da ich ihren Beistand für heute Abend bitter nötig hatte. „Heute Abend muss einfach alles perfekt sein.“, sagte ich zur ihr sichtlich nervös. „Du siehst aber umwerfend aus.“, erwiderte Nina lächelnd. „Wenn Bobby dich so sieht, würde es mich nicht wundern, wenn er dir auf der Stelle die Kleidung vom Leib reist.“ „Das wäre aber schlecht, denn ich will ihm zuvor ja einen Heiratsantrag machen.“, erklärte ich ihr und lugte auf meinen schwarzen Anzug hinunter, um sicherzugehen, dass dieser keine Falten hatte. „Ich wünsch dir vieeeeel Erfolg, wird schon gut gehen!“, rief mir Nina freudig entgegen. „Berichte mir hinterher jede Einzelheit. Am besten nimmst du Bobbys Gesichtsausdruck auf Video auf.“
Ich klingelte an der Haustür von Familie Forster und Bobbys kleine Schwester Annie, die inzwischen 13 Jahre alt war, öffnete mir die Türe. „Hallo Annie, lange nicht gesehen. Du hast dich ja inzwischen zu einer richtigen Frau entwickelt.“ Ich machte Annie ein wahres Kompliment, denn ihre weiblichen Züge nahmen deutlich Gestalt an. Die Kinder heutzutage werden immer frühreifer. „Bobby, dein gutaussehender Verehrer ist da und baggert mich an!“, rief Annie die Treppe hinauf und ich wurde rot im Gesicht, musste aber auch grinsen. „Er kommt gleich.“, beruhigte Annie mich. „Er wusste bis gerade eben noch nicht, was er anziehen soll. Ich hab ihm gesagt, dass dies gar nicht so wichtig sei, da ihr euch eure Klamotten später sowieso gegenseitig vom Leib reist, da wurde er rot im Gesicht – genau wie du gerade eben.“ Ich grinste Annie leicht beschämt an. Ich hörte, wie Bobby die Treppe runterstolziert kam. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit rosa Krawatte – er sah nie schwuler aus und mein Grinsen wurde gleich noch breiter. „Du siehst wundervoll aus.“, sagte ich strahlend zu ihm und seine Gesichtsfarbe passte sich seiner Krawatte an. „Schöne Grüße von meinen Eltern soll ich dir ausrichten. Sie sind vor einer halben Stunde zu ihrem Tanzabend aufgebrochen.“, sagte er zu mir, als ich Husky Timo aus der Küche laut bellen hörte. „Ich glaube Timo hat Hunger. Gibst du ihm sein Fressen, Annie?“ Nachdem Annie ihrem Bruder zunickte, hielt Bobby mir seinen rechten Arm hin, in dem ich mich zugleich einhakte. „Viel Spaß euch Beiden und stellt nichts Unanständiges an!“, rief uns Annie hinterher.
Bobby und ich gingen gemeinsam in ein sehr bekanntes und beliebtes Restaurant unserer Kleinstadt. Es war Freitagabend und bereits recht voll, doch ich hatte bereits Vorkehrungen getroffen. Ein schlanker Kellner so Ende zwanzig glitt auf uns zu und hieß und herzlich Willkommen. „Einen wunderschönen guten Abend. Einer von ihnen muss Herr Hennig sein, der einen Tisch für Zwei reserviert hat.“ Ich nickte und erklärte dem Ober, dass ich derjenige gewesen war. „Wie bezaubernd. Dies wird ein hinreißender Abend. Mein Name ist Fernando, wenn sie mir bitte folgen würden.“ Wir folgten dem Ober, der uns zu unserem Tisch führte. Ich griff mit meiner linken Hand in meine Hosentasche und vergewisserte mich, dass der Verlobungsring noch da war, den ich vor ein paar Tagen in einem Juweliergeschäft kaufte. Als Bobby und ich unsere Plätze einnahmen, zwinkerte ich dem Ober zu und hoffte, dass er sich an unsere Abmachung hielt, die wir zuvor am Telefon ausmachten. „Wenn ich ihnen etwas empfehlen dürfte. Für zwei süße Zuckerherzen wie euch Beide haben wir ein ganz besonderes Menü auf unserer Speisekarte: Sex on the Stomach.“, schlug uns Fernando vor und Bobby sah mich angewidert und belustigt zugleich an. „Das klingt…äh… sehr verlockend.“, sagte ich nach einer peinlichen Stille und blickte zu Bobby. „Ich denke mein Freund und ich nehmen das und lassen uns überraschen, was sie uns servieren.“ „Eine vorzügliche Wahl.“, sagte Fernando entzückt. Dann zündete er mit einem Feuerzeug noch schnell zwei auf dem Tisch stehende Kerzen an und trabte hinterher schleunigst davon. „Findest du den Ober auch so eigenartig?“, fragte Bobby mich nach einer Weile. „Wenn du mit eigenartig tuntig meinst, dann ja.“, antwortete ich ihm. Bobby grinste mich an. „Du bist natürlich der absolute Vorzeige-Homosexuelle.“ „Na klar, sieh mich doch mal an. Ich sehe gut aus, bin muskulös, bin emotional veranlagt, finde mich äußerst sympathisch und bei kleinen Jungs wie dir, wird mein Beschützerinstinkt geweckt.“, zählte ich ihm an einer Hand auf und grinste schelmisch zurück. „Ich bin nicht klein.“, erwiderte Bobby mir mürrisch, doch dies war mir egal, denn ich liebte es einfach ihn zu necken. Ich war eben ein Kopf größer als er und das behagte ihm nicht sonderlich. Ich lächelte Bobby unentwegt an. Es verging kein Tag in unserer Beziehung wo ich ihn nicht liebte. Meinungsverschiedenheiten gab es in jeder guten Beziehung hin und wieder. Auch wenn wir mal getrennt waren, so waren wir geistig doch immer miteinander verbunden. Ich wünschte ihn in jeder einzelnen Sekunde bei mir, wo ich ihn in meine Arme schließen und für ihn da sein konnte. „Einmal Sex on the Stomach!“, rief unser Ober Fernando und stellte das Essen auf unserem Tisch ab. Eigentlich war Sex on the Stomach nichts Außergewöhnliches. Im Gegenteil, denn es handelte sich hierbei lediglich um Spaghetti mit Tomatensauce und Hackbällchen als Beilage. Es war eine riesige Portion. Der Teller mit dem breiten Rand nahm beinahe den ganzen Tisch ein. „Ich wünsche euch Beiden einen guten Appetit.“, sagte Fernando und trabte wieder davon. Es war natürlich reeeeeeiner Zufall, dass im Hintergrund das Lied „Bella Notte“ abgespielt wurde. Bobby und ich wünschten uns gegenseitig ebenfalls einen guten Appetit und fingen anschließend zu essen an. Mit Gabel und Löffel ausgestattet machten wir uns über das Essen her und erwischten bereits nach sehr kurzer Zeit ein und dieselbe Nudel. Ich wurde sofort an die Romanze „Susi und Strolch“ erinnert und so kam es, dass Bobby und ich gleichermaßen an der Nudel zogen und sich unsere Mundspitzen in der Tischmitte trafen, denn keiner wollte nachgeben. Mir spritzte dabei ein wenig Tomatensauce ins Gesicht. Bobby lachte mich zunächst aus, ehe er mir die Tomatensauce mit seiner Serviette wegwischte. Dabei guckte ich ihm verträumt und verliebt in die Augen. Am Ende blieb nur noch ein Hackbällchen über. „Tobi, ich schwöre dir, wenn du mir das Hackbällchen jetzt mit deiner Nase rüberstupst, dann werfe ich dir später einen Knochen zu und verlange von dir, dass du mit deinem Schwanz wedelst.“, sagte Bobby grinsend. Ich lachte. „Mit dem Schwanz wedeln kann ich gut. Nein keine Sorge, iss du nur. Ich verdrück mich kurz aufs Klo.“ Ich stand von meinem Platz auf und gab vor, Richtung Toilette zu marschieren. In Wirklichkeit machte ich einen Bogen und kam bei Fernando an der Bar zum Halt. „Hier ist der Verlobungsring meines Freundes. Legen sie ihn in das Champagnerglas, dann wird er ihn schon sehen.“ Anschließend ging ich doch noch kurz auf die Toilette und als ich wieder kam, hatte Bobby auch das letzte Hackbällchen aufgefuttert. „Mein kleiner Vielfraß.“, sagte ich fröhlich. „Ich bin nicht klein.“, murrte Bobby. „Ein Verdauungsgetränk wäre jetzt nicht schlecht.“ „Ich komme schon, ich komme schon!“, rief Fernando uns zu und brachte uns die beiden von mir bestellten Champagnergläser. „Sind sie Hellseher oder sowas in der Art?“, fragte Bobby ihn verdutzt, aber das Maul schleckend. „So ein Unsinn.“, stieß Fernando schmunzelnd aus und schlug ihn sanft mit einem weißen Tuch. „Ich bin lediglich ein einfacher Kellner, mit zu viel Zeit und einer Vorliebe für süße kleine Jungs.“ „Ich bin nicht…“, wollte Bobby protestieren, doch fuhr ich ihm schnell über den Mund. „Auf unsere Liebe Bobby.“, sagte ich und hob mein Glas. Bobby tat es mir nach und lächelte mich dankbar an. Noch hatte er den Ring nicht entdeckt, aber das würde sich gleich ändern und dann werde ich ihm einen Heiratsantrag machen. Doch dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Ein Junge mit blauen Haaren flog durch das große Fenster des Restaurants und krachte auf unseren Tisch. Fernando schrie wie ein Mädchen auf, die Gläser gingen zu Bruch, der Champagner spritzte durch die Luft und der Verlobungsring flog quer durch die Luft und landete unter einem Barhocker. „Aua.“, sagte der blauhaarige Junge. Bobby sah ihn erschrocken, aber auch besorgt an, während ich nur Zorn für den Jungen spürte, der mir meinen romantischen Abend mit Bobby zu Nichte machte.
„Mit anderen Worten, der Heiratsantrag fiel ins Wasser.“, schlussfolgerte Herr Frenzel mein ehemaliger Mathelehrer am Tag darauf, als ich ihn zufällig auf der Straße begegnete. „Ja, aber immerhin konnte ich den Ring in Sicherheit bringen, ohne dass Bobby ihn sah.“, sagte ich kopfschüttelnd, da ich immer noch nicht glauben konnte, was da gestern Abend geschah. „Und… der Junge, geht es ihm gut?“, fragte mich Herr Frenzel langsam. „Ja, keine Ahnung, ist mir auch egal. Der hat mir alles versaut.“, regte ich mich auf. „Wenn du Bobby einen romantischen Heiratsantrag machen möchtest, dann wüsste ich die ideale Location für dein Vorhaben.“, schlug Herr Frenzel mir vor und ich horchte auf.
9. Schlosshotel Phönix – Teil 1 Drei Jahre waren vergangen, als ich von Deutschland nach Frankreich zog, um dort mein begonnenes Kunststudium fortzusetzen. Seit dem Tag meiner Abreise war ich nicht mehr in Deutschland, da zu viele traurige Erinnerungen in diesem Land für mich lagen. Ob ich vor meinen Problemen flüchte? Vielleicht, aber ich musste einfach auch mal an mich und an meine Zukunft denken. In Frankreich führte ich ein wunderschönes Leben, wenn ich auch meine Familie und meine Freunde vermisste. „Danke, dass du mich gefragt hast, ob ich dich begleite, Leon.“, bedankte sich Maria höflich bei mir und strich sich ihr blondes langes Haar nach hinten, dass bei dem offenen Fenster ein wenig durch die Luft wirbelte. Es war ein strahlend schöner Sommertag und wir fuhren gerade mit meinem Auto über eine Landstraße. Wir waren umgeben von Bäumen und während ich die frische Naturluft nur einatmen konnte, hatte Maria auf dem Beifahrersitz auch die Möglichkeit, sie zu bewundern. „Ich dachte mir, dass dir ein Schlosshotel sicher gefallen dürfte. Außerdem wollte ich nicht alleine dort hin und hatte die Möglichkeit, endlich mal wieder mehr Zeit mit dir verbringen zu können.“, erklärte ich ihr den Grund für meine Einladung. „Wenn du mehr Zeit mit mir verbringen willst, solltest du dich vielleicht mal wieder öfters Zuhause blicken lassen. Ich kann dich schließlich nicht jeden Monat in Frankreich besuchen.“, sagte Maria. „Du weißt doch, dass ich mit einem Kapitel abschließen musste und mir in Frankreich ein neues Leben aufgebaut habe.“, versuchte ich ihr zu erklären, doch stoß ich bei Maria auf Widerstand. „Meiner Meinung nach versteckst du dich nur vor deinen Problemen und Ängsten. Manchmal bist du so ein Weichei, Leon.“, erwiderte sie auf ihre gewohnt ehrliche Art und Weise. „Vielen Dank.“, sagte ich leicht gekränkt und fing zu kontern an: „Wie wäre es, wenn wir zur Abwechslung mal über dich reden. Wieso hast du Fiona doch gleich wieder abserviert?“ Maria warf mir einen genervten Blick von der Seite aus zu. „Das mit Fiona und mir, war lediglich ein kurzweiliges Experiment, wie es ist, mit einer Frau zusammen zu sein.“, redete sie sich heraus. „Ein Experiment das zweieinhalb Jahre dauerte?“, fragte ich sie argwöhnisch und mit Unterton. Ich trieb Maria zur Weißglut, dass konnte ich ihr im Gesicht ablesen. Doch wer austeilt, der muss auch einstecken können. „Ich hatte einfach Angst davor, wieder alleine zu sein.“, entgegnete sie mir. Ich wollte das Thema nicht ausreizen und beließ es hierbei, denn irgendwie tat sie mir schon leid. In der Liebe hatte sie einfach nie sonderlich viel Glück. Ich muss reden… Meine Affäre mit Shane, der zehn Jahre älter als ich und zusätzlich mein Kunstprofessor war, bot zwar ausreichend heißen Sex, aber die Liebe blieb leider aus. Doch die Angst vor dem Alleinsein, zwang mich dazu, diese Affäre fortzuführen und Shane nahm mir das auch nicht übel, wofür ich ihm sehr dankbar war. In all der Zeit lernten wir einander besser kennen und auch verstehen. Er wusste, dass unsere Zweisamkeit nicht für die Ewigkeit bestimmt war. Kompliziertes Leben…! Auf einmal krachte es und ich wurde jäh aus meinen Gedanken geworfen. „Ich glaube, du bist gerade über einen größeren Stein gefahren, Leon.“, meinte Maria, die sich leicht erschrak. Ich guckte in den linken Seitenspiegel und konnte erkennen, dass mein linkes Hinterrad aufgeplatzt war. Ich ging auf die Bremse und hielt rechts in einem Kiesbett an. „Na toll, ganz wundervoll!“, stieß ich ironisch aus, als ich aus dem Auto stieg und mir den geplatzten Reifen ansah. „Bitte sag mir, dass du einen Ersatzreifen im Kofferraum hast.“, sagte Maria leicht panisch. „Ja hab ich…, unter den gefühlt ein Dutzend pinken Koffern, die du dort gebunkert hast.“, antwortete ich ihr, wobei der Sarkasmus in meiner Stimme dabei wie ein Fett triefte. „Heeey, ich hab nur das Wichtigste dabei.“, verteidigte Maria sich leicht eingeschnappt, während ich mich daran machte, ein Koffer nach dem anderen aus dem Kofferraum zu hieven. Inzwischen konnte man von hinten ein heranfahrendes Auto vernehmen. „Vielleicht kann der dir ja helfen?! Hallo! Bitte halten sie an!“, rief Maria mit ausgestreckten Armen dem heranfahrenden Auto entgegen. Tatsächlich kam das Auto zum stehen, was aber vermutlich nur an Marias wackelnder Brust lag, die förmlich aus ihrem Top herausquoll. In dem Auto saßen zwei Jungs, der eine etwas kleiner als der andere und beide bestimmt auch jünger als wir. „Einen wunderschönen guten Tag liebes Fräulein, kann ihnen mein Freund David zur Hand gehen?“, fragte der Größere der beiden Jungs, der auch am Steuer saß, Maria mit seinen Glubschaugen anstarrte und uns angrinste. „Halt die Klappe Nick.“, murrte der andere Junge, dessen Name offenbar David war. „Wir haben eine kleine Reifenpanne und wie ihr seht ist mein Freund nicht gerade einer von der starken Männersorte. Wenn ihr ihm kurz helfen könnten, würde mich das sehr erfreuen.“, sagte Maria im leicht verführerischen Ton. Typisch Maria! Sie ließ wieder ihren ganzen weiblichen Charme spielen, um das zu bekommen, was sie wollte und beugte sich absichtlich nach vorne, damit beide Jungs in ihren Ausschnitt starren konnten. „Wir würden euch ja wirklich nur zu gerne helfen“, sagte der Junge namens Nick am Steuer, dessen Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam, „aber wie ihr seht, ist mein Freund selber nicht gerade von starker Natur. Ich hingegen muss meine Muskeln noch ein wenig schonen. Zudem haben wir es leider sehr eilig, tut mir wirklich leid.“ Ehe wir uns versahen, zischten die beiden Jungs in ihrem Auto wieder davon und wirbelten dabei gehörig Staub auf, die uns die Luft zum Atmen raubte. „Ungehobelter Flegel!“, schrie Maria dem davonsausenden Auto noch wütend hinterher. „Komm lass gut sein Maria, ich krieg das auch alleine hin.“, sagte ich zur ihr, nachdem ich mich erneut mit meinem Schicksal abfand. „Sind ja nur an die Dutzend Koffer…“ „Wenn ihr wollt, dann helfe ich euch.“, sagte auf einmal eine engelhafte Stimme. Maria und ich schraken beide gleichzeitig auf. Wie aus dem Nichts stand urplötzlich ein Junge mit blauen Haaren neben uns und lächelte uns schelmisch an. Ich fragte mich wo er so plötzlich herkam und kam zu dem Entschluss, dass er wohl aus dem Wald erschien. Ich verkniff mir jegliche Fragen, da ich heilfroh über jede Hilfe beim Reifenwechsel war. Zudem sah der Junge recht süß aus… „Danke, dass ist sehr freundlich von dir.“, lächelte ich ihm zu. „Keine Ursache. Mein Name ist Casey.“, stellte sich der blauhaarige Junge bei mir vor. „Freut mich Casey. Mein Name ist Leon und das ist meine beste Freundin Maria.“, stellte ich mich ebenfalls bei ihm vor. „Wir sind gerade auf dem Weg zum Schlosshotel Phönix.“ „Zufälligerweise bin ich das auch.“, zwinkerte Casey mir lächelnd zu.
10. Schlosshotel Phönix – Teil 2 Als wir endlich am Schlosshotel Phönix ankamen, bogen wir in eine lange Hofeinfahrt ein, die von einer meterhohen, sehr gepflegten Hecke umgeben war. Als wir langsam auf das Schlosshotel zufuhren, fielen unsere Kinnladen allmählich herunter. Es war schätzungsweise an die 150 Meter hoch und hatte mehrere Turmspitzen, wovon einer ganz besonders empor ragte. Unzählige kleine Fenster ragten aus der Schlossmauer und an diversen Stellen hingen Schlosswappen, während Balkonblumen dem Schloss eine warme Atmosphäre verliehen. Es war ohne Zweifel ein prachtvolles Schloss, das mit dem Schloss Neuschwanstein in Bayern mithalten konnte! Über dem Hoteleingang befand sich ein edel gestaltetes Schild mit der Inschrift „Schlosshotel Phönix“ und einem feuerroten Phönix verziert. Der Hofplatz war riesengroß und in der Mitte stand ein wunderschöner Springbrunnen, mit einer Phönix-Statue oben drauf. Wir hielten direkt vor dem Hoteleingang an und uns kamen sofort zwei Hotelangestellte entgegen. Einer der Beiden half uns beim Ausladen der Koffer, während ich dem Anderen widerwillig meinen Autoschlüssel überreichte, damit er mein Auto am Parkplatz parken konnte. „Danke fürs mitnehmen.“, bedankte sich Casey freundlich und lächelte uns dabei an. Maria schien Gefallen an dem unbekannten Jungen gefunden zu haben und ich muss zugeben, dass er sympathisch wirkte und mit seinen blauen Haaren eine besondere Aura ausstrahlte. „War doch selbstverständlich, wo wir doch dasselbe Ziel hatten.“, erwiderte ich verständnisvoll. Ein mittelgroßer Mann mit einem breiten Mund und großen Augen im Gesicht, kam die breite Treppe runtermarschiert, auf der ein roter Teppich ausgelegt war. „Willkommen im Schlosshotel Phönix, mein lieber Herr Schopp!“, rief er uns in einem recht schleimigen Ton entgegen. „Ich bin der Hotelmanager und mein Name ist Ignatius Wilfred. Ich freue mich sehr über ihr Kommen, denn sie werden bereits sehnsüchtig erwartet. Wie ich sehe, haben sie auch eine liebreizende Begleitung an ihrer Seite.“ Der Hotelmanager wandte sich an meine Freundin Maria und strahlte sie förmlich an. „Vielleicht…könnte jemand unser Gepäck in unsere Zimmer bringen?!“, fragte ich vorsichtig und deutete auf meinen einzelnen Koffer und auf Marias an die dutzend Koffer.“ „Äh…, aber sicher doch.“, antwortete Herr Wilfred mir, nachdem er leicht blass bei der Anzahl der vielen Koffer wurde. „Unser Hotelpage Theodor wird sich unverzüglich darum kümmern.“ Ein recht maskuliner Junge, der nicht viel älter als wir sein dürfte, lud die Koffer übereinander auf einen Gepäckwagen und schob sie über einen Seitenweg ins Hotel. Marias Augen waren nur noch auf den Hotelpagen gerichtet, der mit seinen starken Oberarmen mühelos mit ihren Koffern klarkam. „Meine Freundin und ich freuen uns sehr, endlich angekommen zu sein. Die Herfahrt war ein wenig… problematisch.“, sagte ich dezent zurückhaltend. „Unsere Suiten sind bereit?“ „Aber selbstverständlich.“, antwortete Herr Wilfred mir breit lächelnd. „Dankeschön. Ich glaube der Junge mit den coolen blauen Haaren will hier auch einchecken.“, sagte ich und drehte mich zu Casey um, von dem inzwischen aber jede Spur fehlte. Hat er sich in Luft aufgelöst? „Komisch. Gerade eben, war er doch noch da. Maria, hast du ihn gesehen?“ Maria blickte immer noch dem Hotelpagen hinterher und ich verdrehte die Augen. Erst als ich erneut ihren Namen rief, schenkte sie mir wieder ihre Aufmerksamkeit, doch auch sie hatte keine Ahnung, wo Casey war. „Ist ja auch nicht so wichtig. Vielleicht wollen sie zuerst eine kleine Erfrischung zu sich nehmen, bevor sie mit unserer Hotelchefin sprechen?“, fragte uns Herr Wilfred. „Sie führt gerade noch ein wichtiges Telefonat und möchte dabei nicht gestört werden.“ „Zeigen sie uns, wo wir die Bar und den Pool finden und wir sind glücklich.“, erwiderte ich lächelnd.
Die Bar befand sich in einem großen Speisesaal, der zur aktuellen Uhrzeit völlig leer stand. Große Schiebefenster trennten den Speisesaal vom Swimmingpool, der außen angelegt worden war. Dort tummelten sich immerhin ein paar wenige Hotelgäste, während eine Frau mit lockigem Haar damit beschäftigt war, hinterm Bartresen die Gläser zu polieren. „Tut mir Leid, aber die Bar öffnet erst wieder um 17 Uhr.“, entschuldigte sich die Frau bei mir und Maria, ohne aufzusehen. Dennoch setzten wir uns auf die Barhocker und während ich die Cocktailkarte studierte, blickte Maria zum Pool hinaus. „Herr Wilfred meinte aber, dass wir hier eine kleine Erfrischung zu uns nehmen können.“, meinte ich zu der Frau hinterm Tresen. „Typisch. Dieses schmierige Krötengesicht geht mir vielleicht sowas von auf den Sack.“, fluchte die Frau und warf ihren Polierlappen in die Spüle und wusch sich hinterher die Hände. „Also schön, was darf ich euch Beide zu trinken anbieten?“, fragte sie uns und blickte uns dabei genervt, aber auch freundlich an. Ihre herrische Art behagte mir irgendwie, ganz im Gegensatz zu Maria. „Für mich bitte nichts.“, antwortete Maria ihr und wandte sich anschließend an mich. „Die Autofahrt hat mich doch ein wenig geschlaucht. Ich ruh mich ein wenig auf meinem Zimmer aus.“ „Gib doch zu, dass dir der Hotelpage von vorhin gefiel und du ihn dir nun ein wenig genauer ansehen möchtest.“ Ich grinste Maria an, denn ich wusste dass ich Recht hatte. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als sie rot im Gesicht wurde. „Vieeel Spaß!“, zwinkerte ich ihr zu und Maria trabte leicht schmunzelnd davon. „Für mich bitte lediglich einen Pfirsich-Eistee, danke.“, bat ich schließlich die Bardame, die sie sich bei mir für ihre herrische Art entschuldigte und kurz darauf als Astrid Würzinger vorstellte. Sie überreichte mir meinen Pfirsich-Eistee mit Eiswürfeln, einer Zitrone und einem Strohhalm und dann unterhielten wir uns ein wenig über alltägliche Themen wie das Wetter, die Kunst, die Politik oder leere Geldbeutel…
Nach dem Trunk an der Bar, ging ich auf mein Zimmer und packte meinen Koffer aus. Vermutlich ging das bei mir deutlich schneller, als bei Maria… Mein Termin mit der Chefin des Schlosshotels war erst für 16 Uhr angelegt, also hatte ich noch eine gute Stunde Zeit, die ich damit nutzte, noch eine Runde im Pool zu schwimmen. Ich zog mir also schnell meine Badeshorts an und sprang kurz darauf ins kühle Wasser. Es war ein herrliches Gefühl sich im Wasser treiben zu lassen. Als würde ich im Himmel schweben…, doch der Himmel wurde schnell zur Hölle für mich, als ich urplötzlich Zack und Max, meine einstigen Herzensbrecher, entdeckte. Was zur Hölle machen die denn hier?
11. Schlosshotel Phönix – Teil 3 Ich trieb im Swimmingpool des Schlosshotels und konnte es einfach nicht glauben. Zack und Max – die Jungs, die mir einst mein Herz in tausend Teile zerbrachen – befanden sich auch hier! Die Erde hat einen Durchmesser von 12.700 Kilometer und dürfte damit groß genug sein, dass man sich nicht über den Weg läuft. Es leben über 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten und trotzdem begegne ich hier ausgerechnet den Beiden?! Ich starrte die Beiden mit großen Augen an. Sie unterhielten sich gerade miteinander und schienen mich zum Glück noch nicht bemerkt zu haben. Max lächelte. Offenbar waren die Beiden noch immer sehr glücklich miteinander. Während sie am Pool entlangmarschierten, beobachtete ich mit Interesse ihr Aussehen in den Badeshorts. Zack hatte nach wie vor einen sehr athletischen Körper, der zudem ein wenig braun gebrannt war. Max Oberkörper hingegen war übersäht mit Tattoos, was sehr cool aussah. Doch was sollte ich nun tun? Jeden Augenblick könnten die Beiden mich entdecken und ich hatte das Gefühl, dass dies eine äußerst unangenehme Begegnung sein würde. Ohne lange zu überlegen, tauchte ich also schnell unters Wasser und wartete ab, bis die Beiden an mir vorbei marschiert waren. Zu dumm, dass sie ausgerechnet jetzt Halt machten. Wie lange kann ein Mensch unter Wasser eigentlich die Luft anhalten? Ich glaube mal gelesen zu haben, dass der Rekord bei 17 Minuten lag. Ich hingegen konnte froh sein, wenn ich eine Minute zusammenbringe. Hoffentlich gehen die Beiden gleich weiter, sonst wird das echt peinlich für mich. Mein Glück ließ mich nicht völlig im Stich und Zack und Max gingen endlich weiter. Das war die Gelegenheit für mich, wieder aufzutauchen, mir ein Badetuch zu schnappen und mich auf meine Suite zu verdrücken. Doch ehe ich überhaupt aus dem Pool steigen konnte, schlangen sich zwei Arme um meine Brust und zogen mich an die Wasseroberfläche. Ich hustete und spuckte das Wasser aus, das sich in meiner Lunge angesammelt hatte, während ich von einem jungen Mann aus dem Pool gezogen wurde. „Geht es dir gut?“, fragte er mich. „Ich dachte schon, du ertrinkst mir hier gleich. Meiner Chefin würde das gar nicht gefallen, wenn ich jemanden in ihrem Hotel ertrinken lasse.“ Ich befand mich auf einer Liege und starrte in das nasse Gesicht meines „Retters“. Er hatte einen muskelbepackten Oberkörper, doch dürfte er nicht viel älter als ich sein. „M-Mir geht es gut. Danke.“, antwortete ich ihm leicht unruhig. Zack und Max konnten noch immer in der Nähe sein und mich jeden Moment entdecken. Ich versuchte aufzustehen und mich aus dem Staub zu machen, doch der fremde Junge ließ mich nicht so einfach gehen. Seine starken Arme versperrten mir den Weg und mit einem seltsamen Gesichtsausdruck im Gesicht blickte er mich an. „Ich bin Tyler und bin hier die Poolaufsicht. Du musst besser auf dich aufpassen.“, riet er mir und ich nickte ihm lediglich als Antwort, denn ich war verzaubert von seinen dunkelblauen Augen. Als ich mich endlich seinem Bann entzog und er mir auch den Weg freigab, stand ich von der Liege auf und rannte ins Hotel zurück. Als ich mich noch einmal zu ihm umdrehte, war er schon mit seiner nächsten guten Tat beschäftigt: Einer jungen Frau mit Sonnencreme den Rücken einzuschmieren. Zack und Max hingegen konnte ich nicht mehr sehen. Dennoch ging ich nun zurück auf meine Suite. Auf dem Weg dorthin, hatte ich allerdings eine mir unangenehme Begegnung. „Uuuuh sexy Body!“, rief mir der Junge zu, den Maria und ich auf der Landstraße um Hilfe baten. Ich glaube sein Name war Nick. Ich wurde rot im Gesicht und schlang das Badetuch noch enger um meine Hüfte. „Keine Angst ich guck dir schon nichts weg, es sei denn, du hast da was schön Langes drunter.“, grinste Nick. Ich grummelte und ging wortlos an ihm vorbei. Der Tag wird von Minute zu Minute schlimmer!
Pünktlich um 16 Uhr stand ich vor der Bürotür der Hotelchefin. Der Hotelmanager Herr Wilfred hatte mich zu ihr begleitet und als ich an der Tür klopfte, hörte ich ein verführerisches Herein. Ich betrat das schattige Büro, an dessen Decke ein Ventilator angebracht war und kühle Luft spendete. Links befand sich ein kleiner Büroschrank, rechts ein Bücherregal und in der Mitte ein Schreibtisch. Tropenpflanzen schmückten den Raum zusätzlich aus. Die Hotelchefin saß mit dem Rücken zu mir vor dem Fenster. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Sie bat mich Platz zu nehmen und ohne Widerworte setzte ich mich auf den Stuhl ihr gegenüber. Dann wurde es still im Raum und ich wartete darauf, dass sie etwas zu mir sagte. In der Zwischenzeit musterte ich ein Foto in einem Bilderrahmen, das im Bücherregal stand. Es zeigte eine Frau mit langen schwarzen Haaren und einen Mann mit Schnurrbart und Zylinder, Arm in Arm. Im Hintergrund konnte man das Logo des Zirkus Graziano erspähen. Den Zirkus besuchte ich nie, doch hätte ich schon Lust dazu gehabt. Die Hotelchefin drehte sich schließlich zu mir herum und ich konnte erkennen, dass sie die Frau auf dem Foto war. „Danke, dass du gekommen bist Leon. Ich darf dich doch Duzen oder?“, fragte sie mich. Sie versprühte eine unheimliche und machtvolle Aura, weshalb ich es nicht wagte ihre Frage zu verneinen und einfach nur nickte. Die Frau lächelte mich an. „Mein Name ist Sofia Temperini und ich bin ein großer Fan deiner gezeichneten Kunstwerke. Du bist ein großes Talent für dein Alter.“ Ihr Lob schmeichelte mir, doch war ich zu nervös, um mehr als ein Dankeschön von mir zu geben. „Sicher steckt hinter deiner großen Gabe nicht mehr als dein Talent… nicht wahr?“ Frau Temperini zwinkerte mir zu und lächelte mich an. Ihr Ausdruck im Gesicht behagte mir nicht sonderlich. Wusste sie mehr, als sie zugab? Wusste sie von meinen magischen Kunstutensilien? Nein, das schien mir unmöglich. Es sei denn, sie war in irgendeiner Weise mit meinem ehemaligen Kunstprofessor Unruh verwandt, der nach wie vor in einer Irrenanstalt inne saß und wirres Zeug brabbelte. „Weshalb haben sie mich zu sich gebeten Frau Temperini?“, fragte ich sie nun ein wenig mutiger. „Sie haben meinem Mentor Herr West etwas von einem Auftrag erzählt.“ „Du verlierst keine Zeit, was?! Kommen wir also gleich zum Kern unseres Treffens. Ich möchte dich um eine Zeichnung bitten. Doch es soll keine einfache Zeichnung ohne Leben sein, es muss etwas ganz Besonderes sein. Sie muss vor Macht, Stärke, dem Glauben und der Liebe nur so explodieren.“, erklärte mir Frau Temperini voller Enthusiasmus. „Was genau soll ich denn für sie zeichnen?“, harkte ich nun etwas genauer nach. Ein kalter Hauch von Geheimnissen lag in der Luft und Sofia Temperini lächelte mich verführerisch an. „Einen Phönix, Leon. Ich möchte, dass du mir einen Phönix zeichnest.“
12. Im Schattenwald – Teil 1 Ich trug ein sonnengelbes Shirt und eine azurblaue kurze Hose. Dies war auch die einzige Kleidung die ich trug, denn barfuß ging ich durch den mit Moos bedeckten Wald, der beim Schlosshotel Phönix lag. Ich versuchte mich leise und behutsam fortzubewegen, denn Tiere mochten keine lauten Geräusche. Mit verträumten Augen schaute ich nach oben zu den Baumkronen, die übersät mit grünen Blättern waren. Die Bäume in dieser Gegend schienen sehr viel größer als bei mir Zuhause zu sein. Sie wirkten machtvoller und unüberwindbar. Ich legte meine zarte Hand an einen Baumstamm und streichelte ihn ganz sanft. Für viele Menschen fühlte sich die Baumkruste rau an, doch für mich war es ein wunderschönes Gefühl. Ich liebte die Natur einfach über alles! Ich legte mein Ohr an den hohen Baumstamm der Erle und versuchte in ihrem Inneren zu lauschen. Sie fühlte sich kerngesund an, was mir ein sanftes Lächeln ins Gesicht trieb. Was mir allerdings weniger behagte, war die Tatsache, dass ich seit meiner Ankunft noch kein einziges Tier entdecken konnte. Nicht einmal das fröhliche Zwitschern der Vögel war mir gegönnt und in mir stellte sich die Frage auf, wo sie nur alle sein konnten. Ich blieb auf einer Lichtung stehen und die Sonne schien durch die Baumwipfel hindurch. Um mich herum blühten rote, blaue und gelbe Blumen. Ich schloss meine Augen und suchte in mir die innere Ruhe. Dann atmete ich einmal tief ein und wieder aus und rief meine wundersame Gabe in mir hervor. „Habt keine Angst, Tiere des Waldes. Ich bin euer Freund und bin hier, um euch zu helfen.“, sagte ich in der Tiersprache und öffnete anschließend meine Augen wieder. Noch immer war kein Tier zu sehen, doch wollte ich die Hoffnung nicht so schnell aufgeben. „Bitte vertraut mir. Ich weiß, dass ich ein Mensch bin, aber ich will euch kein Leid zufügen. Ihr Tiere seid meine Freunde und meine Familie.“ Dieses Mal schienen meine Worte Wirkung zu zeigen, denn ich hörte ein Knacksen hinter mir. Ich drehte mich um und entdeckte einen stattlich aussehenden Hirsch, der soeben auf einen herabgefallenen Zweig getreten war. Seine Augen funkelten mich bedrohlich und ängstlich zugleich an, während er langsam auf mich zugestapft kam. Er stellte mich auf die Probe – ob ich wirklich ein Freund war. Ich blieb standhaft stehen, gleichzeitig senkte der stolze Hirsch seinen Kopf und sein einzigartiges Geweih bedrohte meine Brust. Zugegeben, ich hatte Angst, aber Weglaufen war für mich keine Option. Ich blieb weiterhin standhaft und der Hirsch hob seinen Kopf wieder. Schließlich richtete der Hirsch seine Worte an mich: „Sei gegrüßt Tierflüsterer. Ich habe schon sehr viel von dir und deiner Gabe, mit uns zu kommunizieren, gehört. Die Tiere tratschen gerne musst du wissen…“ Ich verbeugte mich ehrbietungsvoll vor dem Hirsch, der der Gebieter dieses Waldes zu sein schien und als ich wieder aufrecht stand, kamen immer mehr Tiere des Waldes herbei. Mit meinen Augen konnte ich Füchse, Waschbären und Dachse sehen, Feldhasen hoppelten langsam herbei und Eichhörnchen kletterten von ihren Bäumen hinab. Eine große kauzige Eule landete auf einem der unteren Äste und auch viele andere Vögel wie Rotkehlchen, Kohlmeisen und Buntspechte landeten in den Bäumen und sahen mich neugierig an. Am Boden sammelten sich allerhand kleinere Tiere an, darunter Haselmäuse, Siebenschläfer und Igel. Die feuchte Nase eines Wildschweines stupste mich von hinten an und als ich mich umdrehte, konnte ich noch Rehe und eine Reihe von Insekten wie Hirschkäfer und Maikäfer entdecken. „Du sprachst von einer Familie junger Tierflüsterer.“, sagte der stolze Hirsch zu mir. „Dies ist meine Familie und wir sind glücklich, dass du gekommen bist, denn wir haben deine Hilfe dringend nötig.“ „Wie soll uns denn ein Mensch helfen?“, zwitscherte ein Rotkehlchen spöttisch. „Ist er denn überhaupt ein Mensch?“, fragte der müde Siebenschläfer. „Er sieht aus wie ein Mensch und stinkt wie ein Mensch, also ist er auch einer.“, antwortete das Wildschwein ihm. Ich stinke also – na der muss gerade reden… „Bitte seid ruhig!“, befahl der stolze Hirsch laut, aber im höflichen Ton. „Wie kann ich euch helfen?“, fragte ich den stolzen Hirsch tapfer. Der stolze Hirsch blickte zu den Bäumen empor, als er mir auf meine Frage antwortete. „Seit geraumer Zeit ist der Wald von einer tödlichen Krankheit befallen, die sich der Schatten nennt. Er kommt und geht wann er will und reißt einen der Unseren in den Tod. Seine wahre Gestalt ist uns unbekannt, doch sein Atem ist so heiß wie ein brodelnder Vulkan und das Sonnenlicht schadet ihn nicht. Die Tiere des Waldes fürchten sich vor dem Schatten, denn keiner ist ihm gewachsen.“ „Ich verstehe nicht.“, sagte ich verwirrt. „Wenn das wahr ist was du sagst, wie kann ich euch dann helfen?“ Das Alles klingt schon sehr abenteuerlich und wie aus einem Science-Fiction-Roman. Der stolze Hirsch blickte mich wieder an und seine Augen verliehen mir Mut und den Glauben, Berge versetzen zu können. „Du besitzt eine besondere Gabe Tierflüsterer. Eine Gabe, die einst einem großen Herrscher gehörte, der aber irgendwann von uns ging. In deinen Händen liegt das Schicksal aller Lebewesen des Waldes. Wenn du uns nicht retten kannst, kann es niemand!“ Ich schluckte, denn ich hatte hier ja mit so einigem gerechnet, aber nicht mit dem Schicksal aller Lebewesen des Waldes in meinen Händen. War ich so einer Aufgabe und Verantwortung überhaupt gewachsen? Was ist, wenn ich zum Scheitern verurteilt war und alle bitter enttäuschte? Die Feldhasen spitzten ihre Ohren und einer legte seine langen Lauscher auf die Erde um zu horchen. „Ach du grundgütiger! Er ist wieder da, er ist zurückgekehrt – der Schatten!“, warnte der Feldhase uns alle und mit einem Mal, brach Panik unter den Tieren aus. Die kauzige Eule versteckte sich zusammen mit den Eichhörnchen in einem Loch im Baumstamm, während die kleineren Vögel zum Himmel empor stiegen. Der Fuchs verschwand in Windeseile, die Feldhasen hoppelten schleunigst davon, die kleineren Tiere versteckten sich in den Gebüschen und der Dachs verschwand in seinen Bau. Auch das Wildschwein und die Rehe zogen davon. Nur der stolze Hirsch blieb an meiner Seite, während sich in mir ein mulmiges Gefühl breit machte. Wäre ich doch nur Zuhause geblieben…!
13. Im Schattenwald – Teil 2 Die Furcht durchflutete meinen Körper. In meinem Leben kam das nicht sehr häufig vor. Das erste Mal so richtig Angst bekam ich, als meine Mutter der Löwin zum Opfer fiel. Dann als mein Vater sich im Alkohol verlor und mich das erste Mal schlug. Das letzte Mal Angst hatte ich, für immer alleine zu bleiben und mich mit meiner Gabe wie ein Ausgestoßener zu fühlen. Doch nun wurde diese Angst von einer noch größeren Angst verdrängt: Dem Schatten! Ich wusste nicht was es war und in welcher Form es mir erscheinen würde, doch musste es etwas sein, dass die Tiere des Waldes in Angst und Schrecken versetzte. Ich war froh darüber, dass der stolze Hirsch bei mir blieb und sich nicht wie alle anderen Tiere versteckte. Seite an Seite stand ich mit dem Hirsch gleichauf und wartete ab. Doch was würde nun geschehen? Es kam wie aus dem Nichts. Ein schwarzer Schatten in Form einer dunklen Rauchwolke zog durch den Wald und gab dabei ein lautes Brüllen von sich, dass jeden Toten aus seinem Grab erwecken lassen würde. Als er immer näher kam, sah es so aus, als würde er nicht vorhandene Flügel spannen und zum Landeanflug ansetzen. Immer mehr stellte sich in mir die Frage, was dieser Schatten war. Der Schatten kam schließlich auf der Lichtung zum Stillstand. Er schwebte mir und dem Hirsch direkt gegenüber. Ich riss mich zusammen nicht zu blinzeln, denn ich wollte keine Sekunde lang die Augen geschlossen halten. Ich hörte, wie mein Herz immer schneller zu pochen begann. Meine Füße fühlten sich wie Eisklötze an – kalt und unbeweglich. Der stolze Hirsch senkte seinen Kopf und drohte dem Schatten mit seinem mächtigen Geweih. Ein Knurren ging von dem Schatten aus und auch wenn mir dies seltsam und unmöglich erschien, so glaubte ich für einen kurzen Moment, ein Lachen aus dem Inneren des Schattens heraus zu hören. Dann griff der Schatten den stolzen Hirsch an und mir entfiel ein Schrei. Der stolze Hirsch wurde vom Schatten umschlungen. Nach wenigen Sekunden gab dieser den Hirsch wieder frei, dessen braunes Fell nun ganz grau war. Der stolze Hirsch sackte leblos zu Boden – er war tot! So schnell wie er kam, verschwand der Schatten auch wieder. Wieso griff er mich nicht an? Als ich meine Füße auch nur wieder annähernd spüren konnte, kniete ich mich zu Boden und legte meine Hände trauernd auf den leblosen Hirsch. Der Fuchs von vorhin, kam aus seinem Versteck gekrochen und leckte sich gierig das Maul. „Totes Fleisch. Endlich was zu futtern!“ „Bleib los weg! Der stolze Hirsch war wie ein Vater zu dir und den anderen Tieren des Waldes. Schämst du dich denn gar nicht?!“, schrie ich den Fuchs an. Meine Worte schienen Wirkung zu zeigen, denn der Fuchs senkte beschämend seinen Kopf und rannte zurück in die Büsche. Eine Träne kullerte meine Wange hinab. Dies hätte nicht passieren dürfen. Ich hätte dies verhindern müssen! Doch bin ich nur wie versteinert dagestanden, weil ich Angst hatte. Doch was kann ich gegen dieses schattenhafte Ungetüm ausrichten? Ich bin doch nur ein gewöhnlicher Junge… Ich blickte nach oben zu den Baumwipfeln. Die kauzige Eule von vorhin kam aus ihrem Versteck gekraxelt und putzte sich das Gefieder, während sie ihre weisen Worte in den Wald hinaus rief: „Der stolze Hirsch, der Herr des Waldes, hat sein Leben verloren. Dieser Wald ist nicht mehr sicher, denn der Tod ist überall. Flieht, solange ihr noch könnt!“ Dann flog die kauzige Eule davon und einige der anderen Vögel schlossen sich ihr an. Am Boden sah ich einige der kleineren Tiere davonhuschen.
Ich stapfte durch den Wald, der mir auf einmal so leer und seelenlos vorkam. Von den Tieren des Waldes fehlte wieder jede Spur, doch dieses Mal vielleicht für immer. Ich kam schließlich zu einem wunderschönen See, dessen Wasser mir sehr klar und rein erschien. Auf der gegenüberliegenden Seeseite konnte ich das Schlosshotel Phönix erkennen, in das ich später noch einchecken wollte. Ebenfalls auf der anderen Seite konnte ich zwei Jungs erkennen, die vom Steg aus ins Wasser sprangen und somit ihre Körper von der prallen Sonne abkühlten. Der eine Junge stach mir sofort ins Auge, da sein Oberkörper mit Tattoos übersät war. Der andere Junge hingegen war athletischer gebaut und hatte wie ich blondes Haar. Ich tat es den beiden Jungs in gewisserweise gleich und reinigte meine Füße im kühlen Seewasser, als ich hinter mir erneut ein Knacksen vernahm. Zuerst keimte in mir die Hoffnung auf, dass der stolze Hirsch doch nicht tot sei, doch als ich mich umdrehte, war da nichts, außer dem leeren Wald. Doch dann hörte ich es erneut Knacksen und aus heiterem Himmel sprang ein Junge mit blauen Haaren von einem Baum runter. Der Junge kam mir bekannt vor, denn so ein engelhaftes Aussehen würde ich so schnell nicht vergessen. Blaue Haare trug zudem auch nicht jeder Zweite… „Kennen wir uns nicht?“, fragte mich der blauhaarige Junge. Ich nickte ihm sprachlos zu, während ich ihn mit großen Augen anglotzte und mein Mund sperrangelweit offen stand. „Natürlich, du bist dieser Junge aus dem Zoo, dem ich die Frage über den Phönix stellte.“, fiel es dem Jungen schließlich wieder ein, setzte sich neben mich, ohne zu fragen, und streckte seine braungebrannten Füße ins Wasser. „Bist wohl von der wortkargen Sorte… Mein Name ist Casey und dein Name?“ Casey streckte mir zur Begrüßung die Hand entgegen, die ich nach kurzem Zögern entgegennahm und schüttelte. „Ich heiße Justin. W-Was machst du hier?“ Casey blickte bekümmert zum See hinaus und zum Schlosshotel rüber, ehe er mir antwortete. „Ich hab hier ein paar wichtige Dinge zu erledigen. Und du?“ „Ich auch, aber das würdest du mir nie glauben, wenn ich es dir erzähle.“, antwortete ich ihm. Casey lachte und sein Lachen klang anders als von anderen Jungs. Es klang komisch und steckte zum Mitlachen an. „Du glaubst gar nicht, was ich schon alles erlebt hab.“, erwiderte er. „Und du weißt nicht was ich erlebt hab.“, entgegnete ich. „Wie wäre es dann, wenn wir unsere Erlebnisse bei einer gemeinsamen Cola austauschen?“, fragte er mich und deutete mit dem Kopf auf das Schlosshotel. Ich war dafür, denn Casey hatte etwas an sich, dass mich in seinen Bann zog. „Sehr schön.“, freute er sich über meine Zustimmung. Hinzu kam, dass meine Angst, die sich die letzte Stunde ansammelte, durch seine Anwesenheit gedämpft wurde. Casey lächelte mich an und sagte: „Vielleicht kann ich dir bei einer passenden Gelegenheit etwas Wodka unterjubeln und dich verführen, denn ich find dich voll süß!“
14. Das Wiedersehen – Teil 1 Zack: Die Sonne schien auf meinen stählernen Körper hinab, den ich mir zuvor von Max mit Sonnencreme einschmieren ließ. Es fühlte sich befreiend an, seine geschmeidigen Hände an meinem Körper zu spüren. Hinzu kam, dass es mir wirklich gut tat, mal aus meinem trostlosen Büro rauszukommen. Ich würde es vor ihm niemals zugeben, aber ein Tapetenwechsel tat mir wirklich gut. Nun lag ich hier auf dem Steg, zusammen mit meinem besten Freund, der zugleich auch meine bessere Hälfte war. Max` Kompass hatte uns in das Schlosshotel Phönix geführt. Doch sollte dies noch nicht unsere Endstation sein. Am kommenden Tag wollten wir im Morgengrauen zu einer Wanderung in die Berge aufbrechen, ohne zu wissen was uns dort erwartet. Ich vertraute Max, dass er wusste was er tat und würde ihm fast überall hin folgen. Alles was ich will ist, dass es ihm gut geht… Doch ist er nicht der Einzige, für den ich mir das wünsche… „Du hast ihn doch auch gesehen oder?“, fragte Max mich nach einer Weile, in der wir in der Sonne badeten. „Ich rede von Leon…!“ „Ich weiß…, ich hab ihn auch gesehen. Er hat sich im Swimmingpool vor uns versteckt.“, erwiderte ich. Dass ich Leon hier wieder begegnen würde, überraschte mich. Ob dies ein Zufall war? „Hätten wir ihn vielleicht doch ansprechen sollen?“, fragte Max mich unsicher. „Er hat sich vor uns versteckt Max!“, entgegnete ich. „Nach allem was ich ihm angetan habe, will er mich bestimmt nicht wiedersehen, geschweige denn mit mir reden.“ „Was WIR ihm angetan haben, oder hast du vergessen, dass wir miteinander Sex hatten, als er und ich uns zuvor geküsst haben?!“ Max Worte erinnerten mich an unangenehme Zeiten. Normalerweise bin ich in solchen Dingen hart im Nehmen und locker drauf, aber ich mochte Leon sehr und das was ich ihm angetan hab, ist aus meiner Sicht unentschuldbar. „Wer weiß. Vermutlich werden wir ihn gar nicht mehr wiedersehen und wenn doch, ist es glaub ich das Beste, wenn wir ihn nicht noch weiter verletzen und ihm sagen, dass wir zusammen glücklich sind.“, schlug ich Max vor, der seinen Kopf verwirrt zu mir umdrehte. „Ich habe ihn damals am Flughafen sitzen lassen. Ihm jetzt zu sagen, dass sein Opfer vergebens war und wir eine offene Beziehung führen, würde ihn nur noch mehr runterziehen, als ohnehin schon.“ „Vielleicht hast du Recht.“, pflichtete Max mir bei, wenn auch etwas Unsicherheit in seiner Stimme lag. „Wirst du ihm wenigstens von deinem Bein erzählen?“ „Nein.“, antwortete ich ihm sicher. „Das mein Bein stark beschädigt ist, ich keinen Sport mehr ausüben sollte und in die Firma meines Vaters eingetreten bin, braucht ihn nicht zu interessieren.“ „Du bist so ein Sturkopf Zack!“, erwiderte Max, was ich ihm allerdings nicht übel nahm.
Bobby: „Ja Caro, wir sind gut im Hotel angekommen.“ Ich telefonierte gerade mit meiner Halbschwester, während Tobias sich daran machte, unsere Koffer auszupacken. Ich war sehr überrascht über seinen spontanen Vorschlag, in dieses atemberaubende Schlosshotel zu fahren, um ein wenig zu entspannen. Allmählich fragte ich mich, was in seinem wundervollen Kopf so vorging… Wir hatten richtig Glück: Als wir hier ankamen, bekamen wir einen Preisnachlass von fünfzig Prozent, da wir die so und so vielten Besucher waren. Ironischerweise erhielten wir zudem auch noch die Hochzeitssuite, die mit Kissen in Herzformen, Rosenblüten und Kerzenlicht ausgeschmückt war. Mein Mund stand sperrangelweit offen, als ich das Zimmer betrat. Tobias nutzte meine Verdutztheit und trug mich in seinen starken Armen aufs Himmelsbett. Er legte sich behutsam auf mich und fing an mich liebevoll zu küssen und an den Armen zu streicheln. Dann fuhr er mit seiner Hand unter mein Shirt und fing an, mich dort weiter zu streicheln. Ich fühlte mich wie im siebten Himmel und schlang meine Arme um meinen Freund, den ich um nichts auf dieser Welt eintauschen wollen würde. Es grenzte an Pech, dass es plötzlich an unserer Hotelzimmertür klopfte und wir unser Bettspiel nicht fortsetzen konnten. Es war einer der Hotelpagen, der Tobias` Auto auf dem Parkplatz parkte und vergessen hatte, ihm seinen Autoschlüssel wieder zu geben. Noch bevor Tobias die Tür wieder verschloss, rief Caro mich auf meinem Handy an und die Romantik war endgültig futsch. „Du hast es gut. Ich will auch so einen romantischen Freund, der mich auf ein mystisches Schloss entführt.“, heulte Caro mir die Augen voll, was sie aber nur spaßeshalber von sich gab. „Wir werden hier sicher sehr viel Spaß haben.“, sagte ich und grinste dabei frech. „Jaja, reib es mir nur unter die Nase Bobby.“, meckerte Caro lachend. Danach folgte unwichtiges Geplänkel, bis wir irgendwann unser Telefonat beendeten. Tobias und ich beschlossen schließlich, dass Hotel ein wenig zu erkunden und ein Mahl im Speisesaal einzunehmen. „Na hoffentlich fliegen hier keine blauhaarigen Jungs durch die Fensterscheibe.“, sagte Tobias sarkastisch, der unseren letzten Restaurantbesuch noch immer nicht überwunden zu haben schien. „Müssen wir zurück in die Lobby, wo dieses Krötengesicht arbeitet?“, fragte er mich und meinte damit den Hotelmanager mit dem breiten Grinsen, als wir im Fahrstuhl standen und ins Erdgeschoss hinunterfuhren. Es grenzte schon an Absurdität, dass sich in einem Schloss ein Fahrstuhl befand. Mittelalter und Neuzeit prallten hier aufeinander, aber mir gefiel es. Als wir in der Lobby ankamen und die Fahrstuhltüren sich öffneten, hörte ich eine laute Stimme. Jemand schien sich über etwas Bestimmtes aufzuregen. „Jetzt geben sie ihm schon ein Zimmer, oder muss ich ungemütlich werden?!“ Tobias schluckte, denn es war der blauhaarige Junge, dem wir im Restaurant bei uns Zuhause begegnet sind. Zufälle gibt’s… „Dies ist ein Fünf-Sterne-Hotel. Dieser Junge kommt barfuß und völlig verdreckt in unser Hotel, was ein absolutes No-Go darstellt.“, erwiderte der Hotelmanager Herr Wilfred empört. „Ja aber doch nur, weil ich im Wald war, um die kranken Tiere zu untersuchen.“, verteidigte sich nun ein anderer Junge mit blondem Haar. Mir fiel die Kinnlade herunter. Seine Stimme würde ich aus hunderten heraushören. Das kann doch echt kein Zufall mehr sein, oder?! „J-Justin?!“, rief ich völlig überrascht und mein Ex-Freund drehte sich zu mir um. Er war es tatsächlich und auch ihm fiel die Kinnlade leicht runter, als er mich und Tobias entdeckte. „Was tust du hier?“ Tobias grummelte. „Na toll…“ „Dasselbe könnte ich euch fragen.“, antwortete Justin mir lediglich, doch schien er sich sehr über das unerwartete Wiedersehen zu freuen, denn er strahlte über das ganze Gesicht, was auch sofort in mir, Glückshormone hervorrief. „Kann ich nun ein Zimmer haben oder nicht?“, wandte er sich noch einmal an den Hotelmanager, der genervt hinter seinem Tresen stand und mit den Augen rollte. „Geben sie ihm ein Zimmer Herr Wilfred!“, rief eine Frauenstimme. Eine elegante Frau mit schwarzen Haaren, die zu einem Zopf zusammengebunden waren, stand in der Lobby und lächelte uns an. „Wie sie wünschen, Frau Temperini. Auf ihre Verantwortung.“, erwiderte Herr Wilfred nachgiebig und überreichte sowohl dem blauhaarigen Jungen als auch Justin einen Zimmerschlüssel.
15. Das Wiedersehen – Teil 2 Leon: Am Abend durchquerte ich mit meiner besten Freundin Maria die Lobby. Wir waren auf dem Weg zum Speisesaal, um zu Abend zu essen. „Und hast du den Hotelpagen noch einmal wieder gesehen?“, fragte ich sie ein wenig aus, um meine eigene Nervosität ein wenig runterzuspielen, die ich seit der Begegnung mit Max und Zack an den Tag legte. „Ja, hab ich und er ist einfach göttlich.“, schwärmte Maria mir voller Leidenschaft. „Ein Traum von einem Mann. Fast zu schön, um wahr zu sein…“ „Hast du dir so einen Traummann überhaupt verdient, nachdem du Fiona so eiskalt abserviert hast?“, fragte ich sie und bekam als Antwort ihre Handtasche in meine Rippen. Ich jaulte wehleidig auf, was zwei anderen Jungs nicht entging. Mein Herz rutschte mir in die Hose, denn ich dachte natürlich, dass es Max und Zack wären, doch es waren Bobby und Tobias. Noch eine Begegnung, mit der ich so gar nicht rechnete. „Hey, ihr Beiden!“, rief ich ihnen freudig entgegen und umarmte als Ersten Bobby. Maria und Tobias standen sich gegenüber und nach anfänglichem Zögern, umarmten auch die Beiden sich. Beinahe vergaß ich, dass die Zwei mal zusammen waren…! „Dies scheint ein Tag des Wiedersehens zu sein.“, meinte Bobby zu mir und er glaubte ja gar nicht, wie Recht er damit behielt. „Erst vorhin sind wir meinem Ex-Freund Justin begegnet.“ „Oje, an den Wunderknaben erinnere ich mich noch genau.“, gluckste Maria, nachdem auch sie Bobby umarmte und ich Tobias, der größer geworden zu sein schien. „Da hat aber jemand an Muskeln zugelegt.“, meinte ich und griff frecherweise an seine Oberarme, die er mir auch noch voller Stolz präsentierte. „Ich treibe ja auch regelmäßig Sport.“, erklärte Tobias mir und Maria ließ es sich nehmen, dass Wort Bettsport in den Raum zu werfen, was jedermann zum Lachen brachte. „Schön, dass wir hier uns begegnen und alle mal wieder beisammen sind.“, meinte Bobby fröhlich. Ich war ganz seiner Meinung, doch dann öffnete sich der Fahrstuhl und Max und Zack traten heraus. Marias Augen wurden groß und sie zwickte mich leicht in den Oberarm. „Ja, das glaub ich ja jetzt nicht!“, stieß sie laut aus. „Ist hier irgendwo ein Loch, wo nun alle rausgekrochen kommen?“ „Hallo Maria.“, begrüßte Zack sie mit einem Lächeln im Gesicht und einer Umarmung, während Max` Blick auf mich gerichtet war. Keiner der Beiden schien sonderlich überrascht zu sein, mich hier zu sehen. Was war hier eigentlich los? Zack, Max, Bobby und Tobias – das kann doch alles kein Zufall sein! Jetzt nur nicht die Nerven verlieren… „Hey Leon.“, begrüßte Zack mich ebenfalls, während Bobby und Tobias dezent in den Hintergrund traten und sich fragten, wer unsere Bekannten sind. „Schön euch Beide wieder zu sehen.“, sagte ich zu ihnen. „Das sah heute Nachmittag aber noch anders aus.“ Max zwinkerte mir zu und ich fluchte innerlich. „Wir haben dich im Pool gesehen, Leon.“ „Leeeeeoooon, wieso hast du mir nicht erzählt, dass die Zwei auch hier sind?!“, beschwerte sich Maria bei mir und schlug mir ihre Handtasche dabei erneut in die Rippen. „Ich wollte euer Liebesglück nicht stören…“, antwortete ich Max und blickte dabei von ihm zu Zack und wieder zurück. Die Beiden gaben optisch noch immer das perfekte Paar ab. „Und was ist mit euch Beiden, seid ihr auch… glücklich verliebt?“, fragte mich Zack ein wenig nervös. Genau im richtigen Moment, denn der Hotelpage von heute Mittag betrat die Lobby und trug zwei Koffer zum Ausgang. Maria richtete sofort ihre Blicke auf ihn und schenkte uns keinerlei Beachtung mehr. „Wie ich sehe, ist Maria über Fiona schnell hinweg gekommen.“, sagte Zack schmunzelnd. „Na toll und bei mir heult sich Fiona die Augen aus.“, beschwerte sich Max. „Und wie schaut´s bei dir aus?“, fragte mich Zack und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er sich seines schlechten Gewissens entledigen wollte. Wenn ich eine neue Liebe gefunden hätte, müsste er bestimmt kein schlechtes Gewissen mehr haben, doch Shane konnte ich wahrlich nicht als neue Liebe ausgeben, zumal er nicht anwesend war. Also tat ich etwas sehr… Dummes! Ohne meinen Blick von Zack und Max abzuwenden, streckte ich meinen linken Arm aus und griff mit meiner Hand nach Tobias starken Oberarm. „D-Das ist Tobi, mein Freund und meine große Liebe.“ Zack und Max waren sichtlich überrascht, aber auch erfreut. Tobias hingegen war schockiert, doch konnte er dies geschickt verbergen und ritt mich nicht in eine Bredouille hinein. Allerdings spürte ich einen stechenden Schmerz im Rücken, der von Bobby ausging. Leon du Trottel, was hast du getan?!
Tobias: Als ich in meiner Kindheit neu an die Schule von Bobby kam, war ich überaus glücklich, in ihm und Nina schnell Freunde gefunden zu haben. Mitten im Schuljahr in eine neue Klasse versetzt zu werden, ist nämlich alles andere als leicht. Im Laufe der Jahre fand ich dann noch viele weitere Freunde, wie Chris, der heute in einem Drei-Sterne-Restaurant als Koch sein Können unter Beweis stellte. Auch mit Matthias und Manne war ich befreundet, die sich allerdings mit ihrem rassistischem Verhalten der Homosexualität gegenüber, ins Aus schossen. Einer meiner besten Freunde in der Schulzeit war Leon, mit dem ich immer viel Spaß hatte. Er war ein herzensguter Mensch, aber manchmal wollte ich ihn am liebsten erwürgen, aufgrund seiner unüberlegten Handlungen. Genau in diesem Moment, verspürte ich dieses Bedürfnis – Hat er mich soeben als seinen Freund und große Liebe ausgegeben? Leons Freunde, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte, lächelten mich – meiner Meinung nach – etwas krampfhaft an. Der Größere der Beiden mit dem blonden Haar und der Surfer-Figur, streckte mir seine Hand entgegen und freute sich mich kennen zu lernen. Ich wollte nicht unhöflich sein, also streckte ich ihm ebenfalls meine Hand entgegen und stellte mich ihm vor. Leon sah mich immer wieder mit einem flehenden Hundeblick an, ohne dass seine beiden Freunde etwas davon bemerkten. In mir brodelte es stark, doch wollte ich ihn nicht hängen lassen. Ich beschloss also fürs Erste, bei dem ganzen Theater mitzuspielen. Ich konnte Leon später immer noch erwürgen… „Ja, mein Knuffknuff und ich, wir lieben uns heiß und innig. Ich kann gar nicht mehr ohne ihn sein und freu mich schon auf unsere gemeinsame Nacht.“, sagte ich leicht überspitzt und legte von hinten meine Arme um Leon, der mit einem Mal rot im Gesicht anlief. Leons Freunde starrten uns entgeistert an. Gut, denn dann ging Leons Lüge auf, und sie hielten uns für ein Liebespaar. Das Ganze würde mir durchaus Spaß bereiten…, wenn es da nicht ein winziges Problem gäbe! „Und du bist?“, fragte der Junge, mit den vielen Tattoos auf seinem Körper, meinen Freund. Bobby hielt sich bis jetzt dezent im Hintergrund auf und konnte nicht so recht glauben, was hier vor sich ging. „R-Robert, aber meine Freunde nennen mich Bobby.“, antwortete er ihm etwas holprig. Ich konnte in seinem Gesicht ablesen, dass er verwirrt, erschüttert und alles andere als begeistert war. Leon entging das auch nicht und ich hoffte, dass er das wieder gerade bog! „Bist du Verwandter, Kumpel, Bekannter…?“, quetschte Max ihn weiter aus und Leon konnte hoffen, dass Bobby bei seinem Schmierentheater mitspielte. Doch Bobby wusste nicht so recht was er antworten sollte und Leon ahnte schon das Schlimmste. Zu Recht, denn es kam noch sehr viel schlimmer! „Bobby ist mein Bruder!“, rief Maria uns zu, die sich von ihrer neuen Bekanntschaft, dem Hotelpagen Theodor, loseiste und blitzschnell schaltete. Bobby wurde kreidebleich im Gesicht und ich sah Leon im Erdboden versinken. „Du hast nie etwas von einem Bruder erzählt.“, stieß der Surfer-Junge verwirrt aus. „Äh…ja, das liegt daran, dass er nur mein Halbbruder ist und wir uns erst vor einem Jahr kennenlernten. Väter sind Schweine…!“, erklärte Maria und log, dass sich die Balken bogen. „Väter…, wem sagst du das.“, sagte der Surfer-Junge lachhaft, ehe er sich wieder seinem tätowierten Freund widmete. „Wollen wir dann was essen gehen? Kommt ihr auch mit?“ „Ja klar, lasst uns gehen.“, antwortete Leon ihm schnell. Doch Bobby packte ihn am Arm und hielt ihn fest. „Geht doch schon mal voraus. Wir haben hier noch kurz etwas zu bereden – ist privat!“, erklärte er Leons Freunden. Als die Zwei weg waren, stürmte mein Freund auf Leon mit Flüchen und Beschimpfungen ein. Leon wurde von Sekunde zu Sekunde kleiner, weswegen ich es nicht mehr für notwendig erachtete, auch noch auf ihn einzuprügeln. Leon entschuldigte sich bei uns, bat uns aber noch ein Weilchen durchzuhalten. Ihm zu Liebe taten wir ihm diesen Gefallen, doch meinen geplanten Heiratsantrag konnte ich somit vorerst aufs Eis legen.
16. Das Wiedersehen – Teil 3 Max: Ich freute mich für Leon, dass er in Tobias eine neue Liebe fand. Ich gönnte es ihm so sehr, denn er hatte es verdient, geliebt zu werden. Ich hab ihm damals so wehgetan und anschließend im Stich gelassen, dass ich mir das selber nicht verzeihen kann. Doch was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nun nicht mehr beheben. Ich hoffte dennoch, dass Leon und ich wieder Freunde werden können…, auch wenn ich insgeheim wusste, dass mein Herz noch für ihn schlägt. Zack und ich suchten uns einen großen Tisch im Speisesaal aus, an dem alle Platz hätten. Während wir auf Leon, seinen Freund Tobias und diesen Bobby warteten, unterhielten wir uns ein wenig mit Maria, die sich nervös neben Zack setzte. „Wie geht es dir denn aktuell so?“, fragte ich sie. „Ganz gut. Ich habe es keine Sekunde bereut, mein Kunststudium abgebrochen und mich für Mode-Design entschieden zu haben. Mein zeichnerisches Talent, kam mir beim Entwerfen der Kleider sehr zu gute. Momentan arbeite ich an meiner ersten eigenen Frühjahrskollektion, die ich nächstes Jahr rausbringen möchte. Hoffentlich kommt mir Kat, mit ihrer Kollektion nicht in die Quere.“ Maria lachte und Zack erwiderte daraufhin: „Wäre doch gut. Konkurrenz belebt das Geschäft.“ „Apropos Geschäft. Wie läuft es in der Firma deines Vaters?“, fragte Maria ihn, die natürlich von Fiona erfuhr, als sie noch zusammen waren, dass Zack in die Firma seines Vater eingestiegen ist. „Frag lieber nicht, sonst regt er sich nur wieder auf.“, warnte ich Maria, als ich Zacks genervten Ausdruck im Gesicht ablas. Ich versuchte also das Thema zu wechseln: „Das mit Fiona und dir tut mir übrigens sehr leid. Sie wünschte sich, das Ganze wäre anders gelaufen…“ Maria schnaufte und es war offensichtlich, dass sie nicht über dieses Thema reden wollte. „Lässt sich nun auch nicht mehr ändern. Ist vermutlich auch besser so. Ich bin inzwischen drüber hinweg.“ Ich wünschte mir, Fiona wäre das auch, dann würde sie mir nicht jeden Abend die Ohren vollheulen. „Entschuldigt die Verspätung.“, sagte Leon, als er sich zusammen mit Tobias und Bobby zu uns setzte. Über was die wohl noch geredet haben? Egal, mich geht das schließlich nichts an. „Was darf ich euch denn zum Trinken bringen?“, fragte uns die Bedienung namens Astrid. Leon lächelte ihr zu und sie zwinkerte zu. Offenbar kannten die Beiden sich bereits. Nachdem wir unsere Bestellung aufgaben, stellte Leon Zack und mir eine Frage. „Was treibt euch Beide eigentlich hierher?“ Zack und ich blickten uns an und überlegten, was wir hier alles preisgeben sollten. Ich hielt die Antwort so mysteriös wie nur möglich: „Wir haben für morgen eine Wanderung in die Berge geplant und damit wir uns nicht verlaufen haben wir DEN Kompass dabei.“ Durch meine spezielle Ausdrucksweise verstand Leon, was ich ihm damit sagen wollte und ein leises „Oh“ kam aus seinem Mund. Seine Frage daraufhin, überraschte mich allerdings ein wenig. „Darf ich euch vielleicht begleiten? Ein wenig Inspiration könnte mir nicht schaden.“ „Ja gerne. Du und dein Freund dürft uns gerne begleiten.“, erwiderte Zack und Leons Freund Tobias verschluckte sich an seine Getränk, das Astrid soeben erst an unseren Tisch stellte. Ich starrte Zack mit großen Augen an, denn hielt ich das für keine sonderlich gute Idee. Leon sah zu Tobias und ein flehender Blick lag in seinen Augen. „Cool, gehen wir wandern.“, stieß Tobias alles andere als begeistert aus. Komischer Typ. Ob er der Richtige für Leon war?
Justin: Das Wiedersehen mit Bobby warf mich völlig aus der Bahn. Ich lag in meinem Hotelzimmer auf dem Bett und grübelte über die letzten vier Jahre nach, in denen ich ihn nie sah, aber auch nicht vergessen konnte. Nach unserer Trennung damals fühlte ich mich innerlich leer und nutzlos. Ich sah keinen Sinn mehr in meinem Leben, denn nach meiner Entführung von Dr. Gold, bereitete mir meine Gabe mit Tieren zu sprechen Angst. Damals machte ich lange Zeit einen großen Bogen um jedes Tier, ob großer oder klein. Dies war natürlich ein Ding der Unmöglichkeit und nachdem ich mich wochenlang in meinem Zimmer bei Anja und Paul verkrochen hatte, wurde mir bewusst, dass es so nicht weiter gehen konnte. Ich durfte mich nicht verstecken und auch nicht davonlaufen. Ich musste mich dem stellen, was mir Angst bereitete. Ich suchte die abgebrannte Villa von Dr. Gold auf, in der Bobby, Tobias und ich beinahe ums Leben kamen. An jenem Abend war ich bewusstlos und bekam von dem Brand nicht allzu viel mit. Bobby rettete mir das Leben, in dem er eine Mund-zu-Mund-Beatmung bei mir durchführte. Anschließend gestand er mir, dass er Tobias mehr liebte als mich, er aber gerne mit mir befreundet bleiben würde. Ich erinnerte mich an mein Gespräch mit Casey im Fahrstuhl zurück. Er hatte die ganze Zeit über mein Gesichtsausdruck verfolgt, da war es kein Wunder, dass er mich schnell durchschaute. „Dieser Bobby scheint dir viel zu bedeuten…“ „Wir waren vor langer Zeit mal zusammen.“, erklärte ich ihm. Eigentlich ging Casey dies gar nichts an, aber lernte ich in all den Jahren, dass Lügen die Menschen mehr verletzen, als die Wahrheit. „Und, bist du über ihn hinweg?“, harkte Casey etwas genauer nach. Ich musste nicht lange überlegen, denn ich kannte die Antwort. „Nein…, nein bin ich noch nicht.“, antwortete ich ihm, als der Fahrstuhl zum Stillstand kam und die Türen sich automatisch öffneten. „Er war deine erste große Liebe, nicht wahr?“, quetschte mich Casey weiter aus, als wir den Fahrstuhl verließen und den Flur zu unseren Zimmern entlang marschierten. „Ja…, das war.“, antwortete ich Casey geistesabwesend. „Bitte lass uns nicht weiter darüber reden, ja?!“ Ich sperrte mein Zimmer auf, das dem von Casey genau gegenüber lag. „Verzeih meine Neugier.“, entschuldigte sich Casey bei mir. „Ist eine negative Eigenschaft von mir. Würde mich dennoch freuen, wenn wir später noch etwas gemeinsam essen und trinken.“ Ich lächelte Casey an, denn ich war ihm alles andere als böse. „Ja, sehr gerne.“ Dann betraten wir Beide unsere jeweiligen Zimmer und ich schloss die Tür hinter mir. Ich warf mich auf mein Bett, vergaß die Zeit um mich herum und da lag ich nun. Doch nun war es Zeit sich aufzuraffen und genau dies tat ich auch. Ich schloss die Hotelzimmertür hinter mir ab und klopfte bei Caseys Zimmer an. Es folgte weder eine Antwort, noch öffnete er mir die Tür. Ich klopfte noch einmal, wieder ohne jede Reaktion. Ich beschloss alleine in den Speisesaal zu gehen. Vielleicht wartete er bereits dort auf mich. Vielleicht hatte er bereits an meiner Tür vorher angeklopft und ich habe es, gedankenversunken wie ich war, gar nicht mitbekommen. Ich schlenderte den Flur entlang und drückte auf den Fahrstuhlknopf. Während ich wartete, dachte ich an das Wiedersehen mit Bobby zurück und lächelte. Ich war wirklich froh ihn wieder zu sehen! Die Fahrstuhltür öffnete sich und im Inneren standen bereits zwei Jungs, wovon mir einer bekannt vorkam. Ihm schien es genauso zu ergehen und gleichzeitig sagten wir: „Kennen wir uns nicht?“ „Natürlich, du bist der hübsche Junge vom Christkindlmarkt!“, stieß der Junge aus und schien sich zu erinnern. „Freut mich dich wiederzusehen. Ich bin Nick.“ Der Junge grinste mich an.
17. Das Wiedersehen – Teil 4 Nick: Nachdem mein an Demenz leidender Opa von einem Schloss Phönix murmelte, wurde ich natürlich hellhörig. Ich setzte mich an meinen Laptop und googelte das Schloss, dass in der heutigen Zeit zu einem Hotel umgerüstet worden war. Ich berichtete meinem besten Freund David davon, der mich dann anschließend hierher begleitete. Alles schien irgendwie mit dem Buch „Der Schattenphönix“ von Alexander Kinimod zusammenzuhängen – das Schlosshotel, mein Amulett und sogar Regina, die Krankenschwester, die ich nach Marcus Unfall im Krankenhaus kennenlernte. Nach allem was ich erlebte, glaubte ich nicht mehr an Zufälle. Vor allem glaubte ich aber inzwischen daran, dass es in unserer Welt mehr Magie zu geben schien, als wir in unseren kühnsten Träumen ausmalten. „Ich habe Hunger.“, jammerte ich, nachdem mein Magen sich mit einem Knurren bemerkbar machte. „Ja, wir gehen ja gleich. Ich muss nur noch schnell die SMS fertig schreiben und an Jasmin abschicken.“, sagte David, der seit nun mehr als zwei Jahren mit Jasmin eine Fernbeziehung führte. Jasmin studierte an einer weit entfernten Universität Medizin und erfüllte sich somit ihren Traum. Sie war so voller Tatendrang, dass sie sogar einen Sommerkurs belegte und deshalb nicht nach Hause kommen konnte. David schmerzte das sehr, doch wollte er ihrem Traum nicht im Wege stehen. „Okay, wir können gehen.“, sagte er schließlich, nachdem er auf Senden drückte. Im Fahrstuhl trafen wir auf Justin, den ich einst auf dem Christkindlmarkt kennenlernte. Ich freute mich sehr ihn wiederzusehen, denn er war sehr hübsch. David stieß mich mit dem Ellenbogen an, als er merkte, wie ich Justin anschmachtete. „Ist ja schon gut.“, grummelte ich. Der Speisesaal war randvoll mit Hotelgästen, als wir dort ankamen. Ich murrte, denn ich hatte großen Hunger. „Schaufeln wir uns den Weg frei und werfen ein paar Leute raus.“ „Benimm dich, oder das war die letzte Reise, die ich mit dir angetreten bin.“, warnte David mich und wollte voraus gehen, um uns einen Platz zu suchen. Ich hielt ihn jedoch zurück. „Lass mich und Justin vorausgehen. Bei deiner Größe wirst du nur übersehen und überrannt.“, meinte ich frech zu ihm und fing mir einen Arschtritt ein. Der Kleine steht auf meinen Knackarsch. Justin schritt voran, ich folgte ihm und der muffelige kleine Zwerg bei Fuß. Okay, der Satz ergab keinen Sinn, aufgrund dessen, dass Zwerge immer klein sind. „Justin, hier sind wir!“, rief eine Stimme, die mir vertraut vorkam. Ich blickte zu der Stelle, von der die Stimme herkam und entdeckte zu meiner großen Freunde Bobby. Die Wiedersehensfreude war groß und ich staunte nicht schlecht, dass er und Justin sich kannten. Noch überraschter war ich, als ich den Tisch rundum blickte und den Jungen mit dem schulterlangen schwarzen Haar und seine Freundin dort entdeckte. Der Junge namens Leon grummelte etwas vor sich hin, als er mich sah. Ich grinste und musste an unsere letzte Begegnung im Flur denken, wo er oben ohne rumlief. „Wer sind all diese Leute Nick?“, flüsterte David mir fragend ins Ohr. Ich konnte ihm keine genaue Antwort darauf geben, da ich nur Bobby kannte. Doch eines wusste ich genau: Hier schien etwas Ominöses vor sich zu gehen und wir würden vieeeeeel Spaß miteinander haben. Bobby bot uns an, dass wir bei ihnen sitzen durften und so waren wir eine sehr gesellige Runde von insgesamt neun Leuten, die sich nach und nach ein wenig kennenlernten. Ich stutzte kurz, als Maria sich als Bobbys Halbschwester vorstellte. Ich dachte sie hieß Caro…, doch ehe ich etwas sagen konnte, trat Bobby unterm Tisch mit seinem Fuß nach meinem Schienbein. Wieso schlagen mich eigentlich immer alle? Der smarte Justin hingegen beteiligte sich nur sehr wenig an den Gesprächen und hielt ständig nach jemand Ausschau. Wer auch immer ihn versetzt hat, muss ein Idiot sein! Der schöne Abend näherte sich seinem Ende. „Dann steht die Wanderung in die Berge morgen also fest?“, fragte Max bei Leon noch einmal nach, der ihm als Antwort lediglich nickte. „Darf ich auch mitkommen?“, warf ich ein und David sah mich verwirrt an. Eine Wanderung in die Berge war eine gute Gelegenheit, sich dort etwas genauer umzuschauen, denn bisher sah die Landschaft hier genauso aus, wie in dem Buch „Der Schattenphönix“ beschrieben. In einem unwahrscheinlichen Fall, finde ich das, was Prinz Phönix in den Bergen versteckte. Max war von Natur aus ein freundlicher Mensch und brachte es deshalb nicht übers Herz, nein zu sagen. Ich freute mich. „Juhu, lasst uns auf Wanderschaft gehen!“
Casey: Mein Gewissen machte wir schwerwiegende Vorwürfe, nachdem ich den süßen Justin versetzte. Doch hatte ich einen triftigen Grund dafür, denn ich ihm allerdings unmöglich nenne konnte, wenn ich ihn wiedersah. Sofern er mich nun überhaupt wieder sehen will… Nachdem Justin und ich auf unsere Hotelzimmer verschwanden, ruhte ich mich von den Strapazen des Tages ein wenig auf dem gemütlichen Bett aus. Ich hatte das Fenster geöffnet, denn ein lauer Wind zog gerade durch die Landschaft und kühlte die warme und feuchte Luft ein wenig ab. Ich schloss meine Augen und musste an Ereignisse aus meiner Vergangenheit denken. Völlig in Gedanken versunken, merkte ich gar nicht, wie schwerelos alles um mich herum wurde. Erst als ich der Lampe an der Decke gefährlich nahe kam, bemerkte ich, dass ich gar nicht mehr auf meinem Bett lag, sondern in der Luft schwebte, wie ein mit Helium gefüllter Luftballon. „Nicht schon wieder!“, stieß ich aus, denn dies geschah mir nicht zum ersten Mal. Ich zog eine rote Feder aus meiner Hosentasche und betrachtete sie in meiner Handfläche genau. Eine kleine Brise zog durch das Fenster und wehte die Feder aus meinen Händen. Panisch versuchte ich sie wieder einzufangen, doch da war es bereits zu spät und ich plumpste zurück auf das Bett. Die rote Feder landete neben dem Bett auf dem Boden, ich hob sie auf und verstaute sie vorerst in einer Schublade. „Wegen dir, hab ich nur Scherereien.“, meckerte ich. Kurze Zeit später klingelte mein Handy und als ich ranging, hörte ich am Ende der Leitung die Stimme eines Mannes. „Schönen guten Abend Casey. Wie geht es dir? Hatten wir nicht ausgemacht, dass du dich bei mir meldest, wenn du in Deutschland angekommen bist?“ „Tut mir Leid, Dr. Voth. Bei der Zeitverschiebung zwischen Deutschland und Amerika komme ich immer ganz durcheinander.“, erklärte ich ihm und rieb mir müde die Augen. „Erzähl mir bitte, wie es dir geht und was du so machst. Du weißt, dass das Teil unserer Abmachung war, damit ich dich nach Deutschland fliegen lasse.“, sagte Dr. Voth. „Ja, weiß ich.“, antwortete ich ihm leicht betrübt. „Wir wollen schließlich Beide, dass sich das Drama von San Diego nicht wiederholt.“, redete Dr. Voth weiter. „Ich bin dein Therapeut und passe darauf auf, dass du kein Unheil mehr anrichtest.“
18. Auf Wanderschaft – Teil 1 Max und ich warteten mit voll bepackten Rucksäcken am frühen Morgengrauen in der Lobby des Schlosshotels. Max gähnte noch ein wenig vor Schlaflosigkeit, doch wenn wir bis heute Abend wieder im Hotel zurück sein wollten, dann mussten wir früh aufbrechen. Ich hingegen fühlte mich recht fit und voller Tatendrang. Die frische Bergluft würde mir gut tun und außerdem war das ein ideales Training für meine Beinmuskulatur. Die Fahrstuhltüre öffnete sich und Leon stolzierte müde heraus. „Wo hast du denn deinen Freund gelassen?“, fragte Max ihn verwundert. „Oh…, der kommt gleich.“, antwortete Leon ihm. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er sehr nervös zu sein schien. War es wegen Max und mir, oder beschäftigte ihn noch etwas anderes? Zwei Minuten später öffnete sich die Fahrstuhltüre erneut und Leons Freund Tobias kam zum Vorschein. Wie ich, schien er voller Tatendrang zu sein. Ob er wie ich ein Sport-Junkie war? Das werde ich bald herausfinden, denn bei einer Wanderung kann man sich viel unterhalten. „Einen wunderschönen guten Morgen die Herren.“, wünschte uns der Hotelmanager Herr Wilfred, der hinter der Rezeption zum Vorschein kam. „Frau Temperini lässt ihnen ausrichten, dass sie ihnen viel Vergnügen auf ihrer Wanderung wünscht. Allerdings hat sie darauf bestanden, dass einer unserer Hotelangestellten sie begleitet, da unsere hiesigen Berge nicht ganz ungefährlich zu sein scheinen.“ „Und wer und wo ist dieser Angestellte?“, fragte ich etwas unhöflich, da mich die Vorstellung nicht wirklich behagte, dass uns ein Fremder begleitete. „Ich bin schon hier. Tut mir Leid. Bin ich zu spät?“, fragte uns ein junger, aber sehr muskulöser junger Mann. Sein Name war Tyler Auron und er zwinkerte Leon zu, der sofort rot an lief. Oha, was läuft denn zwischen den Beiden? Tobias schien das nicht zu kümmern. Von Eifersucht keinerlei Spur… „Sind denn alle da? Können wir losmarschieren?“, fragte Tyler und blickte in die Runde. „Nein, wir warten noch auf eine Person.“, antwortete Max ihm. „Lasst uns doch einfach ohne ihn losgehen.“, meinte Leon, der Nick nicht zu mögen schien. „Sei nicht gemein Knuffknuff. Nick ist ein Freund von Bobby und der mag ihn.“, entgegnete Tobias seinem Freund. Bei dem Wort „Knuffknuff“ stellten sich meine Nackenhaare auf. Schreckliches Wort! Die Fahrstuhltür ging erneut auf und Nick betrat die Lobby. „Good Morning Boys! Ich spüre, dass dies ein wunderschöner Tag werden wird.“, grinste er uns putzmunter zu. „Eine Wanderung mit den heißesten Jungs ever. Das wird der Knaller!“ „Nimmt der Drogen? Gebt dem bloß kein Koffein mehr. Am Ende tanzt er den Berg hinauf.“, murrte Leon und marschierte los. Tobias und wir Anderen folgten ihm, während sich Nick noch freundlicherweise beim Hotelmanager verabschiedete. „Bis heute Abend, Willi!“
Ein Nebelschleier lag im Tal. Egal wo ich hinsah, zum See, zu den Bergen, im Wald, überall zog er umher und verdeckte die Schönheiten der Natur. Er hatte aber auch etwas Wundersames und Mystisches an sich, denn er bereitete einem keinesfalls Gänsehaut am Rücken. Diesen Part übernahm derzeit etwas ganz anderes in meinem Leben… „Wandertag, Wandertag, lasst uns wandern, weil es jeder gern mag!“, rief Nick laut singend durch den Wald am Fuße der Berge, während wir im Gänsemarsch hintereinander herliefen. „Über Steine, über Gras, bis hoch in die Berge, ja das macht Spaß! Schöne Aussicht von dort oben, runter ins wunderschöne Tal, ganz ungelogen. Wandertag, Wandertag, ja das Wandern ist schön, weil es jeder mag.“ „Bereust du es nicht ein wenig, dass du zugestimmt hast, ihn mitzunehmen?“, hörte ich Leon leise Max fragen, die hinter mir die Nachhut bildeten. „Ach komm schon. Klar, kann das auf Dauer anstrengend und nervig sein, aber so wird uns zumindest nicht langweilig.“, erwiderte Max leicht schmunzelnd. Leon versuchte den Gesang von Nick zu ignorieren und unterhielt sich weiter mit Max. „Der Kompass des alten Mannes, den du von ihm geschenkt bekommen hast, zeigt also in Richtung der Berge?“ „Ja, deswegen sind Zack und ich überhaupt hier, um herauszufinden, was sich dort befindet. Wir hatten ja keine Ahnung, dass wir hier auf dich antreffen würden.“, antwortete Zack ihm. „Was die Frage aufwirft, wieso du überhaupt hier bist!“, rief ich nach hinten, da ich jedes einzelne Wort mitbekam. „Du warst in Frankreich doch so erfolgreich. Wieso bist du zurückgekehrt?“ „Es kam ein Auftrag von der Hotelchefin herein, dass ich ungern ablehnen wollte.“, erklärte Leon uns, doch wollte er zum jetzigen Zeitpunkt keine genaueren Details preisgeben. „Ich geh mal nach vorne und zeig unserem Wanderführer die Route, die wir gehen müssen, wenn wir uns an die Kompassnadel halten wollen.“, sagte Max, trabte an mir vorbei und ließ mich mit Leon alleine, während sein Freund Tobias sich mit Nick zu unterhalten begann. „Ah endlich kein Gesang mehr.“, schlussfolgerte Leon erleichtert. „Und… wie lange kennt ihr euch schon? Wie lange seid ihr zusammen?“, fragte ich ein wenig neugierig und nickte mit den Kopf in Tobias Richtung. „Äh… das ist eine lange Geschichte.“, antwortete Leon mir lediglich. Ich blickte um mich und machte ihm damit klar, dass wir alle Zeit der Welt hätten. Schließlich sagte er: „Wir kennen uns schon seit der Schulzeit, da wir in dieselbe Schule und Klasse gingen. Zusammen sind wir aber erst seit…äh… Mai letzten Jahres.“ Ich nickte verständnisvoll und dachte fieberhaft über seine Aussage nach, die etwas eigenartig rüber kam. Doch eigentlich konnte mir das auch egal sein und doch kam ich nicht umhin, einen Kommentar zu äußern. „Sein Rücken kommt mir bekannt vor, als hätte ich ihn schon irgendwo einmal gesehen. Leider begegne ich sehr vielen Menschen in meinem Leben und kann mich nicht an jeden einzelnen erinnern, aber sein Rücken ist einer der ansehnlichsten. Er macht wohl viel Sport.“ „Oh ja.“, erwiderte Leon…, ehe er ein kleines „Oh“ von sich gab. Als ich ihn fragte was los sei, wies er mich allerdings schnell ab und meinte, dass nichts wäre. Ich blickte wieder nach vorne zu Max, der sich angeregt mit Tyler unterhielt. „Dieser Tyler scheint ein Auge auf dich geworfen zu haben. Ist dir das aufgefallen?“ Leon schüttelte den Kopf und blickte zu Tyler, der sich genau in diesem Moment zu uns umdrehte. „Alle dreißig Sekunden sieht er zu uns hinter, allerdings nicht um sich zu vergewissern, dass noch alle da sind, denn dabei starrt er nur zu dir.“ Ich schmunzelte. Leon war ein richtiger anziehender Magnet für die Männerwelt geworden.
19. Auf Wanderschaft – Teil 2 Wir folgten einem engen Fußpfad den Berg hinauf. Es bestand keinerlei Möglichkeit nebeneinander herzugehen, also marschierten wir schön brav hintereinander. Tyler und Max marschierten vorne weg, dann kam Nick und dann ich, hinter mir folgte Leon und zum Schluss noch Tobias. Je höher wir kamen, desto schöner wurde die Aussicht. Der Nebel schien sich langsam zu verziehen und gab die freie Natur preis – es war einfach nur wunderschön! Ich hörte Leon hinter mir leicht keuchen. War er schon außer Atem? Auch wenn er nicht gerade der Sportlichste in der Runde ist, so kam es mir eigenartig vor, dass er bereits jetzt zu keuchen anfing. „Ist alles okay?“, fragte ich ihn besorgt. „Geht es dir nicht gut?“ Leon wollte mir antworten, doch Nick quatschte zuvor rein: „Ich hoffe, dass ich, wenn ich so alt bin wie er, nicht so jämmerlich ende und wie ein Nashorn zu keuchen anfange.“ Leon warf Nick einen wütenden Blick zu, der ihm sagen soll, dass er besser die Klappe halten sollte. Dann wandte er sich etwas freundlicher an mich. „Es ist nicht so, dass ich bereits außer Atem bin. Nur je höher wie steigen, desto weiter geht es auch bergab, wenn du verstehst…“ Und wie ich verstand… „Verdammt. Dein Sturz von den Klippen, als wir damals zum Skifahren in die Berge gefahren sind. Das hatte ich ja völlig vergessen.“, entgegnete ich und machte mir nun wirklich Sorgen um Leon. Damals ging es ihm hinterher alles andere als gut. Er litt daraufhin an Panikattacken und nahm Pillen, von denen er auf die Dauer abhängig wurde. Soweit durfte es auf keinen Fall mehr kommen. Ich reichte Leon meine Hand, als es darum ging, über einen großen Felsen zu klettern. Leon nahm meine Hand dankend an und ich zog ihn zu mir hinauf. Allerdings zog ich ihn ein wenig zu schwungvoll zu mir, sodass sich unsere beiden Körper auf einmal ganz nahe kamen. Leon und ich blickten uns in die Augen und in mir kam ein Gefühl hoch, dass ich schon eine sehr lange Zeit nicht mehr in mir spürte. „Tu-Tut mir Leid.“, entschuldigte ich mich bei ihm und nahm ein wenig Abstand. Dann blickte ich zu Tobias, der noch am Fuße der Felsenformation stand und zu uns hinaufblickte. Ob er jetzt eifersüchtig wurde? „Danke, aber ich komme auch ohne eine hilfreiche Hand hinauf.“, winkte er lässig ab und kletterte den Felsen problemlos hinauf. Ich schaute ihn verdutzt an. Entweder schenkte der Knabe seinem Freund grenzenloses Vertrauen, oder er liebt Leon gar nicht wirklich…! „Dieser verdammte Skiausflug damals.“, fluchte Leon neben mir, als wir unseren Weg fortsetzten und zu den anderen Drei wieder aufschlossen, die an einem Baum auf uns warteten. „Ich erinnere mich. Bobb…, ich meine du hast mir doch mal davon erzählt.“, sagte Tobias. „Du hast dich damals bei Manne geoutet und dann kam es zu einem Handgemenge, bei denen du über eine Klippe gestürzt bist, dich aber gerade noch rechtzeitig an einem Ast festhalten konntest, bis das Bergungsteam eintraf.“ „Ja und daraufhin hab ich ihm die Freundschaft gekündigt.“, erzählte Leon zu Ende. „Das war ein Arsch.“, pflichtete ich bei. „Aber hey, seine damalige Freundin war ganz witzig. Zum einen war sie ja wirklich dumm wie ein Stück Toastbrot, aber einmal hat sie es ihm so richtig gegeben. Wie war ihr Name doch gleich wieder? Agnes?“ Ganz unerwartet und unvorbereitet blieb Nick vor mir stehen und ich rannte in ihn hinein. Verwundert blickte ich ihn von oben herab an, da er ein klein wenig kleiner war als ich. Nick drehte sich zu uns um und blickte uns nacheinander an, während wir den Blick verwirrt erwiderten. „Wann genau fand denn dieser Skiausflug in die Berge statt?“, fragte er uns. Ich blickte zu Leon, ehe ich antwortete: „Vor dreieinhalb Jahren etwa – zu Silvester. Warum?“ „Was ist denn nun schon wieder los, Leute?“, fragte Max leicht genervt dazwischen. „Wenn wir die ganze Zeit stehen bleiben, dann erreichen wir unser Ziel nie!“ „Welches Ziel haben wir eigentlich? Kann mir das bitte einmal einer verraten?“, fragte Tyler uns. „Das wüsste ich auch gerne.“, pflichtete Tobias ihm bei. Max, Leon und ich tauschten Blicke miteinander aus. Dann zog Max den Kompass aus seiner Hosentasche und betrachtete ihn genau. „Oh, dass ist also der Kompass?“, fragte Nick jäh begeistert. „Darf ich ihn mir mal genauer ansehen?“ Nick kam auf Max zu, um sich den Kompass aus der Nähe anzusehen. Er stolperte allerdings über einen Stein und fiel in Max Arme. Dabei flog der Kompass aus dessen Hand und fiel die Klippe zu seiner Rechten hinunter. „Ups.“, sagte Nick kleinlaut. „Verfluchte Scheiße!“, rief Max zornig. „Kannst du nicht aufpassen?!“ Max blickte die Klippe hinunter und auch ich lugte vorsichtig hinunter. Es war Glück im Unglück, dass sich der Kompass in einem Gestrüpp verfing und somit nicht gänzlich verloren war. Allerdings standen wir nun vor einer Herausforderung, denn es war nicht so leicht, an jene Stelle hinzugelangen. „Den holst du mir auf der Stelle wieder.“, befahl Max Nick und sah ihn dabei mit einem wütenden Blick an. „W-Wie stellst du dir das vor? Soll ich da einfach runterspringen?“, fragte Nick ihn fassungslos. „Das wäre doch was, dann wären wir ihn los.“, hörte ich Leon in Tobias Ohr flüstern. „Schon gut. Ich werde dir den Kompass zurück holen.“, sagte ich schließlich, denn irgendjemand musste es schließlich tun und mir traute ich diese Kletterei zudem am Meisten zu. „Ich hab Kletterausrüstung in meinem Rucksack verstaut, mit der dürfte es mir ein leichtes sein, an den Kompass zu gelangen.“ „Von hier oben ist das aber zu gefährlich, wenn nicht sogar tödlich.“, warnte Tyler mich. „Hier herrschen starke Windbedingungen. Das lasse ich als Wanderführer nicht zu.“ „Und was schlagen sie dann vor, Herr Wanderführer?“, fragte Max ihn nun leicht gereizt. Tyler antwortete ihm gelassen: „Wir werden einen Teil des Pfades wieder hinunter marschieren. Ich glaube dort unten gab es eine Abzweigung und einen Pfad, der näher an die Stelle heranführt, an dem sich der Kompass befindet. Von dort aus, versuchen wir es dann mit der Kletterausrüstung.“ „Der ganze Aufwand, wegen eines dummen Kompasses?“, fragte Tobias verdutzt und ehrlich gesagt, ging mir haargenau dasselbe durch den Kopf, doch Max bedeutete dieser Kompass sehr viel, also wollte ich ihm auch diesen Gefallen tun. „Zack und Nick kommen mit mir.“, beschloss Tyler. „Wir müssen nicht alle dort hinuntersteigen. Ihr anderen wartet hier und rührt euch nicht vom Fleck. Habt ihr mich verstanden?“ „W-Wieso muss ich mit?“, fragte Nick leicht ängstlich. „Vielleicht, weil du Schuld an diesem Dilemma bist?“, erwiderte Leon, dem der Kragen langsam zu platzen drohte. Offensichtlicher ging es gar nicht mehr, dass er Nick nicht sonderlich mochte. Mich hingegen störte Nicks Verhalten nicht sonderlich. Er war eben noch jünger als wir und schien bisher ein sorgenfreies Leben geführt zu haben – ohne sich jeglichen Gefahren des Lebens bewusst zu sein. „Hey, ich werde dir deinen Kompass zurückbringen.“, versicherte ich Max und legte meine beiden Hände auf seine Schultern. „Du kannst mir vertrauen. Ich schaff das!“
20. Auf Wanderschaft – Teil 3 Der Abstieg zum Kompass ereignete sich sehr viel schwieriger als zunächst gedacht und erstmals war ich froh darüber, einen erfahrenen Bergführer wie Tyler dabei zu haben. Der Pfad zu der Stelle, in dem der Kompass sich im Gestrüpp verfing, war schmal und holprig. Überall lagen Felsbrocken herum, die zum Teil fest im Berg verankert waren, sich teilweise aber auch bewegten. Deshalb war es sehr wichtig, dass wir langsam einen Fuß vor den anderen setzten. Ich blickte nach oben und suchte die Stelle ab, an der Max, Leon und Tobias auf uns warteten, doch konnte ich sie nicht finden. „Ich immer mit meiner großen Klappe. Das war eine sehr dumme Idee.“, hörte ich Nick hinter mir nuscheln. Ich erwiderte darauf nichts. Das war schließlich sein Problem und nicht das meinige. „Ich glaube wir sind fast da. Nur noch ein kleines Stück.“, ermutigte Tyler uns, der vorne weg lief und jeden einzelnen Stein auf seine Festigkeit überprüfte, damit uns kein Unglück widerfuhr. „Glaubt ihr, dass Max mir verzeihen wird, wenn ich ihm seinen Kompass wiederbringe?“, fragte Nick. „Vermutlich hat er dir schon verziehen.“, meinte ich zu ihm. „Max ist kein sehr nachtragender Mensch, weißt du!“ „Gut, wir sind da.“, sagte Tyler und Nick atmete erleichtert aus. „Ich kann den Kompass von hier aus sehen. Er hängt in dem Gestrüpp unter uns – in etwa fünf Meter Tiefe.“ „Kann man da einfach so runterklettern?“, fragte ich vorsichtshalber. „Nein, an dieser Stelle ist eine Steilwand. Du könntest abrutschen und das war es dann.“, antwortete Tyler mir und ich hörte Nick hinter mir schlucken. „Sense, wenn ihr versteht…!“ „Gut.“, sagte ich schließlich, nahm mir meinen Rucksack vorsichtig vom Rücken runter und zog die Kletterausrüstung mit Seil und Haken heraus. „Ich werde dort runterklettern und den Kompass holen. Wir sichern das Seil an einem festen Felsen und ihr Beide lasst mich dann ganz langsam hinunter und gebt Acht, dass ich nicht als Zack-Mus im finsteren Tal ende, verstanden?!“ „Bin ich sowas von einverstanden.“, entgegnete Nick klar und deutlich, der sichtbar Muffensausen bekam, als er in den Abgrund blickte. Es war schließlich an der Zeit, auf Worte Taten folgen zu lassen und nachdem ich mich für den Abstieg physisch wie auch psychisch vorbereitete, konnte der „Spaß“ beginnen. Nun könnte man meinen, dass für eine Sportskanone wie mich dieser Abstieg ein Klacks wäre – was sind schon fünf Meter – doch kam ich nicht umhin, zuzugeben, dass ich ein kleinwenig Höhenangst hatte. Zudem spürte ich beim Abstieg deutlich, wie die Schmerzen in meinem Fußgelenk wieder größer wurden. Diese elenden Schmerzen trag ich nun schon seit dem damalige Ironman-Triathlon mit mir herum und eigentlich hatte ich gehofft, dass das wieder verheilt, doch dann hatte ich Wasser im Knie und alles wurde noch sehr viel schlimmer. Seit damals kann ich mich meiner Leidenschaft, dem Sport, nicht mehr so widmen, wie ich es gerne würde. „Alles klar bei dir da unten?!“, hörte ich Tyler von oben herabrufen, während er und Nick mich nach und nach weiter abseilten. Ich setzte vorsichtig einen Fuß nach den anderen an die Steilwand und versuchte mit meinen Händen irgendwo Halt zu finden – doch der war kaum vorhanden. Nur noch ein Stück, dann hätte ich es geschafft. Das Gestrüpp mit dem Kompass lag direkt unter mir. Wenn ich meinen rechten Arm ausstreckte, könnte ich vielleicht rankommen. Doch dieses Risiko wollte ich lieber nicht eingehen und ging auf Nummer sicher. Ich kletterte noch ein wenig abwärts, doch dann geschah es! Ich rutschte ab und fiel, dabei riss ein Haken aus der Wand, was meinen Fall zusätzlich beschleunigte. Ich hörte Tyler nach mir schreien, der mit Nick zusammen, mit all seiner Kraft am Seil zog und mich festzuhalten versuchte. Im Fall fiel ich durch das Gestrüpp und schnappte mir den Kompass von Max. Na wenigstens hatte ich den Kompass dachte ich mir. Doch das würde mir nicht helfen, wenn ich gleich tot bin. Ich hatte Glück und fiel auf einen engen Felsvorsprung. Doch knickte ich dabei mit meinem rechten Fuß um. „Aaargh verdammt!“, schrie ich vor Schmerzen auf. „Zack, Zack, ist alles okay bei dir?!“, hörte ich Tyler nach mir rufen. „Ich lebe noch!“, rief ich zurück. „Aber ich glaube, ich habe mir den Fuß verstaucht.“ „U-Und was machen wir jetzt?“, hörte ich Nick Tyler panisch fragen. „Einer muss da runterklettern und ihm beim Aufstieg helfen.“, antwortete Tyler ihm. „Sollten wir nicht besser Hilfe holen? Das schaffen wir doch nie!“, entgegnete Nick panisch. „Bis wir Hilfe geholt haben, ist er ein Fressen für die Aasgeier. Willst du das?!“, erwiderte Tyler und versuchte ihn ein wenig zu beruhigen, indem er ihm die Hände auf die Schultern legte. „Alles wird gut Nick. Ich bin ja da und irgendwie schaffen wir das gemeinsam schon, aber du musst da jetzt runterklettern und Zack helfen. Hast du mich verstanden?!“ „WAS?! Wieso ich?!“, schrie Nick, dessen Panik unüberhörbar war. „Wieso machst du das denn nicht? Du bist doch der Kerl mit den Oberarmen eines Schwarzeneggers.“ „Und wer soll uns dann am Seil wieder raufziehen? Etwa du, mit deinen dünnen Ärmchen?“, fragte Tyler Nick, woraufhin dieser nichts mehr entgegen zu setzen hatte. „D-Du lässt mich doch nicht fallen oder?“, fragte Nick ihn ungewiss. „Jetzt mach endlich uns läuft die Zeit davon!“, forderte Tyler ihn auf, der langsam die Geduld verlor. „Wenn du endlich sagst, meinst du damit jetzt oder später, wenn ich mein letztes Gebet sprach und meine Mum anrief und ihr sagte, wie lieb ich sie hab?!“, fragte Nick Tyler. „Mach!“, schrie Tyler ihn an und ohne ein weiteres Wort machte sich Nick an den Abstieg zu mir herunter. Und obwohl ich gerade Höllenqualen erleiden musste, weil mir mein Fuß so schmerzte, so stellte ich mir doch die Frage, ob es einen Menschen auf dieser Erde gab, der Nick ertrug… „Zack, ich bin gleich da.“, hörte ich Nick sagen, der inzwischen am Gestrüpp ankam und nur noch zwei Meter von mir entfernt war. Ich musste zugeben, dass er sich ausgesprochen geschickt beim Abstieg anstellte. Immer wieder blickte er zu seiner rechten und zu seiner linken, um ja nicht abzurutschen. Als er endlich beim Felsvorsprung ankam, verknotete er unsere beiden Seile, die jeweils um unsere Hüften gebunden waren. Inzwischen befestigte Tyler oben noch ein paar zusätzliche Haken, damit nicht noch einmal ein Unglück geschah. „Jetzt können wir nur hoffen, dass Tyler stark genug ist, um uns Beide gleichzeitig raufzuziehen.“, sagte ich zu Nick, nachdem ich mich noch einmal vergewisserte, dass der Kompass in meiner Jackentasche verstaut war. „Das packt der schon.“, versicherte Nick mir. „Hast du dem seine Oberarme gesehen? Hercules ist ein Waschlappen dagegen. Okay ich übertreibe…, aber in so einer Lage kann das nicht schaden.“ Ich musste schmunzeln – Bestimmt gibt es Menschen, die Nick ertragen können und ihn für seinen Humor sogar lieben. Er hat das Herz am rechten Fleck, auch wenn er einem auf die Nüsse geht. „Ich zieh euch jetzt hoch!“, rief uns Tyler von oben hinunter und Nick und ich versuchten ihm dabei zu helfen, so gut wie es uns nur möglich war. Mein Fuß hing schlaff hinunter und ich traute mich nicht, ihn irgendwo aufzusetzen, aus Angst vor noch größeren Schmerzen. Doch Nick gab mir Halt, indem er seinen Arm um mich schlang und mir beim Aufstieg half. Mit all seiner Kraft zog uns Tyler bis nach oben. Nick und ich kletterten mit unseren Händen und unseren drei Füßen. Letztendlich schafften wir das Unmögliche und saßen alle Drei auf dem Pfad, von dem wir hergekommen waren. „Du hast uns das Leben gerettet.“, sagte Nick schnaufend zu Tyler und bedankte sich bei ihm. „Nur keine falsche Scheu. Du hast auch großartige Arbeit geleistet.“, meinte er lächelnd zu Nick und ich musste ihm beipflichten. Ohne Nick, wäre mir der Aufstieg nicht gelungen. „Und ich hab den Kompass, der uns so viel Ärger bereitet.“, grinste ich unter Schmerzen. „Ich werde mir jetzt als Erstes deinen Knöchel ansehen. Ich hab in meinem Rucksack eine Salbe und Verbandszeug verstaut. Fürs Erste ist das das Einzige, was ich für dich tun kann.“, sagte Tyler zu mir. Besser als nix dachte ich mir und ließ mir von Tyler einen Verband anlegen. Als ich wieder aufstand, versuchte ich mein Bein aufzusetzen. Es schmerzte noch immer, aber da musste ich jetzt durch, denn uns stand noch ein langer Rückweg bevor. „Max wird das nicht gefallen, dass er nun meinetwegen die Wanderung abbrechen muss.“, meinte ich leicht deprimiert, während wir den holprigen Weg zurückmarschierten. „Na hör mal. Du hast ihm seinen Kompass zurückgebracht und dein Leben aufs Spiel gesetzt. Er sollte dir dankbar sein und dich auf Händen tragen.“, meinte Nick zu mir und grinste mich dabei an. „Wer weiß, vielleicht kümmert er sich so gut um dich, dass dir eine heiße Nach bevorsteht.“ Auch ich musste nun grinsen. Nick dieser Spinner. Doch mein Grinsen verschwand mit einem Mal, als Nick auf einen lockeren Stein trat, der daraufhin abbrach und samt Nick in den Abgrund stürzte. Ich konnte Nicks entsetztes Gesicht sehen und seinen panischen und angsterfüllten Schrei hören. Auch ich schrie: „Nein Nick!“ Doch es war zu spät. Auch Tylers rettende Hand konnte ihn nicht mehr erreichen und so stürzte Nick in den Tod. Der Schock saß tief und Tränen kullerten meine Wangen hinunter.
21. Vergangene Gefühle – Teil 1 Ich war so glücklich, als mich Tobias dazu überredete, für ein paar Tage hierher zu kommen und zu entspannen. Das Wetter war perfekt, das Hotel war perfekt und eine Überraschung jagte der Nächsten. Dass ich hier Leon, Nick und Justin antreffen würde, daran hätte ich im Traum nicht gedacht. Ich freute mich natürlich über alle Maßen die Drei wiederzusehen, dennoch kam ich nicht umhin, mir die Frage zu stellen: Ist das wirklich nur Zufall oder steckt da mehr dahinter? Als ich morgens um neun Uhr im Himmelbett meines Hotelzimmers erwachte, streckte ich meine Hand zur rechten Seite aus. Ich hatte ganz vergessen, dass Tobias bereits im frühen Morgengrauen zu der Wanderung mit Nick, Leon und den anderen beiden Typen aufgebrochen war und mich hier im Hotel alleine ließ. Das alles nur, weil Leon vorgab, Tobias wäre seine große Liebe. Nett wie wir Beide nun mal waren, spielten wir bei dem Affentheater mit. Obwohl ich Leon dafür am liebsten an die Gurgel gehen wollte, aber das hatte Zeit, bis sie von der Wanderung wieder zurückkehrten. Die Morgensonne schien durch die dünnen Vorhänge am Fenster hindurch und erhellte ein wenig die Hochzeitssuite. Müde wie ich noch war, zog ich mir die Bettdecke über den Kopf und grummelte darunter vor mich hin. Den ganzen Tag ganz alleine in diesem verlausten Hotel. Was stell ich da am besten an? Mit einem Mal schossen mir an die hundert verrückte Ideen durch den Kopf, die ich als kleines Kind im Sommerurlaub mit meinen Eltern anstellte. Ich war damals etwa neun Jahre alt und meine kleine Schwester Annie war kurz zuvor auf die Welt gekommen. Wir waren in Italien in einem Hotel und aus Langeweile klopfte ich an jeder Hotelzimmertür, an der ich vorbei kam und rannte dann schleunigst davon. Am Strand verbuddelte ich den kompletten Unterleib meines Vaters mit Sand, der in der Sonne eingeschlafen war. Und im Swimmingpool der Hotelanlage spritzte ich absichtlich im Wasser herum, um die faulen Leute auf ihren Liegen nass zu machen. Ja, damals war ich ein kleiner Frechdachs – fast so frech, wie Nick noch heute ist. Doch was wollte ich nun heute unternehmen? Schwimmen im Swimmingpool? Mir aus Frust ein an der Hotelbar ansaufen? Ich rollte mich in meinem Bett vor Langeweile hin und her, als es plötzlich an der Zimmertür klopfte. Ohne groß nachzudenken, stand ich aus meinem Bett auf und ging zur Tür. Egal wer kam, mir war jeder recht, der mich von der gähnenden Langeweile ablenkte. Als ich die Tür öffnete stand zu meiner großen Freude Justin vor mir. Ich weiß nicht, wie er das anstellte, aber allein durch sein Lächeln fühlte ich mich mit einem Mal glücklicher. „M-Morgen Justin.“, begrüßte ich ihn. Justin grinste mich an. „Morgen Bobby. Die Hochzeitssuite hm? Wie ist das zu verstehen? Haben du und Tobias geheiratet, oder plant ihr zu heiraten?“ Ich winkte schnell ab. „Um ans Heiraten zu denken ist es doch noch viel zu früh. Wir sind noch jung und ich will Abenteuer erleben.“, meinte ich zu ihm und lächelte ihn an. Justins Blick war starr auf mein Gesicht gerichtet. Warum nur? „Wenn du Abenteuer willst, vielleicht hättest du dann Lust mich in den Wald zu begleiten.“, sagte er zu mir. „Ja, sehr gerne. Ich sterbe hier sonst vor Langeweile.“, antwortete ich ihm hocherfreut und wollte bereits zur Zimmertür hinausmarschieren und ihn begleiten. Justin hielt mich jedoch zurück, indem er seine rechte Handfläche auf meine Brust lag. „Vielleicht…“, sagte er ganz langsam und grinste nun noch breiter. „Vielleicht solltest du dir erst etwas anziehen, oder willst du lediglich mit Boxershorts bekleidet in den Wald marschieren?“ Erschrocken blickte ich hinunter und musste feststellen, dass ich lediglich eine rot-weiß-karierte Boxershorts trug. Ich hatte ganz vergessen mir etwas anzuziehen, bevor ich die Tür öffnete. „Duschen wäre auch nicht verkehrt.“, meinte Justin und rümpfte die Nase, während er grinsend zur Decke raufstarrte. „Ich warte dann in der Hotellobby auf dich. Ich freu mich!“, rief er mir noch zu, als ich wortlos und zutiefst beschämt die Zimmertür wieder schloss. Bobby, das war mal wieder megapeinlich!
Justin wartete wie angekündigt in der Hotellobby auf mich. Er unterhielt sich gerade mit Nicks bestem Freund David, den er am Abend zuvor kennenlernte. „Guten Morgen Bobby.“, begrüßte David mich herzallerliebst, während er ein Buch in seinen Händen hielt, dessen Titel ich allerdings nicht erkennen konnte. „Ich komme gerade vom Frühstücken und bin randvoll.“ „Oh frühstücken, wäre noch eine gute Idee.“, meinte ich und versuchte ganz schnell wieder zu vergessen, dass ich halbnackt vor Justin im Flur stand. Mir war dies ein wenig unangenehm, obwohl er mich ja schon in meiner vollen Pracht bewundern durfte. „Keine Sorge. Ich hab für Proviant gesorgt.“, sagte Justin, doch konnte ich bei bestem Willen keinen Rucksack auf seinem Rücken entdecken, der Sandwiches oder Getränke beinhaltete. „Hast du auch Lust mit uns mitzukommen?“, fragte Justin David noch und innerlich hoffte ich leise, dass David nein sagte. Nach all den Jahren würde ich gerne ein wenig Zeit allein mit Justin verbringen. „Sorry, muss ablehnen.“, antwortete David und in meinen Gedanken regnete es Konfetti vor Freude. „Von der Barkeeperin Astrid hab ich gehört, dass es hier eine große Bibliothek geben soll. Da wollte ich mal ein wenig rumschnüffeln und dann gibt es ja noch dieses Buch hier.“ David zeigte uns das Buch in seinen Händen. Es hieß „Der Schattenphönix“. „Das Buch hat Nick von deiner Großmutter geerbt Bobby und es stehen ein paar sehr interessante Dinge darin. Solltest du auch mal lesen…“ „Ein andermal gerne. Müssen wir nicht langsam los?“, fragte ich Justin schon ganz ungeduldig. Justin nickte und David wünschte uns viel Spaß bei was auch immer. „Betet ein wenig für die Wanderer, denn die müssen Nick den ganzen lieben langen Tag ertragen!“, rief er uns noch zu, als wir Richtung Ausgang marschierten. Dabei kamen wir an der Rezeption vorbei, doch Herr Wilfred schenkte uns keinerlei Beachtung. Jedoch spürte ich mit einem Mal einen eiskalten Blick im Rücken, der mir Angst einflößte und als ich mich wieder umdrehte, war der Hotelmanager verschwunden.
Als wir in den Wald eintraten, wurde ich sofort von dessen wundersamen Schönheit verzaubert. In meinem ganzen Leben hatte ich keinen schöneren Wald gesehen. Der Boden war übersät mit Moos und laut Justins Aussage, fühlte er sich wie ein weiches Kissen an, wenn man barfuß darauf rumlief. Die Baumkronen waren übersät mit grünen Blättern und wunderschönen Blüten. Die Natur war wirklich herrlich, allerdings fehlte hier etwas… „Ich höre kein Vogelgezwitscher.“, merkte ich an. Justins Gesicht erstarrte, während er wortlos neben mir herlief. „Justin, was ist hier los?“ „Die Vögel sind davongeflogen, aber auch andere Tiere des Waldes haben die Flucht ergriffen.“, antwortete er mir, doch verstand ich nicht warum. „Zuerst war von einer unheilbaren Krankheit die Rede, die die Tiere das Leben nimmt, doch dann entdeckte ich die Wahrheit.“ „Und die wäre?“, fragte ich vorsichtig nach. Justin drehte sich zu mir um. Aus seinem Gesicht schien jede Freude und jedes Glücksgefühl verschwunden zu sein. Stattdessen war sein Gesicht finsterer denn je. „Hier haust ein unheimlicher und mörderischer Schatten. Es ist nicht von natürlicher Natur und meine Aufgabe besteht darin, ihn aufzuhalten und zu vernichten.“ Ich schluckte und konnte kaum glauben, was er mir da berichtete.
22. Vergangene Gefühle – Teil 2 Während Justin und ich durch den Wald schlenderten, berichtete er mir über die Begegnung mit dem Schatten und dem Tod des stolzen Hirsches. Ich musste einmal kräftig schlucken, als er mir dessen Tod beschrieb und kam nicht umhin, Justin eine Frage zu stellen: „Aber wieso hat der Schatten nur den Hirsch getötet und dich in Frieden gelassen?“ „Ich hab keine Ahnung. Es war so, als würde der Schatten mich auslachen…“, antwortete er mir unsicher. „Vielleicht sah er in mir keine Bedrohung. Ich bin schließlich nur ein gewöhnlicher Mensch.“ „Ach komm!“ Ich schubste Justin an der Schulter und lächelte leicht. „Wir wissen Beide, dass du alles andere als ein gewöhnlicher Mensch bist, oder hast du die Tanzeinlage der Spinne vergessen?!“ „Wie könnte ich das jemals vergessen? Das war unser erstes Date.“, erwiderte Justin lächelnd und blickte mir dabei in die Augen. Ich erwiderte den Blickkontakt und fühlte mich frei wie ein Vogel. Doch mit der Zeit wurde es mir unangenehm, ich senkte meine Augen und versuchte auf andere Gedanken zu kommen. „Wie sieht es jetzt eigentlich mit unserem Frühstück aus? Du hast gesagt, du hast für Proviant gesorgt, allerdings sehe ich keinen Rucksack mit Proviant auf deinem Rücken.“ Justin lächelte mich nur noch breiter an und ich spürte wie meine Wangen zu glühen anfingen. Nein, nein, nein, das darf nicht passieren! Nicht nach all meinen gemeinsamen und glücklichen Jahren mit Tobias. „Folge mir!“, rief mir Justin zu, als er voraus rannte. „Du wirst Bauklötze staunen!“ Ich folgte Justin ohne jeden Zweifel in meinen Gedanken zu verspüren, doch beunruhigte es mich doch ein wenig, dass er noch immer diese anziehende Wirkung auf mich ausübte. Ob es ihm genauso ging? War er womöglich nie über mich hinweggekommen und hegte noch immer Gefühle für mich? Ich beschloss ihn bei passender Gelegenheit danach zu befragen, doch erstmal folgte ich ihm willig. Wir schlenderten über den moosbedeckten Boden, kletterten über umgestürzte Baumstämme und etwas größere Felsbrocken. Hin und wieder konnte ich den ein oder anderen verlassenen Dachs- oder Fuchsbau erkennen und auch die Vogelnester in den Baumkronen schienen verlassen zu sein. Ich wusste genau, dass dies Justin sehr traurig stimmen musste. Er liebte die Tiere und wünschte sich, er könne mehr für sie tun. Zugegeben, was kann Justin schon großmächtig gegen diesen Schatten ausrichten. Doch war ich zuversichtlich, dass wenn es einer konnte, er derjenige war. „Ist es noch sehr weit?“, fragte ich ihn, nachdem wir gefühlt eine halbe Stunde durch den Wald marschiert waren, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, wo er mich hinführte. „Deine Frage war überflüssig, denn wir sind gerade angekommen.“, antwortete Justin mir lächelnd. Ich sah ihn verdutzt an, denn um uns herum befanden sich lediglich Büsche und Sträucher soweit das Auge reichte. Es waren an dieser Stelle sogar so viele, dass nicht einmal die Sonne es vermochte, sich zu uns durchzukämpfen. Es war schattig und kühl und ich spürte, wie sich eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete. „Hier gefällt´s mir aber gar nicht.“, murmelte ich. „Es wird dir gleich sehr viel besser gefallen.“, meinte Justin und hob einen Zweig mit Blättern hoch, so dass ich drunter hindurch gehen konnte und auf eine große Lichtung kam. Mit einem Mal schien mir die Sonne wieder ins Gesicht und ich musste mich erst wieder daran gewöhnen. Dafür hörte ich wieder ein Geräusch, was ich im Wald bisher so sehr vermisste: Das Zwitschern der Vögel! Als sich meine Augen wieder an das helle Sonnenlicht gewöhnten, konnte ich erkennen, wo Justin mich hingeführt hatte. Die Lichtung war von Bäumen umgeben, die einen in sich geschlossenen Kreis bildeten, eine Blumenwiese überstreckte sich über die ganze Lichtung und in der Mitte standen einen große Anzahl an Beerensträucher. In den Bäumen hingen Äpfel, Birnen und Kirschen, während in den Sträuchern die verschiedensten Sorten an fruchtigen Beeren heranwuchsen. Doch das war noch längst nicht alles, denn auf der Lichtung befand sich eine Ansammlung vieler Waldtiere, darunter Rehe, Wildschweine, Feldhasen, Eichhörnchen, Kohlmeisen und viele andere Tiere. Als die Tiere mich und Justin sahen, schraken sie allerdings nicht auf, wie man es von Waldtieren gewohnt sein müsste. Sie standen lediglich ruhig da und einige schienen sich über unser Kommen sogar zu freuen. Verwirrt blickte ich zu Justin. „Ich dachte alle Tiere des Waldes hätten die Flucht ergriffen?!“ „Haben sie auch, doch während einige Tiere – wie die altkluge und kauzige Eule – ihre Heimat in Stich ließen, beschlossen einige Tiere um ihren Wald zu kämpfen und verschanzten sich hierher.“, erklärte er mir frohen Mutes. „Heute Nacht klopfte ein Buntspecht an meinem Fenster und als ich das Hotel verließ, führte mich eine Wasser-Fledermaus an diesen Ort.“ „Eine Fledermaus?!“, fragte ich stutzig und ungläubig nach. Justin grinste mich an. „Ich erzähle dir die Wahrheit, oder schenkst du mir nach all der Zeit kein Glauben mehr?! Diese Bäume hier…“, er zeigte mit dem Finger auf die im kreisliegenden Obstbäume, „bilden einen Schutzkreis und wehren das Böse von diesem Ort ab.“ „Ich kann das einfach nicht glauben…, als wäre dies hier einem Märchen entsprungen.“, sagte ich und konnte meinen Augen noch immer nicht so recht trauen. Es war einfach… unbeschreiblich! „Seit des Tod des stolzen Hirsches, hat das stinkende Wildschwein hier das sagen, aber rümpf in seiner Gegenwart besser nicht die Nase, das mag er so gar nicht…“, warnte Justin mich und lächelte mich nach wie vor an. Wie konnte er trotz allem nur so eine Frohnatur sein? „Hast du Hunger?“ Justin und ich schlenderten über die Blumenwiese zu den Beerensträuchern und ein paar Rehe und Feldhasen gaben uns den Weg frei. Ich stellte mir die Frage, ob ich eines der Rehe vielleicht mal streicheln dürfte, doch zunächst einmal hatte ich tierischen Hunger. Okay, das Wort „tierischen“ lass ich mal besser weg. Könnte doch missverstanden werden…! Ich pflückte mir eine Erdbeere und aß sie genüsslich. Sie schmeckte vorzüglich und ich konnte gar nicht genug von all den Beeren kriegen. Irgendwann lagen Justin und ich mit vollen Mägen auf der Wiese, über uns der blaue Himmel und die strahlend helle Sonne. „Mir ist gerade ein lustiger, aber unsinniger Spruch eingefallen.“, sagte ich zu Justin. „Zwei Braunbären stechen sich in Heidelberg an Stachelbeeren, um Himbeeren zu essen. Danach wälzen sie sich mit Erdbeeren und werden zu Dreckbären. Nach einem Waschgang im See sind sie Waschbären, doch als der Winter hereinbricht und alles vereist werden sie zu Eisbären. Inzwischen gebären zwei Pandabären in Bergisch-Gladbach zwei Babybären.“ „Du bist doch doof!“, stieß Justin laut lachend aus und ich stimmte im Gelächter ein. Doch dann fiel mir meine Frage von vorhin wieder ein und ich hielt es für die passende Gelegenheit ihn hier und jetzt danach zu fragen: „Du Justin…“, sagte ich leise zu ihm, während er seine Augen schloss und die Sonne in sein Gesicht schien. Er sah wirklich wie ein Engel aus. „Seit unserer Trennung damals…, hattest du seitdem eigentlich auch mal wieder einen Freund?“ Ich hoffte, dass er mir eine wahrheitsgetreue Antwort gab und nicht wie Leon, der behauptete Tobias wäre sein Freund, einen ins Gesicht log. Doch würde mir die Wahrheit überhaupt gefallen?
23. Vergangene Gefühle – Teil 3 Nachdem ich Justin meine Frage stellte, öffnete er seine Augen wieder und stützte sich mit den Ellenbogen vom Boden ab, um mir ins Gesicht sehen zu können. „Wieso stellst du mir so eine Frage, Bobby?“, fragte er mich ein wenig traurig. Mit einer Gegenfrage hatte ich allerdings so gar nicht gerechnet und deshalb musste ich selber zuerst nachdenken, was ich ihm darauf als Antwort gab. „In dem Jahr wo ich dich kennenlernte…“, begann ich schließlich langsam zu antworten, „... da hast du mein Leben von Grund auf verändert. Ich war nichts weiter als ein normaler siebzehnjähriger Junge, der noch zur Schule ging und sich nicht traute, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. Doch dann kamst du und allein mit deiner Anwesenheit hast du mein dunkles Leben mit Licht erfüllt. Du hast mir Mut gemacht und mich jeden Tag aufs Neue herausgefordert. Du warst geheimnisvoll.“ „Das war bestimmt nicht meine Absicht.“, sagte Justin daraufhin und kicherte. „Ja, aber du hast es getan und nur das ist was zählt.“, erwiderte ich. „Ohne dich, wäre ich heute nicht der Junge der ich bin und deshalb liegt mir dein Glück ganz besonders am Herzen.“ Justin sah mich mit einem sanften und dankbaren Lächeln an. Er schien von meinen Worten sehr gerührt zu sein. „Das war aber eine ziemlich lange und ausführliche Antwort auf meine Frage…!“ „Ich hoffe, dass deine mindestens genauso lang sein wird.“, grinste ich frech zurück. Justin stöhnte und ließ sich wieder auf das weiche Gras fallen. Ich hörte einen Feldhasen neben mir herumhopsen, doch waren meine Augen voll auf Justin gerichtet. „Du willst also wissen, ob ich nach dir jemals wieder einen Freund gehabt habe und für ihn dasselbe empfand wie für dich?“ „Nicht dasselbe, etwas Besseres.“, korrigierte ich ihn, aber bejahte den Rest seiner Erkenntnis. „Ich streite nicht ab, dass es hier und da einen süßen Jungen gab, von dem ich mich angezogen fühlte und mit dem ich flirtete, aber einen Freund hatte ich dennoch nicht.“, antwortete Justin mir. „Warum nicht? Wenn du dich doch von ihnen angezogen fühltest?“, harkte ich etwas genauer nach. „Es war einfach…, sie waren nicht du, verstehst du?!“, antwortete er mir und ich wandte meinen Blick von ihm ab. Ich blickte zum blauen Himmel empor und dachte über seine Worte nach. Gefiel mir das nun, oder nicht? „Auch jetzt gab es da wieder so einen Jungen.“, erzählte Justin plötzlich und ich spitzte meine Lauscher. „Ich hab ihn erst kürzlich kennengelernt, aber er zog mich sofort in seinen Bann. Er hat auch in diesem Hotel eingecheckt, aber gestern Abend hat er mich versetzt.“ „Du redest von dem blauhaarigen Jungen oder?“, fragte ich nach, um sicherzugehen. „Ja, sein Name ist Casey.“, antwortete Justin mir. Als er seinen Namen sagte, konnte ich heraushören, mit welcher Leidenschaft er ihn sagte. Er schien echt etwas Besonderes zu sein. „Ich hoffe, dass du eines Tages glücklich sein wirst.“, sagte ich und griff mit meiner Hand nach seiner und hielt sie fest, während ich sie zugleich ein wenig streichelte. „Und ich hoffe, dass Tobias dir mit Leon nicht fremdgeht.“, erwiderte Justin frech grinsend. Ich stöhnte laut auf, musste allerdings auch grinsen. „Danke, dass du gestern Abend den Mund gehalten hast, sonst wäre die Lüge schneller aufgeflogen, als Leon lieb ist.“
Den ganzen Tag über, verbrachten Justin und ich unsere Zeit auf der Lichtung. Wir unterhielten uns über die letzten Jahre und was jeder so erlebt hat in dieser Zeit. Ich berichtete ihm davon, wie ich erfolgreich mein Studium in „Naturschutz“ abschloss, das ich eine Halbschwester namens Caro hatte und über den tragischen Tod von meiner Oma. Er hingegen berichtete mir, dass er Lesen und Schreiben lernte und sich mit seinem Vater wieder versöhnte, was mich besonders erfreute. Doch so sehr ich auch versuchte unser Leben als normal anzusehen, so gelang es mir dennoch nicht ganz, den Schatten zu vergessen, von dem Justin mir berichtete. „Hier geschehen eigenartige Dinge Justin. Allein schon die Tatsache, dass sich hier so viele homosexuelle Menschen auf einmal eintreffen, gibt einem zu denken, aber dann auch noch du… und Leon… und Nick…?!“ „Ich versteh nicht ganz.“, sagte Justin verwirrt, als wir auf dem Rückweg zum Schlosshotel waren. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und konfrontierte Justin mit meinen Gedanken: „Leon wird mich lynchen das ich dir das erzähle, aber er besitzt einen magischen Pinsel und einen magischen Zeichenstift, die aus den Federn und der Asche eines Phönixes hergestellt wurden. Da stellt sich doch die Frage, ob es einen Zusammenhang mit dem Schlosshotel Phönix gibt. Nick hat mir außerdem erzählt, dass er ein Amulett besitzt, dass nicht von dieser Welt zu kommen scheint und dann noch deine Gabe mit Tieren sprechen zu können. Ihr Drei seid alle auf die eine oder andere Weise mit übernatürlichen Dingen in Berührung gekommen. Als du mir den Schatten beschrieben hast, kam mir ein beunruhigender Gedanke. Kann es sein, dass dieser Schatten die Gestalt eines Phönixes annahm?“ Wir stiegen die Stufen zum Hotel hoch und Justin schien völlig sprachlos zu sein. Er sagte kein Wort zu mir, vermutlich weil er sich selber kein Reim auf all dies machen konnte. Als wir die Hotellobby betraten, hörte ich eine bekannte Stimme, die ich allerdings schon seit längerer Zeit nicht mehr hörte. Ich blickte zur Rezeption und traute meinen Augen nicht, als ich meinen ehemaligen Mathematik- und Chemielehrer Herr Frenzel dort sah. „Bitte ein Einzelzimmer auf unbestimmte Zeit.“, forderte er bei Herr Wilfred, dem Hotelmanager an. „H-Herr Frenzel?“, stieß ich überrascht aus. An Zufälle glaub ich jetzt echt nicht mehr, aber das mein ehemaliger Lehrer schwul ist, wäre mir neu. „Oh, hallo Bobby, welch freudige und unerwartete Überraschung.“, stieß mein ehemaliger Lehrer mit leicht verstellter Stimme freudig aus. „Tut mir Leid, aber ich bin erschöpft von der langen Herfahrt. Wir reden ein andermal, ja?!“ Herr Frenzel winkte mir zum Abschied und stieg in den Fahrstuhl, der gerade in der Hotellobby zum Halten kam, während Maria daraus ausstieg. Verwirrt blickte sie sich zu Herr Frenzel um, als sich die Fahrstuhltüren auch schon wieder schlossen. „War das gerade etwa…?“, fragte sie mich leicht irritiert und überrascht. Doch ehe ich antworten konnte, redete Maria sich auch schon wieder den Mund fusselig. „Egal, wir haben größere Sorgen. Leon und die anderen sind von ihrem Wanderausflug noch nicht zurückgekehrt und langsam mache ich mir echt Sorgen. Es dämmert schließlich schon und wenn es erst einmal dunkel ist, dann…“ „Machen sie sich keine Sorgen!“, rief Herr Wilfred breit grinsend dazwischen. „Unser Pool-Boy Tyler ist schließlich bei ihren Freunden und er ist ein sehr guter Wanderführer.“ „Wenn sie sich da mal nicht irren.“, sagte eine niedergeschlagene Stimme hinter uns und als wir uns alle zu der Person umdrehten, stand wie gerufen Tyler mit der Wandertruppe vor uns. „Da seid ihr ja endlich. Ich hab mir schon Sorgen gemacht!“, sagte Maria erleichtert und umarmte Leon dabei. Doch als sie ihn wieder losließ, bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los?“ Keiner sagte etwas und ich blickte von einem niedergeschlagenen Gesicht zum Anderen. Dann fiel mir schockierender weiße auf, das Nick nicht unter ihnen war. „W-Wo ist Nick?“, fragte ich sie mit leiser und ängstlicher Stimme, doch eine böse Vorahnung ließ mich die Antwort bereits erahnen. „E-Es war meine Schuld.“, antwortete Zack mir, der zu schluchzen anfing. Er brachte kein weiteres Wort aus seinem Mund heraus und sein Freund Max nahm ihn tröstend in die Arme. „Ich war für alle verantwortlich, also ist es meine Schuld.“, meinte Tyler, der schuldig zu Herr Wilfred guckte und dann seinen Blick vor Scharm senkte. „N-Nick ist in den Abgrund gestürzt. E-Er ist t-tot!“ Mein Herz blieb stehen und meine Ohren stellten sich auf taub. Eine eisige Kälte füllte die Hotellobby – es war die Kälte des Todes. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hörte ich, wie ein Gegenstand zu Boden fiel. Unbemerkt war David in der Hotellobby erschienen und ließ das Buch „Der Schattenphönix“ zu Boden fallen, während seine Augen starr vor Entsetzen waren. „N-Nick ist t-tot?“, wiederholte er den letzten Satz von Tyler. Er wollte ihm kein Glauben schenken. Warum auch? Das konnte einfach nicht wahr sein! „Nick ist nicht tot!“, schrie er wutentbrannt.
24. Feuer, Wasser, Erde, Luft – Teil 1 „Weshalb sind sie bei mir, Casey?“, fragte mich der etwas kauzige Mann im Sessel gegenüber, nachdem ich es mir auf der dunkelroten Couch bequem gemacht hatte. Ich wusste weshalb ich heute hier war, doch wollte ich es keinesfalls so aussehen lassen, als wäre ich völlig geistesgestört. Alles was ich erlebte, alles was mir widerfuhr, ist die reine Wahrheit! „Wie sie wissen, wird unser Leben immer wieder aufs Neue von Erdbeben erschüttert. Vor einiger Zeit wurde mein Leben von etwas ganz anderem erschüttert – und so unglaubwürdig es für Sie auch klingen mag, so erzähle ich ihnen keine Lügen. Ich war schon immer ein direkter und offener Mensch, vermutlich brachte mich genau diese Eigenschaft zu Fall.“ Während ich meinem Therapeuten Dr. Voth Antwort und Rede stand, fuchtelte ich wie wild mit meinen Händen umeinander, da ich mit ihnen gerade nichts anzufangen wusste. Dr. Voth wies mich an, dass alles okay sei, ich ruhig bleiben soll und dass wir hier völlig unter uns wären. Ich versuchte also Ruhe zu bewahren und mich auf die Geschehnisse zu konzentrieren, die mir widerfahren sind – so ungern ich mich auch daran zurückerinnerte.
Ich klopfte an der Hotelzimmertür von Justin, den ich gestern beim Abendessen versetzt hatte, da ich einen Anruf meines Therapeuten erhielt, bei dem ich seit einigen Jahren in Behandlung bin. Ich wollte es bei Justin wieder gut machen und ihn fragen, ob ich ihn heute zum Essen ausführen durfte, auch wenn ich den Verdacht hegte, dass ihm seit ein paar Stunden nicht mehr nach Essen zumute war. „Justin, ich bin es, Casey!“, rief ich durch die Tür hindurch. „Ich komme, um mich bei dir wegen gestern Abend zu entschuldigen. „Bitte mach die Tür auf und lass uns reden!“ „Geh weg und lass mich in Ruh!“, hörte ich Justins Stimme die traurig und trotzig zugleich klang. „Ich hab von dem Unfall dieses einen Jungen namens Nick gehört. Soweit mir zu Ohren kam, kanntest du ihn. Bitte Justin, mach die Tür auf!“, bat ich ihn erneut, doch es zeigte keine Wirkung. „Verschwinde endlich!“, rief Justin mir erneut zu, doch kannte er da meine Hartnäckigkeit schlecht. „Ich gehe nicht, ehe wir miteinander geredet haben und wenn ich die ganze Nacht vor deiner Tür sitzen muss. Das ist mir egal!“, rief ich ihm zu und was ich sagte, meinte ich auch so. „Ich wünschte, ich hätte den Tod des armen Jungen verhindern können. Ich weiß, dass ich es verhindern hätte können, doch war ich leider nicht dabei und konnte diesbezüglich nichts ausrichten.“ Dieses Mal folgte keine Antwort von Justin und es wurde ganz still. Ich wartete eine Weile und hoffte, dass Justin es sich doch noch einmal anders überlegte und mit mir redete – und ich hatte Glück! Die Tür zu Justins Hotelzimmer ging auf und mit feuchten Augen blickte er mich enttäuscht, aber auch fragwürdig an. „Was hättest du denn ausrichten können? Du bist doch nur ein ganz normaler Junge mit coolen blauen Haaren und einem zu großen Ego.“, murmelte er mir zu. Es war ersichtlich, dass er geweint hatte und ich sah es als meine Pflicht an, ihn in den Arm zu nehmen, was ich auch tat. Als ich ihn wieder losließ, sagte ich: „Können wir drinnen weiterreden? Dort sind wir ungestört und dann erzähle ich dir alles, was du wissen möchtest.“ Justin nickte mir zu und ließ mich in sein Zimmer, das identisch mit meinem aussah – nur spiegelverkehrt. Wir machten es uns auf der Couch bequem und ich bemerkte ein paar feuchte Taschentücher, die auf dem Tisch herumlagen. Justin rieb sich die Augen. Seine Haare waren völlig zerzaust, doch sah er trotz allem noch süß aus. „Das ich dich gestern Abend versetzte, tut mir Leid, aber ich bekam einen dringenden Anruf aus meiner Heimat.“ „Deinem Dialekt nach zu urteilen, nehme ich an, dass du aus Amerika stammst.“, meinte Justin und ich nickte. „Dann fang mal an zu erzählen, aber wenn ich merke, dass du mich anlügst, werfe ich dich gleich wieder raus. Ich bin schon traurig, da muss ich nicht auch noch wütend werden.“ „Ich lüge nie.“, versicherte ich ihm. „Ich bin jetzt 21 Jahre alt und meine Geschichte begann im Sommer 2012. Ich war damals 16 Jahre alt, trug noch stinknormales schwarzes Haar auf meinem Kopf und mein damaliger Freund führte mich zu einem Date aus.“
Um mich herum war es recht dunkel, doch konnte ich noch genug sehen, um mich zurechtzufinden. Ich befand mich in einer Art Röhre aus Glas und hier und da standen ein paar Meeresfelsen. Über mir war nichts als Wasser und darin schwammen die gefährlichsten Bewohner der Meere – Haie! Jemand packte mich mit beiden Händen von hinten an den Schultern und versuchte mich zu erschrecken, was ihm allerdings nur geringfügig gelang „Deine fortwährenden Versuche mich zu erschrecken sind lachhaft.“, sagte ich schmunzelnd zu dem Jungen, der mich frech angrinste. „Ich krieg dich schon noch.“, erwiderte der Junge. Sein Name war Oliver Jessburg und wir gingen zusammen auf die Highschool, wo wir Mitglieder des Schwimmteams waren. Er stach mir damals sofort ins Auge und obwohl wir beide unsere Homosexualität in der Öffentlichkeit geheim hielten, so zeigten wir dennoch unsere Zuneigung füreinander, wenn wir unter uns waren. Oliver hatte braunes Haar, das in alle Himmelsrichtungen weg stand. Doch nach seiner Aussage war ihm seine Haarfarbe zu langweilig und er würde sie gerne einmal färben lassen, doch konnte er sich bisher noch für keine Farbe entscheiden. „Die Farbe muss für mich eine tiefe Bedeutung haben.“, meinte er zu mir und ich fragte ihn, ob mir auch eine andere Haarfarbe an Stelle von Schwarz stehen würde. „Wir können ja Beide irgendwann wie bunte Kanarienvögel herumrennen.“, lachte er. „Ich finde Haie wunderschön und bedrohlich zugleich.“, sagte ich zu ihm, während ich mit offenem Mund zu den Raubtieren hinaufblickte. „Es war eine gute Idee von dir, ins SeaWorld zu fahren.“ „Unser Schwimmkurs machte einen Ausflug hierher, als du mit Grippe im Bett lagst. Da dachte ich mir, ich schleif dich heute hierher und kann es zugleich als unser erstes gemeinsames Date nutzen.“ Ich lächelte Oliver dankbar an. Ich legte meine Hand an sein Kinn, dass ich sanft zu streicheln begann. Dann zog ich ihn an mich heran und küsste ihn voller Leidenschaft. Eine Mutter, die gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn hier war, hielt ihm schützend die Hand vor die Augen. Dumme und ignorante Menschen – als ob man vom puren Anblick allein homosexuell werden würde… Als wir uns voneinander lösten, lächelte Oliver mich an und sagte: „Wir sollten weitergehen, ehe die gute Frau noch einen Herzinfarkt erleidet. Zudem haben wir in einer viertel Stunde unseren Termin beim Delfinschwimmen. Damit wird dein größter Traum in Erfüllung gehen!“ Ich freute mich wie ein Honigkuchenpferd darauf, was so viel bedeutet wie, dass ich über das ganze Gesicht strahlte. Als wir am Becken der Delfine ankamen wurden wir von dem dortigen Personal eingewiesen und bekamen wassertaugliche Kleidung überreicht, die wir uns in dort angebrachten Umkleidekabinen überzogen. Aus dem Wasserbecken hörte man bereits das Pfeifen der Delfine, die sich über ihre Gäste freuten. Ganz langsam tauchte ich meine Füße in das Wasserbecken, damit ich die Tiere nicht aufscheuchte. Dies war allerdings gar nicht nötig, da Delfine nicht menschenscheu waren und schon von ganz alleine auf uns zu schwammen. Mit meiner rechten Hand streichelte ich vorsichtig die Haut eines Delfins, die sich wie Gummi anfühlte. Haie waren schöne Tiere, doch Delfine… Delfine waren einzigartige und prachtvolle Geschöpfe der Meere. Mir wurde ein wenig Bange ums Herz, da sie in „Gefangenschaft“ lebten, doch eine der Mitarbeiterinnen erklärte uns, dass es ihnen hier sehr gut erginge, während man in einigen anderen Ländern Jagd auf sie machte. Es war ein herrliches und befreiendes Gefühl, mit den Delfinen im Wasser zu schwimmen, doch die Zeit verflog wie im Fluge und schon bald war unsere Zeit wieder vorbei. „An deinem Gesichtsausdruck merke ich, dass es dir gefallen hat.“, sagte Oliver hinterher zu mir und lächelte mich an, während wir Hand in Hand durch den Park marschierten. „Ja und ich glaube ich hab mich jetzt entschieden, welche Farbe ich für meine Haare gerne hätte.“, antwortete ich ihm. „Ich werde sie mir so Blau wie das Wasser färben lassen.“
25. Feuer, Wasser, Erde, Luft – Teil 2 Ein paradiesischer Tag neigte sich dem Ende. Doch bevor es soweit war, statteten Oliver und ich noch der Shamu-Show des SeaWorld einen Besuch ab. Oliver bestand darauf, dass wir uns in die Soak-Zone setzen, die die die Sitzreihen in der Nähe des Wasserbeckens beinhaltete. Ich freute mich auf die Show mit den Schwertwalen, die mindestens genauso wundervoll wie Delfine waren. Als das Publikum ihre Plätze einnahmen und die Show endlich begann, war ich sehr aufgeregt. Die komplette Show wurde von einer hinreißenden Musik begleitet, die zum Träumen anregte und als die ersten Schwertwale zu sehen waren, brach das Publikum im tosenden Applaus aus. Es war eine herausragende Show mit eindrucksvollen Kunststücken der Tere. Der Höhepunkt der Show war jener Augenblick als die Entertainer uns dazu aufforderten Handbewegungen mitzumachen. Hätte ich vorher gewusst was mich kurz darauf erwartete…, dann hätte ich mich trotzdem dort hingesetzt. Der erste Schwertwal fing mithilfe seiner Schwanzflosse damit an, eine Wasserfontäne ins Publikum zu schleudern. Auch mithilfe seiner Seitenflossen machte er das Publikum gehörig nass. Oliver grinste vor sich hin, als uns die erste Flut an Wasser sich über unsere Köpfe ergoss und wir mit einem Mal von oben bis unten klatschnass waren. Nur ein Angriff und schon klatschnass! Die Schwertwale zeigten kein Erbarmen und schleuderten das Wasser immer wieder aufs Neue auf uns. Doch selbstverständlich machte uns dies auch gehörig Spaß und irgendwann streckte ich einfach meine Arme aus und genoss die Dusche. Unsere Kleidung war völlig durchnässt, als wir die Show am Ende wieder verließen, doch in der prallen heißen Sonne trocknete es zum Glück wieder recht schnell, so dass keine Gefahr bestand, dass sich einer von uns erkältete. „Notfalls rubbeln wir uns halt gegenseitig warm.“, meinte Oliver grinsend zu mir, als wir in Richtung Parkausgang marschierten. Ich musste daraufhin ebenfalls grinsen. „Besuchen sie uns! Wir sind nur für dieses eine Wochenende in der Stadt!“, rief ein kleiner Junge mit roten Haaren in der Nähe des Parkausganges und verteilte dazu kleine Flyer. Er war in Begleitung eines weiteren Jungen mit roten Haaren, der sein Bruder und auch etwas älter zu sein schien. „Extra aus Europa angereist, um sie ins Staunen zu versetzen – der Zirkus Graziano!“, rief der jüngere der Beiden weiterhin und ich schätzte ihn etwa auf vierzehn Jahre. „Hier bitte für Euch.“, sagte der ältere Junge zu uns, der in unserem Alter sein dürfte, und drückte uns einen Flyer in die Hand. „Unser Zirkus ist einmalig und etwas ganz Besonderes.“ Oliver strahlte über das ganze Gesicht und ich wusste auch warum, denn wenn es etwas gab, was er liebte, dann waren es Zirkusshows mit Akrobaten, Dompteuren, lustigen Clowns und Magiern. Doch die beiden Jungen verteilten die Flyer offenbar ohne Einwilligung des Parkbesitzers, denn ihnen drohte Ärger, als ein Parkaufseher auf sie zugeschritten kam. „Schnell weg hier Sammy!“ „Warte auf mich Diego, ich hab nicht so lange Beine wie du!“, rief der kleine Junge seinem Bruder hinterher und ohne dass sie erwischt wurden, waren sie vom Parkgelände wieder verschwunden.
„Zirkus Graziano? Vor etwa zwei bis drei Jahren trat genau dieser Zirkus in meiner Heimatstadt auf und überwinterte dort sogar.“, unterbrach Justin mich in meiner Geschichte, über meine Erlebnisse vor fünf Jahren und ich nahm es ihm nicht übel. Er war ein sehr guter Zuhörer. „Damals war eines ihrer Stuten schwanger und ich half bei der Entbindung des Fohlens. Ich glaube mich auch daran zu erinnern, einen rothaarigen Jungen dort gesehen zu haben, dessen Name Sam war.“ „Sie waren damals nur zu Besuch in Amerika, um sich auch dort einen Namen zu machen.“, erklärte ich Justin, während ich mir kurz die Beine ausstreckte. „Und seid ihr in die Vorstellung gegangen?“, fragte Justin, dessen Neugier ich geweckt hatte. „Naja, Oliver war ziemlich blank nach unserem Aufenthalt im SeaWorld, also sah es schlecht aus. Doch er hatte eine Woche später sowieso Geburtstag, also verlegte ich sein Geschenk etwas vor.“, antwortete ich und erinnerte mich dabei nur zu gut, an Olivers damaligen Gesichtsausdruck. Wie ein kleiner Junge, dessen größter Traum in Erfüllung ging und damals scheute ich auch keine Kosten und sorgte für eine ganz besondere Überraschung für ihn. Auch für mich war jener Abend unvergesslich…
Es war ein akrobatisches Meisterwerk, was Oliver und ich aus den Reihen des Publikums sahen. In schwindelerregender Höhe führten ein Mann und eine Frau mit roten Haaren – ganz offensichtlich die Eltern der beiden Jungs von neulich – Kunststücke am Trapez vor. Mit offenen Mündern schauten wir ihnen zu. Ich stellte mir vor, wie es für mich dort oben wäre – das Gefühl als würde man schweben, vermutlich. Speziell bei mir gab es da allerdings ein Problem: Seitdem ich als kleines Kind vom Stockbett fiel, litt ich an Höhenangst, weshalb mir allein schon vom Zugucken schwindlig wurde! „Ladys and Gentleman!“, rief der hochmotivierte Zirkusdirektor Giovanni Graziano durch das gefüllte Zirkuszelt. Die Vorstellung war bereits seit einer Stunde im vollen Gange und nach den Auftritten der Akrobaten, der Clowns und des Dompteurs, samt seiner Raubkatzen, trat nun ein etwas älterer Herr in die Manege. „Kommen wir nun zu unserem blindem Messerwerfer und Flammenspucker Lorenzo Medici. Für seine heutigen Kunststücke benötigen wir allerdings einen Zuschauer aus ihren Reihen!“ Die großen Scheinwerfer, die am Gerüst des Zirkuszeltes angebracht worden waren, leuchteten kreuz und quer durch das Zelt, als ob sie sich einen Zuschauer aussuchen würde. Ich wusste es allerdings besser, denn bereits vor Showbeginn traf ich mit dem Zirkusdirektor die Abmachung, dass er Oliver rauspickt. Ich freute mich schon sehr auf Olivers überraschtes Gesicht und noch mehr freute ich mich darüber, dass ich ihm damit einer seiner größten Träume erfüllen konnte. Es traf schließlich das ein, was ich geplant hatte und als die Scheinwerfer sich in einem Lichtkegel auf Oliver bündelten, klatschte das Publikum. Oliver blickte überrascht und entsetzt zugleich und konnte gar nicht so recht daran glauben, was soeben geschehen war. Ich sprach ihm Mut zu und wünschte ihm viel Spaß. Ein rothaariges Mädchen schritt auf uns zu. Sie stellte sich als Alice vor und begleitete Oliver in die Manege. Das Publikum klatschte noch einmal kräftigen Beifall und stimmte mit ein. „Hab keine Angst mein Junge, dir wird kein Leid zugefügt.“, beruhigte Giovanni Graziano meinen Freund und klopfte ihm dabei auf die Schulter, als dieser sich neben ihn stellte. „Allerdings erwartet dich jetzt ein sehr heißes Abenteuer, denn du und unser Lorenzo werdet gleich mit dem Feuer spielen. Glaubst du, das du das schaffst?“ Oliver zuckte nicht einmal mit der Schulter und nickte furchtlos. Ich grinste, doch verging mir dies recht schnell, als ich zu Lorenzo blickte, der sich gierig das Maul leckte und Oliver fuchsteufelswild anstarrte.
26. Feuer, Wasser, Erde, Luft – Teil 3 Der Mann namens Lorenzo bereitete mir wirklich Angst und ich fragte mich, ob das letzten Endes wirklich so eine glorreiche Idee von mir war. Doch nun war es ohnehin zu spät, denn Oliver befand sich bereits im innersten Ring der Manege. Das rothaarige Mädchen namens Alice flüsterte ihm noch etwas ins Ohr, vermutlich sowas wie „Hab keine Angst“. Und dann konnte die Vorstellung beginnen! Obwohl ich wusste, dass Oliver nichts geschieht, zitterten meine Hände und meine Füße. Alice und der Zirkusdirektor verließen die Manege. Der erblindete Lorenzo drückte Oliver eine nicht brennende Fackel in die Hand, ehe er weitere Vorkehrungen traf, um den Zuschauern einzuheizen. Lorenzo und Oliver gaben sich ein gegenseitiges „Okay“, dass sie bereit waren und die Show konnte beginnen. Oliver hielt seine nicht brennende Fackel in die Höhe, während sich Lorenzo in geringerer Entfernung vor ihm aufstellte. Dann schoss er einen Feuerstrahl aus seinem Mund und entzündete die Fackel in Olivers Händen. Oliver machte große Augen und ein begeistertes Publikum brach in Jubelrufen aus. Mir hingegen stand der Mund weit offen und ich fragte mich, was als Nächstes kommen würde. Lorenzo bat Oliver, die Fackel an den inneren Ring hinzuhalten, der darauf sofort Feuer fing, so dass Beide davon umgeben und eingesperrt waren. Aus meiner Sicht, sah das ziemlich gefährlich aus, doch mit Sicherheit waren die Beiden dort unten irgendwie abgesichert, so dass ihnen nichts zustoßen würde. Ich hoffte es zumindest… Lorenzo führte anschließend eine Reihe von Kunststücken mit dem Feuer vor. Als Erstes schoss er einen Feuerball in die Höhe. Danach formte er ein Herz aus Feuer, indem er sich einen Finger an die Lippen hielt und somit zwei Feuerbälle erzeugte, die sich zu einem Herz vereinten. Oliver war begeistert von der Show, die er aus nächster Nähe genießen durfte. Mit offenem Mund stand er neben dem Feuerspucker und neigte dazu, am liebsten selbst mitzumachen. Dann machte Lorenzo eine Handbewegung und der brennende Ring erlosch auf der Stelle. Zu guter Letzt schoss er einen waagrechten und breiten Feuerstrahl, der sich „Der Drache“ nannte. Ein lautes Brüllen ging durch das Zirkuszelt, dem Publikum stockte der Atem und auf einmal erschien eine Frau mit langen schwarzen Haaren in den Flammen. Das Feuer entschwand und die auf magische Weise erschienene Frau, forderte das Publikum auf, zu applaudieren. Feuerspucker Lorenzo schien sich über ihr Erscheinen allerdings alles anderes als zu freuen und schenkte ihr lediglich einen missbilligenden Blick. Die Frau stellte sich als Sofia, die Magierin vor und überreichte Oliver als Dank für seine Hilfe eine rote Feder, die angeblich von einem Feuervogel stamme. Dann flüsterte sie ihm noch etwas ins Ohr und kurz darauf verließ mein Freund die Manege wieder. Zu meiner großen Verwunderung kehrte er allerdings nicht zu mir zurück, sondern verließ das Zirkuszelt gänzlich. Was war los mit ihm? Clown Filippo betrat zusammen mit seiner Bärin Lola die Zirkusarena, während ich mich durch die Sitzreihen drängelte und meinem Freund hinaus ins Freie folgte…
Ich legte eine Pause in meiner Geschichte ein, um ein Schluck Wasser zu mir zu nehmen, dass Justin mir anbot. Inzwischen schienen in seinem Kopf mehrere Gedanken gleichzeitig herumzuschwirren. „Die rote Feder eines Feuervogels?“, stieß Justin überrascht aus, der mächtig verwirrt zu sein schien. „Wale, Zirkusartisten, eine rote Feder… das ist ja alles schön und gut, aber wohin soll uns diese Geschichte eigentlich führen? Wolltest du mir nicht eigentlich erklären, warum du mich gestern Abend versetzt hast?“ „Das will ich noch immer, aber ich will auch, dass du keinen falschen Eindruck von mir erhältst. Ich muss deshalb ein wenig ausschweifen und dir die Geschichte von Anfang bis Ende erzählen.“, antwortete ich ihm und hoffte auf sein Verständnis. „Gleich wird es spannender und interessanter – glaub mir!“ Innerlich betete ich, dass Justin mich nicht für verrückt erklären würde… „Ich bin also Oliver hinaus ins Freie gefolgt und musste ihn dort erst einmal suchen. Als ich ihn fand, war er aber erstmal völlig geistesabwesend und ich musste ihn mehrmals beim Namen rufen, ehe er reagierte…
„Oliver? Oliver? Oliver?!“, rief ich mehrmals nach ihm, als ich ihn unterm Sternenhimmel endlich wieder fand. Er stand an einem hohen Gitterzaun, innerhalb des Zirkusgeländes und wandte mir seinen Rücken zu. Er zeigte keinerlei Reaktion, doch als ihm auf die Schulter klopfte und er sich zu mir umdrehte, sah ich, wie er die rote Feder in seinen Händen genauestens musterte. „D-Die ist wunderschön.“, sagte ich und war völlig hin und weg von der Schönheit einer einzelnen Feder. „Ja…“, pflichtete Oliver mir lediglich bei, als wäre er immer noch in einer Art Trance. „Was ist los mit dir?“, fragte ich ihn schließlich. „Wieso bist du einfach rausgegangen und hast mich dort alleine sitzen lassen? Hat es was mit dem zu tun, was diese Frau dir ins Ohr flüsterte?“ „Sie hat mich gewarnt.“, meinte Oliver und ich warf ihm einen verwirrten Blick zu. Daraufhin sagte er: „Ich soll von hier verschwinden, so schnell mich meine Beine nur tragen können und diese Feder keine einzige Sekunde aus den Augen verlieren.“ „Aha.“, gab ich von mir und warf meinem Freund einen verdutzten Blick zu. Ich versuchte mich zusammenzureißen und nicht an seinem Verstand zu zweifeln, da er einer Hiobsbotschaft einer uns völlig fremden Frau Glauben schenkte. „Darf ich mir die Feder mal aus der Nähe betrachten?“ „Nein.“, antwortete Oliver mir ohne zu zögern und schütze sie vor mir, als wäre ich etwas Böses. „Du benimmst dich eigenartig. Was ist los mit dir?“, fragte ich ihn genervt und auch verängstigt. Doch auf einmal mischte sich noch eine andere Stimme in unser Gespräch. Sie war nur sehr leise, doch deutlich zu hören. „Zeigst du mir die Feder, oder noch besser, überreichst du sie mir?“ Oliver und ich drehten uns beide zu dem Mann um, der gerade gesprochen hatte. Er stand in der völligen Dunkelheit und erst als er in das Licht eines Außenscheinwerfers trat, erkannte ich den Feuerspucker Lorenzo. Sein Grinsen zeigte nicht den Hauch von Freundlichkeit und seine Augen waren pechschwarz wie Schatten. „Gib mir die Feder, mein Junge.“, sagte er zu meinem Freund in einem Befehlston und streckte seinen rechten Arm aus. „Dann wird dir und deinem Freund nichts geschehen.“ Oliver drückte die Feder an seine Brust. Er hatte nicht vor, dem blinden Mann die Feder zu überreichen und um ehrlich zu sein, wusste ich auch nicht, wieso er das tun sollte. „Hören Sie, Herr blinder Mann. Ich weiß nicht was sie hier bezwecken, aber mein Freund bekam diese Feder geschenkt, also gehört sie ihm nun auch. „Bitte lassen sie meinen Freund und mich also in Ruhe.“ Lorenzos Grinsen verschwand mit einem Mal und wenn er etwas sehen könnte, so wusste ich, würde er mir jetzt einen tödlichen Blick zuwerfen. „Ich glaube, ihrs Beide habt nicht die leiseste Ahnung in was ihr da gerade reingeraten seid. „Dies ist die Feder eines Phönix und sie besitzt magische Kräfte!“ Ich musste unweigerlich anfangen zu lachen. Es klang einfach zu lächerlich in meinen Ohren, was er mir da weißzumachen versuchte. Doch mir verging das Lachen recht schnell, als der blinde Mann ein Messer aus seinem Ärmel zückte und es mir und Oliver bedrohlich entgegen hielt. „Nun ist aber Schluss mit dem Spaß. Lassen sie uns gefälligst in Ruhe, oder ich rufe die Polizei!“, stieß ich erzürnt aus und hoffte, dass meine Drohung bei ihm Wirkung zeigte – doch Fehlanzeige! Lorenzo griff uns doch tatsächlich an und während ich mich schützend vor meinen Freund stellte, packte dieser mich unter den Ärmeln und zog mich in die Höhe. Es war wie Zauberei, aber wir flogen tatsächlich!
27. Feuer, Wasser, Erde, Luft – Teil 4 Justin verschlug es die Sprache. Mit ausdruckslosen Augen blickte er mich stumm an. Ob er mir auch nur ein Wort glaubte, von dem was ich ihm hier erzählte? Bis er wieder zu Worten fand, erinnerte ich mich noch genauer zurück an das was damals war. Bei meiner Höhenangst muss ich wohl kaum erwähnen, dass der unerwartete Flug Panik in mir auslöste…
Oliver und ich stiegen in den Nachthimmel empor, als würden wir der Schwerelosigkeit trotzen. Die Erde unter uns wurde immer kleiner und schon bald war von Lorenzo nur noch ein winziger Punkt zu erkennen, als wäre er lediglich eine Ameise. Auch die Lichter der Stadt wurden immer kleiner und am Ende sahen sie wie Sternenlichter am Erdboden aus. Es wäre so wunderschön, wenn es nicht so unglaublich beängstigend wäre. Hinzu kam, dass mein Herz vor Furcht raste und es von Sekunde zu Sekunde immer schneller schlug. Ich konnte hören, wie Oliver mir etwas ins Ohr flüsterte: „Halt dich gut an mir fest.“ Ich hatte nicht vor, ihn loszulassen, denn dann würde ich an die tausend Meter in die Tiefe fallen und darauf konnte ich gut und gerne verzichten. Doch was ging hier eigentlich vor sich? Wie war es möglich, dass Oliver und ich wie Vögel durch die Lüfte gleiteten? Panik stieg in mir hoch, doch versuchte ich Ruhe zu bewahren und atmete einmal tief durch. Ich war heilfroh darüber, als Oliver und ich wieder der Erde zuflogen und auf einem Wolkenkratzer zum Landen kamen. Sofort als ich wieder Boden unter meinen Füßen spürte, riss ich mich von Oliver los. Ich griff mir mit den Händen an den Kopf und rannte wie von der Tarantel gestochen auf dem Dach des Wolkenkratzers herum. „D-Das ist gerade nicht wirklich geschehen. I-Ich t-träume doch…!“ „Das war kein Traum, Casey.“, sagte Oliver, dessen Augen wie die Sterne funkelten. „Wir sind gerade wirklich geflogen und das mithilfe dieser roten Feder.“ Er hob die rote Feder hoch und hielt sie sich direkt vor seine Augen. Auch ich musterte die Feder. Ich konnte es einfach immer noch nicht glauben! Wie soll ein Mensch auch verstehen, was da soeben geschehen ist? „Das ist fantastisch!“, stieß Oliver begeistert aus. „Mithilfe dieser Feder können wir ab sofort hinfliegen, wo immer wir auch hin wollen. Uns sind keine Grenzen mehr gesetzt. Scheiß auf Flugzeuge und Kontrollschranken!“ „M-Macht dir das Ganze denn keine Angst?“, fragte ich ihn erstaunt und noch immer verängstigt. „Nö.“, antwortete Oliver mir schnell – zu schnell. Ich wusste nicht, was mir mehr Angst bereitete. Das diese Feder es uns ermöglichte zu fliegen, oder das Oliver ein völlig anderer Mensch zu sein schien. „V-Vielleicht sollten wir lieber zur Polizei gehen…“, sagte ich schließlich und war von Oliver auf eine ablehnende Haltung darüber gefasst. „Schließlich wurden wir von einem Mann mit Messer bedroht.“ „Der Mann war blind!“, lachte mich Oliver aus. „Was willst du der Polizei erzählen? Guten Abend, wir wurden vorhin von einem blinden Mann mit einem Messer bedroht?! Die werden dich auslachen.“ „Also sollen wir einfach nichts tun und abwarten was geschieht? Ich meine…, was immer es auch mit dieser Feder auf sich hat, sie scheint magische Kräfte zu besitzen und verändert dich zunehmend.“ „Sie verändert mich gar nicht.“, entgegnete Oliver gereizt. „Und wieso hältst du sie dann so fest, als hättest du Angst ich würde sie dir entreißen? Wieso hast du nur noch Augen für die Feder, als würde sie dich in ihren Bann ziehen? Und wieso habe ich das Gefühl, dass du mit jeder weiteren Minute ein völlig anderer Mensch zu werden scheinst?“, fragte ich ihn. Oliver kam mir bedrohlich nahe, so dass sich unsere Oberkörper berührten. Auge in Auge standen wir uns gegenüber, doch die rote Feder hielt er fest im Griff. „Wann bist du eigentlich zu so einem Schlaumeier geworden?“, fragte er mich provozierend. „Bist du neidisch? Ist es das?“ „Totaler Schwachsinn.“, erwiderte ich klar und deutlich. „Ich mach mir nur einfach Sorgen.“ Oliver gluckste und schüttelte den Kopf, während ihm ein krankhaftes Lächeln über die Lippen kam. „Du bist neidisch darauf, dass ich die Feder geschenkt bekommen habe und nicht du!“ „Das ist nicht wahr und jetzt hör auf mit dem Blödsinn.“, sagte ich zunehmend wütender. „Was willst du dagegen machen?“ Oliver fing an mich zu schubsen, doch ging ich nicht darauf ein. Ich durfte mich nicht weiter provozieren lassen, sonst könnte das böse enden. „Verdammt Oliver, ich liebe dich! Ich will doch nur, dass du wieder zur Besinnung kommst!“, rief ich ihm zu, während ein laues Sommerlüftchen an uns vorüberzog und uns die Haare verwehte. „Es – geht – mir – gut!“, schrie Oliver mich mit langsam ausgedrückten Worten an. Seine Worte hallten in der Luft wie ein Echo in den Bergen. „Da du mir offenbar kein Glauben schenkst, werde ich die rote Feder ganz für mich alleine nutzen!“, entgegnete er trotzig wie ein kleines Kind und hob zum Zeichen die Feder in die Höhe, damit ich sehe, dass er es ernst meinte. Doch eine erneute Windböe machte ihm einen Schnitt durch die Rechnung und wehte ihm die Feder aus der Hand. Sie wurde vom Wind davongetragen und Oliver, der sofort panisch reagierte und ihr hinterher hechtete, rannte in sein Unglück. „Oliver bleib stehen!“, rief ich ihm entsetzt zu, während ich ihm hinterher jagte. Oliver rannte geradewegs auf das Ende des Hochhausgebäudes zu. Die Feder wurde bereits über das Geländer geweht, doch Oliver wollte einfach nicht stehen bleiben. Seine Augen galten nur noch der Feder. Und als er am Geländer ankam, sprang er, um die Feder in der Luft abzugreifen. Ich ließ einen Schrei los, denn ich konnte es nicht mehr verhindern. Als ich sah, wie Oliver daneben griff, blieb mir mit einem Mal das Herz stehen. Mein Freund stürzte in die Tiefe… und in den Tod. Ich konnte nicht begreifen, was soeben geschehen war. Noch weniger konnte ich verstehen, denn vor ein paar Stunden war noch alles gut und Oliver und ich küssten uns leidenschaftlich. Meine Knie zitterten und noch bevor ich begriff was soeben geschehen war, landete die rote Feder wieder vor meinen Füßen.
Ich versuchte fieberhaft Justins Blick auszuweichen. Doch kam ich nicht umhin, doch noch zu ihm zu sehen und den entsetzten Blick in seinen Augen zu erhaschen. Er war völlig sprachlos – wer nicht?! Betrübt starrte ich zu Boden, denn die Ereignisse lagen nun bereits fünf Jahre zurück. Doch die Bilder hatten sich in meinen Kopf gebrandmarkt und es fühlte sich für mich noch heute an, als wäre das alles erst vor kurzem passiert. Der wunderschöne Tag in SeaWorld, die Geburtstagsüberraschung im Zirkus, der blinde Mann der uns mit einem Messer bedrohte und die rote Feder…, die mein Leben ruinierte! Wunden heilen, doch sind es Narben die auf ewig bleiben… „I-Ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll.“, sagte Justin schließlich, nachdem er all seinen Mut zusammennahm und nach Worten rang. „Mein herzlichstes Beileid…“ „Danke.“ Ich sah Justin an und versuchte ihm ein Lächeln abzugewinnen, doch war mir gerade selber nicht mehr nach Lächeln zumute. „Dies war natürlich der Tiefpunkt in meiner Geschichte. Die Polizei kam und stellte mir unzählige Fragen, was wir auf dem Dach des Hochhauses zu suchen hatten und wie wir dort überhaupt hingekommen waren. Ich konnte ihnen wohl schlecht die Wahrheit erzählen, also tischte ich ihnen eine Lügengeschichte auf. Mein Vater ist zudem Anwalt, was mir sehr gelegen kam. Ich will nicht so rüberkommen, als wäre das richtig gewesen, aber jeder andere hätte an meiner Stelle genauso gehandelt. Ich wollte nicht als geistesgestörter Irrer in eine Psychiatrie eingewiesen werden, der von magischen Federn munkelt. Ich bewahrte die rote Feder auf, damit sie nicht noch mehr Unheil anrichtete. Eigenartigerweise hatte sie auf mich nicht so eine anziehende Wirkung wie auf Oliver und ich war immer bei klarem Verstand. Dennoch geriet ich durch sie noch in die eine oder andere Schwierigkeit, da sie mich gelegentlich unvermittelt in die Lüfte gleiten ließ, ohne dass ich Kontrolle darüber hatte. Irgendwann waren meine Nerven am Boden und auf den Rat einer Freundin hin, suchte ich mir einen Therapeuten. Ihm erzählte ich schließlich die ganze Geschichte, so wie ich sie dir erzählte. Ich weinte bittere Tränen, als ich ihm vom Tod meines Freundes berichtete.“
28. Feuer, Wasser, Erde, Luft – Teil 5 Nachdem ich Justin meine Vergangenheit und all meine Geheimnisse offenbarte, saßen wir stillschweigend auf dem Sofa nebeneinander. Ich blickte zum Fenster hinaus. Die Nacht war schon seit längerer Zeit hereingebrochen und draußen war es dunkel. Ich zog mein Handy aus meiner Hosentasche und blickte auf die Uhranzeige. Es war bereits nach Mitternacht. „Ich sollte wohl langsam mal gehen, dann kannst du dich schlafen legen.“, sagte ich zu Justin. Ich war bereits dabei aufzustehen, doch Justin hielt mich an der Hand fest und zog mich aufs Sofa zurück. Seine Haut fühlte sich wunderschön weich an – so weich wie eine Feder. Er hatte etwas an sich, das jeden Kummer und jede Anspannung von einem nahm. Ich erzählte ihm meine Geschichte aus freien Stücken und er schien sich trotzdem nicht von mir abzuwenden. „Du hast Schlimmes durchlebt. Das geht uns allen so… ich würde dir gerne erzählen, was mir widerfahren ist.“, meinte Justin zu mir. Ich drückte meinen rechten Zeigefinger sanft auf seine Lippen und brachte ihn zum Schweigen. Sehr gerne würde ich mehr über ihn erfahren, doch für heute hielt ich es für genug. Es war spät und ich konnte die Müdigkeit in Justins Augen ablesen. Justin verstand mich und lächelte mich an. „Es freut mich, dass du dir deinen und somit auch Olivers Traum erfüllt hast.“ Ich blickte ihn verwirrt an und er sagte: „Ich rede von deiner Haarfarbe. Blau wie das Wasser!“ Ich musste schmunzeln und im nachdenklichen Ton sagte ich. „Ja, dies hätte sich Oliver bestimmt für mich gewünscht, aber du irrst dich, denn die Farbe Blau steht nicht für das Element Wasser…“
Seit dem tragischen Tod meines Freundes litt ich jede Nacht an unruhigem Schlaf und unangenehmen Träumen. Wenigstens fand ich in unserem Au-pair-Mädchen aus Deutschland eine gute Freundin, die seit Januar bei uns lebte und mir mit Rat und Fürsorge zur Seite stand. Meine Therapiestunden bei Dr. Voth halfen mir zwar mit den Geschehnissen zu Recht zu kommen, aber gegen meine Albträume konnte selbst er nichts machen. Ich wand mich in meinem Bett hin und her und quengelte wie ein Baby, als sich ein Mann in schattenhafter Gestalt mit einem Messer auf mich zubewegte. Vermutlich würde ich gleich wieder schreien und schweißgebadet in meinem Bett aufwachen, doch dieses Mal war etwas anders. Als die schattenhafte Gestalt auf mich einstach, verschwamm alles um mich herum und ich fand mich am azurblauen Himmel wieder – umgeben von roten Federn. Zunächst war ich ganz allein, doch dann hörte ich den lauten Ruf eines fantastisch klingenden Vogels. Von woher dieser Laut kam, war mich nicht ersichtlich, doch auf einmal stand mir mein verstorbener Freund Oliver gegenüber! „Hey Casey.“, begrüßte er mich mit einem sanften Lächeln im Gesicht. Ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu können und sofort bildeten sich Tränen in meinen Augen. Ich wusste natürlich das dies nur ein Traum war – zweifellos war es ein Traum, denn schließlich schwebten wir schwerelos im Himmel, umgeben von roten Federn. „Ich bin gekommen um dir zu sagen, dass du dir keine Vorwürfe zu machen brauchst. Es ist nicht deine Schuld, was in jener Nacht geschehen ist.“ „O-Oliver.“, sagte ich unter Tränen. „E-Es tut mir so Leid.“ „Leid? Casey – du hast mich gerettet!“, stieß Oliver aus und ich war über seine Worte sichtlich überrascht. „Wenn ich dich nicht kennengelernt hätte, hätte ich nie erfahren, wie es ist, einen Menschen so zu lieben. Du hast mich bis zum letzten Tag überglücklich gemacht!“ „Danke.“, sagte ich erleichtert und wischte meine mir peinlichen Tränen aus dem Gesicht. „Tust du mir einen Gefallen?“, fragte Oliver mich und ich nickte. Ich würde fast alles für ihn tun… „Ich wollte immer eine ganz besondere Haarfarbe haben. Eben anders als alle anderen…“ Ich lächelte. „Ich versteh schon. Ich werde dir deinen Traum erfüllen und ich denke ich hab eine Farbe, die dir gefallen wird.“ „Blau wie Wasser? Bitte kein Rot wie Feuer!“, lachte Oliver mich an. Ich lachte ebenfalls, ehe ich ihm antwortete: „Nein, ein himmlisches Blau zu deinen Ehren!“
„Bin ich dumm.“, sagte Justin und lachte. „Darauf hätte ich auch selber kommen können, dass das Blau nicht nur für Wasser, sondern auch für den Himmel – sprich die Luft – stehen kann.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht steht es auch für Beides… Himmelblau für Oliver und Meeresblau für mich. Abgerundet wird das Ganze durch die rote Feder eines Feuervogels.“ Ich zeigte Justin erstmals die rote Feder und überreichte sie ihm sogar ganz kurz. Als er sie mir wieder zurückgab, fragte er: „Wieso war Oliver eigentlich so besessen von der Feder, während du wiederum keinerlei Anzeichen von Besessenheit versprühst?“ „Ich weiß es nicht so genau, aber genau deswegen bin ich ja schließlich auch hier.“, antwortete ich ihm. „Die Frau, die Oliver die Feder überreichte, ist nämlich hier. Du hast sie bereits getroffen. Es ist die Besitzerin dieses Hotels, dass zufälligerweise auch noch nach einem Feuervogel benannt ist.“ Justin klappte leicht der Mund auf, während ich erneut in Gedanken versank. Vor meiner Reise nach Deutschland, musste ich Dr. Voth etwas versprechen. „Casey, sie halten mich regelmäßig auf dem neusten Stand und wenn sie etwas Unüberlegtes tun, dann werde ich mich gezwungen sehen, ihnen Schaden zuzufügen, um Sie und die Menschen um sie herum zu beschützen.“ „Casey?“ Justin zog mich aus meinen Gedanken und ehe ich mich versah, legte er seine Arme um mich und drückte mich ganz fest an sich. „Fühl die Erde unter deinen Füßen und bleib standhaft. Du bist ein starker Kerl!“ Seine Fürsorge tat meiner Seele gut und das erste Mal seit fünf Jahren, hatte ich wieder die Hoffnung, dass ich wieder glücklich werden konnte. Doch bis es soweit war, lag noch ein steiniger Weg vor mir. Ich umarmte Justin ganz fest und liebevoll, doch wieder schweiften meine Gedanken davon. Ich musste die geheimnisvolle Frau zur Rede stellen und zur Verantwortung ziehen. Sie war es schließlich die Oliver die Feder schenkte. Sie war schuld an seinem Tod und ich würde nicht eher Ruhe geben, bis sie das bekommen hat, was sie verdient!
29. Die Kunst einen Phönix zu zeichnen – Teil 1 Die Sonne schien durch das offenstehende Fenster hinein. Eine lauwarme Brise zog durch die Landschaft und kühlte die aufgekochte Hitze ein wenig runter. Es war wieder angenehmer zu atmen, als die Tage zuvor. Mir kam dies sehr gelegen, denn ich saß am Tisch in meinem Hotelzimmer und versuchte meinen Auftrag zu erfüllen. Frau Temperini verlangte von mir ein selbstgezeichnetes Bild eines Phönixes. Ein Blatt Papier, ein gespitzter Bleistift und ein Radiergummi lagen vor mir. Doch es war alles andere als leicht einen Phönix zu zeichnen. Eigentlich war der Ausflug in die Berge dazu gedacht, einen klaren Kopf zu bekommen und nach Inspiration zu suchen. Leider endete die Wanderung im tragischen Tod von Nick. Welch ein grausames Schicksal. Ich mochte den Jungen zwar nicht sonderlich, aber den Tod hab ich ihm bei Weitem nicht gewünscht. Sein bester Freund, David, tat mir sehr leid. Sein Gesichtsausdruck als er von der Tragödie erfuhr, ging einem durch Mark und Bein. Er wollte es einfach nicht wahrhaben und schrie die gesamte Hotellobby zusammen. Als er endlich einsah, dass wir die Wahrheit sagten, brach er zusammen und Bobby musste ihn auffangen. Dummerweise ließ ich eine Bemerkung fallen, die David alles andere als behagte: „Sein Tod ist wirklich tragisch und auch wenn er immer den Mund weit aufriss und dumme Sprüche herauskamen, so war er im Herzen bestimmt ein lieber Mensch.“ „Du hast wirklich keine Ahnung wer Nick war, also rede nicht über ihn, als wüsstest du es.“, erwiderte David daraufhin und ich starrte ihn beschämt an. „Nick hat Schlimmes durchlebt. Sein Vater wurde umgebracht, sein Freund lag im Koma, Bobbys Oma die bei ihm lebte verstarb an Altersschwäche und nun leidet sein Opa auch noch an Demenz. Nick mochte mit seinen Sprüchen vielleicht viele vor den Kopf gestoßen haben, aber das war seine Art, mit dem Leid fertig zu werden, das ihm widerfuhr.“ Nach diesen Worten fühlte ich mich auf einmal ganz klein und ich fragte mich ernsthaft, wann ich zu einem Mensch wurde, der sie beurteilte, bevor er sie überhaupt richtig kennenlernte. Noch immer war das Blatt Papier vor mir gänzlich weiß. Einen Phönix zu zeichnen stellte sich für mich als Herausforderung heraus, da es sich um ein Geschöpf der Fantasie handelte. Doch wie soll man etwas zeichnen, was noch nie zuvor ein Mensch jemals gesehen hat? Ich legte die Hände an meinen Kopf und schob sie sachte über meine Wangen hinunter, bis sie wieder eins wurden. Dann klopfte es an der Tür. Ich wollte nicht aufmachen, da ich jetzt nicht gestört werden wollte, doch beim zweiten Klopfen, hörte ich Max´ Stimme. „Leon, bist du da? Bitte, ich benötige deine Hilfe. Es geht um Zack!“ Mit einem Mal stand ich vom Stuhl auf und ging zur Tür. „Was ist mit Zack?“, fragte ich, als ich die Tür öffnete und dem ratlosen Max ins Gesicht blickte. „Er macht sich bittere Vorwürfe wegen Nicks Tod. Ich komm einfach nicht an ihn heran. Kannst du versuchen, mit ihm zu reden?“, erklärte er mir. Ich war verwirrt, denn Max war die liebste Person für Zack. Wenn er nicht an ihn herankam, warum sollte es mir dann besser ergehen? Dennoch folgte ich Max in ihr Doppelzimmer, dass ein Stockwerk tiefer lag und als ich deren Zimmer betrat, fiel mir als Erstes das Chaos auf, dass die Beiden hier veranstaltet haben. Im ganzen Zimmer lagen ihre Klamotten, Handtücher, Kosmetikutensilien und allerlei technischer Kram wie Mp3-Player herum. Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen! „Was habt ihr hier veranstaltet? Eine Kissenschlacht mit euren Klamotten?“, fragte ich ironisch. Max wurde rot im Gesicht. „Normalerweise sind wir ordentlicher, aber wir sind quasi im Urlaub, da wollten wir die Sau rauslassen…“ Ich hielt die Hand in die Höhe, um ihn zum Schweigen zu bringen. Den Rest konnte ich mir ohnehin auch so denken und im Moment machte ich mir mehr Sorgen um Zack. Er saß auf seinem Bett, das völlig unbenutzt schien, und starrte zum Fenster hinaus, dass ihm eine freie Sicht auf die Berge ermöglichte. „Er sitzt da jetzt schon seit gestern Abend, als wir zurückkamen. Nicht einmal zum Duschen konnte ich ihn bewegen.“, erklärte Max mir. Ich kniete mich vor Zack, legte meine Hände auf seine Beine und streichelte ihn sanft. Ich versuchte ihm in die Augen zu sehen, doch Zacks Augen waren auf die Berge gerichtet, wenn auch sein Blick leer und leblos zu sein schien. Offenbar war er mit seinen Gedanken an einen fernen Ort. „Zack?“ Ich sprach ihn in einem leisen Ton an und versuchte beruhigend auf ihn einzureden. „Zack, ich bin es – Leon!“ Noch immer zeigte er keinerlei Reaktion. So hatte ich ihn noch nie erlebt. In dem Jahr wo ich ihn kennenlernte, war er immer cool und super gut drauf. Ich meine, der Junge hat Nacktmodell gestanden, ohne die geringsten Anzeichen von Scham… „Zack, du kannst hier doch nicht die ganze Zeit sitzen. Du musst auch mal was essen und schlafen!“ „So wie er riecht, bräuchte er zunächst einmal eine Dusche.“, meinte Max sarkastisch im Flüsterton. „Zack ich will dir helfen, aber du musst dir auch helfen lassen.“, sagte ich und ignorierte Max sarkastischen Worte. Ich nahm Zack bei der Hand und es fühlte sich sehr gut an, ihn wieder so nah bei mir zu haben. Nur die Umstände waren gerade nicht so prickelnd… „Komm mit mir Zack. Wir werden dich jetzt erst einmal waschen und dann wirst du etwas schlafen, okay?!“ Ich stand auf, und zu Max und meiner Erleichterung stand Zack ebenfalls langsam auf, wenn auch sein Blick noch immer leer und leblos zu sein schien. Wir halfen ihm dabei, ihm seine Anziehsachen auszuziehen. Ich wünschte, in jenem Moment hätte es mich nicht in der Hose gezwickt. Angesichts der Situation war mir das unangenehm, aber wem würde es bei einem nackten Männerkörper anders ergehen? Jedenfalls schien Max genau dasselbe Problem zu haben und ich schmunzelte innerlich. Wir duschten Zack schließlich ab und ich betete, dass neben dem Dreck, auch sein Kummer fortgespült wurde. Des anderes Leid, des anderen Freud – ich durfte Zack den Rücken und alles darunter mit Shampoo eincremen. Eine Qual für mich – oder auch nicht! Hinterher zogen wir ihm eine Boxershorts an und brachten ihn zu Bett, wo er sich hinlegte. Ich war erleichtert, dass wir ihn so weit gebracht hatten. Nur leider redete er noch immer kein Wort mit uns und das beunruhigte mich sehr. Doch als er endlich im Bett lag und ich gehen wollte, hielt er mich am Arm fest. Ich dachte schon, er würde mich jetzt zu sich ins Bett ziehen, doch hielt er mich wirklich nur am Arm fest. Es folgten seine ersten Worte seit gestern Abend, „Danke Leon“, und er schlief lächelnd ein. „Du hast mir wirklich den Arsch gerettet. Danke.“, sagte Max zu mir, als er mich zur Tür begleitete. Dann grinste er, denn er konnte es sich einfach nicht verkneifen… „Und Zacks Arsch durftest du auch mal wieder anfassen. Hat´s dir gefallen?!“ Ich wurde knallrot im Gesicht und hasste Max für diese Konfrontation. „Du Depp.“ Max lachte, doch hielt er sich zurück, um Zack nicht wieder aufzuwecken. „Naja erzähl das besser nicht Tobias, sonst wird er noch eifersüchtig.“, zwinkerte er. „Häh, wieso sollte ich ihm das erzählen?“, stieß ich verwirrt aus. Doch langte ich mir im selben Moment an den Kopf. Hatte ich doch glatt meine Lüge vergessen, dass ich mit ihm zusammen bin. Max starrte mich leicht verwirrt an, doch ging er zu meinem Glück nicht näher auf das Thema ein. Ich verabschiedete mich von ihm und er bedankte sich noch einmal für meine Hilfe. Daraufhin entgegnete ich: „Dafür sind Freunde doch da – und ihr Beide seid mir noch immer sehr wichtig!“
30. Die Kunst einen Phönix zu zeichnen – Teil 2 Nachdem ich zurück auf mein Zimmer ging, versuchte ich mich erneut an der Zeichnung eines Phönix. Ich hatte ein gutes Gefühl im Bauch, schließlich hatte ich gerade etwas Gutes vollbracht und Zack ein wenig beigestanden. Na gut – sein blanker Hintern kam mir zugute, aber jetzt musste es doch wirklich mal mit der Zeichnung klappen! Gerade als ich mit dem Stift ansetzte, klopfte es erneut an meiner Tür. Das darf doch wohl nicht wahr sein! „Kann ein Künstler hier nicht einmal in Ruhe einen Phönix zeichnen?!“, rief ich laut zur Tür raus und Maria stand vor mir. Sie war ganz durch den Wind und brabbelte wirres Zeug, als sie, ohne mich zu fragen, meine Suite betrat. Ich verstand allerdings kein Wort und so musste ich sie erst wieder ein wenig beruhigen. Als sie schließlich einmal ein- und wieder ausatmete, sagte sie: „Etwas Schreckliches ist geschehen!“ „Was, hat dich der süße Hotelpage abserviert?“, fragte ich leicht belustigt. „Sehr witzig. Dir wird das Lachen gleich vergehen, wenn du den Fernseher anmachst und dir das anschaust, was ich gerade sah.“, sagte sie und schaltete zugleich den Fernseher ein, der sich in jedem Zimmer des Hotels befand – wenn auch mit leicht eingeschränkten Fernsehprogramm. „Ich konnte kaum glauben, als ich es sah…“, sagte Maria und zappte durch die Kanäle, auf der Suche nach einem bestimmten Kanal. „Bitte dreh jetzt nicht durch Leon, aber…“ Maria kam bei einem Kanal zum Stillstand und drehte den Ton lauter. Im Bild erkannte ich sofort das Kunstmuseum, indem ich meine Werke ausstellte. Auch die Reporterin davor, erkannte ich auf Anhieb. Es war Chloé Fontaine. „Ich berichte hier live aus Paris und stehe vor dem Musée d’Orsay, bei dem es letzte Nacht zu einem fatalen Brand kam.“ Bei dem letzten Satzteil rutschte mir mein Herz in die Hose. Bitte nicht… „Inzwischen wurde bekannt gegeben, welche Kunstbilder bei dem Brand zu Schaden kamen. Es handelt sich hierbei vor allem um die neuesten Kunstwerke des Nachwuchs-Zeichners Leon Schopp, der sich zum jetzigen Zeitpunkt auf einer Geschäftsreise befindet.“ Mein Herz rutschte mir von der Hose wieder hoch und bis in den Hals, wo es mir schließlich stecken blieb. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Riesenkloß im Hals, der feststeckte. Mir fiel das Atmen extrem schwer und mir wurde schummrig um die Augen. „Vielleicht setzt du dich besser hier hin.“, riet Maria mir und stützte mich auf das Bett. „Das mit deinen Bildern tut mir sehr leid.“ Unfassbar! All meine Kunstwerke – zerstört! Ich hatte so viel Zeit in diese Bilder gesteckt und nun war alles zunichte. Meinem Lebenstraum wurde ein gehöriger Dämpfer verpasst. „I-Ich muss Shane anrufen. Ich muss herausfinden, wie das geschehen konnte.“, sagte ich, zog mit zittriger Hand mein Handy heraus und tippte in die Tasten. Doch leider ging er nicht ran. „Komm schon Shane…!“ „Ich denke, er hat sein Handy ausgeschaltet.“, meinte Maria zu mir und ich fragte mich, wie sie zu dieser Annahme kam, als ich ihn neben Chloé Fontaine im Fernsehen sah. „Ich spreche nun mit Professor Shane West, dem Mentor des jungen und begabten Künstlers, dessen Werke bei diesem bedauerlichen Brand zu Schaden kamen.“, sagte Chloé Fontaine ins Mikrofon und in die Kamera. „Professor West, wie fühlt sich Herr Schopp nun, nachdem sein Lebenswerk zerstört wurde. Sie werden ihm die traurige Nachricht doch sicherlich bereits überbracht haben, oder?!“ „Selbstverständlich hab ich das.“, antwortete Shane ihr und mir fiel die Kinnlade runter. „Keine Silbe hat er zu mir gesagt!“, schrie ich wütend und Maria zuckte neben mir zusammen. „Leon ist sehr betrübt über die Zerstörung seiner Kunstwerke und steht diesbezüglich auch nicht für Interviews zur Verfügung. Er begreift selber noch nicht ganz, was da letzte Nacht geschehen ist.“ „Wo er Recht hat, hat er Recht.“, meinte Maria, die mich genauestens musterte. „Ja, aber er hat mir trotzdem nichts gesagt. Ich hab schließlich jetzt erst davon erfahren.“, sagte ich ganz aufgebracht. „Würde es dir was ausmachen, mich ein wenig alleine zu lassen?“, fragte ich Maria. „Ich muss das jetzt erst einmal sacken lassen.“ „Na klar.“, antwortete Maria mir verständnisvoll und gab mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange, ehe sie meine Suite verließ. Verloren, alles verloren…, alles wofür ich die letzten Jahre so hart gearbeitet hatte – verbrannt in den Flammen des Schicksals! Und hart dafür gearbeitet hab ich wirklich, denn all meine Bilder hab ich mit normalen Bleistiften und Pinseln hergestellt. Kein einziges Mal hab ich Gebrauch von den magischen Kunstutensilien gemacht und ich war darauf sehr stolz. Nun sitze ich hier, wieder ganz am Anfang meiner Existenz. Mein Blick wanderte zum Schreibtisch und zu dem leeren Blatt Papier das darauf lag. Langsam stand ich vom Bett auf und schlenderte zum Schreibtisch. Ich setzte mich auf den Stuhl und blickte noch einmal zum blauen Himmel hinaus. Dabei stellte ich mir vor, wie ein feuerroter Phönix galant an meinem Fenster vorbei flog und dabei eine wundersame und wohltuende Melodie erklang. Ich darf nicht mehr so viel an das denken, was geschehen war. Ich muss nach vorne schauen und mir eine neue Zukunft erarbeiten. Aufgeben ist nicht! Jedoch spornte es mich keineswegs an, mit herkömmlicher Arbeit an mein Ziel und meine Träume zu gelangen. Meine Hände wanderten über den Schreibtisch und über den Bleistift hinweg, in Richtung der Schatulle, in der sich die magischen Kunstutensilien befanden. Meine Hände zitterten und ich war mir unsicher, ob ich dies tun sollte. Mein Leben zog an meinen Augen vorbei und ich sah nur noch diesen einen Ausweg, um mir etwas Neues aufzubauen. Ich öffnete die Schatulle und zog den magischen Zeichenstift und den magischen Pinsel daraus hervor. Als ich mit meinem Bild begann, leuchteten die feinen Linien rot auf. Es war wie Zauberei und sofort fühlte ich mich wieder besser… doch mit jedem Pinselstrich wurde alles um mich herum blasser und schwammiger. Erst am nächsten Morgen kam ich wieder zu mir. Mein Kopf lag auf der fast fertigen Zeichnung des Phönixes, was bedeuten musste, dass ich eingeschlafen war. Das Bild sah einfach umwerfend schön aus und ich konnte kaum glauben, dass ich es gezeichnet haben soll. Ich erinnerte mich nicht mehr daran. Früher hatte ich Angst deswegen, doch das war mir inzwischen egal. Hauptsache, ich konnte den Auftrag von Frau Temperini zu ihrer vollsten Zufriedenheit erfüllen. Überglücklich ging ich unter die Dusche und ließ mir das kalte Wasser über meinen Körper fließen. Als ich aus der Dusche ausstieg, zog ich mir den Morgenmantel an, den mir Shane zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte und stolzierte hinaus auf den Balkon. Die Morgensonne ging gerade auf und schien auf den See, der wie ein glitzernder Diamant schimmerte. Ich fühlte mich wie im Paradies – so frei und ungebunden. Doch dann packte mich eine Hand am Kragen und ich bekam keine Luft mehr. Ich versuchte mich mit meinen Händen zu wehren, doch war ich auf keinen Angriff vorbereitet gewesen. Wer würde mich auch angreifen wollen? Und wie war der Angreifer überhaupt in meine Suite gelangt? Dann packte mich der Angreifer an den Füßen, zog mich hoch und warf mich über das Geländer des Balkons. Ich stürzte in die Tiefe und mir blieb vor Schock die Stimme zum Schreien weg. Dann spürte ich, wie ich im Wasser des Swimmingpools aufprallte. Ich wurde bewusstlos, während ich an die Wasseroberfläche trieb. Allerdings mit dem Gesicht im Wasser und wenn mich nicht bald jemand herauszog – so wusste ich – würde ich ertrinken!
Kleine Info: Ich weiß, gestern kam kein Kapitel und dies wird auch nicht nachgeholt. Das nächste Kapitel kommt erst morgen wieder! Demnach erscheinen diese Woche nur zwei Kapitel (Morgen und Freitag).
31. Ewiges Leben – Teil 1 Ich starrte auf die Uhr, die auf dem Nachtkästchen stand, und fragte mich, ob die Zeit heute langsamer verging, als jemals zuvor. Seit dem tragischen Tod von Nick waren nun vierundzwanzig Stunden vergangen und die Trauer bohrte sich immer tiefer in unsere Herzen. Tobias und ich saßen auf dem Bett in Nicks Suite und ich war froh darüber, ihn an meiner Seite zu haben. Zärtlich hielt er meine Hand und gab mir dadurch Kraft, das Ganze durchzustehen. Der Tod von Nick ging mir sehr nahe, denn in all den Jahren wurden wir sehr gute Freunde und schenkten uns gegenseitiges Vertrauen. Ich mochte Nick wirklich sehr und es war nicht nur unsere Liebe zu meiner Oma, die uns Beide miteinander verband. David stürmte zur Tür herein und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sah kreidebleich im Gesicht aus und sein Gesundheitszustand bereitete mir wirklich Sorgen. „Hast du mit Nicks Mutter bereits telefoniert? Weiß sie was geschehen ist?“, fragte ich ihn leise und David schüttelte nur mit dem Kopf. „Sie hat ein Recht darauf es zu erfahren, David.“, sagte ich entgeistert. David rieb sich das Gesicht mit seinen Händen. Er sah wirklich gar nicht gut aus. Sein Haar war ganz verstrubbelt und er hatte Augenringe. Letzte Nacht hatte er bestimmt nicht geschlafen – so wie wir alle. „Ich kann es ihr nicht sagen.“, meinte David. „Soll ich sie anrufen?“, fragte ich ihn. Ich hätte diese Aufgabe übernommen, denn dann würde ich mich nicht so nutzlos fühlen – wie in diesem Moment. Wieder schüttelte David den Kopf. „Niemand erzählt ihr irgendwas!“ „Aber…“ „Bobby!“ David ermahnte mich laut und in seinen Augen lag ein flehender Ausdruck. „Solange es auch nur die geringste Hoffnung gibt, dass Nick noch lebt, gebe ich nicht auf!“ Nun mischte sich Tobias mit ein. „Hoffnung? David, Nick ist von einer Klippe in die Tiefe gestürzt. Er kann diesen Sturz unmöglich überlebt haben!“ „Ich will das nicht hören!“, schrie David laut und ballte seine Fäuste. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf! Ihr könnt tun und lassen was ihr wollt, aber ihr werdet Nicks Mutter nicht anrufen, klar?!“ Tobias und ich warfen uns verzweifelte Blicke zu. David wollte nicht einsehen, dass sein bester Freund… tot ist. Ehrlich gesagt, konnte ich ihn sogar verstehen. David ging zum Schreibtisch und zog ein Buch aus der Schublade. Es war dasselbe Buch, indem er gestern den ganzen Tag las – „Der Schattenphönix“. „Ich habe gestern in diesem Buch gelesen. Nick hatte mich darum gebeten und ich hab ein paar sehr interessante Dinge herausgefunden.“, sagte er zu uns und setzte sich auf einen Stuhl. Er schlug die erste Seite auf und fing an zu lesen. Tobias und ich hörten aufmerksam zu, denn nach einem Wellness-Urlaub war uns ohnehin nicht mehr zumute. Und obwohl mir noch immer die Trauer ins Gesicht geschrieben stand, so fand ich die Geschichte wirklich sehr interessant und ich fieberte sehr schnell mit den Rollen Prinz Phönix und Prinz Dragon mit. Nach etwa einer Stunde sagte David, dass wir an jener Stelle angekommen waren, an der Nick zu Lesen aufgehört hatte. Eine Person mit schwarzem Umhang schwebte in der Luft und winkte dem Prinzen zu. „Verzeihen sie die Störung. Darf ich eintreten?“ Prinz Phönix fand das Verhalten des Fremden äußerst unsympathisch und aufdringlich. Da es sich aber offenbar um einen Magier handelte, wollte er ihn nicht abweisen und ließ ihn herein. Der Fremde schwebte in das Zimmer und als er mit beiden Beinen auf dem Boden landete, zog er sich seine Kapuze zurück und das Gesicht eines Jungen kam zum Vorschein. Von wegen schwarzer Zauberer – der Junge hatte schneeweißes und kurzes Haar, seine Haut war so rein wie des Prinzen und seine Augen schimmerten saphirblau. Die Stimme des Jungen klang einfach himmlisch und wenn Prinz Phönix es nicht besser wüsste, hätte er den Jungen für einen Engel gehalten. „Wer sind Sie?“, fragte Prinz Phönix den fremden Jungen. „Mein Name ist Seraphiel.“, antwortete der engelhafte Junge ihm. „Ich bin zu euch gekommen um euch mitzuteilen, dass es einen Zauber gibt, der euch von eurem Fluch befreit.“ Prinz Phönix begutachtete den Fremden von oben bis unten. „Wer sind Sie und woher kommen Sie?“ „Ich komme aus dem kalten Norden und bin ein junger Magier auf Reisen. Zudem beherrsche ich die Kunst des Wahrsagens.“, antwortete Seraphiel dem Prinzen. Der Prinz hielt es für das Beste, bei dem Fremden Vorsicht walten zu lassen und misstraute ihm erst einmal. „Sie sprachen von einem Fluch, dabei weiß ich gar nicht wovon Sie reden. Ich führe ein sehr glückliches Leben in meinem Schloss. Mein Volk liebt mich und ich liebe das Volk.“ Seraphiel lächelte geheimnisvoll. „Sind Sie sich da sicher?“ Ich wollte ihm antworten, doch blieb mir das Wort im Halse stecken. Der fremde Junge lächelte mich weiter an und blickte sich ein wenig in meinem Schlafsaal um. Ich schlang den Morgenmantel enger um mich, denn ich wollte mich ihm keinesfalls entblößen – sowohl innerlich, als auch äußerlich! Seraphiel entdeckte inzwischen meine selbstangefertigte Zeichnung von letzter Nacht und begutachtete es. Er nahm die Zeichnung zur Hand, auf dem ein Vogel zu sehen war, der sich von den Ketten der Gefangenschaft befreite und zum Himmel empor stieg. Ich schluckte und wieder lächelte Seraphiel mich an. „Eine wunderschöne Zeichnung. Sie haben wirklich Talent.“ „D-Danke.“, erwiderte ich etwas unsicher. „Hören Sie, ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber es ist vermutlich besser, wenn Sie jetzt mein Schlafsaal verlassen.“ Seraphiel legte die Zeichnung weg. Das Lächeln in seinem Gesicht verschwand und er sagte: „Also schön. Ich werde gehen, aber eines Tages werden Sie sich an meine Worte zurückerinnern und dann werde ich zur Stelle sein.“ Der fremde Junge mit dem schneeweißen Haar kletterte auf den Fenstersims und mit einer freundlichen Handbewegung verabschiedete er sich von mir. Dann sprang er aus dem Fenster, durch das er vorhin mein Schlafsaal betrat und als ich zum Fenster hechtete, war er auch bereits verschwunden.
Natürlich berichtete Prinz Phönix seinem Butler Rufus, der wie ein Vater zu ihm war, von der Unterhaltung mit dem fremden Jungen. „Es war gut, dass Sie den fremden Besucher abgewiesen haben. Magiern ist nicht über den Weg zu trauen!“, sagte er. „Sie vergessen, dass Sofia auch eine Magierin ist…!“, erwiderte ich schmunzelnd. „Sofia ist da eine seltene Ausnahme. Sie würde keiner Fliege was zu Leide tun.“, sagte Rufus. Die Tage vergingen und Prinz Phönix bekam gelegentlich Geschenke von Prinz Dragon zugeschickt, der seine Abweisung nicht so einfach hinnahm und um die Gunst des jungen Prinz Phönix buhlte. „Der Knabe ist ganz schön hartnäckig.“, meinte Gisela, als sie eines Abends das Essen servierte und die Schachtel mit selbstgebackenen Plätzchen von Prinz Dragon entdeckte. „Also ich finde das sehr süß.“, gab Regina von sich, die Prinz Phönix ein Glas Mineralwasser in ein sauber poliertes Glas einschenkte. Sie hatte Recht – es war süß! „Aber erst nach dem Abendessen mein Prinz.“, meinte Gisela schnippisch und nahm dem Prinzen unerlaubter Weise die Schachtel mit den Plätzchen aus den Händen. Trotzig guckte er ihr hinterher. „Sie brauchen gar nicht so zu gucken. Ich bin ihre Köchin und für ihre Gesundheit verantwortlich!“ „Ist ja schon gut.“, murmelte Prinz Phönix vor sich hin und pantschte mit seiner Gabel im Spinat herum, der ihm soeben auf dem Teller serviert wurde. Während dem Abendessen machte sich der junge Prinz allerlei Gedanken und als er fertig gespeist hatte, stellte er seinem Butler Rufus eine Frage: „Rufus? Wenn es eine Möglichkeit gäbe…, nur mal angenommen…, wenn es eine Möglichkeit gäbe, dass ich ein sterbliches, dafür aber ein glückliches Leben führen kann, soll ich diese Chance dann beim Schopfe packen, oder lieber an mir vorbei ziehen lassen?“ Rufus überlegte kurz, bevor er seinem Prinzen eine Antwort gab. „Sie würden ihre Unsterblichkeit aufgeben, für einen Jungen den sie lieben… ich halte das für sehr weise und auch für tapfer. Doch vergessen Sie nicht, dass sie diesen Seraphiel gar nicht kennen. Er tauchte hier einfach auf – wie aus dem Nichts. Egal wie Sie sich entscheiden, seien sie immer achtsam!“ Prinz Phönix dankte seinem Butler und wünschte ihm eine gute Nacht. Dann marschierte er in sein Schlafgemach davon, auch wenn er wusste, dass er nicht schlafen würde, aufgrund seiner fordernden Gedanken.
32. Ewiges Leben – Teil 2 Die Wochen schritten dahin, doch Prinz Dragon gab nicht so einfach auf und schickte dem jungen Prinz Phönix regelmäßig Geschenke. „Heute ist es ein Strauß Blumen, mein Prinz.“, sagte Regina und setzte den Blumenstrauß in einer Vase ab. „Sie duften wirklich betörend.“ „Danke Regina.“, sagte Prinz Phönix lediglich. Inzwischen fühlte er sich von all den Geschenken unter Druck gesetzt, auch wenn er die Hartnäckigkeit von Prinz Dragon sehr bewunderte. „Ich denke, ich werde einen kleinen Ausritt machen. Lässt du mir mein Pferd satteln?“ Eine halbe Stunde später ritt Prinz Phönix auf seinem weißen Ross hinaus in die Landschaft. Er ritt über Felder und durch Wälder. Dabei sang er ein poetisches Lied, dass Gisela ihm einst vorsang:
Morgens, wenn die Sonne erwacht und lacht, singen die Vögel im Morgentau der Blätter. Morgens, wenn ich aus meinem Bette kriech, beginnt mein Tag wie allzeit aufs Neue.
Mittags, wenn der Duft aus der Küche zieht, meine Nase juckt und ich voll Genuss das Essen riech. Mittags, wenn mein Magen bärig knurrt, esse ich zu meinem Wohl und mit vollem Genuss.
Nachmittags, wandere ich durch die Natur, durch Wälder, über Felder und Berge, und zum Meer. Nachmittags, finde ich Freundschaften für die Ewigkeit, das Wichtigste ist zu Lachen und der Spaß im Leben.
Abends, wenn die Sonne hinterm Horizont verschwindet, ein rotoranges Licht das mich von innen erwärmt. Abends, wenn es langsam kälter wird, ich mich an eine geliebte Person herankuschle.
Nachts, wenn der Mond und die Sterne hell leuchten, kommt die Müdigkeit und ich geh ins Bett. Nachts, wenn ich schlafe und wunderschön träume, ich glücklich lächle – für immer und ewig.
Prinz Phönix stieg von seinem Pferd ab, als er im grünen Wald an eine wunderschöne Lichtung kam. Die Sonne schien durch die Baumkronen hindurch und ein kleines Eichhörnchen sprang über den moosbedeckten Boden und einen Baum hinauf. Der Prinz lächelte und dann rief er dem kleinen Eichhörnchen etwas in der Tiersprache hinterher: „Ich wünsch dir einen wunderschönen Tag und ein gesundes und sorgenfreies Leben, liebes Eichhörnchen!“ Das Eichhörnchen bedankte sich bei dem Prinzen mit einem Quieken. Dann schnupperte der Prinz noch an ein paar blühenden Blumen, ehe er wieder auf sein Pferd stieg und seinen Ausritt fortsetzte.
Als der Prinz spätabends wieder nach Hause, auf sein Schloss, kam, wurde er bereits sehnsüchtig erwartet. „Mein Prinz, Sofia die Magierin ist hier und verlangt nach Euch.“, sagte Butler Rufus. Prinz Phönix ging ohne Umschweife in die Bibliothek, der Ort, wo er sich schon immer mit der Magierin traf, und als er den Raum betrat, spürte er sofort eine negative Aura von der Magierin ausgehen. „Sofia! Ich hab nicht erwartet, Sie so schnell wiederzusehen.“, sagte der Prinz zu ihr. „Dies ist kein Freundschaftsbesuch, mein Prinz.“, erwiderte Sofia, deren Gesichtszüge eingefroren zu sein schienen. „Ich hab von eurem Besuch gehört. Ein Schwarzmagier mit weißen Haaren?!“ „Es war ein Junge – nur ein Junge!“, gluckste der Prinz unbekümmert. „Hab ich euch in all den Jahren nicht gelernt, dass ihr euch vom Aussehen nicht täuschen lassen dürft?!“, entgegnete Sofia und drehte dem Prinzen den Rücken zu, damit sie sich vors Fenster stellen konnte. Ihre Silhouette schien durch die Abendsonne im ganzen Raum. „Haltet ihr mich für naiv?“, erwiderte der Prinz nun leicht erzürnt und enttäuscht über das fehlende Vertrauen, dass man ihm entgegen brachte. „Ich habe dem Fremden sehr wohl misstraut! Oder glaubt ihr, ich laufe einfach so in ein offenes Messer?“ „Natürlich nicht. Verzeiht meine Zweifel an euch, mein Prinz.“, entschuldigte sich Sofia und verneigte sich untertänig. „Ich hab mir nur Sorgen um euch gemacht, denn auch wenn es viele Menschen gibt, die sie lieben, ehren und achten, so gibt es auch jene, die neidisch auf ihre Glück und ihr Leben sind.“ „Neidisch…“, sagte der Prinz leicht spöttisch und stellte sich neben die Magierin ans Fenster. Beide blickten sie nun der Abendsonne entgegen, während sie sich weiter unterhielten. „Ein ewiges Leben mag ja recht schön sein, aber immer allein zu sein, ist ein sehr einsames und trauriges Gefühl.“ „Ihr vergesst, dass dies nun mal euer Schicksal ist.“, reagierte Sofia daraufhin. „Ihr wurdet als der Phönix des ewigen Lebens geboren. Ihr besitzt die Macht des magischen Feuers, ihr besitzt die Gabe der Kommunikation mit der Tierwelt und die Gabe die Aura eines Menschen zu erkennen.“ „Leider sind Magier gut darin, ihre Aura zu täuschen.“, gluckste der Prinz unbekümmert. „Misstraut ihr mir etwa auch?“, fragte Sofia nach. „Nein…, ihr seid meine Beraterin in schweren Zeiten.“, antwortete Prinz Phönix ihr. „Ihr solltet mir aber misstrauen. Egal ob guter oder böser Magier – sie sind oftmals auf ihren eigenen Vorteil bedacht.“, meinte Sofia und gab dem Prinzen damit zu denken. Konnte er überhaupt jemand vertrauen? Sofia fügte noch hinzu: „Vertrauen ist das Zerbrechlichste, was ein Mensch besitzt. Zerstörst du es nur einmal, wird es schwer sein, es wieder vollständig herzustellen.“
„Mein Prinz, sie haben Besuch.“, sagte Butler Rufus einen Monat später zu seinem Prinzen und verneigte sich vor ihm. „Wenn ihr es aber wünscht, dann werde ich ihn wieder fortschicken.“ „Nein, ist schon in Ordnung Rufus.“, sagte ich grübelnd. „Er möge eintreten.“ Rufus verneigte sich erneut und verließ anschließend das Schlafgemach des Prinzen. Kurz darauf klopfte es an der Tür und als Prinz Phönix seine Einwilligung zum Betreten des Zimmers gab, öffnete sich die Tür und ihm blickte das vertraute Gesicht von Prinz Dragon entgegen. „Guten Tag Phönix, wir haben uns lange nicht gesehen.“, begrüßte er mich und schenkte mir ein Lächeln.
33. Ewiges Leben – Teil 3 Als Prinz Dragon das Zimmer von Prinz Phönix betrat, fühlte sich dieser sofort an die schöne Zeit mit ihm damals zurückerinnert. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden und Prinz Dragon war so lieb und einfühlsam zu ihm, wie kein anderer. Prinz Phönix fühlte die starke Anziehungskraft zu Prinz Dragon, die sie miteinander verband. „E-Es ist schön dich wieder zu sehen.“, sagte Prinz Phönix zu ihm und guckte leicht verlegen zu Boden, doch ließ er sich ein Lächeln abgewinnen. Prinz Dragon lächelte ebenfalls und ging vorsichtig ein paar Schritte auf Prinz Phönix zu. „Ich weiß, du hast mich fortgeschickt und vermutlich gehe ich dir mit all meinen Geschenken bereits auf die Nerven, aber ich musste dich einfach wiedersehen. Ich hab es nicht länger ausgehalten…“ „Ist schon gut Dragon.“, sagte Prinz Phönix kleinlaut. „Ich wollte dich doch auch gerne wieder sehen.“ „Ist das wahr?“, fragte Prinz Dragon überrascht und Prinz Phönix nickte ihm zu. Daraufhin trat Prinz Dragon einen weiteren Schritt näher und schon bald standen die beiden Prinzen sich gegenüber – Auge in Auge. „Phönix… ich liebe Dich!“ Prinz Phönix war über das Liebesgeständnis von Prinz Dragon nicht sonderlich überrascht, aber es berührte ihn sehr und er beschloss, sich von seinen Ketten zu befreien und seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Er zog den Kopf von Prinz Dragon an sich heran und küsste ihn auf den Mund. Der Kuss war feurig heiß und voller Leidenschaft. Unterdessen fingen sie an, sich gegenseitig ihre Oberteile vom Leib zu reißen. Schon bald schmiegten sich ihre Oberkörper aneinander und als sie sich auf das Bett warfen, zog Prinz Dragon Prinz Phönix langsam die Hose herunter. Prinz Dragon küsste den Bauch von Prinz Phönix langsam und zärtlich. Er kam immer tiefer runter und als er am Bauchnabel ankam, fuhr ihm Prinz Phönix mit seiner Hand durch dessen schwarze Haare. „Haaaaaalt!“, schrie Tobias auf einmal laut auf und David und ich starrten ihn verwundert an. Er war knallrot im Gesicht. „Können wir diesen Part nicht einfach überspringen, bitte?!“ „Was hast du denn? Wird da etwa jemand rot im Gesicht.“, fragte ich meinen Freund grinsend. „Vermutlich haben ihn die letzten Zeilen erregt.“, meinte David frech grinsend. „Haha, sehr witzig.“, erwiderte Tobias beleidigt. „Welcher Autor schreibt denn bitte eine Sex-Szene in sein Buch? Ist das nicht verboten? Es ist auf jeden Fall geschmacklos!“ „Also ich finde es bisher sehr gut.“, gab ich meine Meinung von mir. „Ich auch“, pflichtete David mir bei „aber wenn ich es nicht besser wüsste, dann stammt dieses Buch von Nick.“ Mit einem Mal wurde es mucksmäuschenstill im Zimmer, denn jeder von uns musste an Nick denken. David sah unsere Gesichter und warf uns einen grimmigen Blick zu. „Überspringen wir diesen Teil doch einfach und kommen zum nächsten Kapitel, okay.“, sagte ich schließlich um das Thema zu wechseln und um die Geschichte fortzusetzen. David stimmte mir zu und las schließlich im nächsten Kapitel weiter: Traurig blickte Prinz Phönix der Kutsche von Prinz Dragon hinterher, als dieser eine Woche später wieder abreiste. „Prinz Dragon hat wie Sie nun mal auch Verpflichtungen, mein Prinz.“, meinte Rufus. „Das weiß ich doch, aber die Zeit mit ihm war so wunderschön und viel zu kurz.“, erwiderte Prinz Phönix traurig, während er niedergeschlagen die Treppe raufstolzierte. „Ich bin mir sicher, dass sie ihn schon sehr bald wiedersehen. Besuchen sie ihn doch mal.“, riet Rufus, der sichtlich versuchte, seinen Prinzen aufzumuntern. „Dragon meinte, dass das derzeit nicht so gut wäre, wenn wir unsere Beziehung öffentlich machen. Sein Vater weiß von alledem noch nichts und er möchte es ihm schonend beibringen.“, erklärte Prinz Phönix seinem treuen Butler, der ihm die Tür zu meinem Schlafgemach aufhielt. „Dann lenkt euch derweil ab. Unternehmt Ausflüge, besucht euer Volk, zeichnet ein wenig – das könnt ihr doch so gut!“, riet Rufus seinem Prinzen weiter. „Danke. Ich weiß eure Ratschläge sehr zu schätzen Rufus, aber ich denke, ich weiß schon was ich jetzt unternehme“, sagte Prinz Phönix mit klaren Worten. „W-Was habt ihr vor?“, fragte Rufus verängstigt. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er liebte den Prinzen wie seinen eigenen Sohn und stand hinter jeder seiner Entscheidungen, aber das Leuchten in den Augen des Prinzen bereitete ihm Angst. „Seit Wochen stell ich mir immer dieselbe Frage: Soll ich ein ewiges Leben führen und unglücklich sein, oder mich für ein sterbliches Leben entscheiden und dafür das Glück der Liebe genießen?“ „Ich steh hinter eurer Entscheidung, mein Prinz. Ich bin immer für euch da!“, sagte Rufus. Prinz Phönix blickte zum Fenster hinaus und zum Himmel empor, während er noch einmal stark nachdachte. Dann fällte er seine Entscheidung: „Ich will kein ewiges Leben mehr führen… Bringt Seraphiel zu mir – er soll mich von meiner Unsterblichkeit befreien!“ „Wie ihr befiehlt, mein Prinz.“, sagte Rufus und er verneigte sich. So konnte der Prinz wenigstens nicht die Tränen in den Augen seines Butlers sehen. „Der arme Rufus.“, sagte David, der in der Geschichte inne hielt und selber traurig wirkte. „Ja, der arme Rufus... Wenn wir mal davon absehen, dass er Ähnlichkeit mit unserem Mathelehrer zu haben scheint.“, erwiderte Tobias sarkastisch. „Apropos, da fällt mir ein, dass er gestern in dem Hotel eingecheckt hat.“, sagte ich. „Wie? Herr Frenzel ist hier?“, fragte David verwirrt, der ihn natürlich auch kannte, da er und Nick auf dieselbe Schule wie Tobias und ich gingen. „Ja, ich bin ihm gestern in der Lobby begegnet.“, antwortete ich. „So langsam glaub ich nicht mehr an Zufälle. Es ist doch nicht normal, dass wir uns alle zur selben Zeit an ein und denselben Ort treffen. Vor allem, da jeder von uns mit dem Übernatürlichen in Kontakt kam. Hier ist irgendwas im Busch und wir müssen herausfinden was!“ „Wenn dem wirklich so ist, dann sollte ich dir vielleicht etwas gestehen.“, sagte Tobias zu mir und blickte mich mit seinen herrlich aussehenden Rehaugen an. „Die Idee hierher zu kommen und ein Wellness-Urlaub zu verbringen war nicht meine Idee, sondern die von Herr Frenzel.“
Inzwischen in der Lobby: „Hier ist der Schlüssel zu ihrer Suite mein Herr.“, sagte Herr Wilfred, der Hotelmanager, zu seinem neusten Hotelgast, der trotz Sommerwetter einen Regenmantel trug. Auch sonst sah der Mann ziemlich ungepflegt aus und er trug einen dichten Bart. Doch da er ein zahlbarer Kunde war, ließ der Hotelmanager ihn im Hotel einchecken – auch aufgrund des beträchtlich hohen Trinkgeldes. „Sie müssen nur noch hier unten unterschreiben.“, sagte Herr Wilfred und legte dem bärtigen Mann eine Rechnung vor. Nachdem der bärtige Mann unterschrieb, sagte Herr Wilfred: „Ich wünsche ihnen einen wunderschönen und erholsamen Aufenthalt im Schlosshotel Phönix, Mister Kinimod!“
34. Ewiges Leben – Teil 4 David, Tobias und ich saßen in Nicks Zimmer und keiner von uns sagte auch nur ein Wort. Jeder schien mit seinen eigenen Gedanken und Überlegungen beschäftigt zu sein. Irgendwann sagte ich schließlich: „Ich weiß nicht warum Herr Frenzel uns hierher schickte und was er damit bezweckt, aber das hat Zeit bis morgen. David lies doch bitte das Kapitel zu Ende, damit wir wissen, ob Prinz Phönix seine Unsterblichkeit verlor.“ David tat wie ihm geheißen und las weiter aus dem Buch vor. Prinz Phönix stand dem Magier Seraphiel gegenüber. Sie standen in den Kellergewölben des Schlosses und inmitten eines kühlen Raumes, stand ein Altar aus Marmorstein. Die Beiden blickten sich tief in die Augen, während sich die Bediensteten des Prinzen, Rufus, Regina und Gisela sich im Hintergrund bedeckt hielten. „Wollt ihr dies wirklich tun, mein Prinz?“, fragte Regina ihn besorgt. „Ja und ich denke ich tu das richtige.“, antwortete Prinz Phönix ihr. „Ihr werdet es nicht bereuen Prinz Phönix.“, sagte Seraphiel. Er trug heute einen nachtblauen Umhang, auf dem sich funkelnde Sterne widerspiegelten und zusammen mit seinem schneeweißen Haar sah er bildhübsch aus. „Zunächst werde ich alles für die Zeremonie vorbereiten. Dafür benötige ich von euch allerdings ein Tropfen Blut.“ Seraphiel zückte eine Nadel und einen kleine gläserne Flasche, während Prinz Phönix seinen Ärmel hochkrempelte. Die Nadel stach in Prinz Phönix Innenseite des Ellenbogens und heraus kam feuerrotes Blut, von dem eine magische Aura ausging. Seraphiel füllte die Flasche mit dem Blut des Prinzen und stellte sie hinterher auf einen Holztisch ab, der neben dem Altartisch parat stand. „Bitte zieht euch aus Prinz Phönix. Nur so kann die Zeremonie stattfinden.“, erklärte Seraphiel ihm, ohne auch nur Anzeichen von Schamesröte zu zeigen. „Äh…, wenn ich meine Unterwäsche anbehalten darf?“, erwiderte Prinz Phönix fragwürdig. „Ja, das geht in Ordnung.“, sagte Seraphiel und hinter den Beiden, konnte man hören, wie das Herz von Regina schneller schlug. Rufus hingegen, beäugelte das Ganze misstrauisch. Prinz Phönix zog sich bis auf die Unterwäsche aus und Regina musste sich zusammenreißen, nicht rot im Gesicht zu werden. Beschämt starrte sie zum Boden, während Giselas Blick starr auf den Prinzen gerichtet war. Ihr war der Prinz ohnehin zu jung und zu unreif. Der Prinz legte sich auf den kalten Marmorstein des Altars. Doch ihm machte die Kälte nichts aus, da sein Körper glühend heiß wie eine Flamme war. In seinem ganzen Leben hatte der Prinz auch nur ein einziges Mal gefroren! „Ihr dürft euch jetzt nicht bewegen und müsst ruhig liegen bleiben, während ich eine Zauberformel spreche.“, warnte Seraphiel dem Prinzen. „Habt keine Furcht. Euch wird kein Unheil widerfahren!“ „Ich habe nie Angst…, höchstens vor dem Alleinsein.“, merkte der Prinz an und er und Seraphiel tauschten lächelnde Blicke miteinander aus. Wenn sein Herz nicht bereits Prinz Dragon galt, dann würde er sich wohl in Seraphiel verlieben, dachte sich Prinz Phönix. „Mein Prinz, ihr sollt wissen, dass wir nicht von ihrer Seite weichen werden, egal was geschieht.“, sagte Gisela, die wie Rufus und Regina, hinter der Entscheidung des Prinzen stand. „Ich danke dir – euch allen.“, erwiderte der Prinz ein letztes Mal lächelnd und seine Augen wanderten zu Rufus, der bis zuletzt, diese ganze Zeremonie für keine so gute Idee hielt. „Schließt nun bitte eure Augen.“, wies Seraphiel den Prinzen an und dieser gehorchte ihm. Fast gänzlich nackt lag Prinz Phönix auf dem Altartisch, Arme und Beine eng am Körper liegend. Seine Augen waren nun geschlossen und er vermochte nur noch die Laute von Seraphiel zu vernehmen. Dieser begann eine Zauberformel aufzusagen, während er seine reinen Hände über den Brustkorb des Prinzen legte. „Nademaro! Nademaro!! Lux aeterna vires - iuvenis immortalitatis audi, liberetur. Eisque aeternae felicitatis liberantur et in omnibus viis suis. Multos enim lucis æternæ - Audite, audientes me, et incipiat iam! Nademaro! Nademaro!“ Ein grelles Licht leuchtete aus den Händen des jungen Magiers. Das Licht umhüllte den Körper von Prinz Phönix, während dessen Bediensteten mit offenen Mündern dem Treiben zusahen. Das helle Licht drang in das Innere des Prinzen ein. Dann wurde es kurzzeitig still im Kellergewölbe. Prinz Phönix öffnete wieder seine Augen und er fragte sich, ob die Zeremonie bereits zu Ende war. Doch dann fingen seine smaragdgrünen Augen lichterloh zu brennen an. Der Prinz schrie vor Schmerzen auf, Gisela und Regina sahen erschrocken und verängstigt zu, während Rufus ihm zu Hilfe eilen wollte. Doch Seraphiel hielt ihn zurück. „Nein, das gehört alles zur Zeremonie!“ „Seht ihr nicht, dass er unter Schmerzen leidet?!“, schrie Rufus ihn erzürnt an. Seraphiel blieb gelassen und er verzog keine Miene. „Ich habe nie behauptet, dass die Zeremonie einfach und schmerzfrei über die Bühne geht. Ihr müsst mir vertrauen, es wird gleich vorbei sein.“ Prinz Phönix hielt sich die Hände vor die Augen und stieß einen lauten Schrei aus. Dann fing sein ganzer Körper rot zu glühen an und die Kälte wurde aus dem Kellergewölbe vertrieben. Eine enorme Hitze breitete sich aus und Rufus und die Anderen kamen sofort ins Schwitzen. Plötzlich sprang die Kellertür auf und Sofia, die Magierin, stand im Raum: „Haltet ein, ihr törichten Narren!“, schrie sie, doch wieder stellte sich Seraphiel in den Weg. Die Beiden Magier standen sich nun gegenüber. „Du mieser kleiner Magier!“, schimpfte sie ihn. „Ich habe recherchiert und weiß jetzt was du vorhast.“ Es war eine neunzig Grad Drehung. Die sympathische Ausstrahlung, die von Seraphiel ausging, verschwand mit einem Mal und ein eiskaltes Lächeln huschte ihm übers Gesicht. „Es ist egal, was du herausgefunden hast. Du kommst ohnehin zu spät, denn die Zeremonie ist fast abgeschlossen.“ Das rote Licht das aus dem Körper von Prinz Phönix drang, wurde allmählich immer dunkler, bis es nur noch ein schwarzes und unheilvolles Licht war, das jedem Menschen Angst und Schrecken bereitete. Der Prinz litt Höllenqualen und seine Bediensteten konnten nur tatenlos zusehen. Sofia kam zu spät und fühlte sich das erste Mal in ihrem Leben machtlos. Und während Prinz Phönix aus Leibeskräften schrie, dachte er an die schöne Zeit mit Prinz Dragon zurück und wie sehr er ihn liebte. Das ewige Leben, das er besaß, bündelte sich in einem roten Licht und floss in die kleine Flasche, in der sich sein Blut befand. Es entstand eine Tinktur daraus. Kurz darauf umhüllte die Dunkelheit den Prinzen komplett. Mit einem Mal wich jedes Leid von ihm und er hörte zu schreien auf. Prinz Phönix setze sich langsam wieder auf und kletterte vom Altartisch hinab. Dann öffnete er wieder seine Augen, die nun schwarz wie die Nacht leuchteten – Der Schattenphönix war geboren! Auch in unseren Augen spiegelte sich das Entsetzen wieder und wieder sagte keiner auch nur ein Wort. Dieses Mal durchbrach Tobias die Stille: „Also… der Autor dieses Buches ist mir unheimlich, wenn er auch unweigerlich ein Genie zu sein scheint.“ „Der Prinz gab sein ewiges Leben auf, um mit der Liebe seines Lebens zusammen zu sein. Wie romantisch…“, flüsterte ich vor mich hin. „Ja, nur leider hat Seraphiel ihn reingelegt und wer weiß was, ist nun mit Prinz Phönix geschehen.“, sagte David, während ich mich daran erinnerte, wie Justin mir von einem Schattenwesen erzählte, der die Tiere des Waldes angriff und tötete. Ob da ein Zusammenhang besteht? „Aber es ist doch immer noch ein Buch oder?“, warf Tobias ein. „Nur ein Buch!“ „Ehrlich gesagt, wäre ich mir da gar nicht mehr so sicher.“, meinte ich und schluckte. „Ewiges Leben…“, nuschelte David vor sich hin. „Wäre es möglich, dass….“ Bevor David seinen Satz zu Ende sagen konnte, klopfte es an der Tür. „Tobias, hast du wieder den Zimmerservice bestellt?“, fragte ich meinen Freund, stand vom Bett auf und ging zur Tür. Als ich sie öffnete stand ein bärtiger Mann vor mir. Seine Erscheinung war eigenartig, denn er sah ziemlich verwahrlost aus und trug einen Regenmantel, obwohl es seit Tagen nicht geregnet hat. Ohne unsere Erlaubnis betrat der fremde Mann das Zimmer. Tobias stand sofort vom Bett auf und stellte sich ihm bedrohlich in den Weg. „Was erlauben Sie sich?“, fragte er ihn. „Moment… kenne ich sie nicht von irgendwoher?“, fragte David den bärtigen Mann. „Mein Name ist Alexander Kinimod und ich bin der Autor dieses Buches, in dem ihr gerade liest.“, stellte er sich bei uns vor und Tobias, David und ich sahen uns alle gleich entgeistert an. „W-Wer sind Sie? W-Was wollen Sie?“, fragte David ihn überrascht und verwirrt. Herr Kinimod huschte ein Lächeln übers Gesicht, das unter seinem dichten Bart allerdings kaum auffiel. „Ich bin gekommen um euch in eurer schwersten Stunde beizustehen und um euch mitzuteilen, dass euer Freund Nick nicht tot ist!“ Die letzten Worte schlugen ein wie eine Bombe und alle standen wir zunächst wie versteinert da. „Ich hab´s gewusst…! Wo ist er?!“, schrie David Herr Kinimod hocherfreut an, während Tobias ihn misstrauisch beäugelte und ich nicht so recht wusste, was hier vor sich ging. „Er ist nicht hier, aber ihr könnt euch sicher sein, dass es ihm gut geht.“, antwortete Herr Kinimod und schloss die Tür, damit wir ungestört reden konnten. Ewiges Leben…?!
35. Neue Hoffnung! – Teil 1 In der letzten Nacht bekam Zack zum Glück wieder ausreichend Schlaf und das hatte er vor allem Leon zu verdanken. Wir hatten ein Zweibettzimmer und als ich am nächsten Morgen erwachte, verhielt ich mich leise, damit ich Zack nicht frühzeitig aufweckte. Wie fast immer – vor allem im Sommer – schlief ich oben ohne. So konnte ich all meine Tattoos auf der Brust bewundern, als ich im Badezimmer vor den Spiegel trat. Ich liebte Tattoos und ich fühlte mich manchmal wie ein eigenes Kunstwerk. Erst vor ein paar Monaten konnte ich mein Brust-Tattoo fertigstellen, indem ich es farbig ausmalen ließ. Es mag selbstverliebt klingen, aber voller Stolz bewunderte ich es und auch das Tattoo auf meinem linken Oberarm mochte ich sehr. Ich legte es mir zu, als ich vor drei Jahren mit Zack zurück nach Spanien ging. Es war das spanische Wort „Esperanza“, in Schönschrift auf meinem Arm tätowiert und bedeutete im Deutschen „Hoffnung“! Ich ließ es mir zu Ehren von Leon machen. „Guten Morgen.“, murmelte eine müde Stimme hinter mir. Im Spiegel erkannte ich Zack, der endlich ausgeschlafen zu haben schien. Ich erkundigte mich nach seinem Gemütszustand und als er mir antwortete, dass es ihm schon wesentlich besser ging, lächelte ich ihm zu. Eine Stunde später betraten wir den Speisesaal, indem ein Frühstücksbuffet für die Hotelgäste hergerichtet wurde. „Jetzt iss erstmal was. Nicht das du mir noch vom Fleisch fällst.“, sagte ich zu ihm und wir setzten uns an einen der vielen runden Tische im Saal. „Danach gehen wir zu Leon und du bedankst dich bei ihm, dass er für dich da war.“ „Ja doch Mama.“, nuschelte Zack vor sich hin. „Ich kenn dich Zack. Du vergisst gerne mal, dich bei den Menschen für das zu bedanken, was sie dir Gutes tun.“, sagte ich zu ihm, während im Hintergrund Radiomusik lief. Der Song, der soeben abgespielt wurde hieß „Open Arms“ und wurde von Kurt Kirchner gesungen, dem Vater von Roy und Annabelle, mit denen wir vor drei Jahren im CODA-Club waren. Während ich dem Song mein Gehör widmete, blickte ich mich ein wenig um und konnte vier Tische weiter Justin erkennen, den ich vor drei Tagen kennenlernte. Er frühstückte gerade mit einem blauhaarigen Jungen. Auch Zack und ich holten uns etwas zum Frühstücken. Ich schaufelte mir Cornflakes mit Milch in den Mund, während sich Zack ein Marmeladenbrot schmierte. Beide tranken wir dazu eine Tasse Kaffee, der uns erst so richtig munter machte. „Ich wünsch dir einen wunderschönen Tag, meine reizende Dame.“, sagte eine Männerstimme, die zu dem Hotelpagen Theodor gehörte. Er stand mit Maria an der Eingangstür zum Speisesaal und gab ihr einen Kuss auf die Hand. Maria kicherte verliebt vor sich hin und machte ihm schöne Augen. Anschließend verabschiedete sie sich von ihm, damit er seiner Arbeit nachgehen konnte, kam zu uns rüber und setzte sich ungefragt zu uns dazu. „Ach, Theo ist einfach hinreißend. Ich glaube ich bin verliebt.“, schwärmte sie, während ihre Augen den Kronleuchter an der Zimmerdecke bewunderten. „Du kennst ihn doch erst seit ein paar Tagen.“, meinte ich, während Zack noch immer kaum ansprechbar war, aber immerhin etwas aß. „Ja und? Noch nie was von Liebe auf den ersten Blick gehört?“, erwiderte Maria leicht gereizt. „Schon gut.“, sagte ich schnell und hob meine rechte Hand zur Verteidigung. „Ich will nur nicht, dass du in dein nächstes Liebesunglück rennst. Leon würde das sicher auch nicht gefallen.“ „Danke, dass du dir Sorgen machst, aber ich hab dieses Mal alles unter Kontrolle.“, meinte Maria zu mir und stahl sich das Croissant, dass noch auf meinem Teller lag. „Da fällt mir ein, hat einer von euch Beiden Leon heute Morgen zufälligerweise schon gesehen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, warum?!“ „Habt ihr es noch nicht gehört? In dem Museum, in dem Leons Kunstwerke ausgestellt waren, kam es zu einem Brand. Leons Zeichnungen fielen alle dem Feuer zum Opfer.“, Mir klappte vor Entsetzen der Mund auf. Auch Zack zeigte wieder erste Anzeichen der Anteilnahme, blickte Maria an und spitze die Lauscher. „Leon war gestern völlig fertig, als er davon erfuhr und wollte dass ich ihn alleine lasse. Ich glaube, ich sehe später gleich einmal nach ihm.“ „Wenn du zu ihm gehst, komm ich mit.“, sagte ich, nachdem ich mir nun auch noch um Leon Sorgen machen durfte. Was war nur los in letzter Zeit? Irgendwie scheinen alle vom Pech verfolgt zu sein… naja…, fast alle – Maria mal ausgenommen. „Ich komme auch mit.“, sagte Zack leise. Ich lächelte ihm kurz zu, denn es freute mich, dass er nach der tragischen Bergtour langsam wieder ins Leben zurückfand. Bobby und Tobias betraten den Speisesaal. Wir wünschten uns gegenseitig guten Morgen und ich fragte mich zugleich, ob ich mich bei Tobias nach Leons Wohlergehen erkundigen sollte. Doch ehe ich meine Frage äußerte, platzte Tobias mit einer Neuigkeit heraus, die uns alle zum Staunen brachte. „Hört mal alle her!“, rief er und wandte sich auch zu Justin und seiner Begleitung. „Wir haben eine fantastische Neuigkeit, die zwar unglaubwürdig klingt, aber dennoch der Wahrheit entspricht. Nick ist nicht tot! Er lebt noch und das wissen wir aus einer sehr sicheren Quelle.“ Mir fiel der Löffel in die Müslischüssel und Zack ließ sein Messer zu Boden fallen. Marias Augen wurden so groß wie die eines Zyklopen und Justin fiel beinahe vom Stuhl. „W-Was?!“, sagte Zack, der langsam vom Stuhl aufstand. Ich hatte die Sorge, dass er gleich umkippte, doch hielt er sich an der Lehne fest und blieb standhaft. „D-Das kann nicht sein!“ „Es ist aber die Wahrheit. Nick lebt!“, wiederholte Bobby die gute Nachricht und sicherte Tobias Aussage ab. „David weiß es ebenfalls und ist ganz aus dem Häuschen vor Freude.“ „Du meine Güte. Das wäre ja ein Wunder.“, stieß Maria hocherfreut aus. Ich klopfte Zack lächelnd auf die Schulter, denn nun brauchte er keine Gewissensbisse mehr zu haben. Alles wird wieder gut, dachte ich mir. „Hey Leute, ich glaub da treibt jemand im Pool.“, mischte sich der blauhaarige Junge auf einmal in unsere Unterhaltung ein und jeder der Anwesenden richtete seine Augen auf den Swimmingpool draußen, der aufgrund der kühlen Luft, heute noch unbenutzt blieb. Er hatte Recht. Es trieb wirklich jemand im Wasser, doch leider sah es nicht danach aus, als ob er darin schwimmen würde. „Ist er bewusstlos?“, fragte der blauhaarige Junge uns. Ich sah etwas genauer hin und er erkannte das schwarze schulterlange Haar von Leon. Zudem trug er dasselbe Shirt von gestern. „Oh mein Gott, dass ist Leon!“, schrie Maria entsetzt, die ihn ebenfalls erkannte. Sofort rannten mehrere Personen, einschließlich mir, ins Freie, um ihn zu retten. Das Bein von Zack schmerzte wieder und so hinkte er hinter mir her, während Tobias an mir vorbei rannte und mit einem Hechtsprung in den Pool sprang. Er hielt sofort Leons Kopf über Wasser und schwamm mit ihm zum Rand des Pools, wo Bobby und Justin ihn anschließend herauszogen. Inzwischen bemerkte ich, wie bei Tobias ein kleiner Ring aus der Hosentasche fiel, als er ins Wasser sprang. Der Ring landete vor meinen Füßen und ich nahm ihn in meine Obhut. Ich musterte den Ring kurz und kam nicht umhin zu denken, dass Tobias Leon einen Heiratsantrag machen möchte.
36. Neue Hoffnung! – Teil 2 Ich bückte mich zu Leon runter, der von Bobby eine Mund-zu-Mund-Beatmung erhielt. Leons Gesicht war bereits ganz blass. Wie lange er im Wasser gelegen haben mag? Und wie ist es zu diesem Unfall überhaupt gekommen? War es denn ein Unfall? „Vielleicht machst du es nicht richtig.“, meinte Maria ängstlich, nachdem Bobbys Wiederbelebungsmaßnahmen fehlschlugen. „Bobby macht es richtig.“, meinte Justin. „Die gleiche Methode hat er bei mir auch einst angewandt, als ich bei einem Brand beinahe ums Leben kam und an einer Rauchvergiftung litt.“ „Ja, aber wieso kommt er dann nicht zu sich?!“, entgegnete Maria panisch. Ich erhob mich und legte meinen Arm um ihre Schulter. Sie hatte natürlich Angst, denn Leon war ihr bester Freund. Auch ich hatte Angst und in Zacks Augen konnte ich sogar noch weitaus mehr als nur Angst erkennen. Er schien regelrecht zerfressen zu sein – vor Angst, Sorge, Panik und Trauer. „Komm schon Leon, bitte tu uns das nicht an.“, sagte Bobby, der nicht so schnell aufgab und erneut eine Mund-zu-Mund-Beatmung durchführte. Tobias, der nun ebenfalls klatschnass war, hielt schützend Leons Hand, während Justin ihm ein Handtuch überreichte, damit er sich nichts einfing. Dann endlich kam Leon zu sich und er spuckte das Wasser aus seinem Mund, das in seine Lunge gelangt war. Er bekam wieder Farbe im Gesicht und langsam öffnete er auch wieder seine Augen. Uns allen fiel ein Stein vom Herzen und Maria fiel mir regelrecht um den Hals vor Freude. Tränen kullerten ihr aus den Augen, doch dieses Mal waren es Freudentränen. „W-Was ist passiert?“, fragte Leon in die Runde, während Bobby seinen Kopf stützte. „Es wird alles wieder gut, Leon. Du wirst wieder gesund!“, antwortete Zack ihm, der ebenfalls Tränen vergoss. Es kam selten vor, dass er weinte – und das auch noch vor so vielen Menschen.
Nachdem wir Leon aus dem Swimmingpool des Hotels zogen, brachten wir ihn auf mein und Zacks Zimmer, wo er von einer anerkannten Ärztin untersucht wurde: Dr. Gisela Fauna! „Sie? A-Aber wie ist das möglich?“, stieß Leon verwirrt aus. Er fing an zu husten, denn er war sehr erschöpft. Ich saß neben seinem Bett auf einem Stuhl und kümmerte mich um ihn, indem ich seine Hand hielt. „Nicht so viel reden.“, sagte die Ärztin zu Leon. „Du musst dich ausruhen.“ „Ja aber…“ Leon wollte Widerspruch einlegen, doch ließ ich ihn erst gar nicht so weit kommen. „Du hast doch gehört was die Ärztin gesagt hat. Du sollst dich ausruhen.“, sagte ich und drückte ihn wieder zurück ins Bett, als er versuchte sich aufzuraffen. „Nur weil Maria nicht hier ist, musst du nicht meine Mami spielen.“, meinte Leon trotzig und irgendwie gefiel mir dieses Verhalten an ihm sehr. Wie ein kleines zickiges Mädchen…! Doch nun wurde ich heute schon zum zweiten Mal Mama genannt. Hab ich etwa Brüste? Nein! „Ich möchte mich noch einmal tausendmal bei ihnen entschuldigen Herr Schopp.“, sagte Herr Wilfred der Hotelmanager, der nervös hinter Dr. Fauna stand. „Ich weiß gar nicht wie das passieren und der Angreifer in ihr Zimmer gelangen konnte. Es gibt keinerlei Anzeichen eines gewalttätigen Einbruchs, aber falls es sie beruhigt, die Polizei ist bereits auf diesen Fall angesetzt. Selbstverständlich erhalten sie eine neue Suite, in der Sie sich sicher fühlen können.“ „D-Danke.“, erwiderte Leon leicht unsicher, während Dr. Fauna ihm den Blutdruck maß. Sie wies ihn an nicht zu sprechen, da sonst das Ergebnis verfälscht werden könnte. Sofort hielt Leon seine Klappe und wir warfen uns gegenseitige Blicke zu. In seinen Augen konnte ich klar erkennen, dass er froh darüber war, dass ich ihm Gesellschaft leistete. Ich war darüber allerdings sehr verwundert, denn normalerweise würde ich mir die Liebe meines Lebens zur Seite wünschen und das wäre in seinem Fall Tobias. Doch dieser meinte, dass es für ihn in Ordnung wäre, wenn ich Leon Gesellschaft leistete. Auch Maria und die Anderen wären liebend gern bei Leon, aber laut der Ärztin wäre das zu viel Trubel für ihn und er benötige Ruhe. Lediglich Zack hätte hier sein können, nach allem was Leon für ihn tat, aber wieder einmal in seinem Leben, zog er es vor, die Flucht zu ergreifen. Dieser Dummkopf! „Ich werde auch höchstpersönlich dafür sorgen, dass die Schuldigen für dieses Unglück zur Rechenschaft gezogen werden.“, meinte Herr Wilfred, voller Stolz auf sich selbst. „Schließlich hatte Tyler Poolaufsicht, der er offenbar nicht nachgegangen ist. Dafür werde ich ihn auf der Stelle feuern!“ „Nein, bitte nicht!“, flehte Leon ihn an. „Er kann doch für den Angriff genauso wenig. Bitte werfen Sie ihn nicht meinetwegen raus.“ „Aber Herr Schopp, es geht schon allein ums Prinzip.“, erwiderte Herr Wilfred verständnislos. „Bitte überlegen Sie sich das noch einmal.“, redete Leon auf den Hotelmanager ein, während Dr. Fauna mit ihrer Untersuchung fertig wurde. „Sie können Frau Temperini zudem ausrichten, dass ich ihrem Auftrag nachgekommen bin und meine Arbeit so gut wie fertiggestellt habe.“ „Ich bin zuversichtlich, dass sie sich sehr darüber freuen wird.“, reagierte Herr Wilfred daraufhin dankbar und wieder grinste er breit, was ihm ein krötenartiges Aussehen verlieh. Als Herr Wilfred zusammen mit Dr. Fauna das Zimmer verließ, sagte Leon zu mir: „Danke, dass du hier bist. Das freut mich außerordentlich.“ „Das mach ich doch gerne und du kannst hier solange bleiben wie du willst.“, bot ich Leon an. „Zack der Dummkopf kann ruhig ein oder zwei Nächte auf dem Sofa pennen.“ „Geht es ihm denn inzwischen wieder ein wenig besser?“, erkundigte Leon sich bei mir. „Dank deinem Einsatz letzte Nacht, konnte er gut schlafen und als Bobby und dein Knuffknuff uns heute Morgen verkündeten, dass Nick in Wirklichkeit noch lebt, war er wieder happy“, antwortete ich ihm, „aber er macht sich nun natürlich Sorgen um dich, auch wenn er gerade nicht hier ist.“ Leon klappte den Mund leicht auf, als er die Neuigkeit über Nick erfuhr. Er konnte ihn vielleicht nicht sonderlich gut leiden, aber er freute sich natürlich trotzdem, dass er nun doch nicht tot war. Er lächelte und starrte auf die Bettdecke, während mir der Ring in meiner Hosentasche wieder einfiel. In all der Aufregung hatte ich ganz vergessen, ihn Tobias zurückzugeben. Ob es ihm überhaupt schon auffiel, dass er fort war? Sollte ich Leon vielleicht darauf ansprechen? Lieber nicht…, am Ende zerstör ich noch die große Überraschung, die Tobias womöglich für ihn plant. Ich versuchte auf andere Gedanken zu kommen, also fragte ich: „Und du hast den Angreifer wirklich nicht gesehen?“ „Nein, leider nicht!“, antwortete Leon mir betrübt. „Es ging alles so furchtbar schnell. Er packte mich zunächst am Hals, dann an den Füßen und warf mich das Geländer hinunter. Ich hatte Glück im Unglück, dass sich meine Suite haargenau über dem Bereich des Swimmingpools befand.“ „War es wirklich Glück, oder war das mit einkalkuliert?“, harkte ich vorsichtig nach. „Wie meinst du das?“, erwiderte Leon fragend. „Der Täter ist ohne Spuren zu hinterlassen in dein Zimmer gekommen. Also scheint er es von langer Hand geplant zu haben und ging sehr geschickt vor.“, erklärte ich. „Dann musste er aber auch gewusst haben, dass sich dein Zimmer direkt über dem Bereich des Swimmingpools befindet, oder?!“ „Hm…vermutlich.“, sagte Leon unsicher. Der Angriff und, oder auch das Zerstören seiner Kunstwerke im Pariser Museum, nahmen ihn sehr mit. Ich konnte es ihm in seinem Gesicht ablesen. Er streckte seine Hand nach mir aus und streichelte mir über den Arm. Ihm stach das tätowierte Wort „Esperanza“ ins Auge und fragte mich nach deren Bedeutung. Ich erklärte ihm, dass es das spanische Wort für „Hoffnung“ sei. Daraufhin lächelte er wieder und sagte: „Du verrückter Tattoo-Freak…, aber ich finde es cool und es macht dich zu etwas ganz Besonderem. Ich musste grinsen. „Können wir wieder Freunde sein Max? Ich meine so wie früher.“ Die Frage überraschte mich ein klein wenig, aber ich musste über die Antwort nicht lange nachdenken. Lächelnd antwortete ich ihm: „Natürlich Leon! Ich bin und war immer dein Freund und werde es auch weiterhin für dich sein – in guten wie in schlechten Zeiten.“ Dann umarmte ich ihn, denn ich war so glücklich, dass ihm nichts Schlimmeres widerfahren ist.
37. Neue Hoffnung! – Teil 3 „Wie geht es ihm? Geht es ihm gut? Können wir zu ihm?“ Unzählige Fragen prasselten auf mich ein, als ich in den Flur raus trat, wo Maria, Bobby, Tobias, Justin und der blauhaarige Junge, dessen Name Casey ist wie ich erfuhr, bereits auf mich warteten. „Es geht ihm soweit ganz gut. Er ist nur erschöpft und die Ärztin meinte, dass er viel Ruhe benötigt. Er ist gerade eingeschlafen, also könnt ihr wohl erst morgen zu ihm und mit ihm sprechen.“, antwortete ich den Fünfen und fragte mich, wo Zack inzwischen abgeblieben war. Ich wollte ihn suchen, doch zuvor hatte ich noch was zu erledigen. Ich zog den Ring aus meiner Hosentasche und warf ihn Tobias zu, der ihn auch auffing. „Hier.“, sagte ich. „Den habe ich am Pool gefunden. Ich glaube, der ist dir aus der Hosentasche gefallen, als du Leon das Leben gerettet hast.“ Tobias starrte mich entgeistert an, aber noch entsetzter war Bobbys Gesichtsausdruck und auch Justin machte große Augen, als er den Ring sah. „Was ist los? Ist das etwa doch nicht deiner?“ „Äh…nun ja…“, stammelte Tobias leicht herum und die Situation wurde immer eigenartiger. „Das ist nicht Tobias seiner, sondern meiner!“, rief eine Stimme hinter mir und als ich mich umdrehte, stand Zack auf einmal im Flur. „Ich wollte dich damit überraschen, aber das kann ich nun natürlich vergessen.“ Zack nahm Tobias den Ring aus der Hand, der ihn mit großen Augen anstarrte. Nun war ich komplett verwirrt, während Bobby ein erleichternder Seufzer entfuhr, der Tobias nicht entging. Auch Justin schien ein klein wenig erleichtert zu sein. Seltsame Jungs… „D-Du wolltest m-mir…?“, stotterte ich herum. „Nein wie herrlich!“, schrie Maria ganz entzückt auf und sie hörte schon die Hochzeitsglocken. „Wer von euch Beiden wird die Braut sein? Darf ich Wedding-Planerin spielen? Oh und ich kann die Anzüge schneidern, jetzt wo ich Modedesignerin bin. „Solange es keine rosa Barbie-Hochzeit wird, darfst du alles.“, zwinkerte Zack ihr zu. Ich konnte es kaum fassen. Er meinte das wirklich ernst. Er will mich heiraten?! „Ich glaube, wir stören hier gerade nur. Gehen wir in den Wald?“, fragte Justin seinen Freund Casey, der ihm zur Antwort nickte. „Ich glaube ich sehe trotzdem mal kurz nach Leon.“, meinte Tobias. Er und Bobby tauschten Blicke miteinander aus, doch sprachen sie kein Wort miteinander. Tobias betrat schließlich unser Zimmer, während Bobby davontrabte. Auch Maria schritt mit einem Lächeln im Gesicht davon. „Was soll das?!“, fragte ich Zack noch einmal, denn es wollte mir einfach nicht in den Kopf, warum Zack – ausgerechnet Zack – mir einen Heiratsantrag machen wollte. Vor allem da wir in letzter Zeit nur noch eine offene Beziehung führten und seit Wochen keinen Sex mehr miteinander hatten. „Oh man Max, du bist wieder mal schwer vom Begriff was?“, sagte Zack zu mir. „Ich und schwer vom Begriff?!“, stieß ich entsetzt aus. „Ich dachte Tobias wollte Leon einen Heiratsantrag machen, während du wieder einmal wie ein kleines Baby vor deinen Gefühlen weg gerannt bist!“ „Babys rennen nicht, sie krabbeln und Tobias wollte Leon mit Sicherheit keinen Heiratsantrag machen!“ Völlig konfus starrte ich Zack an. „Tobias ist mit Leon nämlich gar nicht zusammen, sondern mit Bobby, für den in Wahrheit der Ring bestimmt ist, was du aber beinahe zunichte gemacht hast, mit deinem Brett vorm Kopf!“ „Wie nett und wie kommst du auf diesen Schwachsinn?“, harkte ich nun säuerlich nach. „Ich bin nicht so vergesslich, wie ich vielleicht aussehe. Tobias nahm vor drei Jahren am selben Ironman-Triathlon teil wie ich und dort hab ich ihn sogar mit Bobby zusammen gesehen.“ „Was? Aber das würde bedeuten, Leon hätte uns angelogen und die ganze Zeit nur was vorgemacht.“, stieß ich überrascht aus. „Wieso tut er denn sowas?“ Zack blickte betrübt zu Boden. „Vermutlich ist das meine Schuld…, weil ich ihn damals abwies und mit dir mitging, statt mit ihm. Vielleicht wollte er uns einfach glauben lassen, dass er glücklich sei.“ „Oh man…, aber wenn dem wirklich so ist, dann trage ich auch eine gewisse Mitschuld.“, sagte ich. „Am besten wir reden gleich einmal mit ihm. Was meinst du?“ „Momentan halte ich das für keine so gute Idee.“, antwortete Zack mir. „Überleg doch mal. Er hat gerade all seine Kunstwerke verloren und wäre beinahe gestorben… Wenn er jetzt erfährt, dass wir bescheid wissen, wird ihn das nur noch mehr deprimieren.“ „Hm…vielleicht hast du Recht. Lass uns noch ein wenig damit warten.“, pflichtete ich bei. Kurz darauf trat Tobias wieder aus unserem Zimmer. Ich nahm Zack den Ring wieder aus der Hand und schritt damit auf Tobias zu. „Hier, ich glaube der gehört dir! Tut mir Leid, dass ich deine Überraschung für Bobby beinahe zum Platzen brachte.“ Tobias starrte mich verwundert an. „Dann ist die Lüge wohl aufgeflogen… Armer Leon, aber er hat sich selber in diese Lage manövriert. Allerdings weiß ich nicht, ob ich den Ring überhaupt noch benötige, nach Bobbys Gesichtsausdruck zufolge.“ „Du darfst jetzt nicht aufgeben!“, riet Zack ihm und ich drehte mich überrascht zu ihm um. Solche Worte aus seinem Mund? „Wenn du jetzt aufgibst, dann wirst du nie erfahren, ob du und Bobby für die Ewigkeit bestimmt seid. Denk immer daran: Solange es Liebe gibt, gibt es auch Hoffnung!“ Tobias schenkte Zack für seine Worte ein dankbares Lächeln und schritt davon. Nun standen Zack und ich wieder alleine im Gang. „Solange es Liebe gibt, gibt es auch Hoffnung? Den Spruch hast du doch aus einem Magazin heraus, das du immer liest.“ Ich grinste Zack an und er grinste zurück. „Aber ich bin stolz auf dich. Du hast dich sehr verändert und das zum Positiven!“ „Du aber auch.“, meinte Zack und klopfte mir auf die Schulter. „Lass uns zu Leon reingehen und uns ein wenig ausruhen. Die nächsten Tage werden nicht weniger anstrengend sein.“ „Ich weiß.“, sagte ich und zog den Kompass aus meiner Hosentasche. Er zeigte noch immer in Richtung der Berge. Was sich dort wohl befinden mag? Ich wünschte Nick wäre hier, denn schließlich gehörte seinem Großvater der Kompass. Vielleicht wusste er mehr? Was ihm wohl zugestoßen ist? Wenn er wirklich noch lebt, dann stellt sich die Frage, wo er nun abgeblieben ist…!
38. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A – Teil 1 Der Pausengong ertönte und alle Schüler der Klasse 11A stürmten sofort zur Klassenzimmertür hinaus. Es war ein wunderschöner sonniger Tag und wir nutzten unsere zwanzigminütige Pause dazu, im Pausenhof ein wenig Fußball zu spielen. „Spiel den Ball zu mir, Nicolas!“ Ach genau, mein Name ist Nicolas und ich bin siebzehn Jahre alt. Ich bin eher der durchschnittliche normale Typ mit braunem mittellangem Haar, aber ich bin auch ein ziemlicher Draufgänger, Sprücheklopfer und Casanova. Ich passte den Ball zu meinem allerbesten Freund Justus. Er war ein recht fröhlicher Mensch, immer gut gelaunt, und sein blondes lockiges Haar ließ ihn noch strahlender aussehen. Justus und ich rannten auf das Tor zu, dass aus zwei Mülltonnen der Schule bestand. Als wir näher kamen, schoss Justus mit aller Kraft das runde Leder darauf zu. Doch der Ball prallte gegen eine der beiden Mülltonnen, die daraufhin umkippte, wodurch der darin angesammelte Müll sich über dem Boden verteilte. Alles kein Problem, mal abgesehen von zwei Dingen. Erstens, der Müll stank extrem nach faulen Eiern und Zweitens, unsere Kunstlehrerin Ulrike Sauerbach hatte heute Schulaufsicht. Frau Sauerbach machte ihrem Namen alle Ehre und war extrem unbeliebt bei den Schülern. So schrie sie uns auch heute wieder an und verdonnerte uns dazu, nach dem Unterricht im gesamten Pausenhof den Müll aufzusammeln. Was für eine elende Schufterei! Bei der Hitze kamen wir ganz schön ins Schwitzen. Doch auch wenn Frau Sauerbach bei den Schülern sehr unbeliebt war, so gab es doch zumindest einen, der von ihrem Verhalten und auch von ihrem Aussehen – das sich doch sehen lassen konnte – angetan war. Ihr fragt euch jetzt sicher, wär so gestört ist und auf diese saure Zitrone abfährt. Nun diese Frage lässt sich mit nur drei Buchstaben beantworten: Ich! „Ich weiß echt nicht, was du an der findest.“, sagte Justus beim Müll einsammeln zu mir. „Ja, sie sieht ganz gut aus, aber sie ist siebenunddreißig Jahre alt und so verbittert wie gesunde Medizin.“ „Hast du ihren Vorderbau nicht gesehen?“, fragte ich ihn grinsend und machte mit meinen Händen Handbewegungen um meine Brust rum. „Da würde ich gerne mal drin baden.“ „Du bist ein Perversling Nicolas!“, rief eine krächzende Mädchenstimme hinter uns und als ich mich umdrehte, stand das nervigste Mädchen der ganzen Schule vor mir. Ihr Name war Agathe und sie hatte langes dunkelblondes Haar, dass sie sich zu einem strengen Zopf zusammengebunden hatte. Zudem trug sie eine Brille und sah wie die typische Streberin aus – naja, sie ist ja auch eine... „Na du Krähe, hast mir gerade noch gefehlt.“, jammerte ich und rollte mit den Augen. „Nicolas benimm dich.“, meinte Justus friedliebend zu mir. „So redet man nicht mit einer Dame!“ „Dame?! Die?!“, stieß ich erschrocken aus. „Ich bin nur gekommen, weil mich Frau Sauerbach darum bat, nach dem Rechten zu sehen. Ich soll euch außerdem ausrichten, dass ihr dann gleich noch den Müll in der Herrentoilette entsorgen sollt. Offenbar haben einige Dummköpfe eures Geschlechts wieder mit dem Klopapier rumgespielt.“ „Die Frauentoilette auch?“, fragte ich hoffnungsvoll…, die man bekanntlich ja nie aufgeben soll. Ich fing mir einen drohenden Blick von Agathe ein. Diese Krähe ging mir zwar gehörig auf die Nerven, aber leider hatte ich auch ein wenig Respekt vor ihr und versuchte gar nicht erst zu widersprechen. Müll einsammeln macht so viel Spaß – Das müsst ihr auch einmal ausprobieren!
Eine Woche später stand unsere Abschlussfahrt an. Es ging in einen entfernten Wald, der an einem wunderschönen See liegen soll – so sagt man. Wir wollten dort Campen, weshalb ich mir bereits am Abend zuvor alles Nötige dafür in eine Tasche und einen Rucksack packte. Kleidung, Waschzeug, Schlafsack, etwas Verpflegung und ein paar Kartenspiele. Wir starteten vom Parkplatz der Schule aus, auf dem bereits ein großer Bus auf uns wartete. Zwei Lehrer begleiteten uns: Unsere Klassenlehrerin, sowie unsere Kunstlehrerin Frau Sauerbach – leider! Justus und ich belegten eine der Zweiersitzreihe und ich hatte Glück, dass die Krähe Agathe ganz vorne bei Frau Sauerbach saß und sich bei ihr einschleimte. So ließ sie mich wenigstens in Ruhe. Neben ihr, gab es allerdings noch einen anderen Streber in der Klasse. Sein Name war Joachim. Er trug immer ein einen karierten Pullover, eine Brille und zog dazu eine ernste Schnute. „Bei meiner Berechnung sind wir in genau zwei Stunden und vierundvierzig Minuten an unserem gewünschten Ziel angelangt. Berechnet man allerdings noch mögliche Klopausen oder Tanks-Stopps mit ein, dann könnte sich diese Zeit auf drei Stunden und achtzehn Minuten ausdehnen. Dies sind allerdings nur theoretische Zahlen und keine Fakten.“ Einige der Schüler lachten ihn aus. „Boah, halt den Mund du Streber!“, rief ich ihm aufs Übelste genervt zu, da er zwei Sitzreihen mir schräg gegenüber saß. Joachim rückte sich seine Brille zurecht und warf mir einen finsteren Blick zu. „Warte nur, irgendwann werde ich ein hohes Tier in Deutschland und dann wird euch das Lachen schon noch vergehen!“, drohte Joachim uns und schwieg uns fortan an. „Ein hohes Tier?“, fragte ich belustigt. „Was wirst du? Eine Giraffe?“ Ich brachte einige meiner Mitschüler zum Lachen, während Justus mich in den Arm zwickte, dass ich nicht so böse sein soll. Einige Zeit später – etwa drei Stunden und fünfzehn Minuten – drehte unser Mitschüler in der vorderen Sitzreihe sich zu uns um und fing an, sich mit uns zu unterhalten. Sein Name war Peer und wir unterhielten uns über das Filmgeschäft: „Ich fand David Niven in „80 Tagen um die Welt“ sowas von genial. Irgendwann möchte ich auch so ein guter Schauspieler werden wie er!“ „Wenn du an deinem Traum festhältst, wirst du das auch schaffen!“, ermutigte Justus ihm lächelnd. „Welchen Traum hast du denn, Nicolas?“, fragte Peer mich. Ich musste über diese Frage erst nachdenken und bat um ein wenig Bedenkzeit, also ging die Frage erst einmal an Justus weiter. „Mein größter Traum… das ist ganz einfach. Naja eigentlich nicht sehr einfach. Genaugenommen ist es sogar sehr schwierig und unrealistisch, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf…!“ „Jetzt sag schon.“, sagte ich genervt, aber neugierig. Justus hatte die Angewohnheit immer ein wenig um den heißen Brei rumzureden, was auf Dauer etwas störend ist. „Jaaa doch… Ich würde gerne irgendwann einmal zum Mo…“ Peer wurde jäh mit seiner Antwort unterbrochen, als einer unserer Mitschüler mit seinem Finger aus dem Fenster zeigte. Es schien fast so, als wären wir am Ziel unserer Reise angekommen, denn um uns herum befanden sich nur Bäume. Von einem See war zwar noch nichts zu sehen, dafür ragte aber ein riesiges Schloss über die Baumkronen hervor, was vor allem die Mädchen in unserer Klasse ins Staunen versetzte.
39. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A – Teil 2 Das Schloss ragte über die Baumkronen und versetzte uns alle ins Staunen. „Was glaubt ihr, wie hoch dieses Schloss ist?“, fragte Peer uns. „Es ist exakt 153 Meter hoch und es nennt sich Schloss Phönix. Einer Legende zufolge, soll darin einst ein wunderschöner Prinz gelebt und seinem Volk viel Liebe entgegen gebracht haben. Doch dann soll er eines Tages von einem dunklen Schatten befallen worden sein, stellte sich gegen sein Königreich und durch seine eigene Hand, wurde es zerstört.“, erklärte Joachim uns allen, während unsere Augen weiterhin auf das Schloss gerichtete waren. Die Mädchen in unserer Klasse schmachteten bei dem Gedanken an den wunderschönen Prinzen. Ich hingegen verdrehte die Augen und blickte zu Justus, aber auch der schien vor sich hin zu träumen. „Oh bitte Frau Sauerbach, können wir nicht in diesem prachtvollen Schloss übernachten?“, fragte Agathe, deren Augen dabei wie Sterne funkelten. „Tut mir Leid, aber die Zeltbehausung steht bereits fest. Keine Widerrede!“, antwortete Frau Sauerbach hochnäsig und ein tiefer Seufzer der Mädchen ging durch den Bus. „Also ich freu mich aufs Zelten.“, sagte Justus glücklich zu mir. „Ja genau, wir sind eben doch noch echte Männer, die sich der Natur verbunden fühlen!“, rief ich laut durch den Bus, damit es auch bis zu Agathes Ohr drang. Sie warf mir finstere Blicke nach hinten. Nach etwa einem weiteren Kilometer kam der Bus schließlich zum Stillstand – Endstation – und wir stiegen alle aus. Jeder nahm sein Gepäck zur Hand und gemeinsam marschierten wir zu dem Zeltplatz am See. Der See lag ganz in der Nähe des Schlosses und er schimmerte im Sonnenlicht. Es war ein herrliches Gefühl hier zu sein – in der freien Natur, umgeben von Pflanzen und Tieren. „Wer als Letzter im Wasser ist, ist eine lahme Ente!“, rief ich fröhlich, ließ mein Gepäck fallen und rannte auf den See zu. Justus und Peer folgten mir und wir rannten um die Wette. „Sofort stillgestanden, oder es gibt für euch kein Abendbrot!“, schrie uns Frau Sauerbach hinterher. Sofort bremste ich mit meinen Füßen ab, Justus und Peer rannten allerdings in mich hinein und so landeten wir kurzerhand unbequem auf dem Erdboden. „Erst werden die Aufgaben, die jeder zu verrichten hat, verteilt und dann werden die Zelte aufgebaut.“, wies Frau Sauerbach uns an. „Und, findest du sie immer noch so heiß?“, fragte Justus mich mürrisch, als wir am Boden lagen. „Sie ist zumindest eine sehr dominante Frau…“, entgegnete ich grinsend.
Am späten Mittag standen alle Zelte und unsere Klassenlehrerin erlaubte uns, die nächsten Stunden ein wenig im See zu entspannen. Dies musste keinem von uns dreimal gesagt werden und so befand sich schon bald unsere ganze Klasse im erfrischenden Seewasser. „Boah, sehen die Mädels in ihren Badeanzügen nicht toll aus?!“, schwärmte Peer uns etwas vor. „Ich frage mich ob…“ Wundersame Gedanken breiteten sich in meinem Kopf aus, denn ich stellte mir Frau Sauerbach in einem Badeanzug vor, wie sie mir verführerisch zuzwinkerte und mir einen Luftkuss zusendete. „Nicolas!“, rief sie mir verführerisch in meinen Gedanken zu. „Komm an meine Brust Nicolas und lass dich drücken.“ Ihre Lippen näherten sich meinem Gesicht und ich wurde rot. „Hey Nicolas, träumst du?!“ Justus sprach mich von der Seite her an und in meinem Kopf platzte eine Seifenblase. „Wo warst du denn bitte gerade? Im wunderschönen Schlaraffenland?“ „Hm… so ähnlich.“, erwiderte ich noch immer leicht abwesend. Ich entdeckte Agathe am Steg, die einen roten Badeanzug trug und sich nicht so recht traute, ins Wasser zu springen. Ich grinste frech und schwamm auf den Steg zu, ohne das sie mich bemerkte. Ich kletterte an einer Leiter aus dem Wasser und schlich mich von hinten an sie heran. Ein Schubs – Platsch – Agathe war im Wasser! Ich lachte schadenfroh, doch verging mir das bald, als sie nicht wieder zurück an die Wasseroberfläche kam. Konnte sie etwa gar nicht schwimmen? Verdammt! Mit einem Hechtsprung sprang ich zurück in den See und tauchte unter Wasser. Die Sicht war sehr trüb und ich konnte sie einfach nicht finden. Als ich allerdings zum Luftholen wieder an die Wasseroberfläche schwamm, entdeckte ich sie zu meiner Erleichterung – und auch zu meinem Ärgernis – putzmunter und quietschfidel auf dem Steg. „Hast du etwa wirklich geglaubt, dass ich nicht schwimmen kann?“, fragte sie mich belustigt und streckte mir die Zunge raus. Ich grummelte innerlich und erzeugte Blasen im Wasser. „Awww, hast du dir etwa ernsthaft Sorgen um mich gemacht. Das ist ja süß. So kenne ich dich gar nicht!“ „Halt den Mund, du blöde Krähe.“, sagte ich und schwamm beleidigt zu den Anderen zurück.
Am Abend entzündeten wir ein Lagerfeuer und außen herum legten wir gefällte Baumstämme, auf denen wir es uns gemütlich machen konnten. „Oh, ich glaube ich habe einen Zweig im Arsch.“, merkte Peer an und alle begannen zu lachen – naja alle bis auf Agathe. Peer liebte es Späße zu machen und andere zum Lachen zu bringen. Er wollte nicht nur Schauspieler, sondern am liebsten auch noch Komiker werden. Das Talent dazu, hatte er allemal. „Gibst du mir noch eine Kartoffel?“, fragte ich meinen besten Freund Justus, der mir aus einer kleinen Schüssel eine Kartoffel, eingewickelt in Alufolie, überreichte, die ich mir auf einen spitzen Ast steckte und übers Feuer hielt. „Die schmecken flambiert sehr gut.“, meinte ich. „Eigentlich ungerecht.“, sagte Justus. „Wir sitzen hier alle gemeinsam um ein Lagerfeuer, während letzte Woche 1200 Menschen in Russland bei einem Erdbeben ums Leben kamen.“ „Musst du jetzt damit anfangen? Du zerstörst die ganze gute Atmosphäre.“, sagte ich genervt. „Was haben sie für uns morgen denn so alles geplant, Frau Sauerbach?“, fragte Joachim unsere Lehrerin. Ich verdrehte erneut die Augen, während Agathe natürlich aufmerksam zuhörte. „Morgen unternehmen wir eine kleine Wanderung.“, antwortete Frau Sauerbach. „Zuvor werden wir uns allerdings der Kunst widmen. Ihr habt ja alle Papier und Stifte mitgebracht. Ich möchte, dass ihr die Natur in euch wirken lässt und frei heraus zeichnet, was euch gefällt.“ Ich grinste innerlich, denn natürlich dachte ich daran, Frau Sauerbach im Badeanzug zu zeichnen. Justus entriss mich aber wieder aus meinen Gedanken, indem er mit dem Finger schnippte und mich darauf aufmerksam machte, dass meine Kartoffel schwarz wurde. „Es wird zwar keine Noten auf eure Zeichnungen geben“, sagte Frau Sauerbach, „aber bei Nicolas Talent fürs Zeichnen ist das vermutlich auch besser.“ Alle Schüler lachten und am lautesten natürlich Agathe. Diese Blamage… und das nur weil ich nicht mehr als Strichmännchen und V- und m-Vögel zustande brachte. Einer unserer Mitschüler kam dann auf die Idee, gruselige Lagerfeuergeschichten zu erzählen und fast alle waren dafür. Dreimal dürft ihr raten, wer dagegen war – Kräh! Reihum erzählte jeder der Jungs eine kleine Geschichte, während sich die Mädchen entweder untereinander, oder sich an dem Arm eines Jungen klammerten. Irgendwann war Peer an der Reihe.
40. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A – Teil 3 Peer begann seine Lagerfeuergeschichte zu erzählen: „In meiner Gruselgeschichte dreht es sich um eine Schulklasse, wie unsere. Sie fuhren zum Campen in den Wald und stellten an einem wunderschönen See ihre Zelte auf. Als sie spätabends alle in ihre Zelte krabbelten, um zu schlafen, hörte einer der Schüler seltsame Geräusche von außerhalb. Seine Mitschüler schliefen bereits, also kletterte er langsam und leise wieder aus seinem Zelt heraus. Die seltsamen Geräusche waren immer noch zu hören und wurden von Sekunde zu Sekunde lauter, aber auch unheimlicher. Der Schüler suchte nach der Herkunft und der Ursache für dieses Geräusch, als sich die Blätter eines Busches bewegten. Zuerst dachte er, der Wind hätte die Blätter aufgewühlt, doch dann fiel ihm auf, dass es windstill war. Seine Augen ruhten aufmerksam auf den Busch und auf einmal hörte er ein leises Atmen. Dem Schüler fuhr es kalt den Rücken runter und sein Mut, den er sonst immer besaß, verschwand im Nirgendwo. Der Schüler machte einen Schritt rückwärts, denn ihm wurde bewusst, dass er nicht alleine war. Dann kam etwas aus dem Wald zum Vorschein: Zuerst war es nur eine Hand, dann der ganze Arm und schließlich ragte ein Kopf aus dem Wald heraus. Ein Junge, nicht viel älter als er, krabbelte auf allen Vieren auf ihn zu. Sein Gesicht war so blass wie die eines Gespenstes, seine Augen so schwarz wie die Nacht und seine Hände… waren blutrot! „H-Hilf mir!“, krächzte der fremde Junge und streckte seinen Arm in Richtung des Schülers aus. Der Schüler wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte einen der Lehrer wecken, doch der fremde Junge krächzte noch mehr nach Hilfe. Er schien Höllenqualen durchlitten zu haben und konnte sich vor Schmerzen kaum bewegen. Der Schüler beugte sich zu dem fremden Jungen hinunter und versuchte ihn zu beruhigen. Er versicherte ihm, dass alles in Ordnung käme…, doch dann sagte der Schüler keinen Ton mehr. Der fremde Junge hatte ein Messer gezückt und rammte es dem Schüler in den Hals. Das Blut tropfte aus der Kehle des Schülers und seine Augen weiteten sich. Dann kippte er tot um! Der fremde Junge grinste wie ein geistesgestörter Irrer – ihn durstete es nach dem Blut von Menschen. Er wollte sie alle abschlachten! Alle schliefen und so konnte sich der fremde Junge unbemerkt über jeden einzelnen hermachen. Zuerst die Mädchen, dann die Lehrer und zum Schluss die Jungs – einer nach dem Anderen fiel seinem Blutdurst zum Opfer und zum Schluss glich das Zeltlager einem blutroten Friedhof.“ Nachdem Peer seine Lagerfeuergeschichte zu Ende erzählt hatte, sagte keiner mehr auch nur ein Wort. Agathe saß wie versteinert da, als wäre jegliches Leben aus ihrem Körper gewichen. Ich nutzte die Gelegenheit mich leise von hinten an sie heranzuschleichen und zu erschrecken. Sie ließ einen entsetzten Schrei los. „Na bitte, sie lebt ja doch noch!“, rief ich lachend und einige der Jungs lachten mit mir. Frau Sauerbach war natürlich alles andere als begeistert und verdonnerte mich dazu, am nächsten Tag die dreckigen Schüsseln zu reinigen, in der sich die Kartoffeln befanden. Dann war es Zeit fürs Schlafengehen und wir krochen alle in unsere Zelte. Einige allerdings etwas unsicher und ängstlich, nach Peers Geschichte. Justus und ich teilten uns ein Zelt und krabbelten Beide in unsere jeweiligen Schlafsäcke. Wir wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht und es dauerte auch nicht lange, da hörte ich Justus, wie er neben mir leicht schnarchte. Mir hingegen fiel das Einschlafen schwer. Ich hatte schon immer Probleme damit, an einem fremden Ort zu nächtigen, als bei mir zu Hause in meinem gemütlichen Bett. Irgendwann drückte es mich noch an der Blase und ich trat noch einmal kurz aus. Die Verlockung an Agathes Zelt zu machen, war natürlich enorm groß, doch riss ich mich am Riemen und marschierte zu einem Gebüsch am Waldrand. Noch bevor ich meine Hose wieder zu hatte, hörte ich ein Rascheln aus dem Wald. Ich erinnerte mich an Peers Lagerfeuergeschichte und mir wurde ganz flau im Magen. „Bist du das Peer? Wenn ja, dann ist das nicht witzig!“, rief ich in den Wald hinein. Ich bekam keine Antwort und redete mir ein, dass ich mir das Geräusch entweder nur eingebildet hatte, oder es sich hierbei lediglich um ein Kaninchen handelte. Doch als ich zu meinem Zelt zurückmarschierte, packte mich urplötzlich eine Hand von hinten an der Schulter. Ich erschrak tierisch, doch unterdrückte ich einen lauten Schrei. Ein fremder Junge stand vor mir. Er war ziemlich wacklig auf den Beinen und genau wie in Peers Gruselgeschichte hatte auch er blutige Hände… Ich bekam es mit der Angst zu tun! Angst durchflutete meinen Körper und das will bei mir schon etwas heißen, wo ich doch sonst auch immer so mutig und selbstbewusst auftrat. Die Hände des fremden Jungen waren mit Blut übersät, doch konnte ich leider nicht erkennen, ob es sein eigenes oder das von jemand anderen war. Durch seine Berührung an meiner Schulter gelangte das Blut allerdings an mein Shirt, das ich trug. Der fremde Junge ging vor mir in die Knie. Offenbar konnte er sich gar nicht mehr auf den Beinen halten. Er sah sehr blass im Gesicht aus und schien einiges durchlebt zu haben. Irgendwann sagte er: „B-Bitte…, hilf mir!“ Flehen lag in seiner Stimme und jeder Andere an meiner Stelle würde dasselbe denken wie ich: Will sich Peer einen Scherz mit mir erlauben, oder ist das wirklich real? Der Junge brach zu meinen Füßen zusammen. Ich wusste nicht so Recht was ich nun tun sollte. Hilfe holen? Wenn ich es nicht täte, spüre ich dann schon bald ein Messer in meiner Kehle? Der fremde Junge schloss seine Augen. Wurde er gerade ohnmächtig? Okay, ich muss Hilfe holen…! Aber wenn ich das Zelt der Lehrer zum Einsturz bringe, dann schreit mich Frau Sauerbach wieder an. Muss Justus eben herhalten, so mein Entschluss. Ich krabbelte schleunigst zurück in unser Zelt und versuchte ihn aufzuwecken. Doch es geschah etwas Unerwartetes: Justus streckte im Schlaf seine Arme aus seinem Schlafsack, legte sie um meinen Hals und zog mich zu sich heran. Meine Augen weiteten sich und ich wurde knallrot im Gesicht, als ich seinen Herzschlag an meinem Ohr spürte. Dann nuschelte er im Schlaf etwas vor sich hin: „Schön das ich dich hab, Nicolas!“ Mir wurde das eindeutig zu viel und mit einem deftigen Schlag in den Brustkorb, weckte ich Justus aus seiner Träumerei auf. „Aaaaargh verdammt! Nicolas, was soll das?!“, schrie er unter Schmerzen auf. „Steh auf du Faulpelz und folge mir!“, forderte ich ihn auf. „Da ist ein fremder Junge in unserem Zeltlager aufgetaucht!“ „Soll das ein schlechter Witz sein?“, erwiderte Justus gereizt. „Du wirst nur geträumt haben. Leg dich wieder schlafen und wenn du mich noch einmal schlägst, dann schütte ich dir morgen eigenhändig einen Eimer Wasser über den Kopf, wenn du noch schläfst.“ „Du glaubst ich lüge? Was glaubst du eigentlich, was das rote Zeug an meinem Shirt ist – Ketchup?!“ Justus ließ mir keine andere Wahl. Ich packte ihn an den Füßen und zog ihn mitsamt seinem Schlafsack aus dem Zelt heraus. Er motzte natürlich aufgebracht, doch als er sah, dass ich nicht log, wurde er sofort ruhig. „Sollen wir einen Lehrer wecken, was meinst du?“, fragte ich ihn. Justus gab mir keine Antwort und bückte sich zu dem fremden Jungen hinunter. „Hey du, kannst du mich hören? Wo bist du hergekommen und was ist mit dir passiert?“ Langsam öffnete der fremde Junge wieder seine Augen. „W-Wanderung, B-Berge, Sch-turz…“, sagte er mit zittriger Stimme. Er schien Schlimmes durchlebt zu haben. „Wir werden dir helfen.“, versuchte Justus ihn zu beruhigen. „Wie ist dein Name? „D-Dominik, a-aber meine Freunde ne-nennen mich Nick.“, antwortete er uns.
41. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A – Teil 4 Da lag nun also dieser fremde Junge vor uns – mit blutigen Händen, und am Ende seiner Kräfte – dessen Name Dominik zu sein schien. Was ihm zugestoßen sein mag, konnten Justus und ich nur erahnen. „Seinen Worten zufolge, schließe ich daraus, dass er bei einer Wanderung in die Berge von einer Klippe stürzte.“, schlussfolgerte Justus. „Wie er das überleben und sich mit seinen Verletzungen bis hierher schleppen konnte, ist mir allerdings ein Rätsel. Vielleicht war er auch gar nicht allein und hier ist noch irgendwo jemand verletzt…“ Ich hörte Justus nur mit einem halben Ohr zu, denn etwas anderes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. „Nicolas, hörst du mir eigentlich zu?“ „Das ist sehr schön.“, sagte ich geistesabwesend. „Schön, dass der Junge beinahe gestorben wäre?“, erwiderte Justus verwirrt. Ich fand zu meinem geistigen Zustand zurück und klärte Justus darüber auf, was ich wirklich meinte: „Nein, ich rede von diesem Amulett um seinen Hals! Hast du das noch nicht gesehen?“ „Tut mir Leid, aber seine Verletzungen und das Blut an seinen Händen nahmen meine Aufmerksamkeit mehr in Anspruch.“, sagte Justus im sarkastischen Unterton zu mir. Doch dann blickte er ebenfalls auf das Amulett, mit einer schwarzen Sonne und einem weißen Mond verziert. „Sch-Schloss.“, murmelte Dominik vor sich hin, doch wir verstanden nicht so recht was er damit meinte. Er versuchte wieder auf die Beine zu kommen, Justus und ich stützten ihn, auch wenn wir dies für keine so gute Idee hielten. „I-Ich muss zum Schloss zurück. M-Meine Freunde…“ „Deine Freunde?“, wiederholte ich. „Heißt das, dass du nicht alleine hier bist?“ „Bitte, ich muss zum Schloss zurück.“, flehte Dominik uns an. „Was meinst du?“, wendete ich mich ratlos an Justus. „Ich meine, dass es besser wäre, wenn wir nun unsere Lehrer wecken. Die wissen was sie zu tun haben.“, antwortete Justus mir und das klang äußerst weise…, oder dumm, denn einen schlafenden Kinderfresser wie Frau Sauerbach sollte man lieber nicht aufwecken. Doch egal was Justus oder ich sagten, der Junge wollte keine Zeit verlieren und schnellstmöglich zum Schloss zurückkehren. Wir konnten ihn ja kaum an einen Baum knebeln und ihn zum Hierbleiben zwingen…oder? „Na schön, dann begleiten wir dich eben.“, gab Justus schließlich nach. Gerade als wir zum Schloss aufbrechen wollte, zwang uns eine krähende Stimme zum Stehenbleiben. Ich rollte mit den Augen und dachte mir nur „Wachsames Stück Krähe!“. Agathe stand auf einmal vor uns, mit den Händen an ihren Hüften und einem vorwurfsvollen Blick in ihren Augen. „Wenn ihr das vorhabt, was ich denke das ihr vorhabt und ihr euer Vorhaben ohne die Einwilligung der Lehrer in die Tat umsetzt, dann denke ich, dass ihr sehr dumm seid und bei eurem Vorhaben, ein Mädchen mit intellektuellem Wissenstand gebrauchen könntet.“, krächzte sie uns zu. Nun blieb sogar Dominik stehen, der Justus und mich perplex anstarrte und dessen Gesichtsausdruck eindeutig die Frage aufwarf, wer dieses durchgeknallte Mädchen ist. Ich winkte lässig ab, dass er sich um sie nicht sonderlich zu sorgen braucht. „Du willst uns gar nicht verpetzen?“, fragte ich sie. „Warum sollte ich?“, stellte Agathe als Gegenfrage. „Weeeeil du uns nicht ausstehen kannst?“ Muss ich ihr das jetzt wirklich auch noch erklären?! Agathes Gesichtsfarbe nahm ein dezentes rosa an. „Nichts würde ich lieber tun, als dich an Frau Sauerbach zu verfüttern, aaaber ich will zu diesem Schloss – unbedingt!“ Justus und ich sahen uns verwirrt an. Agathe redete ununterbrochen weiter: „Frau Sauerbach hat uns heute Nachmittag verboten, das Schloss zu erkunden, also will ich mit euch mitkommen.“ Jetzt verschlug es mir wirklich die Sprache. Agathe bricht ein Verbot ihrer Lieblingslehrerin? Ich würde es vor ihr niemals zugeben, aber irgendwie törnte mich das ein wenig an… „Wollen wir dann los?“, fragte sie uns. „Ich hab sogar schon meinen Rucksack dabei, für den Fall, dass wir dort etwas Interessantes vorfinden.“ „I-Ich weiß ja nicht w-was ihr glaubt in dem Schloss vorzufinden, a-aber könne wir dann?“, fragte Dominik uns geschwächt, während er sich an Justus Schulter abstützte. Ohne ein weiteres Wortgefecht marschierten wir Vier gemeinsam zum Schloss. Justus ging mit Dominik voraus. Aufgrund der Dunkelheit war es schwer, den Pfad zum Schloss zu finden. Doch Agathe hatte eine Taschenlampe in ihrem Rucksack verstaut, die uns den Weg leuchtete. „Die sieht aber sehr antik aus.“, merkte Dominik leise an, doch verstand ich nicht, was er damit meinte. Ich war ohnehin völlig in Gedanken versunken, denn ich musste an die Umarmung mit Justus und dessen Worte, die er im Schlaf im Zelt an mich richtete, denken. Mir wurde ganz flau im Magen, denn ich hielt das nicht für sonderlich normal und das bereitete mir zunehmend Angst. Sollte ich Justus vielleicht darauf ansprechen? Er ist schließlich mein bester Freund und ich konnte mit ihm sonst auch über alles reden…, aber muss ich mit ihm das Vorgefallene überhaupt ausdiskutieren? Der Weg zum Schloss war nicht allzu lang, aber etwas beschwerlich. Überall am Boden befanden sich Wurzeln, über die wir leicht stolpern konnten, oder es war alles so zu gewuchert, dass ein Durchdringen fast unmöglich erschien. „Na wenigstes sind es keine Dornenbüsche.“, sagte ich. „Mir wären singende Blumen wie bei „Alice im Wunderland“ lieber.“, meinte Agathe. Als ob es uns interessieren würde, was ihr lieber wäre. „Den Film hab ich mir als ich elf Jahre alt war, nämlich mit meiner Mutter im Kino angesehen. Das weiße Kaninchen war so süüüß! Nur hoffe ich, dass in dem Schloss keine böse Königin haust, die die Köpfe rollen lässt.“ Ich musste leicht schmunzeln. Das Mädchen hat zu viel Fantasie, aber irgendwie gefiel mir das auch. „Ich glaube wir sind gleich da.“, rief Justus uns nach hinten, als wir uns durch das letzte Gebüsch durchkämpften. Es war ein bewegender Moment, als wir Vier vor dem riesigen Schloss standen und zu den Turmspitzen empor blickten. Justus, Agathe und mir standen die Münder weit offen. Dominik hingegen schien alles andere als beeindruckt zu sein. Seine Augen zeigten geradeaus, zum Tor des Schlosses, dass zugleich der Eingang zu sein schien – er war mit einer Absperrung abgeriegelt! „Betreten verboten!“, las ich von einem Schild ab, dass an der Absperrung angebracht wurde. „Tja, das war´s dann wohl mit unserer kleinen Exkursion.“, sagte ich. „Wir dürfen nicht in das Schloss rein.“ „D-Das kann aber nicht sein.“, sagte Dominik, der seit unserer Ankunft wie versteinert dastand. Seine Versteinerung löste sich aber nun auf und er rannte aufs Tor zu. Die Absperrung umging er einfach. „Hey Junge, kannst du nicht lesen, oder bist du einfach nur verrückt?!“, rief ich ihm hinterher. „Auf dem Schild steht „Betreten verboten!“. Lass uns lieber wieder zurückgehen!“ Doch es war schon zu spät. Dominik drückte mit seinen noch immer blutverschmierten Händen und all seiner noch verfügbaren Kraft gegen das Schlosstor und brachte es sogar zum Öffnen. „Dieser fremde Junge ist zwar ein wenig unheimlich, aber er ist sehr stark.“, schwärmte Agathe begeistert. „Folgen wir ihm lieber, nicht dass ihm noch etwas widerfährt.“, schlug Justus uns vor. Ich gab schließlich nach und wir folgten Dominik ins Schloss hinein. Wer weiß, was uns da drinnen erwartet… Graf Dracula? Schneewittchen und die sieben Zwerge? Eine böse Herzkönigin? Ich hoffe nicht…!
42. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A – Teil 5 Wie nicht anders zu erwarten, war es sehr dunkel im Schloss. Allerdings nahm die Dunkelheit dem Schloss nichts von seiner eindrucksvollen Pracht. „Dies wird die Eingangshalle sein.“, vermutete Agathe, während sich ein jeder von uns etwas genauer umsah. Eine große und breite Treppe führte in die höher gelegenen Stockwerke. Als ich mit meiner Hand übers Geländer fuhr, war eine dicke Staubschicht auf meiner Handfläche zu erkennen. „Hier könnte mal wieder geputzt werden.“, meinte ich sarkastisch. „A-Aber ich versteh das nicht.“, sagte Dominik, dem der Mund sperrangelweit offen stand. „Was ist denn los?“, fragte ich ihn. „Du wolltest doch hierher…!“ „J-Ja schon, a-aber…“, erwiderte Dominik, doch brachte er kein Wort mehr zustande. „Hey Leute, kommt mal her! Ich glaube ich habe etwas gefunden!“, rief Justus uns aus einer Ecke hinter der Treppe zu. Eine Tür befand sich dort und als wir sie öffneten und den Raum betraten, stockte uns erneut der Atem. Mehrere meterhohe Regale standen ringsherum an den Wänden und waren mit Büchern vollgestopft. „Wahnsinn!“, stieß Agathe begeistert aus, dessen Herz für Bücher kaum noch zu bändigen war. „Seht doch mal, wie viele Bücher das sind. Das müssen an die tausend, ach was zehntausend Bücher sein!“ „Das muss die Bibliothek des Schlosses sein.“, meinte Justus. „Ich versteh das nicht. Wieso lässt man so viele Bücher einfach hier einstauben und verrotten?“, sagte ich verständnislos, indessen ich den Titel eines Buches im Regal las: „Ewiges Leben“. „Wer weiß…, vielleicht hat das Schloss sogar noch einen Besitzer und der ist hierfür verantwortlich.“, mutmaßte Justus an, während er mit seiner Taschenlampe durch den Raum leuchtete. Ich hörte einen dumpfen Aufprall und als ich mich zu der Stelle umdrehte, von der das Geräusch stammte, erblickte ich Dominik, wie er bewusstlos am Boden lag. Justus und Agathe rannten sofort zu ihm hin. „Ich fühle seinen Puls. Er scheint nur ohnmächtig geworden zu sein.“, beruhigte Justus uns. „Es wäre besser, wenn wir jetzt zu unserem Zeltlager zurückmarschieren. Wir können ihn ja abwechselnd auf dem Rücken tragen, Nicolas.“ „Warte mal kurz.“, sagte ich und zog das Buch „Ewiges Leben“ aus dem Regal heraus. Dann geschah etwas Unglaubliches! Das ganze Bücherregal fing zu wackeln an und ein Teil davon, in der Größe einer Tür, begann sich nach innen zu verschieben. Ein Durchgang wurde uns eröffnet, bei dem eine Treppe in ein unteres Erdgeschoss führte. „Jetzt wird es richtig interessant!“ „Lasst uns lieber von hier verschwinden und bei Tag noch einmal herkommen.“, meinte Justus. „Bei Tag? Frau Sauerbach lässt uns doch nicht zum Schloss, oder hast du das schon wieder vergessen?!“, erwiderte Agathe aufgewühlt. „Bleib du bei Dominik! Nicolas und ich sehen uns dort unten ein wenig um und kommen gleich wieder.“ Justus war über Agathes Idee alles andere als begeistert, doch stand ihr Entschluss bereits fest und ich konnte sie natürlich schlecht alleine dort runtergehen lassen. Wer weiß, was sich dort unten befindet – Vielleicht ein riesiges Labyrinth mit unzähligen Fallen, oder eine blutrünstige Bestie…! „Wenn ihr da runtergeht, dann versprecht mir wenigstens, dass ihr aneinander Acht gebt und so schnell wie nur möglich wieder zurückkommt.“, bat Justus uns und Agathe und ich nickten einvernehmlich. Dann machten wir uns an den Abstieg in die Dunkelheit…
Wir setzten in der Dunkelheit einen Schritt vor den anderen. Ich war erleichtert und froh darüber, dass Justus mir vorher die Taschenlampe reichte. Das erleichterte den Abstieg zunehmend. Nach etwa zehn Minuten endete die Treppe in einem kleinen runden Kellergewölbe. Dort fielen mir als Allererstes vier Türen auf, die allesamt verschlossen zu sein schienen. Ich sah mich noch ein wenig genauer um und konnte nichts Weiteres mehr entdecken. Allerdings konnte ich das Mondlicht erkennen, dass durch ein großes Gitter durchschien, das in etwa hundert Meter Höhe angebracht war. „Sind etwa alle Türen verschlossen?“, fragte mich Agathe enttäuscht. Ich rüttelte noch einmal an den Türen, doch drei von vier Türen ließen sich nicht öffnen. Erst als ich an der vierten Tür ankam und daran rüttelte, öffnete sich diese und nach einem kurzen Blickaustausch, betraten Agathe und ich den dahinterliegenden Raum. Es war eisig kalt in diesem Raum und außer einer Art Altartisch und einem Beitisch, befand sich sonst fast nichts darin. Agathe schien schon ganz enttäuscht zu sein, doch dann sah ich, dass sich etwas auf dem Beitisch befand. „Sieh doch mal. Auf dem Tisch dort drüben...“, sagte ich und vorsichtig, aber auch sehr neugierig näherten wir uns dem Tisch. Was wir dort vorfanden, war wenig eindrucksvoll, aber mysteriös: „Was haben wir denn da? Zwei Ampullen, mit flüssigen Substanzen, ein Kompass und eine Schatulle, in der sich ein Pinsel und ein Zeichenstift befinden. Ergibt das zusammen irgendwie Sinn?“ Agathe antwortete auf meine Frage nicht, stattdessen nahm sie ihren Rucksack vom Rücken und legte alle Gegenstände vorsichtig dort rein. Unsicher blickte ich sie an, woraufhin sie zu mir sagte: „Wir nehmen sie mit und können uns später dazu Gedanken machen. Wir haben Justus versprochen, dass wir bald wieder zurück sein werden und ich halte meine Versprechen in der Regel immer!“ Es behagte mir nicht sonderlich, diese Gegenstände einzupacken und einfach mitzunehmen. Was ist, wenn sie noch jemandem gehörten? Doch traute ich mich nicht, Agathe zu widersprechen. Wir verließen den kühlen und dunklen Raum wieder und bemerkten dadurch nicht, dass die Wände schwarze Flecken aufwiesen. Zusammen mit Justus, der Dominik auf seinem Rücken trug, marschierten wir anschließend zurück in unser Zeltlager, bevor noch der Morgengrauen anbrach.
„Ihr könnt doch nicht einfach etwas mitgehen lassen, was gar nicht euch gehört!“, beschwerte sich Justus bei mir am darauffolgenden Tag, als wir mit unserer Schulklasse in den Bergen wanderten. Bereits die ganzen letzten Stunden über, ließ Justus seinen Unmut an mir aus und so stieg meine Frustration von Sekunde zu Sekunde weiter an. „Was habt ihr euch nur dabei gedacht?!“ „Nichts! Wir haben nicht nachgedacht! Ist es das, was du hören willst?“, erwiderte ich gereizt. „Außerdem war es Agathe, die die Gegenstände in ihrem Rucksack verstaute und nicht ich!“ „Ob es wirklich eine so gute Idee war, dass wir sie im Zeltlager zurückließen?“, fragte Justus unsicher. „Reden wir von demselben Mädchen? Die ist mit allem Wasser gewaschen und wird gut auf Dominik Acht geben. Du hast doch selber mitbekommen, wie sie vor Frau Sauerbach behauptete, einen Migräneanfall zu haben, was gar nicht stimmte. Vielleicht ist unser Sorgenkind bis zu unserer Rückkehr auch schon wieder auf den Beinen und kann uns dann ein paar Antworten liefern. Bis dahin, haben wir vielleicht auch herausgefunden, was es mit diesem Kompass auf sich hat.“ Ich zog den Kompass aus meinem Rucksack hervor, dessen Nadel sich seit heute Morgen ununterbrochen im Kreis drehte. „Agathe hat ihn mir mitgegeben, da die Nadel zu den Bergen zeigte.“, erklärte ich noch. „Wir machen hier eine kleine Rast!“, rief Frau Sauerbach zu uns Schülern nach hinten. Erleichtert und erschöpft verteilten wir uns auf Steinen und Holzstämmen und verzehrten unsere Nahrung. Justus und ich saßen eng beieinander, doch sagte keiner ein Wort mehr. Wir waren übernächtigt und die aktuelle Lage schlug zusätzlich aufs Gemüt. Ich lauschte einem Gespräch, das Joachim und Peer gerade führten. Naja, eigentlich war es nur Joachim der quasselte und Peer, der zumindest so tat, als würde es ihn interessieren und er würde zuhören. „So etwas Spannendes hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt! Das Wassili Smyslow bei der Schachweltmeisterschaft Michail Botwinnik besiegt, war unfassbar!“ Sowas nennt der spannend? Der hätte letzte Nacht dabei sein müssen…! Sein Gerede langweilte mich und ich hörte, wie mein Magen knurrte. „Reichst du mir mal bitte noch ein belegtes Brötchen?“, bat ich Justus. Als er mir das Brötchen, das in Alufolie eingewickelt war, allerdings zuwarf, verfiel ich es knapp und es rollte einen kleinen Abhang hinunter. „Mensch Jussi!“ So nannte ich ihn immer, wenn er etwas Dummes anstellte. „Kannst du nicht besser aufpassen? Das war das Letzte! Es liegt da unten und ich glaube, dass da ein Pfad hinführt. Ich bin gleich wieder da!“ Ich schlenderte zu der Stelle, an der mein belegtes Brötchen landete. An genau derselben Stelle, war eine Öffnung im Berg angebracht. Es sah beinahe wie eine Höhle aus. Plötzlich fing der Kompass in meiner Hosentasche an zu vibrieren. Unsicher blickte ich nach oben zu Justus, der Peer von seinem Elend mit Joachim befreit zu haben schien. Ich würde nur kurz einmal die Lage überprüfen. Dann betrat ich mutig die Höhle und folgte der Kompassnadel.
43. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A – Teil 6 Ich muss zugeben, dass mir leicht bange wurde – so ganz alleine in dieser fremden Höhle, die übersät mit spitzen Steinen und Felsbrocken war. Hier und da glaubte ich sogar eine Fledermaus kopfüber an der Decke schlafen zu sehen. Vorsichtig arbeitete ich mich immer weiter in das Innere der Höhle. Die Kompassnadel zeigte stur geradeaus und mir wurde bewusst, dass ich meinem Ziel immer näher kam. Doch warum tat ich das alles eigentlich? Ich wusste es selber nicht so genau, doch etwas an dieser Höhle zog mich regelrecht in den Bann. Wassertropfen fielen von der Höhlendecke auf mich herab. Die Steine um mich herum waren kühl und feucht. Allmählich fragte ich mich, wie weit ich noch gehen musste. Inzwischen dürfte sich Justus schon Sorgen um mich machen. Die Höhle schlug eine scharfe Kurve nach links und dann schien ich an meinem Ziel angekommen zu sein. Raubten das Schloss, die große Bibliothek und der Geheimgang hinterm Bücherregal mir bereits den Atem, so überwältigend war nun das, was ich vor mir erspähte. In einem fest verankerten Felsen steckte ein prachtvolles silbernes Schwert, mit goldenem Griff und eingravierten Rubinen. Das Schwert musste ein Vermögen wert sein, sofern es mir gelang, es aus dem Felsen herauszuziehen. Ich rieb mir voller Ehrgeiz die Hände und versuchte mein Glück. Ich schlang meine Hände um den Griff und versuchte das Schwert mit all meiner Kraft herauszuziehen. Doch egal, wie stark ich auch daran zerrte, es rührte sich keinen Millimeter. Das ist ja genauso wie bei König Arthur und Excalibur, dachte ich mir. Als ich etwas genauer hinsah, konnte ich in Stein gemeißelte Wörter entdecken, die einen Satz bildeten: „Nur der Besitzer der sieben Tugenden, vermag es, dass Schwert herauszuziehen!“ Ich dachte fieberhaft über die sieben Tugenden nach, aber ehrlich gesagt, vielen mir nur die sieben Todsünden ein, die meinen Charakter wohl besser beschrieben. Etwas niedergeschlagen, aber auch ein wenig stolz, das Schwert gefunden zu haben, trat ich den Rückweg an. Ich hoffte Justus konnte mir weiterhelfen, denn er wusste sonst auch immer recht viel. Als ich allerdings wieder am Rastplatz ankam, erwartete mich erst einmal eine Standpauke die es in sich hatte. Ich war zu lange fort gewesen und inzwischen hatten sich und meine Mitschüler die Lehrer auf die Suche nach mir gemacht. Wutentbrannt schrie Frau Sauerbach mich an: „Hast du eigentlich auch nur die leiseste Ahnung, was für Sorgen wir uns gemacht haben?! Dir hätte sonst etwas zustoßen können! Der Ausflug ist hiermit zu Ende, wir marschieren ins Zeltlager zurück und auf dich warten Unmengen an Strafarbeiten – für die nächsten hundert Jahre!“ Meine Mitschüler waren natürlich alles andere als begeistert, dass der Ausflug meinetwegen abgebrochen wurde. Auch meine Laune sank ins bodenlose. „Justus, du hast doch gesehen, dass ich dort runter bin. Wieso habt ihr mich da nicht gesucht, dann hättet ihr doch die Höhle gesehen!“ „Selbstverständlich habe ich dich dort gesucht Nicolas.“, erwiderte Justus aufbrausend. „Aber von was für einer Höhle redest du eigentlich?“ „Bist du blind?“, fragte ich nun gereizt, packte ihn am Arm und wollte ihm die Höhle zeigen. „Von der Höhle rede… ich.“ Die Höhle war verschwunden und perplex ließ ich Justus Arm wieder los. Von oben hörte ich erneut Frau Sauerbachs wütenden Schrei, dass wir bei der Gruppe bleiben sollen. „Ich glaube, der Schlafmangel setzt dich mehr zu, als du zugibst.“, meinte Justus zu mir und wir traten den Rückweg ins Zeltlager an. Nun war ich wirklich niedergeschlagen und ich fragte mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte. Hab ich mir das alles etwa nur eingebildet? Eine Höhle verschwindet doch nicht einfach so…, das ist unmöglich! Ich blickte auf den Kompass, doch dieser stand nun still.
Zurück im Zeltlager, wollte ich als Allererstes nach Dominik sehen, der in unserem Zelt lag. Ob er inzwischen zu sich gekommen war? Justus schritt voran und ich wollte ihm folgen, doch Frau Sauerbach rief mich zu sich und ich zuckte zusammen. Ob ich jetzt eine weitere Strafpredigt erhielt? Ich folgte ihr in das Zelt der Lehrer, indem es nach einem Parfüm roch, dass mir die Luft zum Atmen raubte. Frau Sauerbach bat mich darum, auf einem der Kissen Platz zu nehmen. Eigentlich war es hier ja recht gemütlich und kuschelig, dachte ich mir. So ganz allein mit Frau Sauerbach… In meinem Kopf spielte sich ein traumhaftes Szenario ab, wie ich mit der reifen Frau ganz eng beieinander lag – mein Kopf auf ihren wohlgeformten Brüs… „Nicolas, hörst du mir überhaupt zu?!“ Frau Sauerbach riss mich jäh aus meinen Gedanken und ich antwortete ihr: „S-Selbstverständlich! Ich höre ihnen immer zu! Ich hänge an ihren Lippen, wie an meinem Körper mein bestes Stü…“ „NICOLAS!“ Ich hielt inne und hörte meiner Lehrerin aufmerksam zu. Sie seufzte stark und kniete sich ebenfalls auf ein Kissen. „Ich hab keine Lust mehr dich anzuschreien. Du machst ja doch nur das, was du willst.“ Huch, das sind aber mal ganz neue Worte… „Ich verstehe nicht, was in deinem Kopf nur vor sich geht.“ Wenn sie das wüsste, würde sie mich vermutlich bei lebendigem Leibe häuten… „Dabei weiß ich doch, dass du kein dummer Junge bist. In der Schule hast du immer recht gute Noten und Freunde hast du auch einige, aber manchmal ist dein Verhalten einfach nur unentschuldbar. Was geht nur in dir vor? Wieso provozierst du und legst es regelrecht darauf an, Ärger zu bekommen?“ Ich dachte kurz über die Worte von Frau Sauerbach nach. Sie schien sich wirklich Gedanken und Sorgen um mich zu machen. Schluss mit meinen Witzen. Ich wollte Tacheles mit ihr reden: „Sie haben ja recht Frau Sauerbach! Ich provoziere die Menschen gerne, nur um Ärger zu bekommen. Weil mich das Leben langweilt, wenn alles so perfekt abläuft. In meiner Familie geht es harmonisch zu, ich hab gute Freunde, gute Noten in der Schule und trotzdem hab ich immer das Gefühl, dass mir etwas in meinem Leben fehlt. Vielleicht fehlt mir zu meinem Glück einfach noch die Liebe meines Lebens?“ Frau Sauerbach sah mich mitfühlend an und ich glaubte und hoffte inständig, dass mein frecher Plan aufginge. „Oh du armer Junge!“, rief sie mir zu, packte mich an den Armen und zog mich an ihre wohlgeformte Brust. Jawohl, mein Plan ging auf und ich gluckste innerlich! „Du wirst deine große Liebe schon noch finden. Du musst nur ganz fest daran glauben!“ Ich grinste schelmisch, denn in meinem ganzen Leben ging es mir nie besser. Schade, dass sie mich irgendwann wieder losließ und mich in mein Zelt zurückschickte, aber immerhin lächelte sie mir hinterher!
„Wie geht es unserem mysteriösen Patienten?“, fragte ich, als ich in mein Zelt kletterte, wo Justus und Agathe bereits um ihn herum saßen. Dominik schien immer noch zu schlafen. Na der Junge, hat ja einen gesunden Schlaf! Mich und meine Freunde vom Schlafen abhalten, aber selber ewig pennen. „Er schläft ganz fest und friedlich.“, antwortete Agathe mir lächelnd. „Was wollte Frau Sauerbach denn noch von dir? Eine weitere Standpauke?“, fragte Justus mich. „Och… eigentlich besser als das.“, antworte ich lediglich, mit einem Grinsen im Gesicht. „Gott, dein Grinsen ist beängstigend.“, meinte Agathe. „Wie ein geistesgestörter Irrer!“ „Wer nicht existierende Höhlen sieht, ist auf dem besten Wege ins Irrenhaus.“, fügte Justus hinzu. Meine Glückshormone verschwanden und Wut kochte wieder in mir hoch. „Ich hab mir die Höhle nicht eingebildet und darin hab ich sogar ein Schwert gefunden, dass in einem Felsen steckte. Leider konnte ich es nicht herausziehen, da ich nicht der Besitzer der sieben Tugenden zu sein schein.“ „Ein Schwert?“, harkte Agathe skeptisch nach. „Ja verdammt nochmal, ein Schwert!“, wiederholte ich für die Krähe. „Es war Silber und hatte einen goldenen Griff mit eingravierten Rubinen. Es sah ziemlich wertvoll aus, wenn ihr mich fragt.“ Mit einem Mal öffnete Dominik seine Augen und setzte sich senkrecht auf. Agathe ließ einen erschrockenen Schrei los und sogar Justus und mich lupfte es ein wenig vor Schreck. „Das ist es!“, sagte er und wir Anderen blickten uns verwirrt an. „Das hat Prinz Phönix in den Bergen versteckt und dahin führt der Kompass. Das muss ich sofort meinen Freunden berichten. Kann mir einer von euch mal sein Handy leihen?“ „Was zum Henker ist denn bitte ein Handy?“, fragte ich Dominik verwirrt. Dominik blickte mich zunächst ebenfalls verwirrt an. Dann weiteten sich seine Augen vor Entsetzen und er stellte uns eine Frage, die alles Bisherige in den Schatten stellte: „Welches Jahr haben wir?“ Unsicher blickte ich zu Justus und Agathe, ehe ich antwortete: „1957 natürlich?!“
44. Die Abschlussfahrt der Klasse 11A – Teil 7 Dominik blickte uns wie versteinert an. Er sagte kein Wort mehr zu uns und allmählich stellte sich in mir doch die Frage auf, ob er noch ganz richtig im Kopf war. Wieso frägt er mich nach dem Jahr? „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Justus ihn schließlich behutsam. Dominik schluckte einmal kräftig und umklammerte mit seiner Hand sein Amulett, das er an einer Kette um den Hals trug. Schließlich fand er seine Stimme wieder: „Ich bin mir nicht sicher…“ „Ich denke, ich werde mich dann mal langsam wieder in mein Zelt zurückziehen.“, warf Agathe in die Runde ein. „Sonst könnte einer unserer Mitschüler auf die absurde Idee kommen, ich würde auch nur einen von euch mögen.“ Ich rollte mit den Augen und sagte kein Wort. „Ich freu mich schon auf morgen, das wird ein sehr interessanter Tag!“ Daraufhin verließ Agathe unser Zelt und Justus und ich versuchten für unseren kranken Patienten unbemerkt Nahrung zu beschaffen. „Tut mir Leid, dass ich euch so viele Unannehmlichkeiten bereite.“, entschuldigte sich Dominik hinterher. Er musste aus einem wohl erzogenen Hause stammen, denn mir würde es im Traum nicht einfallen, mich bei jemand zu entschuldigen, dass ich ihm zur Last falle. „Schon in Ordnung.“, sagte Justus und reichte ihm einen gebratenen Fisch. „Du hast unsere Abschlussfahrt spannender gestaltet. Doch sag mal, wo kommst du denn nun eigentlich her?“ „Hm…, wenn ich euch das sage, würdet ihr mir eh nicht glauben.“, antwortete Dominik und ich warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Der Junge war mir langsam nicht mehr ganz geheuer. Was ist, wenn er doch aus einer Irrenanstalt entflohen war und bereits unser Ende plante?! „Naja, du musst es uns ja nicht sagen. Hauptsache dir geht es bald wieder besser.“, sagte Justus, während wir alle drei jeweils an unserem gebraten Fisch kauten, den unsere Mitschüler im See beim Angeln einfingen und hinterher am Lagerfeuer brutzelten. Als es auf die Nacht zuging, legte sich einer nach dem anderen schlafen. Nur ich blieb wach und setzte mich vor unser Zelt ins Gras. Ich konnte und wollte nicht schlafen. So viele Dinge beschäftigten mich momentan. Zudem war es eine sternenklare Nacht und der Mond leuchtete hell. Ich hörte eine Bewegung im Zelt und kurz darauf erschien Justus neben mir, der wohl ebenfalls nicht zu schlafen vermochte. Er legte eine Decke um mich. „Heute Nacht ist es etwas frisch und du willst dir doch bestimmt keine Erkältung oder Schlimmeres einhandeln.“, meinte er gutmütig. Ich lächelte ihm dankbar zu, während er sich neben mich ins Gras setzte, ebenfalls mit einer Decke umhüllt. „Findest du es auch so wunderschön, die vielen kleine Sterne, die in der Ferne leuchten?!“ „Ja.“, antwortete ich ihm. Beide blickten wir zum Nachthimmel empor und beide dachten wir an die wunderschönen Dinge im Leben, die das Leben überhaupt erst lebenswert machen. „Irgendwann einmal… da würde ich sehr gerne mit einer Art Schiff ins Weltall segeln und auf dem Mond landen. Ob es wirklich einem Mann auf dem Mond gibt? Vielleicht besteht der Mond auch aus Käse, was meinst du?“ „Wenn du träumst, dann richtig, nicht wahr?“, entgegnete ich lächelnd und stupste ihn mit meiner Faust an der linken Schulter. „Ist das dein größter Traum, von dem du uns im Bus erzählen wolltest?“ Justus nickte lächelnd. „Ja, und was ist dein größter Traum?!“ Stimmt ja, ich hatte gesagt, dass ich darüber erst noch nachdenken müsse, aber inzwischen würden mir tausend Träume einfallen. „Es gibt da etwas…“, sagte ich schließlich nach reiflicher Überlegung. „Es gibt das etwas, was sich nicht mit allem Geld dieser Welt kaufen lässt. Ich hätte irgendwann gerne einmal eine eigene Familie, mit Ehefrau und Kindern. Wir würden in einem bescheidenden, aber sehr bequemen Haus leben, mit einem blühenden Garten. Ich würde gerne etwas Arbeiten, von dem ich weiß, dass es mir auch noch Spaß macht, wenn ich alt und grau bin – etwas, was für andere Menschen vielleicht seltsam, aber für mich selber wundersam erscheint. Mein größter Traum ist es, glücklich zu werden und meine Familie und Freunde in Sicherheit wiegen zu dürfen.“ Justus blickte mir in die Augen und es schien ihm die Sprache verschlagen zu haben. „Ich weiß, ich rede wieder einmal nur Schwachsinn.“, fügte ich hinterher lachend zu. Justus schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, das war sehr schön was du sagtest… und sehr süß!“ Ich wurde rot im Gesicht, auf was ich ja mal so gar nicht abfuhr. Ich schnappte mir Justus Kopf und wuschelte ihm mit meiner rechten Hand durch die Haare. „Bring mich nicht zum Rot werden!“ Wir lachten ausgelassen und hatten sehr viel Spaß in dieser Nacht. Wir saßen noch eine sehr lange Zeit so nebeneinander und bewunderten die Sterne. Doch irgendwann holte auch uns die Müdigkeit ein…
Ich ließ ein lautes Gähnen los und rieb mir vor die Müdigkeit die Augen, als ich am darauffolgenden Tag vom Lärm meiner Mitschüler aus dem Schlaf fuhr. Mussten die so einen Lärm machen? Es hörte sich an, als würden sie Topfschlagen mit Joachims Kopf spielen. Neben mir im Schlafsack, schlief Justus noch seinen gerechten Schlaf…, allerdings war Dominik verschwunden. Wo mag er nur hingegangen sein? Hoffentlich hat ihn keiner gesehen… Ich kletterte aus dem Zelt und wurde als Erstes von der hellen Sonne geblendet, die bereits hoch oben am Himmel stand. Ich marschierte zum See, wo Eimer mit Wasser bereitstanden und putzte mir als Erstes die Zähne. Ich wusch mir gerade das Gesicht, als ich Agathe und Frau Sauerbach miteinander reden hörte. „Wissen sie zufällig, wobei es sich bei dieser Tinktur handeln könnte, Frau Sauerbach?“, fragte Agathe unsere Lehrerin. Als ich mich umsah, konnte ich erkennen, wie Agathe eine der beiden Ampullen in den Händen hielt. Sie wird doch nicht etwa Frau Sauerbach von unserer kleinen Exkursion berichtet haben? War Dominik vielleicht deswegen verschwunden? Das diese krächzende Krähe auch nie ihr allzu lautes Mundwerk halten konnte. Ich hätte es wissen müssen…! Frau Sauerbach schnupperte an der Substanz, die sich in der Ampulle befand. Anschließend ließ sie sich dazu hinreißen, einen Tropfen auf ihre Handfläche fließen zu lassen. „Es sieht sehr klar aus und scheint sich nicht um eine Chemikalie zu handeln. Woher hast du die Ampulle?“ Agathe wusste nicht, was sie auf diese Frage antworten sollte und wippte nervös mit ihren Füßen hin und her. Also hatte sie Frau Sauerbach doch nichts gepetzt und mir viel ein Stein vom Herzen. Frau Sauerbach ließ drei weitere Tropfen auf ihre Handfläche gleiten und schleckte sie hinterher zaghaft mit ihrer Zunge weg. „Schmeckt irgendwie eigenartig.“, meinte sie. „Allerdings eigenartig gut, denn es schmeckt wie Preiselbeergelee, nur ohne den Gelee. Agathe schien ein klein wenig enttäuscht von dieser Erkenntnis zu sein. Sie bedankte sich jedoch bei Frau Sauerbach und ohne ein weiteres Wort der Erklärung, ging sie zurück zu ihrem Zelt, wo sie die Ampulle wieder in ihrem Rucksack verstaute.
Eine Stunde später wartete unsere ganze Klasse am Ufer des Sees – auch Justus hatte es inzwischen aus seinem Schlafsack geschafft und saß noch ein wenig verträumt neben mir auf dem Holzstamm. „Wenn es gleich losgeht, wirst du bestimmt nicht mehr wie eine müde Kartoffel neben mir sitzen.“, sagte ich grinsend zu ihm. Nicht das dieser Vergleich irgendwie Sinn ergeben würde… „Lass mich.“, grummelte Justus mir ins Ohr. „Sorg dich lieber um Dominik, oder hast du ihn inzwischen gefunden?“ Ich verneinte seine Frage leise, als sich Peer gerade neben uns setzte. „Ich bin schon sooo aufgeregt.“, sagte Peer. „Die erste Sonnenfinsternis, bei der ich dabei sein darf!“ „Peer…, das ist für uns alle die erste Sonnenfinsternis!“, entgegnete ich heiter. „Das wird ein phänomenales Schauspiel.“, sagte Joachim. „Sowas erlebt man nicht alle Tage.“ Unsere Klassenlehrerin und Frau Sauerbach stellten sich vor uns auf und führten eine Anwesenheitskontrolle durch. Nacheinander riefen sie unsere Namen auf: „Peer Augustinski? Greta Bock? Ferdinand Fuchs? Joachim Gauk? Justus Goldberger? Agathe Luitpold? Nicolas Rottbach?“ Als ich meinen Namen hörte, hob ich meine rechte Hand und antwortete mit „Hier!“
45. Schatten der Vergangenheit – Teil 1 Die Tiere des Waldes hatten sich auf der Lichtung, die umringt von Bäumen war, versammelt. Es war ein sehr bewegender Moment für die Tierwelt. Das älteste und weiseste Geschöpf von ihnen wurde heute zum neuen Herrscher des Waldes gekürt. Das Wildschwein hob zum Dank seine feuchte Schnauze in die Höhe und versprach den Tieren des Waldes, sie nicht zu enttäuschen. Ich stand mit Casey und Bobby ein wenig abseits und wir beobachteten das ganze Schauspiel. „Ein Wildschwein hm? Naja nicht meine erste Wahl, aber was soll´s.“, sagte Bobby schulterzuckend. „Also ich finde das Ganze sehr aufregend.“, meinte Casey zu meiner Rechten. „Ich hab dem stolzen Hirsch meine Hilfe zugesagt und ich werde auch dem Wildschwein im Kampf gegen den Schatten beistehen.“, sagte ich mutig. „Ich weiß nur noch nicht so recht, wie ich das anstellen soll. Bobby, du hast mir die Geschichte von dem Schattenphönix erzählt und wenn wir diesem bärtigen Mann, diesem Herrn Kinimod, vertrauen können, dann beruht seine Geschichte auf wahre Ereignisse. Ich kann mit Füßen und Fäusten kämpfen, aber gegen Magie bin ich machtlos!“ „Ich habe gehofft, dass mein Lehrer Herr Frenzel, oder diese Frau Temperini uns Antworten auf unsere Fragen geben können, aber Ersterer ist im Hotel unauffindbar und Letztere hat sich in ihr Büro zurückgezogen und empfängt keine Besucher.“, erklärte Bobby uns. Bei der Erwähnung des Namens von Sofia Temperini wanderte mein Blick automatisch zu Casey, der wiederum keine Miene verzog. Inzwischen flog ein Rotkehlchen herbei, das sich auf einen der Beerensträucher vor uns niederließ. Es zwitscherte uns etwas zu, was nur ich – dank meiner besonderen Gabe – verstand. „Tierflüsterer, unser neuer Herr des Waldes schickt mich zu euch. Er bittet euch zu sich, um sich mit euch zu unterhalten.“ Nachdem das Rotkehlchen seine Botschaft überbracht hatte, flog es wieder zu seinen Artgenossen zurück. Ich berichtete Casey und Bobby davon und hielt es für das Beste, wenn ich alleine zu dem Wildschwein ging und mich mit ihm unterhielt. Die Beiden waren einverstanden – und auch ein wenig erleichtert, dass sie dem Gestank entkamen – und so zog ich alleine los. Das Wildschwein erwartete mich unter einem großen Apfelbaum, der ihm ein wenig Schatten vor der brütend heißen Sonne spendete. Es war wirklich ein ausgesprochen heißer Sommer dieses Jahr…! „Danke, dass ihr gekommen seid, sogenannter Tierflüsterer.“, begrüßte das Wildschwein mich. Es war vielleicht nur Einbildung, aber ich glaubte einen spöttischen Unterton aus seinem Grunzen zu hören. „Ich beglückwünsche euch zu eurem neuen Titel, Herr des Waldes.“, entgegnete ich freundlich. „Es ist mehr als nur ein Titel, den ich auf meinen Schultern trage.“, erwiderte das Wildschwein. „Ich trage die Last der Verantwortung. Dass ich eines Tages der Herrscher dieses Waldes werden würde, war mir schon als kleines Ferkel bestimmt. Der stolze Hirsch war ein Narr, das er sich vor dem dunklen Schatten nicht in Sicherheit brachte und stattdessen sein Leben beendete, um euch zu beschützen.“ Nun war es eindeutig, dass das Wildschwein mich nicht zu mögen schien. „Ihr beherrscht zwar die Sprache der Tiere und nennt euch Tierflüsterer, aber das macht euch noch lange nicht zu dem Retter unseres Waldes. Der stolze Hirsch hat eure Fähigkeiten bei weitem überschätzt, wie ich zu glauben vermag.“, sagte das Wildschwein zu mir und allmählich machte es mich wütend. „Wollt ihr mir damit etwas Bestimmtes sagen?“, fragte ich gereizt nach. „Es war mutig, aber gleichzeitig auch dumm von euch, hier herzukommen. Und als neuer Herrscher des Waldes befehle ich euch, dass ihr mit euren Freunden unseren Wald auf der Stelle verlässt!“ Das Wildschwein stampfte einmal mit seinen Vorderbeinen auf den Boden auf. Dabei fiel ein verfaulter Apfel vom Baum herunter und landete direkt vor meinen Füßen. Still und leise hob ich den Apfel vom Boden auf und hielt ihn vor die Schnauze des Wildschweines. „Wenn ihr glaubt, den Wald und deren Bewohner alleine und ohne meine Hilfe retten zu können, dann wünsche ich euch viel Erfolg bei eurem Vorhaben, aber bedenkt, dass bei einem Scheitern eurerseits, der Wald schon sehr bald verfaulen wird, wie dieser Apfel, der einst so voller Leben war.“ Nach diesen Worten verabschiedete ich mich vom Wildschwein und kam seiner Aufforderung, ohne mich zu widersetzen, nach. Bobby, Casey und ich verließen die Lichtung, den letzten Zufluchtsort der Tiere, doch spürte ich den traurigen und enttäuschten Blick vieler Waldbewohner in meinem Rücken.
Auf dem Rückweg zum Schlosshotel, dachte ich die ganze Zeit über die Worte des Wildschweins nach, die mir einfach nicht aus dem Kopf gingen. Und da waren sie wieder, die vielen Fragen über meine besondere Gabe. Wieso ausgerechnet ich und wann erhielt ich diese Fähigkeit? Während meine Gedanken durchwirbelt wurden, merkte ich, dass ich immer langsamer voran schritt und Casey mich immer weiter abhängte. Doch dank seiner besonderen Haarfarbe, fiel er in dem Wald wie ein bunter Papagei auf und ich konnte ihn gar nicht aus den Augen verlieren. Bobby ging direkt hinter mir und nach einer Weile der Stille, stellte er mir eine Frage: „Was läuft da zwischen dir und diesem Casey nun eigentlich? Ist es was ernstes, muss ich mir Sorgen um dich machen?“ Ich schmunzelte. „Wieso, bist du eifersüchtig?“ „Antworte auf meine Frage nicht mit einer Gegenfrage! Das ist unhöflich…“, meckerte Bobby mich an und ich fing zu grinsen an. „Mit seinen wasserblauen Haaren kann ich ohnehin nicht mithalten.“ „Du irrst dich.“, entgegnete ich nach hinten und machte Bobby damit unbeabsichtigt Hoffnung, dass er sehr wohl mit Casey mithalten konnte. Doch eigentlich meinte ich: „Seine Haare sind nicht wasserblau, sondern himmelblau. Das hat er mir selber erzählt!“ „Himmelblau, wasserblau, schlumpfblau, knülleblau… ist doch alles ein und dasselbe.“, sagte Bobby leicht beleidigt und enttäuscht, auch wenn er es natürlich nicht so ernst meinte. „Ich weiß gar nicht was du hast, du hast doch deinen Tobias.“, sagte ich. „Naja, auch wenn er gerade mit Leon dieses Schmierentheater aufführt. Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?“ Ich wartete keine Antwort ab und kam bereits auf das nächste Thema zu sprechen: „Aber dein Gesichtsausdruck, als du glaubtest, dass Tobias dir einen Heiratsantrag macht, war interessant. Du sahst nämlich so gar nicht begeistert aus. Glück, dass es sich um einen Irrtum handelte.“ „Ja.“, hörte ich Bobby leise von hinten sagen. Er schien auf dieses Thema nicht gut zu sprechen zu sein, also ließ ich weitere Fragen und Feststellungen sein und kehrte zu meinen eigenen Problemen zurück, die sich gerade in mir und um mich herum abspielten. „Du Bobby…“, sagte ich nach etwa einer Minute. „Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum ich eigentlich die Fähigkeit, mich mit Tieren zu verständigen, erhielt. Leon bekam die Kunstutensilien, Max den Kompass und Nick das Amulett. Nur ich bekam kein Objekt, sondern etwas das in meinen Körper einverleibt wurde.“ „Hm…, du bist halt was Besonderes.“, sagte Bobby. „Ich bin nicht Besonderer als die Anderen, oder du!“, entgegnete ich. „Es muss einen anderen, einen triftigeren Grund dafür geben und ich würde ihn zu gerne kennen…“
46. Schatten der Vergangenheit – Teil 2 Als wir ins Hotel zurückkehrten, hörten wir Tobias lauthals in der Hotellobby herumschreien: „Sie werden mir jetzt endlich verraten, in welchem Zimmer sie ihn untergebracht haben!“ „Ich habe ihnen bereits mehrmals mitgeteilt, dass ich ihnen keine Auskünfte über unsere anderen Gäste preisgeben darf.“, sagte Herr Wilfred, der Hotelmanager, standhaft. „Immer noch kein Anhaltspunkt über Herr Frenzel?“, fragte Bobby seinen Freund. „Leider. Das Krötengesicht ist stur wie ein Esel, auch wenn es wie eine Kröte aussieht.“, erklärte Tobias uns und gab Bobby hinterher einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. „Was tust du denn da?!“, stieß Bobby erschrocken aus und stoß ihn von sich weg. „Was ist, wenn Zack oder Max uns gesehen hätten? Willst du Leon ins offene Messer laufen lassen?“ „Ach das…, um ehrlich zu sein… die Beiden haben es durchschaut, aber Leon weiß noch nichts davon.“, erklärte Tobias und ich dachte mir „Na endlich!“. „Er ist immer noch nicht wieder ganz auf den Beinen und die Zwei wollen ihn schonen. Aber immerhin können wir nun wieder so viel und so oft rumknutschen wie wir wollen. Nun können wir endlich unseren Urlaub genießen!“ „Genießen?“, wiederholte Bobby stutzig. „Nick stürzt von einer Klippe, Leon wird angegriffen und ertrinkt beinahe, ein Monster tötet die Tiere des Waldes und du denkst noch immer an Urlaub?!“ In Bobby brodelte es so richtig. Doch bevor die Lage noch weiter eskalierte, zog er es vor, sich auf seine Suite zurück zu ziehen und sich ein wenig zu erholen. Tobias trottete ihm nach, sagte aber kein Wort mehr. „Da scheint es Ärger im Paradies zu geben.“, zischte Casey mir in linke Ohr. „Die vertragen sich schon wieder.“, sagte ich. „Sie kennen sich nun schon so lange und wissen jedes wichtige Detail des jeweils anderen. Das ist nicht ihr erster Streit und wird auch nicht ihr letzter sein.“ „Meine Mutti hat immer zu mir gesagt, dass es in jeder guten Beziehung auch einmal zu Streitereien kommt.“, mischte sich Herr Wilfred in unsere Unterhaltung ein. Casey und ich warfen ihm einen „Halten-sie-sich-da-gefälligst-raus-Blick“ zu und schlenderten hinterher in den Speisesaal. „Ein Zitronen-Eistee, bitte.“, bestellte ich bei Astrid, der Barkeeperin. „Für mich bitte einen Blauen Himbeere Magic Slush Ice.“. Casey fuhr total auf dieses ungesunde Zeug mit Farbstoffen ab, dass die Amerikaner zu uns nach Deutschland brachten. „Im Übrigen bin ich ein wenig enttäuscht von dir.“, sagte er, nachdem wir Beide unsere Getränke erhielten und daran nippten. „Du hast vor dem Wildschwein klein beigegeben, ohne dich zu wehren!“ „Was hätte ich denn tun sollen? Mich gegen den neuen Herrscher des Waldes auflehnen und einen Aufstand anzetteln? Die Bewohner des Waldes haben schon genug Probleme.“, erwiderte ich. „Ja okay, aber was willst du jetzt tun? Hier rumsitzen und auf ein Wunder hoffen?“, fragte er mich. „Ich wünschte langsam, ich hätte diese Gabe niemals erhalten, denn dann müsste ich mir keine Gedanken darüber machen.“, sagte ich leicht wütend, stand auf und ging davon. Beim Verlassen des Speisesaals rempelte ich leicht in Leons Freunde Max und Zack hinein. Sie riefen mir noch etwas hinterher, doch nahm ich ihre Worte nicht mehr wahr. Ich verließ das Hotel unter der strengen Beobachtung des Hotelmanagers und marschierte zurück in den Wald. Wohin ich ging, war mir nicht so ganz klar, aber ehrlich gesagt war mir dies auch egal. Irgendwann kam ich schließlich doch noch zum Stehen, allerdings nicht ganz freiwillig. Ich trat auf einen am Boden liegenden Tannenzapfen und verrenkte mir dadurch meinen linken Fuß. Unter leichten Schmerzen humpelte ich zum nächstgelegenen Stein und setzte mich auf ihn drauf. Als ich mein Bein untersuchte war klar, dass ich ihn mir nur leicht verstaucht hatte. Dennoch hätte ich ein gesundes Bein jetzt mehr denn je bitter nötig gehabt. Ein Brüllen zog durch den Wald und kurz darauf erschien der schwarze Schatten vor mir. Jede Ader in meinem Körper pulsierte und in meinem ganzen Leben hatte ich nie mehr Angst! Der Schatten schwebte vor meinen Augen und jeden Augenblick erwartete ich, dass er mich angreifen und töten würde. Als nichts dergleichen geschah, dachte ich zunächst, dass mir das Glück hold war, doch änderte ich meine Meinung schnell, als der Schatten dann doch noch auf mich zuflog. Er zog mich in die Lüfte und ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Mein Ende stand kurz bevor und ich konnte mich noch nicht einmal von den Menschen, die ich liebte, verabschieden. Dunkelheit umhüllte mich und als ich mich umblickte, fand ich mich im Inneren des Schattens wieder. Dann hörte ich erneut das Lachen, dass ich bereits beim ersten Mal vernahm. Ein Teil des Schattens löste sich und nahm eine menschliche Gestalt an. Mir blieb die Zunge im Halse stecken, als ich erkannte, wer nun vor mir stand. „Na, du hast wohl nicht erwartet, mich jemals wieder zu sehen, nicht wahr?“, fragte mich der Mann gegenüber. „Du?! A-Aber, aber… du bist tot!“, stieß ich entsetzt aus. Vielleicht war es nur ein Traum, oder auch eine Illusion, aber momentan wirkte es ziemlich real, dass der ehemalige Zoowärter Ben vor mir stand. Ben war ein Mitglied der Organisation „Animal Welfare“ und arbeitete für Dr. Gold, der mich später auch entführen ließ, um sich meine Gabe zu Nutze zu machen. Er starb allerdings, als er versuchte Bobby und Tobias im Zoo zu erschießen und ich ihm eine Herde Elefanten auf ihn hetzte. Ich konnte es einfach nicht glauben. Ben soll der tödliche Schatten sein? „Jetzt guck nicht so überrascht Justin.“, forderte Ben mich beleidigt auf. Dabei zog er eine Schnute, doch funkelten seine Augen nach wie vor voller Boshaftigkeit. Er kam mir näher und legte seine Hand auf meine Schulter. Er packte fest zu und verursachte grauenvolle Schmerzen in meiner Seele. „Oh Verzeihung, tut das etwa weh? Aber bestimmt nicht so weh, wie die Schmerzen die ich erlitt, als diese wild gewordenen Elefanten über mich drüber stampften und mich zu Brei verarbeiteten. Danke dafür übrigens!“ „W-Was willst du von mir?“, fragte ich ihn schließlich mit zittriger Stimme. Ben grinste boshaft, ehe er antwortete: „Ich will dir helfen! Ja wirklich! Ich will dir etwas aus der Vergangenheit zeigen, was dich ungeheuer interessieren dürfte.“ „Und was soll das deiner Meinung nach sein?“, fragte ich ihn nun ein wenig mutiger. Wenn er mich leiden lassen will, ehe er mich umbringt, dann würde ich es ihm bestimmt nicht so leicht machen. Ich werde mich ihm bestimmt nicht kampflos ergeben! „Das wirst du jetzt sehen.“, sagte Ben und er öffnete mit seiner Hand ein Portal im Schatten, das uns an einen fernen Ort katapultierte. Mit einem Mal standen wir in einem kleinen Laden namens „Mystic-Shop“, das so allerhand seltsame Antiquitäten zu verkaufen schien. Ich blickte mich um und wäre aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen, wenn die Lage nicht so bitterernst und ich in besserer Gesellschaft wäre. Über der Eingangstür war eine Klingel angebracht, die anfing zu bimmeln, als eine schwangere Frau den Laden betrat. „A-Aber das ist ja meine Mutter!“, stieß ich erschrocken aus. Ein Herr so knapp über fünfzig kam aus dem Hinterzimmer hervor und fragte meine Mutter, was er ihr Gutes tun könne. „Ich soll ihnen liebe Grüße von Gisela ausrichten. Sie meinte, sie wissen dann schon weswegen ich hier bin.“, antwortete meine Mutter dem Ladenbesitzer. Der Ladenbesitzer schluckte einmal kräftig. Dann ging er zur Vitrine und zog eine kleine Ampulle hervor. „Meine Frau würde mich lynchen, wenn sie hier wäre und ich ihnen das ohne eine Gegenleistung gebe, allerdings weiß sie nichts von der magischen Kraft, die sich darin verbirgt.“ „Vielen Dank.“, erwiderte meine Mutter mit einem traurigen Lächeln. Ich wusste genau, wobei es sich bei diesem Elixier handelte. Doch was hatte meine Mutter damit zu tun?
47. Schatten der Vergangenheit – Teil 3 Meine Mutter wieder zu sehen, erfüllte mich einerseits mit Glück, andererseits aber auch mit tief verbundenem Schmerz. Niemals würde ich die Bilder aus meinem Kopf bekommen, wie die Löwin meine Mutter anfiel und sie dadurch umbrachte. Der Vorfall zerstörte damals nicht nur mein Leben, sondern auch des meines Vaters. Doch zum Glück ging es uns nun wieder besser…! Das Bild um mich herum verschwamm und mit einem Mal standen wir im Gang eines Krankenhauses wieder. Eine Ärztin schritt auf uns zu und marschierte einfach so durch mich hindurch, als wäre ich ein Geist. „Was zum…?“, fragte ich erschrocken und blickte angewidert auf mich hinunter. „Keine Angst, niemand kann uns sehen und hören. Wir sind hier nur spirituell, sozusagen Zuschauer aus einer fernen Galaxie… nur nicht von ganz so weit weg.“, erklärte Ben mich bissig auf. Ein Ärzteteam kam den Gang entlang gerannt. Sie rollten eine befahrbare Liege quer durch die Flure. Auf der Liege lag meine Mutter, bei der die Fruchtblase geplatzt war und bei der die Wehen einsetzten. Sie hielt die Hand meines Vaters und wieder war ich erfüllt von Glück. So eng miteinander verbunden, sah ich meine Eltern schon seit Ewigkeiten nicht mehr. „Du solltest mir dankbar sein Justin.“, sagte Ben sarkastisch. „Nicht jeder Mensch darf bei seiner eigenen Geburt so präsent dabei sein. Als Baby warst du bestimmt süßer, als du es jetzt bist.“ „Halt die Klappe!“, erwiderte ich verärgert und tappte meinen Eltern hinterher. Ben folgte mir und kurz darauf fanden wir uns in einem Krankenzimmer wieder, bei der die Ärztin bei der Entbindung meines jüngeren Ichs half. Gott, ist das eigenartig, wenn man sich selber als so kleinen Stöpsel aus dem Bauch seiner Mutter kommen sieht. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich als Baby gar nicht hübsch fand. Ich war so rot und fett… und Haare hatte ich am Kopf auch noch keine! Furchtbar! „Wie sie es sich gewünscht haben – es ist ein Junge!“, erklärte die Ärztin meinen Eltern, als sie das Baby in ihren Armen hielt und in ein Tuch einwickelte. Sie überreichte das Bündel meiner Mutter, die Tränen in den Augen hatte und von der Entbindung noch ganz geschafft war. Mein Vater beugte sich ebenfalls über mich – also über das Bündel – und beide lächelten sie mich glücklich an. „Wissen sie schon einen Namen für ihren neugeborenen Sohn?“, fragte die Ärztin meine Eltern. Meine Mutter lächelte sanft, während sie mit ihrem Finger die Stirn meines jüngeren Ichs streichelte. „Wir haben uns überlegt, dass wir ihm den Namen meines sehr früh verstorbenen Onkels geben werden.“, antwortete meine Mutter der Ärztin. Mir war die Geschichte neu, dass mein Name von einem verstorbenen Onkel meiner Mutter abstammte. „Mein Onkel hieß Justus und er besaß eine reine Seele und ein großes Herz. Unser Sohn soll eines Tages genauso rein und herzlich sein, und er soll großen Träumen nachjagen, wie zum Beispiel ins All zu fliegen. Allerdings haben wir uns auch für eine leicht veränderte Variante entschieden: Wir wollen ihn auf den Namen Justin taufen lassen!“ „Interessant nicht wahr?“, fragte Ben mich, während er seinen Mund weit aufriss und vor lauter Langeweile gähnte. „Keine Sorge, gleich wird es spannender.“ Ich warf Ben einen bösen Blick zu und stellte mir erneut die Frage, was er mit mir vorhatte. Will er mich nun umbringen, oder nicht? Doch mir war das gerade sowieso völlig egal, denn meine Eltern noch einmal glücklich zusammen sehen zu dürfen, erfüllte mich mit so viel Glück, dass es mir am Allerwertesten vorbei ging, was gleich mit mir geschehen würde. „Ich besorg dir mal was zu Trinken.“, sagte mein Vater zu meiner Mutter. Dann marschierte er aus dem Krankenzimmer hinaus, so dass meine Mutter mit der Ärztin und mir als Früchtchen alleine war. Erst jetzt las ich das Namensschild, auf dem weißen Kittel der Ärztin, die sich gerade etwas auf ihrem Klemmbrett zu notieren schien. „Sind sie dann soweit, Frau Taler?“, fragte Dr. Gisela Fauna sie. „Muss das wirklich sein?“, fragte meine Mutter ängstlich und verzweifelt. „Gibt es nicht doch noch eine andere Möglichkeit, dass…“ „Constanze!“, rief Dr. Fauna laut – etwas zu laut, denn sie wurde nervös und sprach im nächsten Moment wieder leiser. Es war schon seltsam, dass sie ihre Patientin – also meine Mutter – mit ihrem Vornamen ansprach, als würden sie sich schon sehr lange kennen. „Dein Sohn, Constanze, ist der erste männliche Nachkomme in deiner Familie, seit deinem verstorbenen Onkel Justus Goldberger. Ich habe dir doch erzählt was mit ihm geschehen ist.“ Meiner Mutter kamen erneut die Tränen, doch waren es keine des Glücks. Dr. Fauna setzte sich zu ihr aufs Bett und versuchte sie zu trösten. „Dein Sohn muss nicht sterben, wenn du mir erlaubst, ihm das Elixier zu verabreichen. Doch muss es gleich geschehen, sonst ist es zu spät und ein tödlicher Schatten wird über ihn hereinbrechen.“ „Das mit dem einfühlsamen Trösten beherrscht sie nicht so gut.“, brabbelte Ben mir von hinten zu. Ich hörte ihm gar nicht zu, so gespannt war ich über die Ereignisse in meiner Vergangenheit. Meine Mutter war einverstanden mit Dr. Faunas Vorhaben. Dr. Fauna zog eine Spritze aus ihrem Kittel, während meine Mutter das Bündel festhielt. Mein jüngeres Ich quengelte laut, als die Ärztin mit der Nadel auf ihn zukam. Ich durfte miterleben wir mir das Elixier verabreicht wurde. So erhielt ich also die Fähigkeit mit Tieren zu kommunizieren. Hätte ich das Elixier nicht erhalten, wäre ich womöglich gestorben, aber dennoch stellt sich die Frage nach dem Warum! Warum wäre ich sonst gestorben?! „Sag schon, warum wäre ich sonst gestorben?“, fragte ich Ben, nachdem das Bild erneut verschwamm und ich mich zu ihm umdrehte. Der schwarze Schatten umhüllte uns und Ben und ich schwebten wie von Zauberhand in der Luft. „Warum wohl, denk doch mal genau nach Justin!“, antwortete Ben mir mit einem boshaften Grinsen. „Bobby ist es, du bist es und wenn wir schon dabei sind, der Onkel deiner Mutter war es auch…!“ Völlig verwirrt blickte ich Ben an, doch dann ging mir ein Licht auf. „Weil wir homosexuell sind?!“ „Bingo! Jackpot! Der Kandidat gewinnt hundert Punkte!“, entgegnete Ben belustigt und am liebsten hätte ich ihm mit meiner Faust einen Schlag ins Gesicht versetzt. Doch vermutlich hätte er sich dann nur in schwarzen Rauch aufgelöst, ohne auch nur einen Funken von Schmerz zu zeigen. „Es ist doch wirklich nicht so schwer zu verstehen, oder? Homosexualität ist und war schon immer etwas Verbotenes. Viele bezeichnen es als eine Krankheit – und sie haben Recht! Homosexualität ist etwas Abscheuliches und es ist an der Zeit, dass dem ein Ende gesetzt wird – ein für alle Mal!“ „Du bist verrückt!“, stieß ich erschrocken aus. „Wir leben im 21. Jahrhundert und die Menschen sind dabei, sich damit abzufinden, dass wir so sind, wie wir sind.“ „Die Menschheit wird sich niemals damit abfinden, was du, deine Freunde und so viele andere Jungen und Mädchen seid. Denk doch nur mal an Bobbys Schulfreund Matthias, der ihn auf der Straße zusammenschlug, oder frag Leon nach Manne, der ihn nach seinem Outing beinahe von einer Klippe warf. Nick wird dir erzählen, dass sein Schuldirektor Herr Sakamoto die Schule verlassen musste, weil Bürgermeister Dr. Zobel ihn deswegen erpresste! Vergessen wir bei dieser Gelegenheit auch deinen Vater nicht, der dich vor die Tür setzte, als er von deiner Krankheit erfuhr!“ „Homosexualität ist keine Krankheit und mein Vater hat sich bei mir entschuldigt! Er liebt mich und unser Verhältnis ist jetzt noch besser als früher!“, schrie ich Ben wutentbrannt an. „Du willst mich nur psychisch fertigmachen, weil du dich an mir rächen willst, für das was ich dir angetan hab!“ Ben lachte lauthals. Sein Lachen bereitete mir Gänsehaut und brachte den schattenhaften Rauch um uns herum zum Beben. „Du dummer, naiver Junge!“, rief Ben mir zu. „Du irrst dich! Ich will mich nicht an dir rächen, weil ich nicht der bin, der ich vorgebe zu sein. Ich bin ein dämonischer Schatten, der in die Gedanken anderer Menschen eindringen kann. Die Gestaltwandlung ist eine meiner vielen bemerkenswerten Fähigkeiten. Nur deswegen habe ich diese Gestalt angenommen. Ich hätte genauso gut die Gestalt eines anderen Verstorben annehmen können. Sie her!“ Mit einem Mal verschwand Ben vor meinen Augen und der Schatten verwandelte sich in Dr. Gold, der mich einst entführte, um sich meine Gabe zu Nutze zu machen. „Ich denke diesen Mann kennst du auch noch.“ Meine Augen blickten zornig und ich ballte meine Faust. „Vielleicht wäre dir diese junge Mann aber auch lieber.“, sagte Dr. Gold, der sich kurz darauf in eine jüngere Gestalt formte. Der Junge vor mir hatte wie ich blondes Haar – es war Vince! „Vielleicht werfe ich dich ins Feuer, damit du dasselbe Leid zu spüren bekommst, wie ich.“, sagte Vince mit einem boshaften Lächeln zu mir. Ich trat einen Schritt rückwärts, als Vince vor meinen Augen in einem Feuer verbrannte. Der Schatten nahm eine neue Gestalt an. Diesmal war es Carlos Perrez, der Mann, der für den Tod meiner Mutter verantwortlich war. „Vielleicht werfe ich dich aber auch den Löwen zum Fraß vor!“ „Sei still!“, rief ich ihm zu und stürzte mich auf den Schatten. Carlos Perrez verschwand und der dunkle Schatten umhüllte mich noch enger. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Körper und wusste, dass es gleich um mich geschehen war. Doch Rettung nahte! Ein starker Wind zog auf und es wurde unerträglich heiß im Inneren des Schattens. Dann brach ein Licht durch den Schatten hindurch. Der Schatten brüllte wutentbrannt und eine Hand packte mich am Kragen und zog mich aus der Dunkelheit heraus. Als sich meine Augen wieder an das Licht gewöhnten, befand ich mich wieder im Wald. Neben mir kniete Casey, der mich erleichtert anblickte. „Das war aber knapp! Geht es dir gut? Keine Sorge, der Schatten hat sich in Luft aufgelöst und du bist in Sicherheit!“