52. Der Karaoke-Abend – Teil 1
„Guten Morgen.“, sagte ich noch ganz schläfrig, als ich Samstagmittag in meinem Teddybärenpyjama, die Küche betrat. Meine Mutter warf mich vor etwa zehn Minuten aus dem Bett – das tat sie schon lange nicht mehr, aber heute war Davids Geburtstag und den durfte ich keineswegs verschlafen. In den letzten Wochen ist er so oft für mich da gewesen, da ist es das Mindeste, dass ich ihm heute den schönsten Geburtstag seines Lebens bescherte.
Meine Mutter saß zusammen mit meinem Opa und Oma Forster am Küchentisch und verspeiste gerade eine Frühlingssuppe. Es passte zur Jahreszeit, denn die Sonne strahlte vor Glück und im Garten blühten die ersten Osterglöckchen auf. „Sieh mal Nick.“, sagte mein Opa und warf mir die heutige Zeitung vor die Nase. „Es steht wieder etwas über die Verhaftung des Zirkusdompteurs drin. Offenbar wurden nun nähere Einzelheiten bekannt gegeben.“
Ich nahm die Zeitung zu Hand und suchte nach dem Artikel. Auf der achten Seite, ganz unten rechts in der Ecke, standen schließlich ein paar Zeilen. Ich las mir den Artikel leise murmelnd durch: „Es scheint langsam Licht im Falle des Dompteurs Maurice zu kommen. Maurice war bis vor einer Woche beim Zirkus Graziano tätig. Er wurde von der Polizei verhaftet, aufgrund des dringenden Verdachtes, ein ehemaliges Mitglied der Organisation „Animal Welfare“ gewesen zu sein. Für Unwissende: Die Organisation „Animal Welfare“ setzte sich für die Befreiung von Tieren aus jeglicher Gefangenschaft ein. Dabei schien ihnen jedes Mittel recht gewesen zu sein. Es kam nämlich nicht selten vor, dass sie die Tiere einschläferten, um ihr Ziel zu erreichen. Vor fast zwei Jahren wurde die gesamte Organisation jedoch verhaftet, nachdem der Kopf der Bande von ein paar Jugendlichen zur Strecke gebracht wurde. Jedoch gelang es ein paar wenigen Mitgliedern der Organisation zu entkommen und ein neues Leben anzufangen. Maurice war einer dieser Menschen. Inwiefern er allerdings an den grausamen Machenschaften der Organisation beteiligt war, ist bis zu jenem Zeitpunkt unbekannt.“
Ich las mir den Artikel zu dem Fall zweimal durch, damit ich es nicht versäumte, ein wichtiges Detail zu überlesen. Ich erinnerte mich sehr gut an diese Organisation, nicht zuletzt durch die intensive Unterhaltung die ich mit Sams Familie im letzten Herbst darüber führte.
Als Maurice von Herr Blum auf dem Zirkusplatz abgeführt wurde, kam es zu einem kleinen Aufruhr. Maurice wehrte sich mit Leibeskräften und schrie wild durch die Gegend. Ich zitiere: „Ihr einfältigen Bullen. Lasst mich sofort gehen! Ich bin unschuldig, dass müsst ihr mir glauben!“
Doch Herr Blum tat nur seine Pflicht und führte ihn anschließend ab. Seinen Arbeitsplatz im Zirkus verlor Maurice auf jeden Fall. Ich zitiere Giovanni: „Mit so einem Kriminellen wollen wir nichts mehr zu tun haben. Sieht so aus, als müssten wir uns einen neuen Dompteur suchen.“
Meine Mutter beugte sich zu mir rüber und las den Artikel ebenfalls durch. „Hat nicht Bobby, Henry und Silvias Sohn, zu Weihnachten etwas darüber erzählt?“, fragte sie hinterher in die Runde.
„Was? Wirklich?“, stieß ich überrascht aus.
„Du warst glaub ich zu jenem Zeitpunkt gerade mit Sam vor der Tür.“, meinte meine Mutter und fing an zu lächeln, aufgrund dessen, dass Sam und ich uns damals draußen das erste Mal küssten.
„Natürlich weiß Bobby über diese Organisation Bescheid.“, brachte sich nun Oma Forster ins Gespräch ein. „Er ist schließlich einer der genannten Jugendlichen in diesem Artikel.“
„WAS?!“, schrien meine Mutter, mein Opa und ich überrascht und entsetzt gleichzeitig auf.
„Es war damals eine sehr schwierige Zeit für Bobby. Er erfuhr, dass sein Vater, nicht sein leiblicher Vater war. In der Schule wurde er unfreiwillig geoutet und wurde das Hassobjekt vieler Schüler und auch Lehrer. Und dann war da noch dieser Junge namens Vincent, der ihn nur benutzt hat, um sich an seinen Freund Justin zu rächen. Eine tragische Geschichte, aber zum Glück mit einem Happy End.“ Als Oma Forster mit ihrer Berichtserstattung fertig war, sahen wir sie alle mit offenem Mund an. Bei dem Namen Justin wurde ich hellhörig. Der Name kam mir bekannt vor, aber sicherlich gäbe es sehr viele Justins auf dieser Erde. Nur ob es in dieser kleinen Stadt auch mehrere Justins gab?
„Sag mal Nick, musst du nicht langsam mal los?“, fragte mich meine Mutter, als sie sich zur Mikrowelle umdrehte und die Digitaluhr betrachtete. „Du wolltest doch zu David und ihn zu seiner Überraschungsparty abholen.“
Ich schrak auf und rannte zur Haustür. Oma Forster rief mir noch hinterher: „Ich finde dich in dem Teddybärenpyjama ja recht niedlich und sexy und der Frühling mag ja auch langsam heranziehen, aber findest du nicht, dass es in dem Outfit noch ein wenig zu kalt sein dürfte?!“
Ich machte im Flur halt (, wurde kurz rot im Gesicht vor Scharm), verfluchte mich und meine Dummheit und rannte ins Dachgeschoss, während meine Mutter, mein Opa und Oma Forster in der Küche lauthals lachten (Wehe ihr lacht, dann rede ich mit euch kein Wort mehr -.-).

„Verdammte scheiße!“, fluchte David laut, als er unachtsam in einen Hundehaufen im Park trat.
„Scheiße trifft es gut, denn die klebt jetzt an deiner Schuhsohle.“, grinste ich ihn an.
„Ja haha, sehr witzig, alles doof zurzeit.“, erwiderte David mürrisch und gereizt.
„Hey Kleiner, was ist los mit dir?“, fragte ich ihn besorgt, doch fachte ich seine Wut mit dem Wort „Kleiner“ damit nur noch mehr an (Ich sollte diese Witze langsam echt sein lassen).
„Ich bin nicht dein Kleiner!“, schrie mich David an und ich entschuldigte mich sofort.
„Du hast heute Geburtstag. Du solltest heute glücklich und fröhlich sein.“, sagte ich aufmunternd zu ihm. „Oder bereitet es dir etwa keine Freude, mit mir zusammen durch den Park zu schlendern?“
„Nicht, wenn ich in Hundehaufen trete.“, erklärte er mir. „Außerdem, was soll an meinem Geburtstag schön sein, wenn meine einzige Schwester heute arbeiten muss und meine Eltern eine Frühlingsreise nach Ägypten hinlegen.“ (Komische Eltern… sind nie zuhause, wenn ein Fest ansteht.)
Ich lächelte David an und dann umarmte ich ihn ganz lieb. Ein älteres Ehepaar kam vorbei und meinte, wie süß ich doch mit meinem kleinen Bruder aussehe (Ich musste natürlich grinsen). „Ich verspreche dir David, dass wird der schönste Geburtstag, den du je erlebt hast.“
David guckte mich verdächtigend an. „Was hast du vor Nick?“
„Nichts.“, log ich und das sehr schlecht, denn wieder musste ich grinsen. David boxte mir schließlich in den Bauch, doch seine zarten Schläge machten mir natürlich nichts aus. Dennoch gab ich ein wenig nach und brachte ihn mit einer Aussage auf die richtige Spur: „Ich hoffe du magst Karaoke?!“


53. Der Karaoke-Abend – Teil 2
Die Freude stand David nicht gerade ins Gesicht geschrieben. „Karaoke? Ernsthaft?“, fragte er mich etwas entsetzt. „Meine Stimme klingt aber wie ein quiekendes Gummientchen.“
„Ist doch süß.“, entgegnete ich schmunzelnd und handelte mir zugleich einen Arschtritt ein. So lief das bei mir und David ständig ab. Ich sag etwas Freches und er schlägt oder tritt mit hinterher. Dabei fing unsere Freundschaft noch so schmerzfrei an. In der Grundschule warfen drei Jungs ihn in einen großen Müllcontainer. Nachdem sie fort waren, beschloss ich (mutig wie ich bereits damals war), dem armen David aus der Patsche zu helfen (beziehungsweise aus dem Müll). David bedankte sich bei mir recht herzlich, während er eine Bananenschale von seinem Kopf zupfte. Ich sagte daraufhin nur: „Kein Ding. Die Jungs sind wirklich geschmacklos.“ David lächelte mich an, doch ihr kennt ja meinen schwarzen Humor. „Ich meine, der Müllcontainer war viel zu groß für dich. Sieh dich mal an, du bist ja gerade mal ein laufender Meter.“ Ich handelte mir damals nur einen bösen Blick ein und seit diesem Tag sind wir die besten Freunde.
Als wir den Park verließen und an die Straße traten, sah mich David mürrisch an. „Und jetzt? Wo müssen wir hin?“ (Er sieht süß aus, wenn er mürrisch ist.)
„Auf die andere Straßenseite in das Café, in dem deine Schwester arbeitet.“, antwortete ich ihm.
„Hätte ich mir auch gleich denken können. Ihr steckt alle miteinander unter einer Decke.“, sagte David noch immer muffelig, während wir vorsichtig die Straße überquerten.
„Ja okay ich gebe es zu. Agnes hat sich um die Location gekümmert, Jasmin hat die Gäste eingeladen und meine Aufgabe war es, dich schon einmal freudig darauf einzustimmen.“, erwiderte ich.
„Das ist dir ja super gelungen.“, sagte David und lachte erstmals dabei. Ich schmunzelte.
Als wir das Café betraten, knallten die Konfettikanonen laut auf und zusammen mit Luftschlangen flogen sie durch die Luft. Jasmin trommelte ein paar wenige Leute zusammen, die zu Davids Geburtstag kamen. Meine Augen erblickten Sam, Diego, Alice und Marcus. Auch Agnes stand freudestrahlend da und hielt eine selbstgebackene Torte in ihren Händen (Die Torte sah etwas…schief aus, aber Agnes hat sich immerhin Mühe gegeben). Im Hintergrund ertönte ein „Happy Birthday“-Song und als wäre David nicht schon überrascht genug, so fiel ihm seine Kinnlade halb zum Boden runter, als ich zum Singen anfing und andere miteinstimmten. „Ihr seid ja verrückt!“, rief David breit lächelnd durchs Café, dass seine Schwester für den Rest des Tages nur für die Geburtstagsparty reservierte.
„Du musst alle siebzehn Kerzen auspusten und darfst dir was wünschen.“, erklärte Agnes ihrem kleinen Bruder und hob ihm die Torte vors Gesicht.“
„Aber du darfst den Wunsch nicht laut aussprechen!“, warnte Sam ihn grinsend.
David überlegte kurz und sein Blick wanderte zu Jasmin und Diego, die sich händchenhaltend im Hintergrund aufhielten. „Beeil dich, damit ich die Torte vernaschen kann!“, rief Marcus laut. David schloss seine Augen und pustete so kräftig er nur konnte. Er benötigte allerdings zwei Anläufe, um alle Kerzen auszubekommen. Hinterher applaudierten wir ihm alle lautstark und als wir uns alle an einen der großen, langen Tische setzten, bekam Marcus nach David als Erstes ein Stück Torte.
Während alle fleißig mit Torte essen und Kaffee oder Tee trinken beschäftigt waren, flüsterte David mir etwas fragend ins Ohr: Sag mal, ich muss nicht wirklich Karaoke singen oder?“
„Nur wenn du möchtest, aber es langt, wenn ich mich zum Affen mache.“, antwortete ich ihm.
„Das kannst du ja am besten, nicht wahr?!“, kam es von gegenüber und ich blickte in Sams Gesicht, der mich lächelnd musterte. Auch ich musste lachen, denn ein Stück Sahne klebte oberhalb seiner Lippe. Mit einer Serviette wischte sich Sam den Klecks schließlich weg.
Als sie ihr Tortenstück runtergeschlungen hatte, stand Agnes von ihrem Platz auf und kletterte auf das kleine Podium, auf dem alles für einen tollen Karaoke-Abend vorbereitet war. Rechts stand eine Stereoanlage, über die die Musik abgespielt wurde, links stand ein mittelgroßer Bildschirm, auf dem die Songtexte eingeblendet werden und in der Mitte befand sich ein Mikrofonständer. „Also Jungs und Mädels, wer traut sich als Erster ran? Freiwillige? Keine? Na schön, dann muss die große Schwester wohl als Erstes ran. Diesen Song, widme ich nur dir kleiner Bruder.
Als die Musik ertönte und Agnes zu singen begann, waren alle Augen und Ohren nur auf sie gerichtet. Zu meiner Überraschung sang sie ihren ausgewählten Song sogar sehr schön. Ich hatte es ihr nicht zugetraut und als ich die Gesichter der Anderen musterte, wusste ich – sie auch nicht.
Ein Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus, als ich zu David sah, der völlig hin und weg vom Auftritt seiner großen Schwester war. Agnes sang mit vollem Herzen und das sah man ihr auch an.
Als ich sie beim Singen beobachtete, wurde mir wieder bewusst, wie sehr sie sich durch die Abtreibung verändert haben muss. Bevor Agnes die Uni besuchte, war sie ein wenig…naja… ich sag es frei heraus…dumm. Das machte sie jetzt nicht unsympathisch, denn durch ihre Naivität die sie damals versprühte, konnte man ihr einfach nie böse sein, wenn sie einen Mist verbockte. David erzählte mir, dass sie bis zu ihrem 15.Lebensjahr noch an den Weihnachtsmann glaubte, bis sie ihren schlaksigen Vater dabei erwischte, wie er die Geschenke unter den Christbaum lag.
Doch das war nur eine von vielen Geschichten. Einmal als die Familie Wink bei uns zu Besuch war, ließ Agnes sich von meiner Mutter die Karten legen. Die erste Karte zeigte den Narr auf (also wie bei mir), der unter anderem für Sorglosigkeit, Leichtsinnigkeit und Lebenslust steht. Die zweite Karte zeigte den Turm, der für drastische Veränderungen und stürmische Zeiten im Leben steht. Die dritte und letzte Karte zeigte schließlich noch die Welt. Eine Karte die für die Entfaltung der Persönlichkeit, starke Selbsterkenntnis und innere Freiheit steht. Vor allem die Turm-Karte ließ Agnes damals regelrecht aufschreien (Meine Ohren tun heute noch weh, wenn ich daran zurückdenke).
Im Nachhinein betrachtet, traf aber alles ein, was meine Mutter ihr damals prophezeite und ich hoffe inständig, dass Agnes ihr Glück im Leben noch findet, denn das hat sie verdient.
Agnes beendete ihren Song und wir alle klatschten lauten Beifall. David stand von seinem Platz auf und drückte seine Schwester ganz fest an sich und bedankte sich bei ihr, für diesen tollen Auftritt.
„Ach wie süß.“, sagte Marcus spöttisch. „Jetzt bin ich aber dran und hau euch von den Socken!“
Diego, der starke Arme hatte, hob Marcus aufs Podium hoch, wo sich dieser hinsetzte und sich auf seinen von ihm einmalig genannten Auftritt vorbereitete. Doch noch bevor die Musik anfing zu spielen, läutete die Eingangsglocke, die Tür zum Café ging auf und zwei Personen kamen herein.


54. Der Karaoke-Abend – Teil 3
Die Tür zum Café ging auf und zwei Personen traten ein. „Tut mir Leid, aber heute haben wir geschlossene Gesellschaft.“, erklärte Agnes den Beiden, doch hielt sie dann inne, denn wie die Meisten von uns, erkannte sie die Beiden. Es waren Bobby und seine kleine Schwester Annie.
„Oh Verzeihung, wir wollten eigentlich nur einen heißen Kakao trinken und… na so was, ihr seid das.“, sagte Bobby und erkannte uns ebenfalls.
Ich sprang von meinem Stuhl auf und begrüßte Bobby ganz herzlich. „Freut mich dich wieder zu sehen. Wie geht es dir und was machst du hier?“, fragte ich ihn.
„Morgen findet unser jährliches Klassentreffen statt. Ich bin bereits heute heimgekommen und wollte mit Annie nur einen heißen Kakao trinken gehen.“, erklärte Bobby mir, während seine kleine Schwester Annie wie eine Salzsäule dastand und geradeaus blickte. Ich wunderte mich, was mit ihr los sei, doch dann erkannte ich, dass ihr Blick auf Marcus gerichtet war. Bobby beugte sich zu mir rüber und flüsterte mir ins Ohr: „Ist das nicht der Junge, der Annie das Leben gerettet hat?“ Ich nickte Bobby lediglich zu. Der wiederrum schritt daraufhin auf Marcus zu und streckte ihm seine rechte Hand entgegen. „Du hast meiner kleinen Schwester das Leben gerettet. Ich möchte mich von ganzen Herzen bei dir bedanken. Das war sehr heldenhaft.“
Marcus verzog keine Miene. Zu gerne wüsste ich jetzt, was ihm durch den Kopf ging. Ob er es bereute dem Mädchen das Leben gerettet zu haben? Wenn er es nicht getan hätte, würde er jetzt nicht im Rollstuhl sitzen und könnte seine Profischwimmerkarriere weiterhin anstreben. Die Anspannung im Café war groß, doch löste sie sich, als Marcus Bobby zulächelte und ihm die Hand reichte. „Das war nicht heldenhaft, sondern dumm von mir, aber ich bereue es trotzdem nicht!“
Annie atmete erleichtert auf und David trat hinzu. Obwohl David sechs Jahre älter als sie war, waren sie fast gleichgroß (Die Beiden würden ein süßes Pärchen abgeben). „Ihr Beide dürft gerne bleiben. Meine Schwester Agnes ist bestimmt so lieb und bereitet euch einen heißen Kakao vor.“ Annie lächelte glücklich und sie und Bobby nahmen an Davids Geburtstagstisch Platz.
„Nehmt jetzt bitte alle Platz, denn nun werdet ihr Zeuge meines atemberaubenden Gesangs!“, rief Marcus durchs Mikrofon und ich glaube, Bobby bereute es inzwischen wieder, hier geblieben zu sein. Doch als die Musik ertönte und Marcus sein Lied sang, wollte niemand mehr gehen. Seine Stimme klang zwar ein wenig rau, aber ansonsten sang er erstaunlicherweise sehr gut!
Wie auch schon bei Agnes klebten alle mit ihren Augen und Ohren bei dem Sänger. Es konnte aber auch keiner damit rechnen, dass Marcus sich beim Karaoke so gut schlug. Ich fragte mich, wem er den Song widmete. War der Song für mich? Seine Blicke waren zwar immer wieder auf mich gerichtet, doch auch zu David blickte er hin und wieder. Da erinnerte ich mich wieder daran, dass die Beiden kurz vor Weihnachten eine Nacht zusammen verbrachten (Ich meine die Nacht, als David betrunken war und Marcus ihm Asyl gewährte – nicht das was ihr jetzt denkt).
Auch für Marcus gab es großen Beifall, als das Lied zu Ende war. Ich blickte zu Sam, der nur zaghaft in die Hände klatschte. Er fand da Lied sicherlich auch gut, doch entgingen ihm Marcus Blicke nicht.
„Wo hast du so gut singen gelernt?!“, rief Alice Marcus erstaunt zu.
„Tja der Musik-Unterricht bei Frau Augustine scheint doch für etwas gut gewesen zu sein.“, antwortete Marcus ihr grinsend und zwinkerte zu mir herüber.
Plötzlich ging das Licht im Café aus und es war stockdunkel, da die Vorhänge an den Fenstern zugezogen waren und es ohnehin schon dunkel draußen war. Lediglich drei Teelichter, die auf dem Tisch standen, spendeten uns ein wenig Licht. Jasmin schrie laut auf und vermutlich klammerte sie sich gerade an Diegos starken Arm, damit er sie vor Unheil bewahrte.
„Vielleicht sollte mal jemand nach dem Sicherungskasten sehen.“, meinte Sam schließlich und ich wollte ihm zustimmen, doch Agnes die neben mir saß, bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck und grinste nur vor sich hin. Ging der Stromausfall eventuell auf ihr Konto?
Plötzlich ertönten Trommelwirbel aus der Stereoanlage und ein roter Scheinwerfer, der an der Decke angebracht war, schien auf den Bartresen. Durch das Licht konnte ich wieder etwas mehr sehen, unter anderem, dass sich Jasmin in Wahrheit an Davids und nicht an Diegos Arm festklammerte. Diego bemerkte dies ebenfalls und schien sichtlich gekränkt zu sein. David hingegen war überrascht und bekam einen knallroten Kopf. Jasmin ließ seinen Arm verlegen los.
Ich blickte zum Podium, doch die Stereoanlage und die Scheinwerfer scheinen von alleine angegangen zu sein. Ist so etwas überhaupt möglich? Das grenzt ja schon beinahe an Zauberei… Zauberei?! Ich blickte wieder zum Bartresen, auf dem wie aus dem Nichts Sofia, die Zauberkünstlerin saß. Sie trug ein schwarzes, enges Oberteil mit einem knappen Ausschnitt, schwarze Kniestrümpfe und einen schwarzen Zylinder. Ihre Lippen waren feuerrot und sie zwinkerte mir verführerisch zu. Ich blickte in die Runde und musste grinsen, denn David, Marcus, Diego und Bobby saßen mit offenen Mündern da (Würde mich nicht wundern, wenn einer gleich wie ein Hund zu sabbern anfängt. Fehlt nur noch, dass einer mit dem Schwanz wedelt). Einzig Sam stand der Mund nicht sperrangelweit offen. Annie klappte den Mund ihres Bruders zu und Jasmin wollte dasselbe bei Diego tun, doch war dieser immer noch ein wenig gekränkt über ihr Verhalten und blockte sie ab.
Mit ihren langen Beinen stieg Sofia vom Bartresen hinunter und marschierte langsam auf David zu. „Ein Täubchen hat mir gezwitschert, dass du heute Geburtstag hast.“, sagte sie verführerisch zu ihm und bestimmt meinte sie mit Täubchen Agnes. Sofia setzte sich neben David und legte lustvoll ihre Arme um ihn. David war dies sichtlich unangenehm, doch Sofia setzte ihr Spiel unbeirrt fort. „Ich wurde heute Abend nur für dich gebucht, mein honigsüßes Schnuckelchen.“ Sofia strich mit ihren Fingern über Davids Wangen und streichelte ihn leicht erotisch. Jasmin die neben den Beiden saß, schien von Sofias Flirterei nicht allzu viel zu halten und warf ihr einen kritischen Blick zu. „Ich hab hier etwas für dich.“, sagte Sofia. Sie nahm ihren Zylinder vom Kopf und hielt ihn mit der Öffnung nach oben David vors Gesicht. Kurz darauf kam ein weißes Kaninchen daraus hervor und ein lautes „Awww“ ging durch das Café. Davids Anspannung verflog und seine Augen strahlten vor Freude, als er das Kaninchen rausnahm und dieses sich in seinen Armen gemütlich machte.
„War das deine Idee?“, fragte ich Agnes unauffällig.
„Nicht ganz. Es war Marcus Idee, dass wir Sofia heute einladen, aber die Idee mit dem Kaninchen kam von mir.“, antwortete sie mir. Es machte sie glücklich, dass sie ihrem Bruder eine Freude bereiten konnte. Währenddessen fragte ich mich immer mehr, seit wann Marcus und David so dicke miteinander waren. Über was haben die Beiden gesprochen, dass es sie so zusammen schweißte?


55. Der Karaoke-Abend – Teil 4
„Seid ihr bereit für den ultimativen Kracher?!“, rief Alice voller Tatendrang durchs Café. „Macht euch bereit, singt und tanzt mit. Jetzt werden wir die Bude zum Beben bringen!“
„Deine Schwester ist heute ja gut drauf.“, meinte Jasmin lächelnd zu Diego, der ihr nur zunickte und mit den Gedanken ganz wo anders zu sein schien.
Während Alice mit aller Kraft ihren Song performte, nahm ich mir Marcus zur Seite und wollte von ihm wissen, was da zwischen ihm und David lief. „Etwa eifersüchtig?“, erwiderte er mir grinsend.
„Das ist nicht komisch Marcus. David hat ein zerbrechliches Gemüt und wir wissen Beide, dass du nicht immer der Zartbesaitete bist.“ Es klang wie eine Drohung von mir, dabei wollte ich lediglich meinen besten Freund vor Unheil (in Gestalt von Marcus) bewahren.
„Komm mal wieder runter Nick.“, sagte Marcus nun ernsthaft. „David und ich hatten lediglich ein nettes Gespräch unter Männern. Ihm ging es nicht gut und ich war für ihn da.“
„Wie bitte? Soll das bedeuten, dass ich nie für ihn da bin?“, erwiderte ich nun gereizt.
„Du kapierst es nicht oder?“, fragte mich Marcus. „Du bist immer so in dein eigenes Leben vertieft, dass du zu vergessen scheinst, dass die Menschen um dich herum auch ein Leben haben, dass sie auch Gefühle und, oder Probleme haben. Es dreht sich nicht immer alles um dich, weißt du.“
Wie benebelt stand ich da und hörte mir Marcus Vorwürfe an. Ich fand es ein wenig unfair von ihm, mir solche Unterstellungen zu unterbreiten. „Als du im Koma lagst, da wich ich die ersten Tage nicht von deiner Seite. Ich saß rund um die Uhr an deinem Bett. Ich muss mir das von dir jetzt echt nicht anhören.“, erklärte ich ihm verletzt und wollte gehen, doch Marcus hielt mich am Arm fest.
„Den Holzelefant, den die Polizei am Unfallort vorfand, der war für dich als Weihnachtsgeschenk von mir gedacht.“, sagte er zu mir und mit einem Mal verflog meine Wut wieder.
„Jasmins Vater hat geglaubt, er stamme von Sam und verdächtigte ihn.“, erklärte ich Marcus.
„Ich weiß.“, sagte Marcus. „Ich war vor ein paar Tagen auf dem Polizeirevier um meine Aussage über den Unfall abzugeben und da hat Herr Blum mir von seinem Verdacht erzählt. Ich weiß, dass Sam nicht der Fahrer des Autos war, denn ich hab das Gesicht des Fahrers gesehen.“
„Du hast ihn gesehen?!“, wiederholte ich erstaunt und war natürlich sofort Feuer und Flamme, zu erfahren, wer dieser Bastard war, der nach dem Unfall auch noch Fahrerflucht begann.
Marcus guckte beschämend zu Boden und ich musste mich ein wenig bücken, um ihn überhaupt noch zu verstehen, da hinter uns die Anderen ordentlich abfeierten. „Das klingt jetzt vielleicht blöd und das hab ich auch der Polizei erklärt, aber obwohl ich weiß, dass ich den Unfallfahrer gesehen haben muss, kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wer es gewesen ist.“
„Das ist ein Witz oder?“, erwiderte ich ungläubig, doch Marcus schüttelte den Kopf.
„Zumindest hast du jetzt Gewissheit, dass es nicht Sam war.“, sagte Marcus zu mir und der Ton in seiner Stimme veränderte sich. Gab mich Marcus gerade an Sam frei?
Hinter uns ertönte Sams Stimme im Lautsprecher. Sam stand auf dem Podium und war mit seinem Karaoke-Song an der Reihe. „Dieses Lied…“ Sam hielt kurz inne und blickte zu mir und Marcus herüber. Ich blickte zurück und ich wusste, dass Marcus uns genau beobachtete. „Diesen Song widme ich allen Menschen, die es nicht länger ertragen, allein zu sein.“, sagte Sam schließlich und handelte sich damit bereits im Vorfeld einen kleinen Applaus ein.
Die Musik ertönte und ich erkannte das Lied sogleich, dass Sam zum Besten gab. Es war einer meiner absoluten Lieblingssongs (So schnulzig und emotional hättet ihr mich jetzt nicht gehalten oder?). Sams Auftritt begann ein wenig holprig, da er sich zunächst mit dem Text verhaspelte, doch fing er sich schnell wieder und legte einen sehr emotionalen Auftritt hin. Hinzu kam, dass seine Stimme perfekt mit dem Lied übereinstimmte. Er riss mich gänzlich in seinen Bann und ich war ihm total erliegen. Was hatte Sam nur an sich, dass er mich derart positiv beeinflusste. Als er damals da war, als es mir schlecht ging, musste er nur ein Lächeln aufzusetzen und schon fühlte ich mich sehr viel besser. Nun sang er diesen überwältigen Song und vermochte es, jeden Kummer und Schmerz der letzten Wochen und Monate zu vertreiben.
Sam bekam großen Beifall, nachdem er zu Ende sang. Sein Bruder Diego stand auf und pfiff mit seinen Fingern lautstark vor Begeisterung. Jasmin wollte ein Duett mit ihm singen, doch Diego wehrte sich und behauptete, nicht singen zu können. Nach ihrem gescheiterten Überzeugungsversuch, überreichte sie David schließlich ihr Geschenk. „Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ich hoffe trotzdem, dass es dir gefällt.“, sagte sie zart lächelnd. David packte sein kleines Geschenk mit Freude aus und zum Vorschein kam ein Yin & Yang-Anhänger. „Das Yin steht für den Mond und die Dunkelheit und das Yang für die Sonne und das Licht. Solange die Beiden miteinander vereint sind, werden sie über dich wachen und dich vor jedem Unheil bewahren.“, erklärte Jasmin ihm und zauberte David damit ein Lächeln ins Gesicht. Die Zwei umarmten sich freundschaftlich, doch könnte ich schwören, dass da noch mehr war zwischen ihnen war.
„Jetzt bin ich dran!“, schrie ich laut aus und überreichte David ein riesengroßes Paket, das ich hinter dem Bartresen verstaut hatte. Mit vollem Tatendrang packte David mein Geschenk aus, doch alles was er vorfand, war ein leerer Karton mit jede Menge zusammengeknülltem Altpapier.
„Vermutlich ist da gar nichts drin.“, sagte David nach einer Weile vergeblicher Suche mürrisch.
„Doch, aber du suchst nur nie richtig, dass ist dein Problem.“, erwiderte ich lachend.
Nach etwa einer weiteren Minute des Suchens, fand David schließlich etwas. Er zog es heraus, damit es alle sehen konnte und sowohl er als auch Jasmin staunten Bauklötze. „Das ist ja mein Schal!“, stieß Jasmin überrascht aus und musterte den Schal genau um sich zu vergewissern.
„Jetzt kannst du den Schal zurückgeben, denn Jasmin so lange gesucht hat.“, erklärte ich lachend.
David blickte mich skeptisch an. „Den hast aber nicht du selber entwendet oder?“
„Nein, ich habe ihn vor dem Schuleingang unter einem Gebüsch im Schnee gefunden. Er war ziemlich vereist und verdreckt, also hab ich ihn zunächst erst einmal gewaschen.“, erklärte ich den Beiden.
„Oh vielen Dank Nick.“, sagte Jasmin freudig und umarmte mich herzlich.
„Und wo ist jetzt mein Geschenk?“, jammerte David.
„Na hör mal! Ich bin dein Geschenk, oder hattest du jemals so einen verrückten Freund wie mich?“ Ich grinste breit und David musste ebenfalls schmunzeln. Er wusste genau, wie sehr ich ihn in Wahrheit liebte. Er war der beste Freund den ich jemals hatte und für nichts auf dieser Welt würde ich ihn eintauschen wollen. „Im Übrigen gibt es jetzt eine Song-Einlage von mir und Jasmin, nur für dich!“ Davids Geburtstag neigte sich dem Ende zu, doch würde er unvergesslich für ihn bleiben.

Fortsetzung folgt...!

56. Alles zu spät? – Teil 1
Herr Berthold blies in seine Pfeife und das Wettklettern begann. Im heutigen Sport-Unterricht stand Tauklettern auf dem Plan und die beiden Schüler die gerade gegeneinander antraten, waren Sam und Sebastian. Mit viel Genugtuung sah ich dabei zu, wie Sam seinen Kontrahenten mit Leichtigkeit abhängte und sich in kürzester Zeit bis an die Spitze des von der Decke herabhängenden Seils kletterte. Kein Wunder, stammt Sam doch aus einer Akrobaten-Familie. „Sehr gut gemacht Sam.“, lobte Herr Berthold seine Leistung. „Der Verlierer läuft drei Strafrunden.“
Sebastian warf Sam einen eiskalten Blick zu, doch blieb er stumm und rannte seine drei Strafrunden. „Du warst fantastisch.“, sagte ich grinsend zu Sam und gratulierte ihm zudem auch noch herzlich. Sam schien von der Anstrengung noch nicht einmal ins Schwitzen geraten zu sein und auch das Atmen fiel ihm sehr leicht. „Danke.“, sagte Sam zögernd lächelnd zu mir.
„Hör mal Sam. Hast du nach der Schule schon etwas vor?“, fragte ich ihn. „Ich würde sehr gerne mit dir ein wenig Spazieren gehen und mich mit dir über etwas unterhalten, was mir auf dem Herzen liegt.“ Sam nickte mir lächelnd zu und unsere Verabredung für den Nachmittag stand somit fest.
„Dominik, Lars, ihr Zwei seid an der Reihe!“, rief Herr Berthold laut durch die Turnhalle. „Ach und Dominik. Ich weiß das Klettern nicht gerade deine Stärke ist, aber das ist kein Grund, dich wie letztes Jahr als Tarzan aufzuführen und Tiergeräusche nachzuahmen (Die guten alten Zeiten).

Der Schulgong ertönte und ich freute mich bereits sehr auf den Nachmittagsspaziergang mit Sam. Ich verließ zusammen mit David das Schulgebäude und hielt Ausschau nach ihm. „Ich hab mein weißes Kaninchen übrigens auf Ferdinand getauft.“, erzählte David mir nebenbei. „Agnes nennt ihn nur Ferdi, aber ich weiß nicht, ob das für seine Entwicklung so hilfreich ist (Komisch schaut. Das Kaninchen ist doch kein Baby…, es sei denn, ich verpasse ihm ein Schnuller und Windeln).
Marcus kam uns in seinem Rollstuhl entgegen gerollt und setzte seinen „Ich-benötige-deine-Hilfe-Blick“ auf. „Hey ihr Beiden. Nick ich benötige deine Hilfe (Habe ich es nicht gesagt?). Mein Vater muss heute länger arbeiten und meine Mutter hat auch keine Zeit, aber ich hab in einer Stunde einen Arzt-Termin, in der es um meine anstehende Operation geht, damit ich bald wieder laufen kann. Könntest du mich bitte eventuell begleiten?“ Ich verdrehte die Augen, denn schließlich war ich mit Sam verabredet, doch konnte ich Marcus in seiner derzeitigen Lage einfach nicht in Stich lassen.
„Also schön, aber gib mir kurz ein Minute. Ich muss noch kurz mit Sam reden.“, sagte ich, nachdem ich Sam an einen Baum angelehnt entdeckte. Ich schritt auf ihn zu und fühlte mich gar nicht wohl dabei, ihn jetzt zu versetzen. Dabei wollte ich ihm doch etwas so Wichtiges mitteilen. „Ich muss unsere Verabredung leider canceln. Es tut mir wahnsinnig Leid, aber Marcus benötigt meine Hilfe…“
„Kein Problem. Das geht schon in Ordnung.“, sagte Sam lächelnd, doch glaubte ich nicht daran, dass es wirklich für ihn in Ordnung war. Bestimmt dachte er jetzt, dass er mir nicht wichtig ist.
„Es tut mir wirklich wahnsinnig leid.“, wiederholte ich mich nochmals und blickte Sam niedergeschlagen an (Das Glück ist nicht auf meiner Seite. Was für ein Arsch).

Das Ergebnis des Arztbesuches war, dass Marcus nächste Woche operiert werden würde. In seinen Gedanken überlegte sich Marcus bereits, was er alles machen würde, wenn er wieder laufen kann. Er erzählte mir natürlich davon und eine verrückte Idee folgte der Nächsten. Ich zitiere: „Ich werde splitterfasernackt durch den Park rennen und alte Damen umarmen. Dann werde ich zehn Saltos rückwärts einlegen und mir nebenbei Pommes und Burger in mein Bäuchlein hineinstopfen. Und zu guter Letzt werde ich mich an meinen Zehen selber auskitzeln und mich kugeln vor Lachen.“ (Mein Ex-Freund war schon ein durchgeknallter Vogel. Eigentlich haben wir gut zusammengepasst.)
Ich betrat am nächsten Tag das Klassenzimmer und mein erster Blick richtete sich auf Sams Platz. Er war noch nicht hier. Ich wollte mich heute noch einmal bei ihm entschuldigen und ihn fragen, ob er vielleicht heute Zeit hat. Heute wird mir nichts dazwischen kommen. Heute werde ich ihm meine Gefühle offenlegen und ihm erklären, dass ich mich in ihn verliebt habe und für immer mit ihm zusammen sein möchte.
Der Unterricht begann, doch Sam erschien nicht. Wo steckte er nur? War er vielleicht krank? Möglicherweise musste er auch wieder beim Zirkus aushelfen (Ich hab wirklich kein Glück -.-). Auch Jasmin erschien heute nicht zum Unterricht. Ich und David starrten uns verwirrt an und ich wusste, dass er genau wie ich ratlos war. „Ach wie schön, heute mal kein abstoßender Rotschopf in der Klasse!“, rief Nadine absichtlich laut aus, damit es auch jeder vernahm. Sicherlich war sie wütend auf Sam, dass dieser ihren Freund beim Klettern schlug. Am liebsten würde ich dem Mädel die Gurgel umdrehen, aber erstens vergreife ich mich nicht an Frauen und zweitens ist mein Strafregister schon so groß, wie die Dummheit, die dieses Mädchen in ihrem Kopf ansammelt. Ich blieb also ruhig und war froh, dass wenigstens Frau Augustine etwas dazu sagte: „Nadine, schlag bitte einen anderen Ton und eine andere Ausdrucksweise an, sonst sprechen wir uns nach dem Unterricht noch beim Nachsitzen.“ Ich lächelte schadenfroh und konnte mir denken, dass Nadine vor Wut kochte.

Nachdem der Unterricht zu Ende war und der Schulgong zur Pause schlug, fragte ich Frau Augustine, ob sie etwas über Sams Verbleib wusste. „Du meine Güte, hat er euch das etwa nicht gesagt?“, erwiderte sie schockiert und meine Verwirrung wurde nur noch größer.
„Was denn gesagt?“, harkte ich unruhig nach.
„Als Sam in unsere Klasse kam, habe ich ja bereits verkündet, dass er nur für eine gewisse Zeit hier bei uns bleibt. Der Winter ist vorbei und sein Zirkus zieht weiter. Gestern war Sams letzter Schultag und ich glaube sie wollten heute in die nächste Stadt ziehen.“, erklärte Frau Augustine mir.
Es fühlte sich wie ein Stich im Herzen an. Alle Schaltkreise in meinem Kopf brannten durch und eine rote Alarmglocke hallte in mir wieder. Ohne zu zögern rannte ich los. Meine Schritte waren größer denn je und während mir Frau Augustine noch hinterher rief, dass ich hier bleiben soll, da wir gleich wieder Unterricht haben, waren meine Gedanken nun nur noch bei Sam.
Er ist fortgegangen? Einfach so, ohne etwas zu sagen? Das konnte ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen. Ich rannte quer durch die Ortschaft und erreichte nach etwa zwanzig Minuten die Wiese. Es war alles wie leergefegt. Keine Wohnwägen und kein Zirkuszelt. Ich war zu spät!


57. Alles zu spät? – Teil 2
Nach etwa zwanzig Minuten erreichte ich die große Wiese, auf der das gigantische Zirkuszelt stand. Doch nun war nichts mehr von diesem Zirkuszelt zu sehen und an den Stellen, an denen die Wohnwägen standen, konnte ich nur noch plattgedrücktes Gras und Reifenspuren erkennen. Sie waren fort. Sie waren alle fort und mit ihnen Sam! Ich kam zu spät!
Würde ich Sam nun nie wieder sehen? Wieso hat er mir nichts von seiner Abreise erzählt? Hab ich ihn so verletzt und so lange zappeln lassen, dass ich nicht einmal mehr eine Verabschiedung wert war? Ich musste mich stark zusammenreißen, nicht zu weinen. Was sollte ich denn nun machen?
Mir kam ein Gedanke und ich beschloss, Jasmin auf ihrem Handy anzurufen. Zu meinem Glück ging sie auch ran, doch klang ihre Stimme sehr weinerlich. „Jasmin, die Leute vom Zirkus sind abgereist. Hast du eine Ahnung wo sie hin sein könnten? Jasmin…?“
„Diego hat Schluss mit mir gemacht.“, hörte ich sie an der anderen Leitung schluchzen. „Er hat gemeint, wir würden nicht zusammenpassen und dann hat er mich verlassen.“
Ich glaubte meinen Ohren kaum. Deshalb kam sie heute also nicht zur Schule. Jasmin tat mir unendlich leid, doch wusste ich nicht was ich sagen sollte. Mir wollten keine Worte einfallen, die sie aufgebaut hätten. Mir ging es ja gerade selber nicht so gut. Unser kurzes Gespräch fand ein jähes Ende, als Jasmin erneut zum Schluchzen anfing und den Hörer auflegte.
Die Erkenntnis, dass Sam vielleicht für immer fort war, machte sich in mir breit. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich war verzweifelt und den Tränen nahe. War dies das Ende? Ich könnte fluchen, schreien, einen Baum mit meiner bloßen Wut zu Fall bringen (Ich bin stark! Habt ihr meine Muskeln nicht gesehen?).
Ich setzte mich schließlich erst einmal auf den großen Stein am Boden, auf dem auch schon Sam einst saß. Er fühlte sich kalt und rau an, aber immer noch besser als dazustehen und darauf zu warten, bis meine Füße einknickten und ich vor Bestürzung zu Boden sackte. (Song) Meine Gedanken rissen mich weit weg in eine andere Welt. In dieser Welt sah ich Sam vor meinem geistigen Auge. Seine rotbraunen Haare, sein wohltuendes Lächeln, seine freundliche und warme Stimme. Ich stellte mir vor, wie er auf mich zukam und ich ihn anschließend ganz fest in den Arm nahm und ihn nie wieder losließ. Könnte es in der Realität doch nur auch so sein. Doch Sam war fort…
Die Zeit strich an mir vorbei und der Abend brach herein. Es wurde dunkel und düstere Wolken zogen auf. Mich fror es unheimlich, doch war mir dies egal. Ich wollte nicht von hier weg, denn irgendwie hegte ich doch noch die leiseste Hoffnung, dass Sam zurückkam.
Mein Handy klingelte und auf dem Display wurde Marcus Name angezeigt. „Hey Nicki (Muss er meinen Namen so verniedlichen? -.-). Wo bist du denn? Frau Augustine hat bei dir zuhause angerufen, nachdem du einfach so aus der Schule abgehauen bist und deine Mutter hat dann bei mir angerufen und mich gefragt, ob ich wüsste wo du steckst. David hat auch überall nach dir gesucht. Ist alles in Ordnung bei dir?“
Ich zögerte kurz ihm zu antworten, denn einen Moment lang wollte ich ihm die Schuld an allem geben. Wäre er gestern nicht zu mir gekommen und hätte mich um Hilfe gebeten, wäre ich mit Sam spazieren gegangen und hätte meine Gefühle für ihn gestanden. Doch Marcus nun als Sandsack zu benutzen, erschien mir nicht richtig. „Nein, es ist gar nichts in Ordnung.“, antwortete ich ihm im ruhigen Ton. „Sam ist fort… für immer. Verdammt jetzt regnet es auch noch.“
Regentropfen fielen vom Himmel herunter und in kürzester Zeit wurde das Gras um mich herum nass und glitschig. Auch meine Haare und meine Klamotten wurden nass, dennoch blieb ich auf dem kalten Stein sitzen. „Wo bist du Nick?“, fragte mich Marcus und seine Stimme klang besorgt.
„Auf der Wiese, auf der das Zirkuszelt stand. Ich sitze auf einen Stein und… keine Ahnung.“, antwortete ich ihm aufrichtig.
„Nick, bitte tu mir den Gefallen und geh nach Hause.“, flehte Marcus mich an. „Es ist kalt und es regnet. Du wirst dich noch erkälten, oder eine Lungenentzündung einhandeln. Damit ist nicht zu spaßen!“
„Ich kann nicht.“, sagte ich nun unter Tränen. „Was ist wenn ich jetzt gehe und er doch noch hier auftaucht. Es ist meine Schuld, verstehst du?!“
„Ich versteh dich…, aber das ist keine Lösung. Ich würde dich ja abholen, wenn meine beschissenen Beine funktionstüchtig wären.“, erklärte Marcus mir, während ich meinen Tränen freien Lauf ließ. „Ich bitte dich noch einmal Nick, geh nach Hau…“
Die Verbindung brach ab und das Licht auf meinem Display erlosch. Der Akku war leer und es wurde mucksmäuschenstill um mich herum. Lediglich der Regen prasselte vom Himmel herunter. Ich wollte nicht nach Hause. Es war mir egal, ob ich krank wurde. Ich wollte nur eines und das war Sam!
Ich starrte seelenlos durch die Gegend. Alles um mich herum verfinsterte sich. Dann hörte ich eine Frauenstimme, die mir sehr bekannt vorkam. Ich drehte mich zu der Stimme um und erblickte Sofia, die Zauberkünstlerin. „Du bist also bereit, für diesen Jungen dein Leben hinzugeben?“, fragte sie mich ohne eine Miene zu verziehen. Ich nickte nur, denn alles erschien mir nur wie ein Traum. „Dann solltest du aber wissen, dass es Menschen geben wird, die unter deinem Ableben leiden werden. Willst du deiner Mutter das wirklich antun? Erst ihr Mann und nun auch noch ihr Sohn? Und was wird aus deinen Freunden? Ich dachte sie bedeuten dir alles und trotzdem lässt du sie im Stich?“
„Sie brauchen mich doch gar nicht. Sie kommen auch sehr gut ohne mich zurecht.“, erwiderte ich.
„Und was ist mit dem Amulett, das dir dein Großvater geschenkt hat? Dein Schicksal erwartet dich und du kannst dich dem nicht einfach so entziehen!“ Ich schaute Sofia überrascht, aber auch verwirrt an. Diese Frau war mir ein reines Rätsel. Wer war sie und woher weiß sie so viel? „Seele und Herz müssen sich vereinen, erst dann kann die Welt gerettet werden.“
Die Welt gerettet werden? Das klang nicht nur sehr kryptisch, sondern auch noch sehr verrückt (und das von mir, das will schon etwas bedeuten). „Verschwinden sie!“, rief ich der Frau zu, doch zu meiner Verwunderung, war sie bereits wieder verschwunden – wie durch Zauberhand (Ich bin versucht an Magie zu glauben, aber das ist doch Irrsinn…).
„Ich werde aber nicht gehen.“, antwortete mir nun eine andere Stimme und als ich aus meiner Trance erwachte, stand mein bester Freund David mit einem Regenschirm vor mir. „Marcus rief mich an und erklärte mir wo du steckst und was los sei.“, berichtete David mir und ich sah ihn nur betrübt an. „Es wird alles gut Nick. Bitte gib mir deine Hand und vertrau mir!“ Ich musste es endlich einsehen. Das Warten auf Sams Rückkehr war vergebens, also streckte ich David zaghaft meine Hand entgegen.


58. Alles zu spät? – Teil 3
Die sanften Sonnenstrahlen der Morgensonne strichen über mein Gesicht, als ich am Samstagmorgen aus meinem Schlaf erwachte. Neben mir im Bett lag mein bester Freund David und schlief seelenruhig vor sich hin. Er lächelte, was vermuten ließ, dass er gerade etwas sehr Schönes träumte.
Ich betrachtete ihn eine Weile, während ich so in meinem Bett lag und mir den schmerzhaften gestrigen Tag in Erinnerung rief. Sam war für immer fort (Kann mich bitte einer knuddeln)!
Die freundlichen Sonnenstrahlen konnten meinen Kummer nicht vertreiben und so breiteten sich schon bald die ersten Tränen auf meinem Gesicht aus. Ich vergrub mein Gesicht in mein Kissen und wollte dass es aufhört, doch der Schmerz im Herzen saß zu tief. Wieder einmal wurde mir mein Herz in tausend Fetzen gerissen, doch dieses Mal trug ich selber Schuld daran.
David schien mein Ausbruch der Gefühle geweckt zu haben, denn nach ein paar Minuten strich eine zärtliche Hand über meinen Kopf. Er lag seine kurzen Arme um mich und umarmte mich ganz lieb. Zudem flüsterte er mir was ins Ohr: „Ich bin immer für dich da Nick.“
Er war so lieb und zärtlich zu mir und das obwohl ich zu ihm nicht immer der beste Freund war. Ich versuchte meinen Tränen Einhalt zu gebieten und drehte mich mit meinem Gesicht zu David um. Er lächelte mich freundlich an und ich ließ mir ebenfalls ein kurzes Lächeln abgewinnen.
„Verzeih mir David.“, sagte ich schließlich noch im Kampf mit meinen Tränen. David blickte mich verwirrt an und ich klärte ihn auf. „Du bist so lieb zu mir und immer für mich da gewesen. Ich hingegen kann so ein Scheusal sein (Klingt wie die Schöne und das Biest. David ist die Schöne und ich das Biest). Was darauf folgte war wie ein Kurzschluss. Ich beugte mich zu David rüber und tat etwas was ich in meinem ganzen Leben nie vermutet hätte, dass ich es täte. Ich küsste meinem besten Freund auf den Mund und dieser stieß mich nicht weg, sondern erwiderte meinen Kuss sogar!
Wir lagen wie zwei kleine süße Hundebabys in meinem Bett und sahen uns folgend völlig perplex an. Ich entschuldigte mich ganz schnell für meine unbedachte Handlung, doch David nahm es locker.
„Mach dir darüber keinen Kopf, Dummerchen. Nur… bin ich nicht homosexuell und es gibt da noch etwas, was ich dir schon lange hätte erzählen wollen.“
„Was ist es? Los sag es, egal was es ist.“, ermutigte ich ihn und versuchte den Kuss so schnell wie möglich wieder zu vergessen (Ich muss aber zugeben, David küsste ausgesprochen gut. Oh, hab ich das gerade laut gesagt?! :O )
„I-Ich habe… h-habe mich in J…“ David stotterte unruhig vor sich hin, ehe er seinen Satz klar und deutlich herausbrachte. „Ich habe mich in Jasmin verliebt.“
Dieses Mal war ich es, der David anlächelte und anschließend umarmte. Diese Vermutung hegte ich schon lange und mir war nicht klar, wieso ich David darauf nicht schon längst ansprach. Mein armer Freund musste mit seinen Gefühlen ganz alleine klar kommen – Naja, ganz alleine wohl auch nicht, denn anscheinend schien Marcus bereits davon Kenntnis zu haben.
„Wir kriegen das mit dir und Jasmin schon hin.“, ermutigte ich David und streichelte ihm über die Wange. „Sie ist nun wieder Single. Das ist deine Chance!“
„Du bist furchtbar Nick.“, sagte David nun etwas lauter und lachte dabei. „Sie hat gerade eine Trennung hinter sich und du denkst bereits daran, sie mit dem Nächstbesten zu verkuppeln.“
„Nicht mit dem Nächstbesten, sondern mit dir mein Großer.“, erwiderte ich lächelnd und stupste ihn mit meinem Finger auf die Nase. David musste ebenfalls lächeln, denn das war das erste Mal, dass ich ihn nicht „Kleiner“ nannte (Wenn ich nicht aufpasse, verlier ich meinen guten Ruf als Frechdachs).

„Ich muss nach Hause. Sehen wir uns später?“, fragte mich David, während er im Eingangsbereich Schuhe und Mantel anzog (Schuhgröße 36, wie süß).
Ich nickte nur, denn meine Mutter kam gerade hinzu und schaute mich bitterböse an. „Mein lieber Sohnemann. Du hast mir gestern eine Heidenangst eingejagt. Dein Verschwinden ist unentschuldbar. Kommt das noch einmal vor, hagelt es Hausarrest und zwar gewaltig. Haben wir uns verstanden?!“
„Es tut mir Leid Mum. Es wird nicht wieder vorkommen.“, sagte ich reumütig.
„Das will ich auch hoffen.“, erwiderte meine Mutter und ihre Gesichtszüge wurden wieder weicher und freundlicher. Als meine Mutter machte sie sich natürlich Sorgen um mich.
„Also dann Nick, bis später.“, verabschiedete sich David bei mir und öffnete die Haustür. Er blieb abrupt zwischen Tür und Angel stehen und als ich nach draußen in den Hofeingang blickte, stand wie aus heiterem Himmel Sam vor uns, der mich mit großen und traurigen Augen ansah.
Zum ersten Mal in meinem Leben versagte meine Stimme gänzlich und ich konnte ihn lediglich anstarren. Doch freute ich mich Übermaßen ihn hier auf einmal vor mich stehen zu haben. „Hallo Nick.“, begrüßte er mich und hinterher auch noch David und meine Mutter. „Vermutlich hat es dir unsere Lehrerin schon erzählt, aber meine Familie verlässt mit dem Zirkus die Stadt, doch wollte ich nicht gehen, ohne mich vorher zu verabschieden.“ Ehe Sam noch ein weiteres Wort sagen konnte, fiel ich ihm schlagartig um den Hals und vergewisserte mich dabei, ob er auch wirklich real war und ich nicht wieder nur träumte. „Aber Nick, was ist denn los?“, fragte er mich überrascht.
„Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren.“, versuchte ich ihm zu erklären, doch murmelte ich diese Worte nur in seine Schulter hinein, weshalb David die Zügel in die Hand nahm und Sam über die letzten vierundzwanzig Stunden aufklärte. Zu meinem Glück, erwähnte er dabei nicht unseren gemeinsamen Kuss, denn das hätte Sam zunehmend verunsichert.
„Jetzt versteh ich das Ganze.“, sagte meine Mutter. „Wenn du mir das von Anfang an gesagt hättest Dominik, dann hätte ich dich vorhin nicht so angeschrien. Jetzt bereue ich meinen Ausbruch.“
„Schon gut Mum.“, sagte ich zu ihr, wandte mich dann aber sofort wieder an Sam. „Du darfst nicht gehen Sam. Du darfst mich nicht verlassen, bitte!“, flehte ich ihn an und Sam sah mich überrascht an. „Ich war ein Dummkopf und hätte es dir schon viel früher sagen sollen. Ich liebe dich Sam und ich will mein Leben nicht mehr ohne dich verbringen. Bitte bleib bei mir!“ Mein Geständnis zeigte Wirkung, denn ein strahlendes Lächeln breitete sich in Sams Gesicht aus und hinterher küssten wir uns innig.
Als wir unseren Kuss lösten, sagte Sam: „Ich würde gerne bleiben, aber Tatsache ist, dass meine Familie im Zirkus arbeitet und heute weitergezogen ist. Wo soll ich denn wohnen?“
„Für dieses Problem gibt es wohl nur eine Lösung.“, sagte meine Mutter lächelnd. „Du wirst dir das Dachgeschoss mit Nick teilen müssen, sofern ihr Beide und Sams Eltern damit einverstanden seid.“ (Und wie ich das bin!) Sam und ich lächelten uns an und umarmten uns warmherzig.

Fortsetzung folgt...!

59. Die Geheimnisse des Amuletts – Teil 1
Mit leisen Schritten trat ich in das wohlig warme Wohnzimmer, das mit Couch, Kamin und Teppich gemütlich eingerichtet war. Lediglich das Licht einer Stehlampe hinter dem Sessel, spendete dem Zimmer Licht, während mein Opa im Sessel saß und die Abendzeitung las.
Ich wusste weshalb ich hier war und ich wusste das es kein Zurück mehr gab. „Du Grandpa.“, begann ich schließlich, doch mein Opa schien mich nicht zu beachten, stattdessen las er einen Artikel über die bevorstehende Wahl des neuen Bürgermeisters, bei der sich Dr. Dietmar Zobel natürlich auch wieder bewarb. Der Mann startete eine große Kampagne um die Gunst der Bürger auf seine Seite zu ziehen (Wenn er bei der Erziehung seines missratenen Sohnes doch nur auch so voller Tatendrang wäre). „Grandpa ich muss mit dir reden.“, sagte ich erneut und dieses Mal vernahm mich mein Opa und lugte hinter seiner Zeitung hervor.
„Was gibt es denn Dominik?“, fragte er mich im ruhigen Ton.
Ich war sehr nervös und genauso hörte sich auch meine Stimme an: „W-Wann bekomm ich denn eigentlich mein Amulett wieder zurück?“
Mein Opa sah mich skeptisch an. „DEIN Amulett?“
„Okay, eigentlich war… ist es ja dein Amulett, aber du hast es mir geschenkt, von daher dachte ich eigentlich, dass es nun mir gehört.“ Mit jedem Wort das ich sagte, wurde ich zunehmend unsicherer und leiser. Wieso wollte ich dieses Amulett eigentlich zurück? Seitdem ich es besitze, brachte es in mir nur negative Seiten hervor. Doch irgendwas zog mich an, leider wusste ich nicht was es war. Dieses Amulett besaß ohne jeden Zweifel magische Kräfte und mein Opa wusste mehr darüber.
„Du willst das Amulett zurückhaben und weißt noch nicht einmal was es damit auf sich hat, richtig?“, fragte mich mein Opa, während er seine Zeitung nun beiseitelegte und mich genau musterte.
Ich schüttelte den Kopf und hoffte inständig etwas über das Amulett rauszufinden, doch mein Opa sprach gerne in Rätseln und das tat er nun auch wieder. „Das Amulett ist ein Geschenk Gottes.“
„Grandpa, wenn du mir jetzt mit Gott und Engeln daherkommst, werde ich zum Teufel.“, drohte ich ihm sarkastisch, während ich innerlich die Augen verdrehte (Kopfkino: Ich ganz in Rot mit Hörnern auf dem Kopf und einem laaaaaangen Schwanz. Okay, der letzte Punkt klang zweideutig).
„Ist dir irgendetwas an dem Amulett oder an dir aufgefallen, seitdem du es besitzt?“, fragte mein Opa und ich versuchte mich an vergangene Tage zurückzuerinnern. Anfangs fand ich das Amulett scheußlich und wollte es nicht tragen, doch als ich mich dann um entschied und es um meinen Hals trug, fühlte es sich an manch einem Tag sehr schwer an. Als würde ein riesiger Stein um meinen Hals hängen und mich zu Boden ziehen. „Ich würde jede Wette eingehen, dass etwas ganz Besonderes geschah, als du an Heiligabend Sam vor der Haustür geküsst hast.“, sagte mein Opa zu mir und ich blickte ihn ganz überrascht an. „Ich sah euch Beide durch das Küchenfenster.“, erklärte er mir.
„Was soll an jenem Abend schon Besonderes gewesen sein?“, fragte ich unsicher nach.
„Ist dir nichts aufgefallen? Gar nichts? Irgendwelche ungewöhnlichen Vorkommnisse…, Gefühle die dich durchströmten…, Auren die du wahrgenommen hast? Wirklich nichts?“, fragte mich mein Opa ganz interessiert und sah mich dabei ganz anders an, als er sonst immer tat. Ich hatte hier nicht meinen liebevollen Opa vor mir sitzen, sondern einen völlig anderen Menschen.
„I-Ich weiß es nicht.“, sagte ich noch immer unsicher, doch ließ ich in meinem Kopf die letzten Monate Revue passieren. Schließlich sprach ich ganz leise, aber deutlich: „Ich fühlte mich nach Sams Kuss eigenartig. Als ich wieder zu euch ins Wohnzimmer kam, da ging es mir nicht so gut. Es fühlte sich an, als würden unzählige Gefühle auf einmal auf mich einprasseln.“
„Das mein Junge, ist die Fähigkeit der Gefühlswahrnehmung.“, erklärte mir mein Opa und in seiner Stimme konnte ich erahnen, dass er diese Antwort ernst meinte. Er klang sehr euphorisch. „Das Amulett besitzt mehrere besondere Fähigkeiten, die Gefühlswahrnehmung ist nur eine davon. Ich bin mir sicher, dass du dich nicht nur an Weihnachten so sonderlich gefühlt hast.
Ich konnte mir keinen Reim auf das Ganze machen, also grub ich noch weiter in meiner Vergangenheit. „Das Amulett beschützte mich in der Nacht des Freitag des 13. Es fühlte sich wie eine Schutzvorrichtung an und ich hatte das Gefühl mich verstecken zu müssen. So entkam ich der Person mit der Clown-Maske.“
„Die Schutz-Fähigkeit. Das Amulett beschützt dich so gut es geht, vor jedwedem Unheil.“, erklärte mir mein Opa, während ich mir darüber Gedanken machte, was geschehen wäre, wenn ich mich damals nicht hinter den Mülltonnen versteckt hätte (wie ein kleines Karnickel). „Ich weiß, was gerade in deinem Kopf umherschwirrt Dominik.“, sagte mein Opa. „Du darfst dir keinen Vorwurf machen. Es ist nicht deine Schuld, dass dein Vater in jener Nacht starb. Einzig und allein der Mörder trägt die Schuld daran.“ Ich wusste, dass mein Opa mit seinen Worten Recht behielt, dennoch fühlte ich mich zum Teil schuldig. Es wird der Tag kommen, da wird er sich dafür verantworten müssen.“
„Ich wollte hinterher nur noch Rache.“, sagte ich. „Ich verdächtigte Lorenzo am Mord von Dad und griff ihn in seinem Wohnwagen an. Ich fühlte mich wie besessen…“
„Weil es auch so gewesen ist. Das Amulett besitzt auch die Fähigkeit, Emotion ins Unermessliche zu steigern. Es verstärkt das Gefühl jemanden zu lieben, es verstärkt das Gefühl der Trauer und es verstärkt auch deinen inneren Zorn. Du konntest deine Wut nicht mehr kontrollieren und das Amulett übernahm die Kontrolle von dir.“
„Ich hätte beinahe einen unschuldigen Menschen auf dem Gewissen gehabt.“, sagte ich traurig.
„Ich bin ja noch rechtzeitig zur Stelle gewesen und ob Lorenzo unschuldig ist, steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest.“, meinte mein Opa und verwirrte mich damit zunehmend.
„Ich dachte du hältst ihn für unschuldig.“, fragte ich ihn.
„Es gibt keine Beweise, dass er es nicht gewesen ist, aber auch Keine, dass er es gewesen ist. Ich bewahrte dich lediglich davor, eine große Dummheit zu begehen, oder glaubst du, ich wollte meinen Enkel für den Rest meines Lebens im Jugendgefängnis besuchen?“, erklärte mein Opa mir.
„Irgendwie hört sich das alles nicht sehr positiv an. Das Amulett schadet mir mehr, als das es mir nützt.“, sagte ich, umso mehr ich über das ganze Thema nachdachte.
„Ich weiß, dass es momentan danach aussieht, aber ich hab dir das Amulett nicht ohne Grund geschenkt. Es wird der Tag kommen, da wirst du es noch dringend benötigen.“, sagte mein Opa.
Ich wollte endlich Gewissheit, also fragte ich meinen Opa nun frei heraus: „Grandpa, woher weißt du das alles und woher hast du dieses Amulett?!“


60. Die Geheimnisse des Amuletts – Teil 2
Ich schaute meinen Opa rätselnd an (Seht ihr die kleinen Fragezeichen in meinen Äuglein?). Woher wusste er so viel über dieses Amulett und woher hat er es überhaupt. Ich wollte Antworten und ich würde nicht eher Ruhe geben, bis ich sie von ihm erhielt.
„Du willst also wissen, woher ich das Amulett hab?“, vergewisserte sich mein Opa noch einmal bei mir und ich nickte sicher. „Nun… die Antwort klingt vielleicht etwas komisch und wird dir nicht im Geringsten weiterhelfen, aber wenn du es unbedingt wissen willst.“ Ich spitzte meine Ohren, damit mir kein Wort entging (Nein ich bin weder ein Elf, noch benutze ich einen Spitzer ihr Dummköpfe -.-). „Das Amulett…“, sagte mein Opa schließlich, „…ist vom Himmel auf meinen Kopf gefallen.“
Ich sah meinen Opa verdattert an, der meinen Blick mit einem Grinsen erwiderte. „Du verarscht mich. Jetzt sag schon woher du es hast, ich werde es auch niemandem weitererzählen!“
„Ich habe dir soeben die Wahrheit erzählt.“, erwiderte mein Opa. „Es ist eines sonnigen Tages einfach so vom Himmel auf meinen Kopf gefallen. Wenn du einen Beweis dafür haben möchtest, dann untersuch doch meinen Kopf. Du wirst dort noch immer die Beule vorfinden, die das Amulett dort hinterlassen hat. Deine Großmutter, wenn sie noch leben würde, könnte dies ebenfalls bezeugen. Ich lüge dich nicht an, dazu hätte ich auch gar keinen Grund.“
Verunsichert und skeptisch blickte ich meinen Opa an. Ob er mir wirklich die Wahrheit erzählte? Ein Amulett fällt doch nicht einfach so vom Himmel herunter. Vielleicht wurde es versehentlich aus einem Flugzeug, einem Ballon oder einem Hubschrauber geworfen. Es könnte aber auch von einem Baum runtergefallen sein, je nachdem wo sich mein Opa damals rumgetrieben hat. „Wie lange besitzt du das Amulett denn schon?“, fragte ich etwas genauer nach.
„Ich besitze das Amulett jetzt schon seit über achtundfünfzig Jahren. Damals war ich wie du siebzehn Jahre alt und gerade frischverliebt. Eine wunderschöne Zeit damals…“ Mein Opa schwärmte gerne von den guten alten Zeiten und träumte vor sich hin. Ich harkte nicht weiter nach, denn auf unangenehme Einzelheiten konnte ich gut und gerne verzichten (Wenn ihr versteht was ich meine. Nein? Ich gebe euch ein Stichwort: Erotische Phantasien. Okay das waren zwei Wörter, aber egal).
„Okay, es ist also vom Himmel gefallen (glauben wir das einfach mal), und du hast es hinterher einfach so behalten?“, quetschte ich meinen Opa weiter über das Amulett aus.
„Naja ich wollte es jemandem schenken, der mir sehr viel bedeutet hat.“, erklärte mein Opa mir, ohne mich dabei anzusehen. Doch konnte ich in seinen Augen erkennen, dass nun unangenehme Erinnerungen in ihm hervorgerufen wurden. „Ist ja jetzt auch egal. Die Vergangenheit sollte man ruhen lassen.“, sagte er schließlich wieder etwas munterer zu mir. „Jedenfalls hab ich das Amulett behalten und eine ganze Zeit lang wie du um den Hals getragen. Doch irgendwann traten auch bei mir Veränderungen auf und ohne die Hilfe deiner Großmutter wäre ich vermutlich nicht der, der ich heute bin. Deine Großmutter hat mir das Leben gerettet!“
Ich lächelte sanft und dachte an meine verstorbene Oma zurück. Sie starb bereits vor etwa vier Jahren an einem Herzstillstand. Sie legte sich eines Nachts neben meinem Opa schlafen und wachte am nächsten Morgen einfach nicht mehr auf. So tragisch dies auch war, es beruhigte mich ein wenig, dass sie ohne große Schmerzen einfach während dem Schlafen verstarb. Sie musste nicht leiden.
„Du kannst das Amulett wieder zurückhaben, wenn du möchtest.“, sagte mein Opa plötzlich und riss mich damit aus meinen Erinnerungen. „Ich habe dir erzählt woher ich es habe und welche Kräfte es besitzt. Deine Gefühle spielen eine elementare Rolle. Das Amulett will dir kein Leid zufügen Dominik. Wenn du wunderschöne und glückliche Gedanken hast, dann wird das Amulett dein Glück verstärken und du wirst dich nie lebendiger und glücklicher fühlen. Vertreibe die Angst und den Kummer der letzten Monate aus deiner Seele und wage einen Neubeginn.“
„Wieso müssen alte Menschen eigentlich immer so weise sein?“, fragte ich ihn und grinste dabei. „Du hast denk ich Recht mit dem was du sagst. Ich sollte mich endlich von dem Kummer loseisen. Darf ich dir noch eine Frage stellen Grandpa?“ Mein Opa lugte mich durch seine Brille hindurch an. Er nickte oder schüttelte weder mit dem Kopf noch gab er einen Ton von sich, also stellte ich meine Frage einfach. „Du sagtest vorhin, dass ich das Amulett eines Tages noch dringend benötigen werde. Wie meinst du das? Und komm mir jetzt bitte nicht wieder mit irgendwelchen Ausflüchten.“
Mein Opa überlegte gewissenhaft, was er mir darauf antworten sollte. Er verschränkte seine Arme und lehnte sich im Sessel zurück, während ich ihn ohne zu zwinkern anstarrte. Nach einer Weile antwortete er mir schließlich und auch wenn mich die Antwort nicht gänzlich zufrieden stellte, so war sie dennoch ein wenig hilfreich. „Das Amulett ist ein magisches Utensil und ich weiß das schon sehr lange. In meinem Mystic-Shop hatte ich zudem noch so manch andere magischen Objekte. Ich weiß nicht wie sie alle miteinander zusammenhängen, aber ich weiß, dass sie unmöglich von dieser Welt stammen können. Was immer da auch auf dich zukommen mag, es wird die größte Herausforderung deines Lebens werden.“ Nach diesen Worten kehrte erst einmal Ruhe ins Wohnzimmer ein. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Tausende weitere Fragen schossen mir durch den Kopf, doch egal welche ich meinem Opa stellen würde, er würde sie mir nicht beantworten können.
„Das Amulett liegt in der untersten Schublade meines Nachtkästchens neben meinem Bett. Nimm es dir, aber sei achtsam.“, wies mich mein Opa an und ich dankte ihm mit einem kurzen Lächeln.
Als ich die Treppe zum ersten Stock raufging und das Zimmer meines Opas betrat, fand ich dort Oma Forster vor, die sich keineswegs ertappt fühlte. „Hallo Dominik.“, grüßte sie mich, während sie in einer Hand ein Buch und in ihrer anderen Hand das Amulett hielt. Ich musterte sie verwirrt. „Du bist sicher wegen dem Amulett hier.“, sagte sie schließlich zu mir und überreichte mir die Kette mit dem Amulett. „Hier das bekommst du auch.“ Oma Forster hielt mir das Buch entgegen. „Ich hab es bereits mehrmals durchgelesen und glaube, dass du es vielleicht ganz interessant finden könntest.“
Ich nahm das Buch ohne Widerworte entgegen und begutachtete den Titel – „ Der Schattenphönix“. „Ähm…danke.“, sagte ich leicht verlegen und verwundert, warum sie mir das schenkte, denn ich war nicht gerade als die geborene Leseratte bekannt (Ratten haben lange Schwänze, womit wir wieder beim Thema wären… ach lassen wir es für heute lieber gut sein).
Ich hing mir das Amulett wieder um den Hals und marschierte zurück in mein Zimmer auf den Dachboden, wo mich Sam bereits erwartete. Ich legte das Buch von Oma Forster beiseite, gesellte mich zu Sam auf mein Bett und kuschelte mich an ihn, während wir uns leidenschaftlich küssten.

Fortsetzung folgt...!

61. Tatsächlich… Liebe – Teil 1
Als ich am Montagmorgen um halb sieben Uhr erwachte (Unmenschliche Zeiten. Sowas sollte verboten werden!), lag Sam bereits nicht mehr neben mir. Im Gegensatz zu mir war er ein Frühaufsteher und noch schlimmer. Als Dank dafür, dass er bei uns einziehen durfte, servierte er meiner Familie jeden Morgen das Frühstück auf dem Küchentisch. Oma Forster war regelrecht begeistert von ihm. Ich zitiere: „Oh können wir den Kleinen behalten? Er ist so goldig!“
Sams Eltern waren zwar nicht gerade begeistert, dass Sam bei mir einziehen wollte, aber mein Opa setzte sich für Sam ein und meinte zu ihnen: „Wenn er bei uns einzieht, kann er das Schuljahr hier zu Ende bringen und eine wichtige Schulausbildung dürfte für Sie doch bestimmt wichtig sein.“
Letzten Endes entschlossen sich Sams Eltern dazu, das Ganze auf Probe anzusetzen, um zu sehen wie es funktioniert. Zum Glück konnte ich meiner Mutter die Idee mit dem zweiten Bett in meinem Zimmer ausreden, denn so konnten Sam und ich jede Nacht Arm in Arm einschlafen (Nicht das ein zweites Bett etwas daran geändert hätte. Es wäre halt zum Staubfänger degradiert worden).
Als ich mich auch aufraffen konnte aufzustehen und halbwegs munter war, marschierte ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Am Küchentisch saßen bereits mein Opa (auch Frühaufsteher), meine Mutter und Sam die sich miteinander zu unterhielten schienen. Als ich allerdings die Küche betrat, brach die Stille herein. Haben die Drei was vor mir zu verheimlichen?

Es war ein schönes Gefühl, nun jeden Morgen Hand in Hand mit Sam zur Schule zu marschieren. Wir unterhielten uns immer ausgelassen über irrelevante Themen, wie beispielsweise ob Oma Forster in den letzten Jahren eine Faltencreme benutzt hat, da sie für ihr Alter doch noch recht fit aussah. Als wir an der Schule ankamen, war ich überrascht, als mir Marcus in seinem Rollstuhl entgegen kam. Er hatte erst am Freitag seine Operation, die ihm ermöglichen sollte, dass er bald wieder laufen kann.
„Die müssen verrückt sein, dass sie dich bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen.“, sagte ich frech grinsend zu ihm. „Was ist los? Ich wollte dich heute Nachmittag eigentlich besuchen kommen.“
„Ich hatte keine Lust einfach nur rumzuliegen und darauf zu warten, bis ich wieder laufen kann. Mit der Einverständniserklärung meiner Eltern hab ich mich selber entlassen und sofern ich das Ganze langsam angehe, ist alles in bester Ordnung.“, erklärte Marcus mir lächelnd.
„Na da bin ich aber froh.“, sagte ich glücklich. Ja ich war zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder so richtig glücklich (Ich wusste schon gar nicht mehr, wie man Glück buchstabiert… K-L-Y-C-K?). „Oh hallo Annie, wie geht es dir?!“, fragte ich das kleine Mädchen, dass soeben aus dem Schulbus ausstieg und ganz nervös zu werden schien, als sie Marcus erblickte.
„G-Gut.“, antwortete sie mir nuschelnd und guckte verlegen zu Boden. Moment mal… wurde sie gerade rot im Gesicht? Bin ich daran schuld? Es könnte aber auch sein, dass sie…

Als wir das Klassenzimmer betraten, entdeckte ich sofort meine beiden besten Freunde Jasmin und David. Sie saßen nebeneinander und Jasmin schien alles andere als glücklich zu sein. Die Trennung von Diego nahm sie sehr mit und sie musste sich zusammenreißen, das Weinen nicht anzufangen.
„Der Kerl ist es doch gar nicht wert, dass du ihm eine Träne nachweinst.“, meinte David zu ihr, der versuchte sie trösten (mit wenig Erfolg, wie man sehen kann). Du wirst deinen Traummann schon noch finden.“, sagte er hinterher und hielt tröstend ihre rechte Hand.
„Wieso hat dein Bruder mit Jasmin Schluss gemacht?“, fragte ich bei Sam leise nach.
„Keine Ahnung. Er redet nicht gerne darüber. Ehrlich gesagt, redet Diego nie gerne über seine Gefühle.“, antwortete Sam mir, während wir Beide unsere Plätze im Klassenzimmer einnahmen.

„Was soll das heißen, du kannst nicht?! Wenn ich Zeit mit dir verbringen will, dann hast du gefälligst auch Zeit für mich zu haben!“, schrie Nadine quer durch den Pausenhof ihrem Freund zu. Sebastian stand ihr gegenüber und war alles andere als gutgelaunt, um nicht zu sagen, aufs Übelste genervt.
Die Beiden stritten sich (mal wieder) und zwar in einer enormen Lautstärke, dass die ganze Schule daran teilhaben konnte. „Ich hab dir doch gesagt, dass mein Vater einige Politiker zu uns eingeladen hat und will das ich auch dabei bin, um mich ihnen vorzustellen.“, erklärte Sebastian ihr aufgebracht.
„Na das wird ja immer besser.“, sagte Nadine erschrocken. „Und da kommst du nicht auf die glorreiche Idee mich auch einzuladen?“ (Wer würde die freiwillig zu sich nach Hause einladen?)
In greifbarer Nähe der Beiden saß Lars, der den Streit mit großem Interesse mitverfolgte. Er saß mit dem Rücken zu mir, also konnte ich seine Blicke nicht sehen. Ich erinnerte mich an den Abend, an dem der Winterball stattfand. Auch da hat er die Beiden ständig beobachtet. Ich fragte mich ernsthaft, wie er sich in die Freundin seines besten Freundes verlieben konnte. Ich frage mich, wie sich überhaupt jemand in dieses M******** (Zensur) verlieben kann.

„Hört auf zu Drängeln, oder habt ihr es alle so eilig, wieder in den Unterricht zu kommen?!“, rief Herr Frenzel, der Pausenaufsicht hatte, über die Köpfe der Schüler hinweg. Es herrschte wie des Öfteren ein großer Tumult an der Eingangstür zur Schule. Jungs und Mädchen drängelten, als würde es in der Schule Geld regnen (Nette Vorstellung, wie Geldscheine von der Zimmerdecke runterregnen).
Sam, David, Jasmin, Marcus und ich (Wir fünf waren inzwischen die dicksten Freunde zusammen. Kaum zu glauben, aber wahr!) hielten uns etwas im Hintergrund auf, um Marcus im Rollstuhl nicht zu gefährden, aber auch an uns ging der Tumult nicht gänzlich vorbei.
Drei Jungs fanden es offenbar lustig Fangen zu spielen und rannten an uns vorbei. Dabei rannte mich einer der Jungs versehentlich an und ich stolperte nach vorne. Ich lag am Boden und vermutlich wäre ich von einer Horde quirliger Mädchen mit hochhackigen Schuhen zertrampelt worden, wenn mich nicht jemand packte und wieder auf die Beine half. „Vielen Dank.“, sagte ich erleichtert und heilfroh und bedankte mich bei meinem Retter. Ich dachte es wäre Sam gewesen, doch der bemerkte zu spät, dass ich zu Boden fiel. Stattdessen stand Michael vor mir, der mich mit einem eigenartigen Blick ansah. „Oh du bist es. Lange nicht gesehen.“
„Liegt vermutlich daran, dass mein Bruder dir aus dem Weg geht.“, sagte Patrick, der hinzukam, seinem Bruder eine Hand auf die Schulter legte und ihn dabei frech angrinste.
„Halt doch einfach mal deinen Mund Pat.“, sagte Michael erzürnt zu seinem Bruder und schritt in die Schule davon, dessen Türeingang nun fast gänzlich frei war. Patrick sah mich an und zuckte nur mit den Schultern, dass er auch nicht so Recht wusste, was mit seinem Bruder los war. Anschließend marschierten (oder rollten, im Fall von Marcus) meine Freunde und ich ebenfalls zurück in die Schule.


62. Tatsächlich… Liebe – Teil 2
Als ich am Dienstagmorgen um halb sieben Uhr erwachte (Das ist immer noch eine unmenschliche Uhrzeit. Abschaffen!), lag Sam auch heute bereits nicht mehr neben mir. Nachdem ich mich auch heute wieder aufraffen konnte aufzustehen, marschierte ich leise die Treppen hinunter. Ob sie heute wieder ein Gespräch miteinander führten, bei dem ich nicht dabei sein durfte? Ich fragte mich schon was Sam vor mir verheimlichen will, dass er ausschließlich mit meiner Mutter und meinem Opa darüber diskutiert. Gefällt es ihm eventuell nicht bei mir und überlegt, ob er wieder ausziehen soll? Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und lauschte behutsam an der Küchentür (Ja ich weiß, das macht man nicht -.-). Heute saß auch Oma Forster bereits am Frühstückstisch und ich sollte Recht behalten, denn auch heute diskutierten sie wieder über ein Thema, über das ich nichts wissen durfte.
„Aber bitte kein Wort zu Nick.“, bat Sam meine Familie. „Es soll schließlich eine Überraschung werden.“ Eine Überraschung? Jetzt war ich verwirrt. Also will er gar nicht ausziehen?!
„Keine Angst. Meine Lippen sind versiegelt wie die Vagina einer Jungfrau.“, sagte mein Opa und ich hörte, wie meine Mutter sich an ihrem Kaffee verschluckte und empört aufschrie. Ich wäre in Gelächter ausgebrochen, wenn ich nicht weiter an der Tür lauschen hätte wollen.
„Schwiegervater, das war äußerst vulgär.“, meinte meine Mutter. „Aber Sam, was willst du Nick den nun eigentlich genau schenken. Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?“
„Ich würde ihm einfach nur jeden Morgen als Geschenk ein Eimer Eiswasser übers Bett schütten. Dann steht der Bengel schneller auf den Beinen, als die Frauen bei dem alten Knacker Schlange stehen.“ Der letzte Satzteil bezog sich bestimmt auf meinen Opa. Jetzt weiß ich also was hier andauernd getuschelt wird. Sam will mir etwas schenken! Das ist sehr lieb und ich musste lächeln.

„Du warst heute so ruhig am Frühstückstisch. Ist der Morgenmuffel heute Morgen noch muffeliger als sonst?“, fragte mich Sam frech grinsend, als wir zusammen das Haus verließen und uns auf den Weg zur Schule machten.
„Nein, alles in Ordnung.“, antwortete ich ihm und hoffte, dass ich mich mit meinem Verhalten nicht verriet. Wir kamen am Haus der Hansen vorbei und Michael und Patrick kreuzten unseren Weg.
„Guten Morgen ihr Turteltauben!“, rief uns Patrick fröhlich entgegen und ich wurde rot im Gesicht. „Wollen wir gemeinsam zur Schule gehen? Sofern ihr heute nicht die Schule schwänzt…“
„Ja gerne.“, antwortete ich ihm, nachdem Sam einverstanden nickte. Mein Blick wanderte zu Michael, der kein Wort von sich gab. Mit seinen blaugrauen Augen sah er mich unruhig an. „Was ist eigentlich los mit dir?!“, fragte ich ihn nun sichtlich genervt. „Hast du ein Problem mit mir?“
Patrick roch Ärger in der Luft und schritt sofort ein. „Michael du Depp, mach endlich den Mund auf und entschuldige dich einfach bei ihm, für das was wir damals getan haben.“
Michael sah seinen Bruder wütend an, doch letztendlich gab er nach. „Es tut mir Leid.“, nuschelte er in seine Jacke hinein.“ Ich wusste nicht, ob ich das nun lächerlich, oder süß fand, aber er hat sich entschuldigt (Hat ja auch lange genug gedauert). Ich lächelte ihm zu und er lächelte zurück.

„Nein, nein und nochmals nein.“, schimpfte Frau Augustine lautstark mit mir. „Nick, das ist keine Musik was du machst, das ist eine Qual für die Ohren! Du musst versuchen die Noten zu halten.“
Wir hatten Musik-Unterricht, dass neben Kunst mein absolutes Hass-Fach war. „Wie soll ich denn die Noten ohne Notenständer halten, Frau Augustine?“, fragte ich sie mit frecher Ironie.
„Nick unser Klassenclown. Manche Dinge ändern sich eben nie.“, sagte Marcus zu mir. Er saß neben mir im Musiksaal und dies war eines der wenigen Fächer, das wir gemeinsam hatten.
„Nur weil du gut im Saxophonspielen bist.“, erwiderte ich beleidigt. Das wusstet ihr zwar noch nicht, aber neben Schwimmen, beherrschte Marcus auch ein sehr musikalisches Talent (Nur dass er singen konnte, hat mich beim Karaoke-Abend neulich doch ein wenig überrascht).
„Ja, sollte ich doch nicht wieder laufen können, dann kann ich ja ein berühmter Saxophon-Spieler im Rollstuhl werden.“, entgegnete Marcus sarkastisch. „Übrigens, die kleine Annie hat mich heute vor der Schule abgefangen und mir das hier geschenkt (Ist das die Woche der Geschenke oder was?).
Marcus zog eine kleine Schatulle aus seinem Rucksack, in der sich eine selbstgebastelte Medaille befand auf der geschrieben stand: „Für immer die ewige Nummer 1“.
„Das ist ja süß.“, sagte ich zart lächelnd. „Du weißt aber schon was das bedeutet oder?“ Marcus sah mich fraglich an. „Mensch Marcus, Annie sieht in dir einen Helden und hat sich in dich verguckt!“

Es herrschte heute noch mehr Tumult in der Pause als sonst. Der Streit zwischen Sebastian und Nadine nahm ungeahnte Ausmaße an und endete mit… „Trennung?!“, schrie Nadine empört auf. „Du willst mit mir Schluss machen?!“
„Ja will ich. Du bist einfach nicht mehr auszuhalten!“, entgegnete Sebastian ebenfalls laut.
„Du Bastard, dass wirst du noch bereuen!“, schrie Nadine weiterhin lautstark, doch Sebastians Entschluss stand bereits fest. Nadine schritt mit ihren Freundinnen empört davon.
Ich hatte natürlich mit keinem der Beiden Mitleid, aber meine Augen waren wieder auf Lars gerichtet. Der Weg war nun für ihn frei und er könnte um Nadine buhlen. In seinen Augen konnte ich erstmals ein Strahlen erkennen, was ihn irgendwie sympathisch wirken ließ. Doch als ich sah, wem sein strahlender Blick gewidmet war, fiel mir gedanklich die Kinnlade runter. Er blickte zu Sebastian, der sich frustriert neben seinen besten Freund setzte. Ja bin ich hier denn im falschen Film?!

Als die Schule aus war, warteten David, Sam, Marcus und ich vor der Schule auf Jasmin, die noch schnell auf die Toilette musste (Wieso sitzen Frauen immer so lange auf dem Klo?).
Zu unserer Verwunderung hielt ein Polizeiwagen vor der Schule und Jasmins Vater stieg aus dem Auto. „Hey Kinder.“, begrüßte er uns freundlich. „Ich hol meine Tochter heute von der Schule ab. Die Trennung von Diego macht ihr schwer zu schaffen. Wenn ich den Kerl in die Finger kriege…“ Sam guckte ängstlich zu Boden, als wäre er schuld an dieser Miesere. „Hey David, kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte Herr Blum David, der überrascht nickte. „Für Jasmin bist du ein wirklich guter Freund, dass hat sie mir selber gesagt. Kümmere dich immer gut um sie und pass auf sie auf ja?!“
Selbstverständlich Herr Blum.“, antwortete David ihm und lächelte ein wenig traurig, da Jasmin in ihn vermutlich immer nur einen guten Freund sehen wird.


63. Tatsächlich… Liebe – Teil 3
Als ich am Mittwochmorgen um halb sieben Uhr erwachte…ach überspringen wir diesen Part lieber (Es ist und wird für immer eine unmenschliche Zeit zum Aufstehen bleiben -.-). In den ersten beiden Unterrichtsstunden hatten wir Sport bei Herr Berthold. Da das Wetter allmählich wieder schöner wurde, spielten wir auf dem Platz draußen Fußball. Wir teilten uns in zwei Mannschaften, in der ich und David unter anderem gegen Sebastian und Lars antreten mussten. Ich hatte den Ball in meinem Besitz, doch Sebastian foulte mich böse und entlockte mir so den Ball. „Tja kleine Tucken haben beim Fußball eben nichts verloren.“, provozierte Sebastian mich. David versuchte beruhigend auf mich einzureden, damit ich keine Dummheit anstellte. Mein Schulstrafregister war inzwischen so groß, dass ich mir keinen weiteren Verweis einhandeln sollte.
Als der Unterricht sich dem Ende neigte, standen wir Jungs allesamt unter der Dusche (Nackte Männer *-*). Wäre ich nicht bereits vergeben, hätte ich sicherlich einen Blick riskiert und meinen Mitschülern wohin geklotzt, aber ich riss mich zusammen und starrte stattdessen nur auf Davids kleinen süßen Popo. Als er sah, wie ich ihn anstarrte wurde er rot im Gesicht und blickte mich böse an. Ich wiederum grinste, aber ließ meinen Blick schließlich weiter schweifen – zu Lars.
Lars war sehr gut darin seine Gefühle und heimlichen Blicke zu tarnen. Doch mir fiel natürlich auf, wie er gelegentlich zu Sebastian rüber starrte. Zugegeben, Sebastian sah optisch nicht schlecht aus (Hab ich das gerade laut gesagt?), aber er ist Hetero und ein Rassist (Bestes Beispiel bin ich, aber vielleicht ist er auch einfach nur neidisch auf mein blendend gutes Aussehen). Wenn er erfährt, dass sein bester Freund auf Männer steht und auch noch auf ihn… - grausame Vorstellung!

„Glotz mir nie wieder auf meinen Hintern, hast du mich verstanden?!“, drohte David mir auf dem Weg zur nächsten Unterrichtsstunde. Ich schwieg, doch konnte ich mir mein freches Grinsen nicht verkneifen. Auf dem Weg zum Englischunterricht trafen wir auf Jasmin, die völlig aufgelöst wirkte.
„Diego hat mich gerade angerufen.“, erklärte sie uns, als wir sie verwirrt und besorgt ansahen. „Er hat sich bei mir für sein Verhalten entschuldigt und hat mich gefragt, ob wir nicht noch einmal einen Neuanfang starten können.“
„Oh, was hast du ihm geantwortet?“, fragte David sie und in seiner Stimme lag Verbitterung.
„Wie er sich das vorstellt, wenn er von Ort zu Ort zieht und nie hier bei mir sein kann.“, antwortete Jasmin ihm. „Dann hab ich ihm noch gesagt, wie sehr mich die Trennung verletzt hat und ich das nicht noch einmal durchleben will. Also hab ich mich endgültig von ihm verabschiedet.“
„Tut mir Leid für dich Jasmin, aber vermutlich ist es besser so.“, meinte ich mitfühlend.
Jasmin war schon wieder nach Weinen zumute, doch ehe es aus ihr herausbrach, nahm David sie in den Arm und tröstete sie mit einer innigen Umarmung. „Es wird alles gut, das verspreche ich dir!“

In der Pause kauften Marcus und ich uns in der Mensa eine warme Leberkässemmel und ein Schinken-Käse-Sandwich. Mit dem Gefühl, dass sich unsere knurrenden Mägen gleich füllen werden, trabten wir Richtung Schulhof davon, wo die Anderen bereits auf uns warteten. Doch auf dem Weg dorthin blieben wir stehen. Wir sahen, wie zwei größere Jungs die kleine Annie in die Mangel nahmen. „Hey, hört sofort auf damit!“, schrie Marcus den beiden Jungs zu und rollte zum Geschehen hin – ich trabte ihm schnell hinterher. Dadurch dass Marcus im Rollstuhl saß, war er kleiner als die beiden Jungs und leider auch ziemlich wehrlos. Doch zum Glück war ich ja dabei und ein ernster Blick von mir genügte und die beiden Jungs verschwanden und ließen Annie in Ruhe.
„Danke, du hast mir schon wieder gerettet.“, sagte Annie zu Marcus und wurde unweigerlich rot im Gesicht (Ja und ich? Bin ich nur der doofe Hampelmann von nebenan?).
„Kommt bei dir häufiger vor, kann das sein?“, scherzte Marcus und grinste dabei.
„Ich geh mal noch kurz auf die Toilette. Ihr kommt ja denk ich auch ohne mich klar.“, sagte ich zu den Beiden, die irgendwie keinerlei Notiz von mir nahmen. Etwas beleidigt (nicht ernsthaft natürlich) schritt ich also in Richtung Toilette davon. Allerdings hört ich noch, wie Marcus zu Annie sagte: „Irgendwann wirst du einen Jungen kennenlernen, der immer für dich da sein und beschützen wird. Dein Prinz in glänzender Rüstung. Ich bin nämlich zu alt für diesen Job!“ Annie sah ihn mit traurigen Augen an, also umarmte Marcus sie, so gut er nur konnte. „Wir bleiben Freunde, versprochen!“

Ich saß also auf dem Pott (Was soll ich da mehr schreiben? Ihr wollt sicherlich nicht die Details wissen), als die Tür zur Toilette aufging und mindestens zwei Jungs reinkamen. Nach ein paar Sekunden der Stille, fingen die beiden Jungs an, sich untereinander zu unterhalten und so erkannte ich in ihnen Michael und Patrick. „Hast du vorhin gesehen, wie Nick dem kleinen Mädchen und Marcus zu Hilfe kam?“, fragte Patrick seinen Bruder.
„Ja hab ich.“, erwiderte Michael. „ Aber bitte schwärm nicht noch mehr von ihm.“
„Du bist ja nur eifersüchtig.“, entgegnete Patrick noch lachend.
„Ja klar bin ich eifersüchtig. Warum musstest du dich auch ausgerechnet in Dominik verknallen?! Er wird nie mehr als Freundschaft für dich empfinden, das weißt du genau.“, meinte Michael ernst.
„Das ist meine Sache okay?! Ich kann doch auch nichts für meine Gefühle, aber das ist kein Grund, dass du ihn deswegen schlecht behandelst.“, sagte Patrick daraufhin. „Nur weil du in mich verliebt bist, brauchst du dich nicht wie der letzte Vollidiot aufführen.“ Stocksteif saß ich auf dem Klo, rührte mich keinen Millimeter und gab keinen Mucks von mir. Langsam wurde mir so einiges klar.

Ich schmiss mich abends auf mein Bett und war hundemüde. „Was für ein anstrengender Tag.“, sagte ich zu Sam und rieb mir dabei die Augen vor Erschöpfung. Sam sagte nichts dazu. Irgendetwas schien ihn traurig zu stimmen, denn er saß auf der Fensterbank und schaute zu den Sternen im Nachthimmel empor. „Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte ich ihn. „Du siehst so traurig aus.“
„Ich wollte dir etwas schenken und überlege schon seit Tagen was, aber mir will nichts einfallen.“, antwortete er mir. Er war so süß (Ob mir meine Zähne ausfallen, wenn ich in ihn reinbeiße?).
„Du musst mir nichts schenken Sam.“, sagte ich zu ihm, nachdem ich mich vom Bett erhob, mich vor ihn hinkniete und seine Hand hielt. „Du bist bei mir und das ist das größte Geschenk für mich.“ Sam lächelte mich für diese Worte dankend an und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Als wir unseren Kuss wieder lösten, sagte ich: „Sei bitte nicht sauer, aber ich hab gelauscht und wusste das du mir was schenken wolltest, also hab ich mir auf die Schnelle ein Geschenk für dich besorgt.“
„Na toll, jetzt bin ich aber wirklich deprimiert.“, sagte Sam leicht beschämt.
„Hab dich nicht so. Ich hab nämlich auch was davon.“, sagte ich und zog zwei Tickets für den Zirkus Graziano aus meiner Hosentasche. Sam fiel der Mund auf. „Denn ich weiß, dass dich dieses Geschenk glücklich machen wird, also macht es auch mich glücklich.“
„Du bist der beste Freund, den man sich nur wünschen kann.“, sagte Sam tief gerührt und küsste mich noch einmal. Wir ließen uns auf mein Bett fallen und verbrachten eine wundersame Nacht.

Fortsetzung folgt...!

Jetzt ist mir diese Woche doch tatsächlich ein Fehler unterlaufen. Ich hab euch doch tatsächlich um die Teile 59 und 60 ("Die Geheimnisse des Amuletts") betrogen.
Dies hab ich jetzt nachgeholt. Sorry, falls es jemanden verwirrt hat!

64. Die Haus-Party – Teil 1
Es war Donnerstagabend, als Sam und ich zusammen mit Michael und Patrick aus dem Kino kamen und uns auf den Nachhauseweg begaben, da morgen wieder Schule war. „Der Film war klasse.“, sagte Michael. „Am besten gefiel mir die Szene, in der der Mann kopfüber im Hinterteil des Pferdes feststeckte. Solche Kinoabende sollten wir wieder öfters unternehmen.“
„Nick und ich sind die letzten Wochen ab und zu ins Kino gegangen.“, erwiderte sein Bruder Patrick. „Du hättest nur mitkommen brauchen, stattdessen hast du dich wie ein Kleinkind aufgeführt.“
„Jaja, lass gut sein okay?!“, reagierte Michael genervt. „Vielleicht schmeißt Nick dafür ja mal wieder eine seiner legendären Haus-Partys?!“
„Legendäre Haus-Partys?“, fragte Sam nun verwirrt nach, während ich rot im Gesicht wurde.
Patrick klärte Sam auf: „Nick hat früher des Öfteren bei sich daheim Partys geschmissen. Sie sind deshalb so legendär, weil er immer irgendwelche Aktionen lieferte, die die Bude zum Beben brachten. Hey Michael, weißt du noch, als er das gesamte Cheerleader-Team in Miniröcken und Super-Ausschnitten aufmarschieren ließ?“
„Ja, das war noch zu Zeiten, wo jedermann dachte, er wäre hetero.“, lachte Michael.
„Ist ja gut Jungs, vielleicht werfe ich am Samstag eine Party, sofern ich die Bude leerbekomme.“, gab ich schließlich nach und musste ebenfalls schmunzeln. „Sag mal Patrick, das ist doch niemals der richtige Weg zu uns nach Hause oder?“, fragte ich unsicher nach, als wir an ein paar zwielichtige Gestalten vorbeikamen, die aussahen, als kämen sie von einer Karnevalparty.
Patrick und Michael sahen sich an und fingen zu lachen an. „Nein, ich hab einen kleinen Umweg eingeschlagen. Michael und ich kommen öfters hierher, um ein wenig „Spaß“ zu haben.“
„Und wo sind wir jetzt?“, fragte ich noch immer verwirrt nach.
Sam musste ebenfalls lächeln und antwortete mir: „Wenn mich meine Augen nicht täuschen, ist das ein ganz besonderes Stadtviertel für die homosexuelle Gemeinde.“
„Na wen haben wir denn da?“, fragte eine sehr tuntige Stimme und man legte mir eine lila Federboa um den Hals (Bei der Farbe kommen meine Augen aber nicht sonderlich schön zur Geltung). „Wenn das nicht der kleine Schnucki ist, dem ich meine Handynummer gab, mich aber nie zurückrief.“
Zuerst erkannte ich die große Person die vor mir stand gar nicht. Sie trug ein schwarzes Kleid, lange lockige Haare, Diamanten-Ohrringe, eine Perlenkette um den Hals und mindestens zwei Ringe an jeder Hand. Die Stöckelschuhe die sie trug, verursachten beim Anblick bei mir schon Schmerzen und wären die muskulösen Beine nicht gewesen, wäre mir vermutlich gar nicht aufgefallen, dass es sich bei dieser reizenden Dame, nicht um eine Dame, sondern um einen Herrn in Frauenverkleidung handelt. Bei der Erwähnung der Handynummer und Schnucki fiel der Groschen. „Sie sind doch der Kellner aus dem Restaurant – Fernando?!“, stieß ich ganz überrascht aus.
„In diesem Aufzug Fernanda bitte.“, wies er mich freundlich an. „Bei dir Herzerl mach ich aber gerne eine Ausnahme und du darfst mich Fer nennen.“ (Macht sich der Kerl ernsthaft an mich ran?)
„Ich hätte sie beinahe nicht wiedererkannt.“, erwiderte ich mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich sah mich ein wenig in der Gegend um. An jeder Straßenecke und Laterne stand ein Mann in Frauenkleidern, die sich mit den spazierenden Passanten unterhielten, oder sie in einen Club oder ein Hotel begleiteten. „Du hast Recht Sam, dies ist wirklich ein sehr spezielles Stadtviertel.“
„Dass du hier noch nie warst, wundert mich ehrlich gesagt.“, sagte Sam und grinste ebenfalls. „Alice hat mich einmal mit hierhergenommen. Sie hat sich damals glaub ich mehr amüsiert als ich.“
„Ja, diesen Ort hier sollte man schon einmal gesehen haben, denn wer weiß wie lange es dieses Stadtviertel noch geben wird.“, sagte Fernanda zu uns und als wir sie fragend ansahen, erklärte sie uns: „Wenn es nach unserem jetzigen Bürgermeister Dr. Zobel geht, soll das hier alles eingestampft werden. Damit kommt er allerdings nur durch, wenn er die anstehende Wahl zum neuen Bürgermeister gewinnt (Wie der Sohn, so auch der Vater – das erklärt Sebastians Haltung gegenüber der Homosexualität). Ach ihr Schnuckis wisst gar nicht, wie aufregend das hier alles ist.“
„Wohooo, ist das nicht unser Schuldirektor?!“, stieß Michael plötzlich laut verwundert aus und zeigte mit seinem Zeigefinger auf die andere Straßenseite. Ein stattlicher Mann befand sich in Begleitung einer asiatischen Dame – nur dass diese Dame unser asiatischer Schuldirektor war!
„Ist nicht wahr!“, stieß Patrick völlig baff aus.
Ich erinnerte mich daran, dass ich Herrn Sakamoto in Begleitung eines Mannes bei einer Zirkusvorstellung sah, aber dachte nicht weiter über diese Sache nach. Das er hier nun in Frauenkleidern rumlief und mit anderen Männern flirtete, versetzte auch mich in Staunen.
„Oh, Ryusei ist also euer Schuldirektor?!“, stieß Fernanda ebenfalls überrascht aus. „Er ist einer meiner Kollegen und er ist äußerst adrett und sympathisch.“
„Wir dürfen kein Wort zu niemanden sagen, verstanden?!“, wies ich die anderen an, denn wenn das an die Öffentlichkeit käme, würde das einen Riesenskandal hervorrufen.

Als ich am späten Freitagnachmittag von der Schule nach Hause kam, setzte ich mir als Ziel, meine Mutter und meinen Opa morgen Abend irgendwie aus dem Haus zu locken. Ich weihte Oma Forster in meine Pläne ein, da ich der Meinung war, dass sie mich verstehen und mir auch helfen würde. „Einverstanden, ich werde dir helfen, aber dafür bin ich auf deiner Party eingeladen.“, entgegnete sie mir (Na toll, eine alte Oma auf meiner Party – wie beschämend). Da ich sie bereits in meine Party-Pläne einweihte, versprach ich es ihr. Vielleicht kam mir ja noch eine Idee, wie ich sie ebenfalls loswerden konnte. Als wir in die Küche marschierten, erwartete mich allerdings eine unerwartete Überraschung (Die Überraschungen in letzter Zeit nehmen langsam überhand). Bürgermeister Dr. Dietmar Zobel saß zusammen mit meiner Mutter am Küchentisch. Er lächelte mich freudig an, als ich die Küche betrat und begrüßte mich mit einem festen Handschlag. „Guten Tag Dominik, ich hab deine Mutter gerade für morgen Abend zu einem politischen Abendball eingeladen.“ Sieht so aus, als bekäme ich meine Mutter morgen Abend schneller los als erwartet – aber zu dem Kerl?!


65. Die Haus-Party – Teil 2
Ich kannte unseren Bürgermeister bisher nur von Plakaten und dem einen Aufeinandertreffen vor der Bank, in der mein Vater einst arbeitete. Damals war ich unsicher, ob ich ihn sympathisch oder nicht finden sollte. Dass er seinen Sohn Sebastian in die Schranken wies, fand ich gut, aber dass er um die Gunst meiner Mutter buhlte und meinen Vater nicht ausstehen konnte, empfand ich als negativ. Die negativen Punkte häuften sich, als ich von Fernando erfuhr, dass er das „Spaß“-Viertel einstampfen will (Ich nenne es jetzt einfach mal so, weil meine kreative Seite heute im Urlaub ist – Vorhin kam von ihr eine Postkarte. Sie schickt mir liebe Grüße mit einem Foto, auf dem zu sehen ist, wie sie mit Miss Universum am Karibikstrand liegt). Als Dr. Zobel mir die Hand zur Begrüßung reichte, spürte ich einen stechenden Schmerz, der mit Sicherheit vom Amulett ausging, dass ich um meinen Hals trug. Ich darf mich von meiner Wut und meinem Hass nicht leiten lassen! Immer lieb lächeln…
„Freut mich sehr sie wiederzusehen.“, begrüßte ich ihn mit einem aufgesetzten Lächeln (Kotz).
„Ich hab deine Mutter gerade für morgen Abend zu einem politischen Abendball eingeladen. Ich denke ein wenig weiblicher Charme könnte der Veranstaltung gut tun.“, erklärte Dr. Zobel mir als Grund für sein (unerwünschtes) Kommen. „Da es sehr spät werden könnte, kann sie hinterher selbstverständlich auch im Gästezimmer meiner Villa übernachten.“
„Hast du schon zugesagt Mum?“, fragte ich meine Mutter. Die schien sich allerdings noch unschlüssig zu sein und wartete mit ihrer Antwort ab. Für meine geplante Party käme dieser Abendball gerade recht, doch wusste ich, dass Sebastians Eltern geschieden sind und der Schmierlappen keine weitere Gelegenheit auslassen würde, sich weiter an meine Mutter ranzumachen.
„Du solltest hingehen Beate. Ein bisschen Abwechslung von dem trüben Alltag wird dir sicherlich gut tun.“, ermutigte Oma sie und beinahe hätte ich vergessen, dass ich sie um einen Gefallen bat.
„Also schön.“, sagte meine Mutter schließlich. „Dietmar ich werde dich morgen Abend auf den Abendball begleiten.“ Meine Mutter lächelte und schien glücklich über ihre Entscheidung zu sein. Ein kleinwenig Unmut stieg in mir hoch, dennoch wollte ich ihr nicht reinreden.

Als Dr. Zobel wieder aus dem Haus war (Endlich! Sein Parfüm juckte in meiner Nase und ich verkniff mir schon andauernd das Niesen. Das nächste Mal rotz ich ihn voll!), sagte meine Mutter noch zu mir: „Du solltest übrigens mal zu deinem Opa in die Garage. Er will seinen Krempel aus dem Mystic-Shop morgen Abend versteigern lassen.“
„Was, wieso das denn?!“, stieß ich entsetzt aus. Das kam unerwartet. „M-Moment mal, sagtest du gerade morgen Abend?“ (Das ist wie ein Glücksgriff im Lotto.)
„Seit dem Tod deines Vaters kommt nicht gerade viel Geld ins Haus.“, sagte meine Mutter. „ Ich tu was ich kann, aber es ist nicht einfach, deshalb die Versteigerung. Dein Opa hofft, dass sich dadurch einiges an Geld ansammelt. Anschließend wird er in einem Hotel übernachten, da es weiter weg ist. Demnach musst du morgen Abend auf Oma Forster aufpassen, bis wir am Sonntag zurückkommen.“
„Keine Sorge, Nick und ich werden morgen Abend viel Spaß miteinander haben.“, sagte Oma Forster zu ihr und nahm mich dabei in den Arm (Na das kann ja heiter werden).
Nach der unerwarteten Neuigkeit meiner Mutter, stattete ich meinem Opa in der Garage einen Besuch ab. Seitdem ich im Dachgeschoss wohne, lagerte er seine Wertgegenstände aus dem Mystic-Shop hier, während unser Auto immer vor der Garage parkte (War ein elendes Kratzen im Winter -.-)
„Hey Grandpa, Mum hat mir von der Versteigerung morgen Abend erzählt. Bist du sicher, dass du das alles hier verkaufen möchtest?“, fragte ich ihn, denn mir war durchaus bewusst, wie viel ihm an jedem einzelnen Stück lag (Auch wenn es noch so nach Schrott aussah).
„Es ist die einzige Möglichkeit unsere Familie über Wasser zu halten, also ja, ich bin mir sicher.“, antwortete mein Opa mir tapfer. „Die wertvollsten Gegenstände sind ohnehin schon in sicheren Händen.“ Mein Opa zwinkerte mir zu und mir war klar, dass er auf das Amulett anspielte. „Trotzdem gebe ich einige dieser Gegenstände äußerst ungern her. Wie diese verstaubte Öllampe und den Perserteppich zum Beispiel. Wenn ich die als Kombi versteigern kann, bringt das aber eine Menge Kohle. Naja für die Pulle Blut aus der Sammlung eines Vampirs erhalte ich wahrscheinlich umso weniger.“ (Will ich wissen, woher er das Blut hat? Nein lieber nicht…)
„Willst du dieses Schwert hier etwa auch versteigern?“, fragte ich meinen Opa interessiert und zeigte auf ein silbernes Schwert mit goldenem Griff, in dem allem Anschein nach sogar Rubine eingraviert wurden. Es sah sehr wertvoll aus, wenn man davon absah, dass es inzwischen gänzlich stumpf war.
„Ja ich muss…“, antwortete mein Opa mir leicht melodramatisch. Meinem Opa fiel der Schritt sehr schwer und deshalb war ich ihm dankbarer denn je, weshalb ich ihn auch innig umarmte.

„Getränke und Knabbereien hergerichtet?“, fragte ich Sam, während wir im Wohnzimmer standen.
„Alles da.“, antwortete er mir.
„Discokugel hängt und Stereoanlage steht?“, fragte ich weiter.
„Hängt und steht.“, antwortete Sam mir und zeigte sogar auf die betroffenen Objekte.
„Wie sehen meine Haare aus?“, fragte ich, während ich vorm Spiegel neben der Eingangstür stand und letzte Schönheitsänderungen an mir vornahm (Dabei bin ich auch so schön – nicht wahr?!)
„Du siehst umwerfend aus.“, antwortete Sam mir grinsend.
„Na hoffentlich nicht, wie sehe das denn aus, wenn jeder der zur Tür reinkommt, direkt zu Boden geht.“, lachte ich und brachte meinen Freund damit ebenfalls zum Lachen. „Meine Mum ist vorhin vom Chauffeur des Bürgermeisters abgeholt worden (Der Lackaffe holt sie nicht einmal selber ab) und mein Grandpa ist bereits seit heute Morgen aus dem Haus. Die Party kann steigen!“
„Hast du nicht was vergessen?“, fragte mich diesmal nun Sam.
Ich grübelte nach und ging meine Liste mit den abgehackten Sachen noch einmal durch. Dann hörte ich krächzenden Gesang aus dem ersten Stock und ich erinnerte mich wieder. Oma Forster kam in einem türkisblauen Abendkleid die Treppe runtermarschiert und trällerte ein Liedchen vor sich her. Ich machte große Augen, als ich erkannte, dass es sich dabei um harte Rockmusik handelte. „Steht nicht so steif da ihr Lieben.“, sagte sie heiter. „Heute ist Party angesagt! Macht die Mucke an, lasst die Gäste rein und lasst und tanzen bis uns die Füße abfallen!“


66. Die Haus-Party – Teil 3
Meine Party war ein voller Erfolg! Die Gäste strömten nur so in Scharen herbei und feierten ausgelassen im gesamten Erdgeschoss. Der erste Stock und das Dachgeschoss waren jedoch für jeden tabu, da ich vergangene Vorfälle vermeiden wollte. Einmal schmiss ich eine Haus-Party, während meine Eltern sich ein Wellness-Wochenende gönnten. Der Schreck war groß, als ich am Sonntagmorgen ein nacktes Pärchen im Bett, im Schlafzimmer meiner Eltern, vorfand. Ich warf die Beiden kurzerhand aus dem Haus (natürlich nicht nackt, was denkt ihr denn von mir?) und bezog das Bett mit frischer Bettwäsche, ehe meine Eltern zurückkamen. Natürlich fiel es ihnen auf und so durfte ich mir peinliche Kommentare von meinem Vater anhören. Ich zitiere: „Das du es in unserem Bett, in dem wir dich gezeugt haben, mit deinen Verehrern treibst, ist schon ein wenig abnormal.“
Zurück in die Gegenwart, in der Sam mit Jasmin ausgelassen auf der Tanzfläche tanzte. Es bestand kein Grund für mich eifersüchtig zu sein, da Sam Jasmin lediglich ein wenig aufheitern wollte – mit Erfolg! Jasmin schien richtig Spaß zu haben und lachte auch endlich mal wieder.
David saß auf der Couch und nuckelte an seiner Cola, während seine Blicke immer wieder zu den Beiden rüber schielten. Ich wollte seinem Kummer ein Ende setzen und ihm einen Schubs geben, doch jemand kam mir zuvor, mit dem ich am wenigsten rechnete: Marcus. Er kämpfte sich in seinem Rollstuhl durch die feiernden Partygäste und kam bei David zum Stillstand. Die Beiden unterhielten sich, doch konnte ich nicht verstehen was sie miteinander beredeten.
„Verdammt Nick, die Party ist so megageil!“, schrie mir Patrick in Ohr, der aufgrund der lauten Musik lauter redete und mich auf einmal von hinten an der Schulter packte. Er hielt eine Tasse Bowle in der Hand und seinen Schwankungen nach zu urteilen, hatte er davon schon ein paar intus.
„Übertreib es nicht und geh es langsam an.“, gab ich ihm als Ratschlag.
„Sei nicht so ein Spießer Nicki und tanz mit mir!“, forderte Patrick mich auf und versuchte mich auf die Tanzfläche zu zerren, doch ich wehrte mich dagegen und entzog mich seinem Griff.
„Schon gut. Tut mir Leid Nick, ich kümmere mich um ihn.“, sagte Michael, der hinzu kam und sich um seinen torkelnden Bruder kümmerte, der eindeutig zu tief ins Glas geschaut hat.
Die Musik ging aus und ich legte eine neue CD ins Laufwerk der Stereoanlage. Danach holte ich mir ebenfalls ein Glas Bowle (Keine Angst, ist erst mein erstes Glas Alkohol heute Abend). Ich war sehr glücklich darüber, dass so viele kurzfristig Zeit hatten und zu meiner Party kamen. Denn die Planung lief schon sehr spontan ab und erst gestern, hängte ich am schwarzen Brett der Schule noch eine Einladung aus, dass jeder kommen kann, der sich zu benehmen weiß und Spaß im Gepäck hat. Gerade Freitagnachmittag schauen noch einmal sehr viele Schüler auf das schwarze Brett, aufgrund der häufig anstehenden Wochenend-Veranstaltung der Schule. Alle waren hellauf begeistert und kannten meine Partys nur zu gut. Nur einer schien nicht so begeistert davon zu sein und das war unser Schuldirektor Herr Sakamoto. Als ich die Einladung zu meiner Party am schwarzen Brett aushängte, kam er gerade aus seinem Büro und erwischte mich dabei. Ich zitiere: „Mein lieber Herr Rottbach, sie werden doch nicht etwa eine Party schmeißen, wo sie doch eigentlich lernen sollten. Ihr Notenspiegel dieses Jahr fällt bisher mehr als nur bescheiden aus.“
Ich gelobte ihm anschließend Besserung und verkniff mir ihn auf sein ungewöhnliches „Hobby“, sich in Frauenkleidern zu werfen, anzusprechen. Herr Sakamoto erlaubte mir dennoch die Einladung am schwarzen Brett hängen zu lassen und mir war bewusst, dass wir dieses Jahr einen sehr coolen, toleranten, aber auch sehr außergewöhnlichen Mann als Schuldirektor hatten.
Ich trank einen Schluck aus der Bowle, die Sam und ich heute Mittag zubereiteten und starrte wieder zur Tanzfläche. Was meine Augen dort sahen, trieb mir ein Lächeln ins Gesicht, denn Sam und Marcus gelang es allem Anschein nach, David und Jasmin dazu zu bewegen, gemeinsam zu tanzen. Die Zwei sahen unglaublich süß miteinander aus und das sag ich jetzt nicht nur, weil David kleiner als Jasmin war. David konnte seine Augen nicht von Jasmin abwenden, die leicht irritiert zu sein schien.
Neben ihnen tanzte Oma Forster, die unter den meisten meiner Gäste für Lacher sorgte. Ich fragte mich ja schon, wie man mit fünfundneunzig Jahren noch so beweglich sein konnte. Die Frau rockte die Tanzfläche und rief andauernd: „Dreht die Mucke lauter! Ich will mehr!“
„Tolle Party“, sagte eine Stimme hinter mir „aber wem gehört die coole Oma da auf der Tanzfläche?“ Als ich mich umdrehte stand Lars vor mir, der mich fröhlich anlächelte.
„Hey, du bist auch hier?“, entgegnete ich irritiert.
„Gerade erst gekommen.“, antwortete Lars mir. Sein Lächeln verschwand und dank meines Amuletts spürte ich negative Energie auf mich zukommen, die dennoch nicht von ihm ausging. „Allerdings war es nicht meine Idee hierher zu kommen. Ich wurde quasi dazu verdonnert.“
Zuerst war mir seine Aussage ein einziges Rätsel, doch verstand ich sehr schnell was er damit meinte, als mir Sebastian mit einem hinterhältigen Lächeln entgegen kam: „Geile Party, geile Bude.“, begrüßte er mich scheinheilig (In Wirklichkeit hielt er mein Haus wahrscheinlich für das letzte Drecksloch, denn er lebt ja in einer prachtvollen Villa mit lauter Bediensteten). Ich hoffe doch, es ist in Ordnung, das wir auch gekommen sind?!“
„Was tust du hier Sebastian?“, fragte ich ihn im ernsten Ton und ahnte Schlimmes.
„Was denn, was denn? Auf deiner Einladung stand doch drauf, dass JEDER kommen darf.“, erwiderte Sebastian leicht höhnisch. „Jetzt sag bloß, du weißt nicht, was auf deiner eigenen Einladung steht.“
„Es darf jeder kommen, der sich zu benehmen weiß und Spaß mitbringt.“, erinnerte ich ihn an meine Einladung. „Ich hab das Gefühl, das du nur Ärger im Gepäck hast.“
„Du machst dir grundlos Sorgen.“, sagte Sebastian und grinste dabei boshaft, was mir wieder einen schmerzhaften Stich des Amuletts versetzte. „Ich bringe sehr viel Spaß mit – vor allem aber, werde ich sehr viel Spaß haben, oder hast du etwa schon mein Versprechen vergessen?!“ Sebastian beugte sich zu mir vor und flüsterte mir ins Ohr: „Ich hab dir versprochen, dass ich keine Ruhe geben werde, ehe ich dich und dein armseliges Leben ausradiert habe.“
Mit seinem boshaften Grinsen verschwand Sebastian wieder und Lars, der sich gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen schien, folgte ihm gehorsam. Meine Augen verfolgten die Beiden noch eine ganze Weile auf Schritt und Tritt, während sie sich in der Küche an den Getränken bedienten und eine ganze Weile ausgelassen mit ein paar ihrer Freunde diskutierten. Das könnten ein sehr langer Abend und eine noch längere Nacht werden, dachte ich mir, als ich das Geräusch von zersprungenem Glas hörte. Ich drehte mich ruckartig um, entdeckte im Wohnzimmer einige Scherben am Boden und daneben Patrick. Sein hohes Alkoholpensum kam ihm jetzt zum Verhängnis. Michael eilte sofort herbei und kniete sich neben seinem Bruder, der sich nicht mehr rührte. „Patrick? Patrick?!“


67. Die Haus-Party – Teil 4
„Patrick? Patrick?!“, redete Michael auf seinen Bruder ein, der bewegungsunfähig am Boden lag, während alle anderen Partygäste um die Beiden herumstanden. Jasmin kam herbeigeeilt und überprüfte Patrick. „Was ist mit ihm? Wieso rührt er sich nicht mehr?!“, fragte Michael sie panisch.
„Kein Grund zur Sorge. Er hat nur zu viel Alkohol in seinem Blut.“, beruhigte sie ihn. „Vielleicht sollten wir ihn irgendwo hin bringen, wo er seinen Rausch ausschlafen kann.“
„Okay bringen wir ihn nach Hause, das ist ja nicht weit.“, schlug ich schließlich vor.
„Bist du verrückt? Meine Eltern sind noch auf und wenn sie ihn so sehen, flippen sie aus.“, sagte Michael aufgebracht. „Können wir ihn in dein Zimmer bringen… bitte?!“
Ich nickte einvernehmlich und mit der Hilfe von Sam, trug Michael seinen alkoholisierten Bruder ins Dachgeschoss. „Die Zwillinge sorgen wie immer für viel Aufsehen.“, sagte Marcus sarkastisch und ich warf ihm einen bösen Blick zu. Der Dummkopf wird doch nicht etwa vergessen haben, dass er mit den Beiden vor ein paar Monaten noch ein heißes Schäferstündchen hatte?!
Die Party konnte weiter gehen und sobald David und ich alle Glasscherben vom Boden eingesammelt hatten, wurde auch die Tanzfläche wieder freigegeben. In der Zwischenzeit trudelten neue Gäste ein, darunter Sebastians Ex-Freundin Nadine (Na toll, Barbie und Ken sind wieder vereint). „Es tut mir Leid was ich zu dir gesagt habe Basti.“, sagte sie wehleidig zu Sebastian, der sichtlich genervt von ihr war, besonders als sie seinen Namen verniedlichte und nach seinen Händen griff. „Ich will dich wiederhaben Bastischatz. Wir Beide sind doch füreinander bestimmt.“ (Hat einer mal einen Eimer?)
„Nein Nadine.“, sagte Sebastian nun etwas lauter und entzog sich ihrem Griff. „Es ist aus!“
„Menno!“, rief Nadine wie ein eingeschnapptes Gör und tat anschließend etwas, was Sebastian eifersüchtig machen sollte – sie packte sich seinen besten Freund Lars und küsste ihn auf den Mund.
Sebastian starrte die Beiden wie entgeistert an, während Lars ganz überrascht war (Na was für ein nettes Dilemma). Letztendlich drückte er Nadine aber doch noch von sich weg, die rücklings gegen einen der anderen Party-Gäste stolperte, der ein Glas Bowle in der Hand hielt. Der Inhalt des Glases übergoss sich über und in Nadines Kleid, die entsetzt aufschrie und weinend aus dem Haus rannte (und das ist das Letzte was ihr von Nadine Bachmayer gesehen habt. Möge sie in Frieden weinen).
„Tut mir Leid.“, entschuldigte sich Lars bei Sebastian.
„Schon gut, nicht dein Fehler.“, sagte dieser und klopfte ihm auf die Schulter. „Ich hoffe, ich bin die nervige Schreckschraube ein für alle Mal los. Ich scheiß auf die Liebe!“ Sebastian schritt davon, um sich wieder zu amüsieren, während er einen deprimierten Lars zurück ließ.
Ich entriss einem Partygast frecherweise sein Getränk und schritt damit auf Lars zu. Ich wollte ihn ein wenig aufpäppeln und mit ihm reden. Ich hielt ihm das Getränk hin und lächelte ihn an. „Was soll das werden?“, fragte er mich in einem unhöflichen Ton. „Machst du jetzt auf guten Freund oder was?!“
„Man Junge entspann dich doch mal.“, riet ich ihm.
Lars nahm das Getränk entgegen und leerte es in einem Zug. (Hat der Junge die letzten Tage nichts mehr zu trinken bekommen?) Dann stellte er das Glas auf dem Fensterbrett ab und ging davon. Ich eilte ihm hinterher. „Fällt es dir wirklich so schwer, mit mir darüber zu reden?“, fragte ich ihn.
„Worüber reden? Ich glaube nicht, dass wir Beide etwas zu bereden haben!“, erwiderte er, während wir an Oma Forster vorbei marschierten, die drei jungen Damen wertvolle Tipps im Männeraufreißen gab (Typischer Weiberklatsch. Das Frauen aber auch immer wie Hühner gackern müssen).
„Und was ist mit deinen Gefühlen für deinen besten Freund?“, fragte ich ihn schließlich, als wir im Gang ankamen. Ich traf einen wunden Punkt bei Lars, denn der drehte sich abrupt zu mir und drängte mich gegen die Wand, während er seinen Arm an meinen Hals hielt und mir die Luftzufuhr damit abschnitt. „Woher weißt du davon?!“ Seine Augen funkelten fuchsteufelswild und in diesem Zustand, traute ich ihm alles zu. „Kein Wort zu niemanden! Hast du mich verstanden?!“
„Hey, lass sofort Nick los, oder du kriegst es mit mir zu tun!“, rief Marcus, der in seinem Rollstuhl auf uns zugerollt kam. Lars betrachtete ihn, als wäre er verrückt. Sicher stellte er sich die Frage, was ein Krüppel wie Marcus schon großartig gegen ihn ausrichten wollte. Letztendlich ließ Lars mich aber dennoch los und seine Wut schlug in Verzweiflung, Panik und Angst um.
„Ich weiß was du durchmachen musst Lars.“, sagte ich im ruhigen Ton zu ihm. „Du hast Angst davor, was passiert, wenn es alle erfahren. Du wirst es nicht ewig verheimlichen können und Sebastian wird sich niemals ändern. Er ist ein Rassist und hasst alle Homosexuellen!“
„Ich-bin-nicht-schwul.“, sagte Lars langsam und wütend zu mir.
„Wenn du einen Freund zum reden brauchst, bin ich für dich da, aber nicht solange du mir drohst und mich bekämpfst.“, erklärte ich ihm, während wir uns Beide in die Augen schauten und Marcus mir Rückendeckung gab (Wieso eigentlich Rückendeckung? Hinter mir war nur die Wand. Sollte er nicht dann eher die Vorderseite abdecken. So ein Quatsch…). „Die Party läuft ja noch eine Weile und wer weiß, vielleicht gelingt es mir, Sebastians Welt noch ordentlich ins Wanken zu bringen.“ Lars sah mich verwirrt an, doch sagte er kein Wort mehr und stapfte in die Küche.
Ich bedankte mich bei Marcus für seinen heldenhaften Einsatz. „Das Gleiche hättest du für mich auch getan.“, erwiderte er mit einem Lächeln. „Langsam werde ich aber unruhig. Meine Beine wollen sich immer noch nicht in Bewegung setzen.“
„Das kommt sicher noch. Hab noch etwas Geduld.“, sagte ich zu ihm.
„Geduld ist das Einzige was ich nicht habe. Bis zum letzten Schuljahr muss ich wieder auf den Beinen sein, sonst kann ich mir meinen Traum abschminken.“, sagte Marcus.
„Wieso denn abschminken? Ich dachte Tucken wie ihr laufen normalerweise immer geschminkt und in Frauenkleidern herum.“, sagte Sebastian provozierend, der gerade aus dem Wohnzimmer trat. „Ihr beide gebt immer noch ein bezauberndes Pärchen ab. Auch wenn die eine Schwuchtel ein Krüppel und der andere ein sentimentaler Waschlappen ist.“
„Willst du Streit, den kannst du haben?!“, forderte Marcus ihn aufgebracht heraus.
Mein Amulett sendete wieder negative Schwingungen aus. Was hat Sebastian nun wieder vor? „Verzeiht, wenn ich das so offen anspreche, aber in der Schule wird gemunkelt, dass Marcus dich mit diesen krankhaften Zwillingen betrogen hat, ist das wahr?!“
Marcus platze der Kragen und ging auf Sebastian los, indem er sich zuvor aus dem Rollstuhl warf. Und auch wenn Sebastian den Angriff nicht kommen sehen hat, so konnte er ihn dennoch abwehren, aufgrund dessen, dass Marcus an den Beinen noch immer bewegungsunfähig war. Sebastian lachte ihn aus und wandte sich hinterher wieder an mich. „Dein Vertrauen in deine Freunde grenzt schon an große Dummheit Dominik, oder ist dir nicht aufgefallen, dass Sam seit über einer Stunde mit den Zwillingen auf dem Dachboden ist…?“ Panik und alte Erinnerungen schossen in mir hoch.


68. Die Haus-Party – Teil 5
Der Tag an dem ich Marcus zusammen mit Michael und Patrick im Bett erwischte, wird wohl auf ewig in meinem Gedächtnis haften bleiben. Die Bilder daran würden lediglich verblassen und der Schmerz verschwinden und nur eine Narbe bleibt zurück. Doch nun könnte alles vom Neuen beginnen, denn Sam war schon zu lange mit den Zwillingen auf dem Dachboden. Panik stieg in mir hoch, doch rannte ich die Treppen nicht rauf, sondern stieg sie nur ganz langsam und leise nach oben. Von unten hörte ich noch Marcus nach mir rufen, dass Sam mir das nicht antun würde. Doch was ist wenn doch? Was würde mich dort oben erwarten? Bereits jetzt spuckte ein Bild in meinem Kopf herum, dass Sam und die Zwillinge hüllenlos in meinem Bett (Oh mein Gott, in meinem eigenen Bett) zeigte. Nein, Sam würde mir das nicht antun…, wobei ich das von Marcus damals auch nicht erwartet hab, bis ich eines Besseren belehrt wurde und nur noch Kummer verspürte.
Ich stand nun vor meinem Zimmer und streckte meine zittrige Hand nach der Türklinke aus. Ich hörte keinerlei Geräusche die nach draußen drangen (Ist das jetzt gut, oder schlecht?). Ich drückte die Türklinke hinunter und öffnete tapfer und auf alles vorbereitet die Tür. Was ich sah, hielt mir den Atem an. Patrick lag in meinem Bett und schlief seelenruhig seinen Rausch aus, während Michael einen wackeligen Handstand auf dem Teppichboden hinlegte und Sam seine Füße hielt, damit er das Gleichgewicht nicht verlor. „Was zum Teufel macht ihr hier?“, fragte ich die Beiden erstaunt und zeitgleich viel mir ein riesengroßer Stein vom Herzen, dass Sam mich nicht betrog.
„Oh hey Nick, verdammt, die Party, ganz vergessen!“, stieß Sam überrascht aus und ließ Michaels Beine los. Der wiederum verlor kurzerhand das Gleichgewicht und flog rücklings zu Boden.
„Sam wollte mir den Handstand beibringen.“, erklärte Michael, dem nun der Rücken wehtat. „Ich hab den in der Schule nie hinbekommen und Patrick hat mich deswegen immer ausgelacht.“
„Verzeih, dass ich nicht wieder runtergekommen bin.“, sagte Sam zu mir und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich konnte ihm nicht böse sein (Hoffentlich erfährt er nie von meinem Verdacht).
„Schon gut, wie geht es Patrick denn mittlerweile?“, fragte ich besorgt nach.
„Er schläft wie Dornröschen.“, antwortete Michael mir scherzhaft.
„Vielleicht sollte ich ihn dann mal wachküssen.“, meinte Sam und fing sich sogleich einen bösen Blick von mir ein, aber auch Michael starrte ihn böse an. „Nur ein Scherz.“, fügte er noch schnell hinzu.

Michael blieb vorerst bei seinem Bruder, während Sam und ich wieder zurück auf unsere Party marschierten, die noch immer im vollen Gange war. Ich hatte zwar noch eine ganz besondere Überraschung für alle geplant (insbesondere für Sebastian), doch bis es soweit war, hielt Oma Forster meine Gäste bei bester Laune. Sie steckte gerade mit mehreren Jungs und Mädchen in einem Trinkspiel und war bereits ziemlich angetrunken. So redete sie allerhand wirres Zeug: „Deeeer Eeeeeex-Freuuuund von meeeeinem E-Enkelsohn kooonte mit Tie-Tieren sprechen. Ooohne Witz!“
„Komisch.“, sagte Sam, der neben mir stand und das Schauspiel ebenfalls beobachte. „Man könnte fast meinen, sie redet über diesen Jungen den ich zu Weihnachten kennengelernt hab.“
„Welcher Junge?“, fragte ich ihn und versuchte meine Eifersucht in Zaum zu halten. Sam grinste mich aber nur an und gab mir einen Kuss auf den Mund (Die Antwort bleibt er mir schuldig -.-).
„Bäh wie widerlich, zwei Tucken die sich ihre Zungen in den Hals stecken!“, rief Sebastian quer durchs Wohnzimmer, während er auf der Lehne unserer gemütlichen Couch saß.
Marcus drang mit seinem Rollstuhl zu uns durch und sagte: „Wieso schmeißt du den Kerl eigentlich nicht einfach raus Nick? Das ist dein Haus und du kannst hier tun und lassen was du willst.“
Ich grinste und antwortete ihm: „Weil ich Sebastian den größten Schock seines Lebens verpassen möchte. Der muss so groß sein, dass er nie wieder auch nur ein Wort darüber verliert.“ Marcus sah mich verwirrt an. „Wie viel Uhr haben wir Sam?“
Sam blickte auf seine Armbanduhr. „Gleich Mitternacht. Sie müssten jeden Augenblick hier sein.“
„Wer muss hier sein?“, fragte Marcus nur noch verwirrter, gerade als die Hausklingel läutete.
Ich gab Sam ein Zeichen und er ging zur Stereoanlage, um ein neues Lied einzugeben. Inzwischen begab ich mich zur Haustür und kam dabei auch an Lars vorbei, dem ich nur sanft zulächelte.
„Bereit Sam?!“, schrie ich quer durchs Haus, während ich bereit war, die Haustür zu öffnen. Sam gab mir ein Zeichen und spielte die Musik ab. Ich öffnete die Haustür und eine Horde an Männern in Frauenkleidern, auch Drag Queens genannt, trat in mein Haus. Angeführt wurden sie von Fernando, der sich als Fernanda verkleidete, und den ich um diesen Gefallen gebeten hab.
Fernanda und ihre „Mädchen“ tanzten sich kreuz und quer durchs Haus und nahmen dabei die Jungs unter ihre Fittiche. Der überraschte Lars wurde von einer Drag Queen zum Tanzen aufgefordert.
Ich schnappte mir Fernanda und zeigte mit einem Finger auf Sebastian, der mit schockierten Gesicht auf dem Sofa saß und aussah, als würde er gleich in die Hose machen. Fernanda bahnte sich den Weg zu ihm frei und ehe er wusste wie ihm geschah, fand er sich in ihren Armen wieder.
Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen und Sam, Marcus, David und Jasmin ging es ebenso.
Die Party wurde nun endgültig zum absoluten Knaller. Ich sah, wie Oma Forster mit zwei Drag Queens gleichzeitig tanzte. Jasmin und David waren selbstbewusster den je (vermutlich war auch der Alkohol daran schuld) und tanzten ebenfalls mit jeweils einer Drag Queen. Auf Marcus Schoß lag sogar eine und er drehte sich in seinem Rollstuhl mit ihr im Kreis. Auch die anderen Partygäste hatten sichtlich Spaß und gute Laune. „Das ist die beste Party Ever!“, konnte ich Marcus laut rufen hören.
Ich blickte zu Lars, der sich ein wenig unwohl in seiner Haut fühlte, aber er konnte nicht abstreiten, dass er Spaß daran hatte. Ganz im Gegensatz zu Sebastian, dem es regelrecht die Sprache verschlug (Genau wie ich es geplant hatte) und gar nicht mehr wusste wo er sich befand (Ich kann es euch sagen: An der Brust von Fernanda, die ihre rote Federboa um seinen Hals legte).
Das Gute an der ganzen Aktion war auch, dass die Drag Queens so Werbung für ihr Viertel machen konnten, dass Sebastians Vater einstampfen lassen will. Wer weiß, aber vielleicht können wir das doch noch verhindern. Ich bin mit allen Wassern gewaschen und wenn Sebastian und sein Vater den Krieg wollen, dann werden ich und meine Freunde ihnen mutig entgegen treten!

Fortsetzung folgt...!

69. Einsatz für die Gerechtigkeit – Teil 1
Meine Haus-Party war die ganze darauffolgende Woche über das Gesprächsthema Nummer Eins in der Schule und verdrängte damit Themen wie, die anstehende Bürgermeisterwahl, oder ob Herr Berthold und Frau Augustine eine Affäre miteinander haben. Ich war sehr stolz auf mich und konnte mit erhobenem Haupt durch die Schulkorridore schlendern. Mein Plan mit den Drag Queens ging auf und Sebastian ließ mich und meine Freunde die ganze Woche über in Ruhe. Lediglich Lars bereitete mir ein wenig Kummer, der sich die ganze Woche krankschreiben ließ. Als er am Montag darauf wieder zur Schule kam, erkundigte ich mich nach seinem Gesundheitszustand. „Mir geht es wieder gut.“, antwortete er mir knapp. „Hatte Grippe, aber danke dir der Nachfrage.“
Ich beäugelte ihn skeptisch, denn ich konnte ihm diese Antwort nicht so recht abkaufen. Schämte er sich jetzt vielleicht für sein Verhalten an dem Abend? War es ihm peinlich, mit einer Drag Queen getanzt zu haben? (Dabei war sie... äh ich meine er… sogar sehr hübsch.)
Ich beschloss schließlich, ihn erst einmal in Ruhe zu lassen. Immerhin schien es so, als konnte ich geringfügig durch ihn hindurchdringen. Einen größeren Sieg hingegen konnte ich bei Jasmin und David verbuchen. Die Beiden waren die letzten Tage über ein Herz und eine Seele. Sie sind zwar (noch) kein Paar, aber sie verbrachten viel Zeit miteinander und hatten sichtlich Spaß. Am Sonntag besuchte David sie sogar ohne mich. Normalerweise traut er sich das nie, aus Angst vor ihrem Dad und ihrem Hamster Goliath, der gerne seine Schuhe anknabbert. „Ich glaube Goliath mag mich.“, sagte David zu Jasmin. „Wir mussten uns nur erst einmal ein wenig beschnuppern.“
„Deine Party scheint ja ein voller Erfolg geworden zu sein.“, sagte Marcus zu mir, der in seinem Rollstuhl neben mir herfuhr, während wir auf dem Weg zu den Chemielaboren waren, in denen uns Herr Frenzel heute unterrichtete.
„Ja.“, sagte ich mit einem Lächeln. „Für Fer und seine Freunde scheint es sich auch gelohnt zu haben. Mich haben schon ein paar Schüler danach gefragt, wo sie sie finden können.“
„Pass auf, dass das nicht in deine Schulakte kommt.“, erwiderte Marcus mit einem Grinsen. „Dominik Rottbach verführt Schüler dazu, dass sie nun mit Drag Queens „Spaß“ haben.“
„Du bist doch ein Idiot.“, sagte ich lachend.
„Drück mir die Daumen. Heute Abend hab ich wieder einen Termin bei meiner Physiotherapeutin.“, sagte Marcus zu mir. „Bis zum Schuljahresende im Juni will ich wieder laufen können.“
„Ich drück dir nicht die Daumen.“, sagte ich und Marcus blickte mich empört an. „Aber dafür drück ich die Zehen!“ Wir lachten beide ausgelassen und es fühlte sich beinahe so wie früher an, bevor er mich mit den Zwillingen betrog. Doch ich war nun glücklich mit Sam zusammen und das war gut so.

„Passt mir bei der Mischung der Chemikalien auf. Das alles muss äußerst exakt ablaufen, ansonsten gelangt ihr nicht zum gewünschten Ergebnis und ich zieh euch das von der Note ab.“, warnte uns Herr Frenzel im Unterricht.
Wir hatten Zweierteams gebildet. Marcus arbeitete mit David zusammen, Jasmin mit einem Mädchen aus unserer Klasse und ich mit Sam. Sam und ich waren ein eingeschweißtes Team, ganz im Gegensatz zu Marcus und David, bei denen gelegentlich etwas in die Luft flog und eine schwarze kleine Rauchwolke zurückblieb. Sie hatten Glück, dass Herr Frenzel das Chemielabor kurz zuvor verließ um etwas zu kopieren und er von ihrer Panne nichts mitbekam.
„Halt warte Sebastian, du hast das falsche Fläschchen.“, sagte Lars zu seinem besten Freund, die ebenfalls ein Zweierteam bildeten. Ich blickte nach vorne in die vorderste Reihe und sah, wie Lars nach dem richtigen Fläschchen griff. Dabei streifte seine Hand versehentlich mit der von Sebastian und mit der Ruhe war es vorüber. Das Unheil der nächsten Tage nahm seinen Lauf…
„Fass mich nicht an!“, schrie Sebastian seinen besten Freund wütend an. Lars schreckte erschrocken mit seiner Hand zurück und sah Sebastian schockiert und ängstlich an. „Kannst du nicht aufpassen du Idiot oder bist du etwa auch einer von diesen widerwertigen Tunten?!“
Lars war völlig sprachlos und zu ängstlich um sich zu wehren. Also stand ich von meinem Stuhl auf und nahm ihn in Schutz, während mein Amulett starke Warnsignale von sich gab. „Jetzt mach aber mal halblang Sebastian. Du reagierst völlig über.“
„Halt dein dreckiges Maul du missratene Schwuchtel!“, schrie mich Sebastian an und brachte das Fass damit für alle in der Klasse zum Überlaufen. Ich konnte mich trotz der durch das Amulett verstärkten Wut gerade noch zusammenreißen und tat nichts Unüberlegtes, denn das würde mich den Schulverweis kosten. Allerdings musste ich Sam zurückhalten, während David Marcus am Rollstuhl festzunageln versuchte.
Stattdessen nahm mich jemand anderes in Schutz und sorgte damit für eine große Überraschung. „Hör jetzt auf damit Sebastian!“, schrie Lars, sein bester Freund, ihn an. „Du benimmst dich unmöglich und noch dazu rassistisch. Es ist nicht schlimm homosexuell zu sein, ich bin es auch!“
Was jetzt kam, ging in Sekundenschnelle. Zuerst starrten alle in der Klasse schockiert zu Lars, der sich soeben offen geoutet hat. Auch Sebastian sah ihn erschrocken an und schon bald schien er nur noch angewidert von seinem besten Freund zu sein. Er ballte seine Faust und schlug Lars zu Boden. Nachdem ich Sam noch zurückhalten musste, war ich nun derjenige der nicht mehr zu bremsen war. Ich verlor jegliche Kontrolle über mich, was auch daran lag, da das Amulett meine Wut wieder verstärkte. Ich sprang über die Tische in die vorderste Reihe, gerade als Herr Frenzel wieder zurück ins Zimmer kam, und schlug Sebastian ins Gesicht (Wieder mal, aber meine Faust hängt so sehr an ihm). Dieser flog im hohen Bogen über den Tisch, bei dem alle Fläschchen darauf zu Boden fielen und zu Bruch gingen. Eine blaue Rauchwolke stieg auf, die sich im Klassenzimmer verteilte. Alle begannen zu Husten und Herr Frenzel befahl sofort den Kampf einzustellen und die Fenster zu öffnen.
Als wieder klare Sicht herrschte konnte ich erkennen, wie Lars voller Schmerzen seinen linken Arm hielt, den er sich vermutlich gebrochen hat. Sebastian lag benommen am Boden und blutete aus der Nase und aus dem Mund. An meiner Hand klebte sein Blut und ich fing stark an zu zittern, während meine Klassenkameraden schockiert um mich herumstanden. Ich konnte Jasmins entsetzten Blick sehen, während sie sich ihre Hände vor den Mund hielt. Sam, Marcus und David standen fassungslos da. Herr Frenzel handelte sofort und sorgte dafür, dass Sebastian und Lars ins Krankenzimmer gebracht wurden. Dann wandte er sich an mich und schlug einen noch nie dagewesen Ton bei mir an: „Dominik – Ins Büro des Direktors – sofort!“ Seine Stimme klang sehr ernst und bedrohlich und ich machte keine Anstalten mich zu verteidigen. Mit Sicherheit würde ich heute von der Schule fliegen.


70. Einsatz für die Gerechtigkeit – Teil 2
Ich saß im Büro von Schuldirektor Sakamoto und hab es nie überfüllter gesehen. Neben mir und dem Direktor befanden sich noch allerhand andere Leute in diesem Raum: Meine Mutter, Herr Frenzel, meine Klassenlehrerin Frau Augustine, der wieder zur Besinnung gekommene Sebastian (dessen Nase erneut gebrochen war), sein Vater und aktueller Bürgermeister Dr. Dietmar Zobel, sowie Lars und seine Eltern. Es herrschte eine beklemmende Stille, während Herr Sakamoto hin und her zu überlegen schien. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass ich von der Schule fliegen würde.
„Herr Gott verdammt, was gibt es da noch lange zu überlegen?!“, fluchte Sebastians Vater. „Der Junge ist erneut auf meinen Sohn losgegangen und hat ihm die Nase gebrochen.“
„Das ist nicht ganz so einfach, wie sie sich das vorstellen.“, meinte Herr Frenzel zu ihm. „Ich kam zu spät hinzu, aber die ganze Klasse konnte bezeugen, dass Sebastian den Streit angefangen und auch zuerst Lars geschlagen hat. Von den unverzeihlichen Schimpfwörtern mal ganz abgesehen.“
Dr. Zobel wandte sich nun an Lars, der mit gesenkten Augen zu Boden blickte und dessen Arm eingegipst worden ist. „Mein Sohn hat dich nicht geschlagen. Sag ihnen das Lars.“, sagte er zu ihm, was fast wie eine Drohung klang. „Es war Dominik, der dich geschlagen hat, nicht wahr?!“
„Jetzt hören sie schon auf den armen Jungen so unter Druck zu setzen.“, mischte sich Frau Augustine nun ein. „Sehen sie nicht, was für Qualen er erleiden musste und das er völlig verängstigt ist?!“
„Wie reden sie mit mir? Ich bin der Bürgermeister!“, entgegnete Dr. Zobel aufbrausend.
„Und wenn sie der Kaiser von China sind. So spricht keiner mit meinen Schülern, außer ich selbst vielleicht.“, erwiderte Frau Augustine, während sie mit ihrem rechten Zeigefinger herumfuchtelte. (Der Frau gebührt mein Respekt, dass sie sich mit dem launischen Bürgermeister anlegt.)
„Lars, es ist wichtig das du mit uns redest.“, versuchte es Herr Frenzel auf die einfühlsame Art. „Wir haben zwar die Aussagen deiner Mitschüler, aber auf deine kommt es ganz besonders an.“
Ich blickte zu Lars, der ganz feuchte Augen hatte. Seine Mutter legte ihre Hand auf seine Schulter, um ihn zu ermutigen, doch seine Angst vor Sebastian und dessen Vater war zu groß. Auch Sebastian schwieg zu dem ganzen Thema. In seiner Aussage erzählte er Herr Sakamoto, dass ich Lars und ihn attackierte. Bestimmt hat ihm sein Vater diesen Schwachsinn eingeredet. Meine Mutter war alles andere begeistert, als sie hörte was geschah und steckte im Zwiespalt.
„Lars.“, sagte nun Herr Sakamoto in einem sehr ruhigen Ton. „Ich weiß wie schwer das alles für dich gerade sein mag, aber bitte… du musst uns sagen, wer dir das angetan hat. Du willst doch auch nicht, dass ein Unschuldiger dafür bestraft wird, oder?!“ (Ich hoffe nicht…)
Herr Sakamotos Worte schienen bei Lars Wirkung zu zeigen, denn er fing an mit sich zu hadern und nach nur wenigen Sekunden, sprudelte es endlich aus ihm heraus: „Es war Dominik…“ Im Raum herrschte Stille und ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu können. „Es war Dominik, der mich in Schutz nahm und mich anschließend rächte, denn Sebastian hat mich zusammengeschlagen.“
„Du elender Verräter!“, schrie Sebastian ihn nun an. „Wir waren die längste Zeit Freunde!“
„Hüten sie ihre Zunge Sebastian.“, sagte Herr Sakamoto warnend zu ihm. „Ihnen ist offenbar nicht bewusst, was sie getan haben und deshalb wird meine Entscheidung wie folgt ausfallen…“ Alle im Raum anwesenden warteten darauf, welche Entscheidung Herr Sakamoto fällt. Dr. Zobel stand hinter seinem Sohn und sah den Schuldirektor bedrohlich an. „Sebastian Zobel, sie werden mit sofortiger Wirkung der Schule verwiesen und das für alle Zeiten. Dominik, sie haben die Auseinandersetzung zwar nicht begonnen, aber aufgrund ihrer hohen Anzahl an Regelverstößen, werde ich auch sie bestrafen müssen. Sie sind eine Woche von der Schule suspendiert!“
Ich konnte erleichtert aufatmen, denn alles war besser, als der Schule verwiesen zu werden. Eine Woche Zwangsurlaub stand quasi vor mir und das war keine Belohnung, da die Prüfungen vor der Tür standen und die Lehrer wertvolle Tipps und Ratschläge mit auf den Weg gaben.
Sebastian wehrte sich nicht gegen seine Bestrafung, allerdings war sein Vater alles andere als begeistert von der Entscheidung des Schuldirektors. „Das ist unerhört und das werden wir nicht auf uns sitzen lassen! Sie werden noch von unserem Anwalt hören Herr Sakamoto!“ Mit diesen wütenden Worten verließ der Bürgermeister mitsamt seinem Sohn das Büro und die Schule.

Als ich am Dienstag in die Küche stolziert kam (und gleichzeitig meinen ersten unfreiwilligen Urlaubstag antrat), spülte meine Mutter gerade das Geschirr ab, während mein Opa am Küchentisch die heutige Zeitung las. „Hier lies mal Dominik, das dürfte dich interessieren.“, sagte mein Opa zu mir und überreichte mir die Zeitung. „Unser Bürgermeister scheint gestern noch alle Hebel in Bewegung gesetzt zu haben und jetzt haben wir den größten Skandal den die Stadt jemals hatte.“
Ich nahm die Zeitung zur Hand und las die Überschrift durch: „Fakten über den Schuldirektor kommen ans Tageslicht – Ist der asiatische Mann mit der Vorliebe für Männer ein geeignetes Vorbild für unsere Schüler?“ Fassungslos saß ich auf meinem Stuhl und las den Bericht vollständig durch. „Am Montag kam es zu einem großen Aufruhr in der Schule, in der unter anderem der Sohn des Bürgermeisters und zwei weitere Schüler involviert waren. Der seit fast einem Jahr dort leitende asiatische Schuldirektor, Herr Sakamoto, beschloss aufgrund einiger Aussagen, den Sohn des Bürgermeisters mit sofortiger Wirkung von der Schule zu verweisen, während ein anderer Schüler lediglich mit einer einwöchigen Suspendierung von der Schule davon kam. Bürgermeister Dr. Dietmar Zobel ging sofort in Berufung und brachte dabei unglaubliche Details ans Tageslicht. Allem Anschein nach hat der Schuldirektor eine ganz besondere Vorliebe für das männliche Geschlecht. Er wurde bereits mehrmals in Begleitung eines Mannes gesichtet, wie sie zusammen Händchen hielten. Zudem kam heraus, dass Herr Ryusei Sakamoto sich abends gelegentlich in Frauenkleider warf und sich in einem zweifelhaften und unrühmlichen Stadtviertel den Männern um den Hals warf. Die Frage, die sich nun die Bürger dieser Stadt stellen: Ist dieser Mann ein gutes Vorbild für unsere Schüler, oder sollte man ihn dazu auffordern, sein Amt mit sofortiger Wirkung abzulegen. Auch Bürgermeister Dr. Zobel äußerte sich gestern Abend noch einmal zu dem ganzen Thema: Ich zweifle sehr stark an der Kompetenz dieses Mannes, allerdings würde ich Gnade vor Recht walten lassen. Sollte Direktor Sakamoto bis Ende dieser Woche seine Entscheidung über mein Sohn zurückziehen, werde ich alles Erdenkliche tun, dass er auch weiterhin sein Amt als Schuldirektor ausführen kann.“
Schockiert und wütend legte ich die Zeitung weg. Dieser Dr. Zobel ist ein niederträchtiger Erpresser!


71. Einsatz für die Gerechtigkeit – Teil 3
Heute war Donnerstag und in den letzten Tagen rief ich eine Protestaktion ins Leben, die sich „Rettet Sakamoto!“ nannte. Viele Schüler waren auf meiner Seite und gemeinsam versuchten wir unseren Schuldirektor in Schutz zu nehmen. Heute Nachmittag fand eine Demonstration vor der Villa des Bürgermeisters statt und Sam und ich befanden uns gerade zu Fuß auf dem Weg dorthin.
„Bist du dir sicher, dass das so eine gute Idee ist?“, fragte mich Sam unter Gewissensbissen.
„Sollen wir rumsitzen und abwarten, bis Direktor Sakamoto von seinem Amt erlöst wird und wir wieder jeden Tag Sebastian vors Gesicht bekommen?!“, erwiderte ich aufbrausend. Dabei war Sam der Letzte, zu dem ich das sein wollte, allerdings hielt er nicht allzu viel von meiner Protestaktion.
Wir schlenderten durch die Straßen in der viele wohlhabende Menschen lebten. Eine Villa reihte sich nach der anderen und nur auf einem Grundstück stand keiner dieser seelenlosen Gebäude. Stattdessen wuchs hier frisches Gras und hier und da lagen Holzbretter und Marmorsteine herum.
„Stand hier auch mal eine Villa?“, fragte mich Sam, als wir davor stehen blieben.
„Keine Ahnung, wenn dann ist sie wohl abgebrannt.“, antwortete ich ihm. „Komm lass uns weitergehen. Wir sind schon spät dran.“
Wir marschierten um eine Ecke und drei Minuten später kamen wir an der Villa von Dr. Dietmar Zobel und seinem Sohn Sebastian an. Die Villa war von einer hohen Mauer umgeben und der einzige Zugang war ein Tor aus Eisengitter, das geschlossen war. Es waren bereits einige Protestanten anwesend, darunter auch Marcus und David. Einige von ihnen hielten selbstgebastelte Schilder in ihren Händen, auf denen unter anderem „Rettet Sakamoto!“ geschrieben stand.
„Da seid ihr ja endlich.“, sagte Marcus zu uns. „Ich finde diese Aktion voll super Nick.“
„Leider sehen das nicht alle so.“, sagte ich leicht verächtlich und warf Sam dabei einen Blick zu.
„Wie jetzt? Wie kann man diese Aktion für nicht gut heißen?“, fragte Marcus Sam völlig fassungslos.
„Naja, habt ihr mal über die Konsequenzen nachgedacht, die diese Demonstration mit sich ziehen kann?“, erwiderte Sam. „Wir schädigen damit auch den Ruf des Bürgermeisters.“
„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?!“, fragte Marcus ihn aufgebracht.
Ich roch Ärger, also ging ich schnell dazwischen: „Hört auf zu streiten, alle Beide!“
Ich blickte zu den oberen Fenstern der Villa empor und entdeckte Sebastian, wie er uns mürrisch beobachtete. Als sich unsere Blicke trafen, trat er vom Fenster weg und zog den Vorhang zu. Ein Polizeiauto fuhr anschließend vor und Jasmins Vater, Herr Blum, stieg daraus aus. „Dominik – Schluss jetzt mit der Demo! Ihr geht jetzt alle nach Hause!“, forderte er uns im ernsten Ton auf.
„Wo ist Jasmin, Herr Blum?“, fragte David ihn.
„Du glaubst doch nicht, dass ich zulasse, das meine Tochter an dieser Demonstration teilnimmt, oder?!“, antwortete Herr Blum ihm, während er ihm mit einem strengen Blick ansah. „Wären deine Eltern auch einmal zuhause, hätten sie dir bestimmt auch verboten zu kommen David. Und was dich angeht Dominik, so glaube ich nicht, dass deine Mutter von deiner Aktion sehr begeistert ist.“
Auf einmal brach ein lauter Tumult aus. Bürgermeister Zobel kam offensichtlich aus seiner Villa stolziert und wollte gerade in seinen Porsche einsteigen. Die Protestanten bombardierten ihn mit weniger übertriebenen Beleidigungen, doch ging er darauf nicht ein.
„Der Mann ignoriert uns einfach.“, sagte Marcus erschüttert und wollte noch etwas sagen, doch hielt er plötzlich inne und starrte starr vor sich hin (Vielleicht hat er ja ein Alien gesehen).
„Das wird er sich zweimal überlegen.“, sagte ich und nahm mir einen größeren Kieselstein vom Wegrand. Ich wollte ihm nur Angst einjagen, indem ich auf seinen Briefkasten am Rande des Blumenbeetes zielte, doch dann fuhr sein Chauffeur los und ich traf bedauerlicherweise den rechten Außenspiegel seines Autos. Dr. Zobel stieg aus seinem Auto aus und funkelte mich böse an. Mir war sofort klar, dass ich nun zu Recht Ärger bekam. Herr Blum stand mit verschränkten Armen hinter mir.

Meine Mutter holte mich und Sam (der keine Sekunde von meiner Seite wich) vom Polizeirevier ab. Zum Glück kam ich nur mit einer Geldbuße davon, doch angesichts unserer ohnehin schon knappen Haushaltskasse, war damit natürlich nicht zu scherzen. Meine Mutter rackert sich Tag und Nacht ab, obwohl sie schwanger ist, mein Opa verkauft sein Hab und Gut aus dem Mystic-Shop und was mach ich? (Autos demolieren, ganz großes Kino!) Die ganze Heimfahrt über redete meine Mutter kein Wort mit mir, und Sam und ich schwiegen uns ebenfalls an. Ob Sam auch sauer auf mich war?
Als wir endlich Zuhause ankamen, zog meine Mutter ihren Mantel aus und warf den Schlüsselbund mit dem Auto- und dem Haustürschlüssel auf die Kommode. Wir stolzierten in die Küche, wo sich meine Mutter über den Küchentresen beugte und zu überlegen schien. Ich durchbrach die Stille schließlich, was sich als Fehler herausstellte: „Mum, es tut mir Leid.“
„Es tut dir Leid…“, ich hörte meine Mutter lachen. (Sie lacht? Träum ich oder wach ich?)
„Frau Rottbach, ich bin mir sicher, Nick hat das nicht mit Absicht getan.“, sagte Sam nun verteidigend, wofür ich ihm sehr dankbar war.
Meine Mutter drehte sich zu uns um und sagte: „Sam geh bitte auf den Dachboden. Ich möchte kurz alleine mit meinem Sohn reden.“ Sam wollte Einspruch erheben, doch als er sah, wie meine Mutter ihn und mich mit zornigen Augen ansah, überlegte er es sich anders und gehorchte ihr. Mit einem letzten traurigen Blick auf mich gerichtet, verließ Sam die Küche und ließ mich mit meiner Mutter allein. Zunächst herrschte wieder eiserne Stille, doch wollte ich dieses Mal nicht derjenige sein, der sie durchbrach. Nach etwa zwei Minuten des Anschweigens sagte meine Mutter schließlich: „Wie viel Ärger und Kummer willst du mir eigentlich noch bereiten?“ Ich antwortete ihr nicht. War mir ohnehin nicht möglich, da sie sofort weiterredete. „Die Schlägereien in der Schule, dein Angriff auf diesen armen blinden Mann (Woher weiß sie denn bitte davon? Hat ihr Opa davon berichtet?) und jetzt auch noch diese absurde Demonstration. Ich schäme mich für dich…“
„Mum…, es tut mir Leid.“, wiederholte ich mich reumütig.
„Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen!“, schrie mich meine Mutter an und weinte dabei bittere Tränen. Es tat mir wirklich Leid, doch das sie nun Dad erwähnte, brachte auch bei mir das Fass zum Überlaufen (oder das Amulett, das auf meine Wut reagierte). Ich kehrte meiner Mutter wütend den Rücken zu und rannte ohne ein weiteres Wort aus dem Haus.


72. Einsatz für die Gerechtigkeit – Teil 4
Dass ich von Zuhause weg lief, machte die ganze Situation natürlich nicht gerade besser. Doch das sich meine Mutter für mich schämte und auch noch Dad als Einwand brachte, ging mir zu weit. Ich brauchte frische Luft! (Nein ich stinke nicht, aber dafür platz ich gleich, wie ein Luftballon.)
Ich suchte Fer in seinem Viertel auf und hatte Glück, dass ich ihn sehr schnell fand. „Mein zuckersüßes Schnucki kommt mich besuchen. Ich fühl mich geehrt.“, sagte Fernanda auf seine ganz besondere Art und Weise (eben tuntig), während er mit seiner grünen Federboa herumwedelte.
Ich lächelte ihm zu. „Hey Fer, ich hoffe dir geht’s gut?“
„Mir geht es gut Darling, aber verzeih wenn ich sage, dass du nicht sonderlich glücklich aussiehst.“, antwortete Fernanda mir und guckte mich besorgt von oben herab an.
„Naja viel Ärger…“, erklärte ich ihm lediglich.
„Wegen der Demonstration? Du wirst doch nicht etwa aufgeben?!“, stieß Fernanda überrascht aus. „Eine der erfolgreichsten Methoden in einem Krieg war schon von je her, den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.“ (Krieg, ich komm mir vor wie in einem Computerspiel.)
Fernanda gab mir den nötigen Denkanstoß und sofort war mir bewusst, was ich zu tun hatte.

Freitagabend lief die Frist für Herrn Sakamotos Entscheidung ab. Entweder er bleibt bei seiner Entscheidung und muss dafür das Amt als Schuldirektor ablegen, oder aber er zieht den Schulverweis von Sebastian zurück und er darf weiterhin im Amt bleiben. Beides klang nicht nach einem hundertprozentigen Sieg, doch mit einem Einsatz würde es mir heute eventuell gelingen.
In der Aula der Schule fand eine letzte Versammlung statt, die ich mittels meiner Protestaktion einberufen ließ. Zum Glück stand meine Klassenlehrerin Frau Augustine voll hinter mir. Sie, Herr Berthold und Herr Frenzel gaben mir Rückendeckung, während sich die Aula mit vielen Schülern füllte. Ich entdeckte zu meiner Freude Michael und Patrick, die bereits viel Unsinn angestellt haben und doch immer wieder von Herrn Sakamoto Gnade erhielten. Marcus war ebenfalls gekommen und drückte mir fest die Daumen, während David mich liebenswerterweise umarmte. Sogar Jasmin war gekommen, der es gelang, sich ihrem Vater zu entziehen. Die Nächsten die ich erblickte, waren mein Opa, Oma Forster und Sam. Über das Kommen von Sam war ich sehr erfreut, denn auch wenn er es nicht für gut hieß was ich tat, so stand er dennoch hinter mir – ganz im Gegensatz zu meiner Mutter.
„Vielleicht kommt sie ja noch.“, versuchte mein Opa mich aufzumuntern. „Du hast ihr letzte Nacht einen ganz schönen Schrecken eingejagt, als du weggelaufen bist.“
„Grandpa…, es tut mir so unendlich Leid.“, sagte ich reuevoll.
„Schon gut Dominik.“, sagte mein Opa leicht lächelnd und klopfte mir auf die Schulter.
„Nick, du musst auf die Bühne und deine Ansprache halten.“, sagte Marcus zu mir und zeigte mir die Uhrzeit. Die Aula war gerammelt voll mit Menschen, die auf Herrn Sakamotos Seite standen. Nur leider war jener nicht anwesend, was mich leicht verunsicherte.
„G-Guten Abend.“, sagte ich schließlich sichtlich nervös ins Mikrofon, das Herr Berthold für mich bereitstellte. „Danke, dass ihr alle gekommen seid. Es gibt Menschen in meinem Leben, die mich fragen, warum ich das alles hier überhaupt mache und immer blieb ich ihnen die Antwort schuldig. Die Antwort ist… weil wir in einem Zeitalter leben, in der es egal sein sollte, welcher Mensch welche Hautfarbe hat, oder von wo er herkommt, wie er aufgewachsen ist, oder aber auch wen er liebt. Wichtig ist doch nur, dass wir alle – WIR ALLE – ehrlich zu uns selbst sind und zusammenhalten. Denn irgendwann werden wir alle gemeinsam in derselben Erde beerdigt und steigen in denselben Himmel hinauf, wo wir vor dem Allmächtigen treten, der uns seine Gnade zu Teil werden lässt.“
In der hintersten Ecke der Aula konnte ich einen kurzen Blick auf Lars erhaschen. Er war ebenfalls gekommen, was mich gleich umso mehr erfreute. Ich griff mit meiner linken Hand in meine Hosentasche, in der sich ein Foto befand. Mit den eigenen Waffen schlagen, meinte Fernanda. Wie klug von mir, dass ich ein Foto von ihr und Sebastian in inniger Umarmung schoss. Somit konnte ich Bürgermeister Zobel ebenso erpressen…, doch sollte ich das wirklich tun? Ich hatte Zweifel und bekam inzwischen Skrupel, denn soweit wollte ich eigentlich keineswegs gehen.
Gerade als ich fortfahren wollte, durchquerte ein Mann die Aula und kam auf mich zu. Es war unser Schuldirektor Sakamoto! Er war also doch noch gekommen. Es herrschte bedrückende Stille. Herr Sakamoto lächelte mich dankbar an, als er neben mich trat und nahm das Mikrofon zur Hand. „Ich danke euch allen von Herzen, dass ihr gekommen seid und so zahlreich hinter mir steht. Das gibt mir den Glauben, dass ich das Richtige tue, und die Kraft, das alles durchzustehen. Nun ist es aber so, dass weder der Bürgermeister, noch ich, dazu bereit sind nachzugeben. Deshalb wird es darauf hinauslaufen, dass ich diese Schule verlassen werde. Ich danke euch wirklich von Herzen, aber der Kampf ist zu Ende und auch wenn ich gehe, so ist es dennoch keine Niederlage.“

Ich war am Boden zerstört und das Herr Sakamoto aufgab, glich für mich sehr wohl einer Niederlage. Die Aula leerte sich allmählich und Lars kam auf mich zu. „Du hast tapfer gekämpft.“, sagte er zu mir und lächelte mich an. Dann umarmte er mich (so gut es ihm mit seinem gebrochenem Arm möglich war) und sagte etwas zu mir, was er noch nie zu mir sagte: „Danke für Alles!“
Als auch Lars nach Hause marschierte, stand ich meiner Familie und meinen Freunden gegenüber. Zu meiner großen Überraschung stand auch meine Mutter vor mir. Sie hatte Tränen in den Augen, lächelte mich aber an. „Es tut mir Leid was ich zu dir gesagt habe, Schatz.“, sagte sie zu mir und ich hatte ihr sofort verziehen. „Das was du heute getan hast… ich bin mächtig stolz auf dich und wenn dein Vater noch leben würde, dann wäre er es mit Sicherheit auch.“ Ich lächelte meine Mutter dankbar an und hätte sie gerne in den Arm genommen, aber ihr schwangerer Bauch kam mir dabei in die Quere. „Lass uns nach Hause gehen, okay?!“, sagte sie zu mir und ich nickte ihr zu.
„Nur noch einen kurzen Moment.“, sagte ich und ging auf Herr Sakamoto zu, der sich gerade von der Lehrerschaft verabschiedete. „Ich fühle mich, als hätte ich versagt.“, sagte ich zu ihm.
„Versagt? Mein lieber Junge, du hast so viel für mich getan. Mehr als jeder andere Schüler an dieser Schule.“, erwiderte Herr Sakamoto. „Ich bin ihnen für ihren Einsatz sehr dankbar, Dominik.“
„Es ist meine Schuld.“, sagte ich und wie aus dem Nichts schossen mir Tränen ins Gesicht. „Hätte ich Sebastian nicht geschlagen und hätte ich nicht…“
„Hören sie mir gut zu Dominik. Es ist nicht ihre Schuld!“, erwiderte Herr Sakamoto lächelnd und nahm mich tröstend in den Arm (Wie peinlich. Ich umarme den Schuldirektor vor meiner Familie, meinen Freunden und der Lehrerschaft). „Es ist Zeit für mich zu gehen und wenn sie hier keinen anständigen Schulabschluss schaffen, komm ich wieder und trete ihnen in den Hintern!“

Fortsetzung folgt...!

73. Die Sonnenfinsternis – Teil 1
Es gleicht einem Phänomen, wenn sich der Mond vor die Sonne schiebt, jegliches Licht auf Erden erlischt und die Menschheit nur noch von der Dunkelheit umgeben ist. In all der Aufregung der letzten Tage und Wochen vergas ich beinahe, das genau heute dieses Phänomen – genannt Sonnenfinsternis (Darauf wärt ihr jetzt nie gekommen oder, oder?!) – eintrifft.
So gerne hätte ich mir die Sonnenfinsternis in aller Ruhe mit meiner Familie und meinen Freunden vom Park aus angesehen, doch leider fand genau heute dort die Wahl des neuen Bürgermeisters statt. Dies sollte sich heute allerdings als meine geringste Sorge herausstellen (Lehnt euch zurück, holt euch Popcorn und genießt das Finale meiner Story!).

„Und du willst wirklich nicht in den Park mitkommen?“, fragte ich Sam ganz enttäuscht, während er auf dem Bett lag und ich mir ein orangenes Shirt anzog, das zu meiner kurzen Hose passte.
„Um mir anzuhören, wie unser neuer Bürgermeister seine Reden schwingt? Danke verzichte!“, erwiderte Sam genervt, während er in einer Zeitschrift blätterte (Titel: Gay-Playboy!).
„Naja, besonders erpicht bin ich auch nicht darauf und ich geh da nur hin, um zu verhindern, dass dieser Schmierlappen sich weiter an meine Mutter ranmacht, aber um fünfzehn Uhr ist die Sonnenfinsternis. Das wird das Ereignis des Jahrhunderts!“, erklärte ich ihm, doch konnte ich Sam leider nicht dazu bewegen, mitzukommen.
„Wieso schleppst du das Amulett eigentlich ständig mit dir herum?“, fragte mich Sam. Das Amulett hing um meinen Hals und harmonierte so gar nicht mit meiner Sommerkleidung, aber ablegen wollte ich es nicht, denn dafür war es einfach zu wertvoll.
„Ist ein Familienerbstück. Erklär ich dir ein andermal.“, antwortete ich, gab ihm noch einen zarten Kuss auf die Lippen und verabschiedete mich anschließend von ihm.
Als ich im ersten Stock ankam, hörte ich die Stimme meines Opas zusammen mit der von Oma Forster aus ihrem Zimmer. „Wir dürfen ihm keine Sekunde von der Seite weichen.“, sagte mein Opa.
Oma Forster ging zu ihrem Kleiderschrank und durchwühlte eine ihrer unzähligen Taschen (Wieso benötigen Frauen so viele Taschen?). Sie zog eine kleine Ampulle hervor, in der sich eine klare Flüssigkeit befand. „Nur zur Sicherheit.“, sagte sie und nahm einen Schluck davon.
„Du solltest sparsamer damit umgehen, denn die Ampulle ist fast leer.“, meinte mein Opa zu ihr.
„Sei doch still du alter Griesgram und kümmere dich um dein eigenen Mist.“, erwiderte Oma Forster aufbrausend. Mir kam die ganze Unterhaltung der Beiden mehr als nur seltsam vor, aber ich wollte keineswegs so einfach hereinplatzen, denn dann hätte ich ihnen auch offenbaren müssen, dass ich an der Tür gelauscht hab (Es war ja keine Absicht…nur reiner Zufall…).
Ich stolzierte also mit leisen Schritten davon ins Erdgeschoss, wo soeben die Tür klingelte. Meine Mutter war schneller als ich und als ich unten ankam, hielt sie einen Strauß roter Rosen in der Hand. „Von Dietmar? Nein wie zuvorkommend.“, sagte meine Mutter lächelnd und schnupperte an ihnen, während der Rosenbote auf seine Unterschrift wartete. „Die können sie gleich wieder mitnehmen.“, sagte meine Mutter, die auf einmal gar nicht glücklich wirkte. „Sagen sie unserem Bürgermeister, dass ich nicht bestechlich bin. Meine Stimme kriegt er jedenfalls nicht, nachdem was er sich in letzter Zeit alles geleistet hat. Guten Tag auch!“ Meine Mutter schlug dem Rosenboten die Tür vor der Nase zu und ich konnte mir mein freches Grinsen einfach nicht verkneifen.

Als wir gegen vierzehn Uhr im Park ankamen, war schon allerhand Trubel los. Männer, Frauen und Kinder liefen gleichermaßen aufgeregt umher, während es im ganzen Park verschiedene Stände gab, an denen sie sich Sonnenbrillen, Luftballons oder Popcorn kaufen konnten. Im Parkzentrum, das sich an einem kleinen idyllischen See befand, wurde ein Podest mit Schleifen errichtet, bei dem die einzelnen Bürgermeisterkandidaten ihre Reden hielten. Daneben stand ein Orchester bereit, das darauf wartete, die Menschen zu unterhalten. „Nick! Nick, ich bin hier!“, rief mir ein hüpfender Junge mit ausgestreckten Armen entgegen. Es war David, der mir anschließend entgegen gerannt kam. „Ich hab den Park noch nie so überfüllt gesehen.“, sagte er zu mir. „Was glaubst du, wer wird gewinnen?“
„Ich möchte mir das zum jetzigen Augenblick lieber noch nicht ausmalen.“, antwortete ich ihm.
„Ich geh mal kurz zu Agnes ins Café. Dort ist heute sicher die Hölle los. Bis gleich.“ David stolzierte rasend schnell davon und ich nutzte die Gelegenheit mich noch ein wenig genauer umzusehen.
„Wann hält denn unser aktueller Bürgermeister seine Rede?“, fragte mein Opa meine Mutter.
„Um Vierzehn Uhr dreißig.“, antwortete meine Mutter ihm und guckte dabei auf ihre Armbanduhr.
„Schönen Nachmittag wünsche ich euch allen!“, rief uns diesmal Herr Blum entgegen, der zusammen mit seiner Tochter Jasmin auf uns zumarschiert kam. Herr Blum trug heute ausnahmsweise mal nicht seine Uniform, also befand er sich wohl gerade nicht im Dienst. Er trug wie ich lediglich eine kurze Hose mit Shirt. Sein Outfit verfeinerte er sich allerdings noch mit einem schicken Cowboyhut.
„Wow Sheriff. Sie sehen heute aber äußerst…. scharf aus.“, machte meine Mutter ihm als Kompliment, was zur Folge hatte, dass Jasmin und ich uns erschüttert anstarrten.
Wir unterhielten uns alle ein kleinwenig und irgendwann beugte sich Herr Blum zu mir rüber und flüsterte mir ins Ohr: „Hast du Marcus heute schon gesehen?“, fragte er mich und ich schüttelte nur den Kopf. „Er war neulich spätabends bei mir, als Jasmin schon schlafen war. Er hat was davon geschwafelt, dass ein Bruchteil seiner Erinnerung vom Unfall zurückgekehrt sei und er glaube zu wissen, wer Fahrerflucht begann. Ich hab ihn natürlich sofort ausgequetscht, doch er wollte nicht mit der Sprache rausrücken. Stattdessen erkundigte er sich nach dem Auto. Ich hab ihm erzählt, dass wir keinerlei Spuren – weder vom Auto, noch vom Unfallfahrer – haben und die Suche im Sand verlief.“
Das Amulett um meinen Hals fühlte sich auf einmal zunehmend schwerer an. Irgendwas schien hier so gar nicht in Ordnung zu sein. „Ich geh Marcus suchen. Bin gleich wieder da!“, rief ich den Anderen zu und rannte davon. Eine Person verfolgte mich, doch bemerkte ich dies nicht.
Ich schlängelte mich durch die Menschenmassen hindurch und hielt nach Marcus Ausschau. Ich entdeckte Michael und Patrick, wie sie sich gerade Popcorn kauften und ich entdeckte Fer und einige seiner Freunde, die sich mich als Vorbild nahmen und nun auch eine Protestaktion gegen Dr. Zobel starteten. Doch wo konnte Marcus nur sein? Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und auf meiner Haut bildete sich Angstschweiß. Ich stand unter einem großen Baum, der mir vor der Sonne Schatten spendete. Dann entdeckte ich einen Mann, mit dem ich hier am allerwenigsten rechnete: Seine Narbe ließ ihn grimmiger den je aussehen – Es war Maurice, der ehemalige Dompteur!


74. Die Sonnenfinsternis – Teil 2
Es bestand kein Zweifel (auch nach dem gefühlt hundertsten Mal Augenreiben). Es war Maurice, der ehemalige Dompteur des Zirkus Graziano. Unsere Blicke trafen sich und mit grimmigem Ausdruck im Gesicht kam er auf mich zu. Mein Herz klopfte wie wild und ich wollte kehrtmachen, doch blieb ich standhaft stehen. Nicht wieder weglaufen, nicht wieder verstecken – so etwas hat immer Konsequenzen…! Als Maurice bei mir unterm Baum stand, begrüßte er mich nicht (So schön ist die Wiedersehensfreude ehrlich gesagt auch nicht), stattdessen sagte er etwas, was bei mir rege Verwirrung auslöste: „Ein schöner sonniger Tag, nicht war?“
„Was?!“, stieß ich überrascht aus und machte große Augen.
„Ich sagte ein schöner sonniger Tag.“, wiederholte sich Maurice und lächelte dabei erstmals. Dies ließ ihn nicht noch mehr unheimlicher aussehen, stattdessen wirkte er erstmals sogar recht freundlich. „Du musst keine Angst vor mir haben, denn ich bin nicht aus dem Gefängnis ausgebrochen. Dann wäre ich wohl kaum hier, wo heute doch so viele Beamte im Einsatz sind.“
„A-Aber was tun sie dann hier?“, fragte ich ihn unsicher. „Warum wurden sie freigelassen?“
„In der Zeitung wurde bestimmt schon darüber berichtet, dass ich der Organisation „Animal Welfare“ angehörte. Dies stimmte auch, doch wusste ich von ihren unrechtlichen Vorgehensweisen anfangs nichts und als ich es erfuhr, entschloss ich mich die Organisation zu verlassen. Es war nicht ganz leicht und ich stand unter ständiger Beobachtung, denn wenn ich zur Polizei gegangen wäre, hätte man kurzen Prozess mit meiner kleinen Tochter gemacht.“
„Ihrer kleinen Tochter?“, fragte ich nun ernsthaft erstaunt.
Maurice zog ein Foto aus seinem Portemonnaie, auf dem ein junges Mädchen mit langen braunen Haaren abgebildet war. Sie dürfte nicht älter als fünf Jahre alt gewesen sein und lächelte mir freudig entgegen. „Das ist meine Tochter. Ihre Mutter verstarb bei der Geburt und ich musste sie alleine großziehen. Es war nicht immer ganz einfach und um an Geld zu kommen, tat ich so ziemlich alles – nur eben keine Tiere töten! Leider kam mein kleiner Engel bei einem tragischen Unfall ums Leben. Sie kletterte auf einen Baum und verlor den Halt. Als sie auf dem Boden aufschlug, war sie sofort tot.“
„Das tut mir Leid. Mein Beileid.“, sagte ich schockiert. Wer hätte gedacht, dass sich hinter diesem grimmig aussehenden Mann, eine so tragische Leidensgeschichte verbarg. Maurice wünschte mir noch einen schönen Tag, sowie viel Spaß bei der Sonnenfinsternis und ging in Richtung See davon.
Noch völlig verwundert über diese unerwartete Begegnung, fiel mir wieder ein, dass ich ja auf der Suche nach Marcus war. Der Park war zwar riesig und es befanden sich viele Menschen hier, aber davon gab es zum Glück nicht allzu viele, die im Rollstuhl saßen. Marcus wo bist du?
„Suchst du deinen Freund?“, fragte eine weibliche Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um und blickte in ein bekanntes Gesicht. Zuerst wollte mir der Name nicht mehr einfallen, doch dann: „Sie sind doch die Krankenschwester, die sich um Marcus kümmerte.“, sagte ich zu Regina, die über das Wiedersehen höchst erfreut schien. „Und ja ich suche Marcus gerade.“
„Weit kann er in seiner misslichen Lage ja nicht sein.“, erwiderte Regina. „Erst gestern war er wegen einer Untersuchung noch einmal bei mir im Krankenhaus. Er schien sehr deprimiert zu sein, dass er immer noch nicht wieder laufen kann. Der arme Junge.“
Die Lautsprecher dröhnten und quietschten. Bürgermeister Dr. Zobel schien nun seine Rede zu halten, während die Wahlergebnisse zusammengezählt wurden. Nach der Sonnenfinsternis würde dann bekannt gegeben werden, wer der neue Bürgermeister sei. „Einen wunderschönen noch sonnigen Tag wünsche ich ihnen allen!“, rief Dr. Zobel durch das Mikrofon.
„Naja ich muss dann mal weiter. Viel Glück bei deiner Suche. War schön dich wieder zu sehen. Ich hoffe, dass war nicht das letzte Mal.“, sagte Regina und zwinkerte mir verführerisch zu.
Als ich mich wieder auf die Suche begab, fiel mir auf, dass sich mein Amulett wieder leichter anfühlte. Dennoch wollte ich die Suche nach Marcus nicht einfach aufgeben. Meine innere Stimme sagte mir, das er mich gerade dringend braucht (Na toll, jetzt hör ich schon Stimmen in meinem Kopf -.-).
Es war ein Tag der Begegnungen wie es schien, denn als ich mich auf eine der vielen Parkbanken stellte, um mehr sehen zu können, entdeckte ich Alice, Sams Schwester! Was tut die denn hier?
„Alice!“, rief ich freudig entgegen. Sie entdeckte mich und kämpfte sich im Gemenge der Menschen zu mir hindurch. „Alice, was tust du hier? Ist der Zirkus wieder in der Stadt?“, fragte ich sie.
„Nein, lediglich Diego und ich sind hier.“, antwortete sie mir und irgendetwas in ihrer Stimme sagte mir, dass mit ihr etwas nicht stimmte. „Ich war gerade bei euch Zuhause, um Sam die traurige Nachricht zu überbringen. Verdammt… er ist einfach weg gerannt.“ Alice fing zu weinen an und mir wurde wieder mulmig zumute. Das Amulett verstärkte dieses Gefühl zudem.
„Was ist passiert Alice?“, fragte ich sie und Angstschweiß zog mir ins Gesicht.
„Unsere Eltern…“, schluchzte Alice, die ihre Tränen nicht mehr in Zaum halten konnte. „Bei der gestrigen Abendvorstellung haben sie wie gewohnt ihr Talent an den Trapezen unter Beweis gestellt, doch als es darum ging, dass unser Vater unsere Mutter auffangen sollte, stürzten sie Beide in die Tiefe. Normalerweise ist das nicht schlimm, denn dafür hängt zur Sicherheit und zum Schutz das Netz, doch dieses war…es war beschädigt worden, und unsere Eltern stürzten in den Tod!“ Ich blickte Alice schockiert an. Das durfte doch alles nicht wahr sein…! Erst mein Vater und jetzt auch noch Sams Eltern? „Sam ist weggelaufen als es ihm erzählte…“, erklärte Alice mir.
„V-Vielleicht ist er hier ja irgendwo.“, sagte ich und versuchte die Panik in meiner Stimme zu unterdrücken. Ich blickte mich um. Alle schienen der Rede des Bürgermeisters aufmerksam zuzuhören. Ich blickte kurz auf meine Armbanduhr. Noch zehn Minuten bis zur Sonnenfinsternis.
„Wir suchen ihn gemeinsam okay?!“, bot ich Alice an.
„Warte Nick.“, sagte Alice und wischte ihre Tränen weg.
„Was ist? Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sam braucht uns.“, sagte ich verständnislos.
„Es gibt da etwas, was du wissen solltest.“, sagte Alice, in der sich Angst, Panik und Trauer vermischten. „Unsere Familie besaß nie sonderlich viel Geld und so erfuhren wir, dass unsere Eltern gelegentlich nachts Leute überfielen und sie ausplünderten. Als meine Geschwister und ich alt genug waren, lehrten sie uns das Ausrauben. “ Ich blickte Alice verwirrt an und hatte eine leise Vorahnung, wohin sich dieses Gespräch entwickelte (Oh mein Gott, bitte nicht…). „Wir brauchten das Geld ganz dringend, denn Dr. Zobel hat uns erpresst. Wir wechselten uns ab – wir sind die Person mit der Clown-Maske!“ Ich war schockiert und musste an meinen Vater denken, dann hörte ich einen Schuss!


75. Die Sonnenfinsternis – Teil 3
Es sollte doch nur ein schöner sonniger Tag im Park werden, doch mit jeder Minute die verstrich, wurde es für mich nicht nur zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle, sondern auch noch zu meinem größten Albtraum! Die Colei-Familie soll der geheimnisvolle Clown-Räuber sein? Ein tiefer Schmerz bohrte sich in mein Herz, denn das würde bedeuten, dass Sam vielleicht der Mörder meines Vaters ist. Doch noch ehe ich mich von diesem Schock erholte, hörte ich einen Schuss aus einer Pistole. Ich drehte meinen Kopf um, denn der Schuss kam vom Parkzentrum, von wo aus Dr. Zobel bis soeben noch seine Rede hielt. Seine Stimme verstummte mit dem Knall aus dem Lauffeuerwerk. Stattdessen vernahm ich aus der Ferne Schreie, während um mich herum verängstigte und ratlose Parkbesucher standen. Dann fiel ein zweiter Schuss und Panik brach aus!
Menschen rannten umher und riefen nach ihren Familien und Freunden. Ich drehte mich wieder zu Alice herum, doch sie war verschwunden. Ich machte mich also auf die Suche nach meiner Familie und nach meinen Freunden, die sich in der Nähe des Parkzentrums aufhielten. Die Suche ereignete sich als äußerst schwierig, den die Menschen rannten wild durcheinander. In der Ferne hörte ich Sirenen und eine Lautsprecherdurchsage der Polizei. Doch das war mir egal. Ich durfte nicht auch noch meine Mutter und meinen Opa verlieren. Doch wo war Marcus und was ist aus Sam geworden?
In meiner Unaufmerksamkeit rannte ich versehentlich gegen einen Jungen. Ich fiel rücklings ins Gras und der Junge auf mich drauf. „Na diese Stellung mag ich doch am liebsten.“, grinste mich Patrick an.
„Ich denke nicht, dass dies der geeignete Zeitpunkt für Scherze ist.“, erwiderte ich genervt.
„Da hast du wohl Recht, aber sollte mir etwas zustoßen, so möchte ich dir vorher noch etwas sagen.“ Patrick sah mich verträumt an und ich wusste genau was er sagen wollte. „Nick, ich lie…“
„Geh von mir runter.“, sagte ich schnell zu ihm und schubste ihn beiseite. „Dies ist weder der richtige Ort, noch der richtige Zeitpunkt. Und falls du es vergessen hast, ich bin mit Sam zusammen!“ Ich rannte schnell weiter und während ich den deprimierten Patrick hinter mich ließ, überlegte ich fieberhaft, ob Sam mich überhaupt jemals geliebt hat.
Als ich an der Stelle ankam, wo ich meine Familie und Freunde zurückließ, war keiner mehr von ihnen da. Ich schluckte und wären die Schreie um mich herum nicht, dann würde ich jetzt sogar mein Herz laut klopfen hören. Dann verspürte ich mittels des Amuletts den größten Schmerz aller Zeiten. Das Amulett wurde wieder schwerer und zog mich auf den Boden. Als ich in der Wiese kniete, konnte ich die Uhrzeit auf meiner Armbanduhr erkennen. Noch dreißig Sekunden bis zur Sonnenfinsternis.
„Nick!“, schrie eine Stimme und zu meiner Erleichterung eilte mein bester Freund David herbei und legte seine Arme um mich. „Was ist mit dir Nick? Du meine Güte, er hat es getan, er hat es wirklich getan!“ David schrie ganz panisch durcheinander. „Nick, ich hab Marcus mit einer Waffe gesehen! I-Ich glaube er hat Dr. Zobel erschossen!“
Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen, dann leuchten das Sonne- und Mond-Symbol auf meinem Amulett. Aus ihnen drang ein helles und schwarzes Licht. Der Schmerz drang durch meinen ganzen Körper. Mein Herz klopfte, meine Adern pulsierten und mein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. David schrie verzweifelt meinen Namen, doch hörte ich ihn kaum noch.
Dann blickte ich zum Himmel empor und schrie vor Schmerzen. Der Mond schob sich langsam vor die Sonne. Die Welt um mich herum verdunkelte sich – Es war Sonnenfinsternis!

Als ich wieder zur Besinnung kam lag ich mit dem Gesicht zur Wiese auf dem Boden. Der Schmerz war weg (fragt sich nur für wie lange), doch sicherheitshalber langte ich mir noch einmal an die Brust.
Als ich mich vom Boden erhob und mich umsah, stockte mir der Atem.
Mein bester Freund David stand wie eine Zapfsäule vor mir. Seine Augen blickten ins Leere und sein Mund stand sperrangelweit offen. Wie es jetzt wohl wäre, wenn ich ihm eine Banane reinstopfe (Okay, das ist gerade alles andere lustig)? Ich wedelte mit meiner Hand vor seinem Gesicht rum, denn seine Augen blickten mich an, doch schien jegliches Leben von ihm gewichen zu sein.
Doch war er damit nicht der Einzige. Jedes Lebewesen, sei es Mensch, Tier oder Pflanze schien wie versteinert zu sein. Es schien fast so, als wäre ich der Einzige, der nicht zu einer Statue mutiert ist. Doch was ist geschehen? Hat das was mit der Sonnenfinsternis und meinem Amulett zu tun? Ich bekam es mit der Angst zu tun. War ich denn nun gänzlich alleine?
Ich fand nach kurzer Zeit Jasmin, ihren Vater und meine Mutter. Es tat mir in der Seele weh, sie so versteinert zu sehen, doch was konnte ich dagegen nur tun. Dann hörte ich eine sanftmütige, mir sehr vertraute Stimme: „Du musst keine Angst haben.“ Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht meines Großvaters, der mich traurig anlächelte.
„G-Grandpa?!“, stieß ich überrascht aus. „Was geht hier vor sich?“
„Die Zeit steht still und ein dunkler Schatten hat die Sonne verdeckt.“, erklärte er mir lediglich, was nicht sonderlich hilfreich angesichts der Situation war.
„N-Nick?“ Eine ängstliche Stimme rief meinen Namen und als ich mich erneut umdrehte, standen auf einmal Patrick und Michael vor mir, die ebenso ängstlich und verwirrt wie ich zu sein schienen.
„Wir sollten uns zum See begeben, von wo aus Dr. Zobel seine Rede hielt. Dort wird sich alles weitere aufklären.“, meinte mein Opa und wir folgten ihm alle.
Auf dem Weg zum See, marschierte ich neben meinem Opa her und schaute ihn fragend an. „Das was hier geschieht… hat doch etwas mit meinem Amulett zu tun, oder?“, fragte ich ihn.
Mein Opa schwieg mich an, was mir gar nicht behagte. Wir schlängelten uns durch die erstarrten Menschen hindurch, bis wir am See ankamen. Aufgrund der Schüsse waren hier weniger Bürger, dafür umso mehr Beamte im Einsatz. Bürgermeister Dr. Zobel lag blutend im Gras, während sein Sohn Sebastian starr vor Schreck und weit aufgerissenen Augen, mit Armen und Beinen vom Boden abstemmend, neben ihm lag. Starr vor Schreck traf es diesmal präzise, denn wie auch alle anderen Menschen, war auch Sebastian zu einer Salzsäule erstarrt. Dafür waren zwei andere Menschen noch sehr beweglich: Sam und Marcus! Beide blickten verwirrt um sich. „Nick?“ Marcus sah mich ängstlich an, doch mein Blick wanderte schnell zu Sam, der mich mit einem schuldigen Blick ansah.
Zu seinen Füßen lag Diego – ebenfalls erstarrt. Dafür bewegten sich noch ein paar andere Menschen: Ein älterer Herr um die Sechzig, zwei Damen im Alter von Mitte Dreißig und ein Junge Anfang Zwanzig, der zuvor Popcorn an die Zwillinge verkaufte (Null Ahnung wer die sind, aber wäre dies nur ein Film, dann werden sie bestimmt geopfert). „Ich will jetzt auf der Stelle wissen, was hier vor sich geht, oder ich rufe die Polizei!“, schrie Michael wütend (Ja klar, ruf die erstarrte Polizei zu Hilfe…).
„Sehr schön, alle haben sie sich versammelt!“, rief auf einmal eine schaurig böse Stimme und ein Mann im schwarzen Anzug und einer Clown-Maske im Gesicht betrat das Podium.

Fortsetzung folgt...!

76. Ein Licht am Ende des Tunnels – Teil 1
Als der Mann in seinem schwarzen Anzug und der Clown-Maske im Gesicht das Podium betrat, blickte ich verwirrt zu Sam, der ebenso wie ich entsetzt schien. Er und Diego, der erstarrt zu seinen Füßen lag, konnten es schon einmal nicht sein und ihre Eltern waren angeblich tot. Blieb eigentlich nur noch Alice, aber die war alles andere als männlich (Vielleicht hätte ich ihr mal unters Röckchen schauen sollen…). Gab es eventuell noch einen weiteren maskierten Clown? War dieser Mann vielleicht der Mörder meines Vaters und nicht Sam?! „Meine Freunde, herzlich Willkommen in der Schattenwelt!“, rief uns der Mann unter seiner Maske entgegen, die seine Stimme etwas hohl klingen ließ. „Ich kann euch gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, euch zu sehen.“
„Hey, wer ist der Clown?“, fragte Michael in die Runde.
„Nein, nein, nein. Ich bin kein Clown, ich bin… weitaus mehr als das.“, erwiderte der maskierte Mann.
Ich blickte zu meinem Opa und hoffte, dass er wisse, was hier vor sich ging, aber zu meinem Bedauern zog er ein ebenso ratloses Gesicht wie alle anderen. „Was wollen sie?“, fragte ich schließlich mutig den maskierten Mann (Dabei rutscht mir mein Herz gerade in die Hose. Kann mal einer reinlangen und es wieder hochholen? ...Nur Spaß. Finger raus aus meiner Hose!)
„Was ich will? WAS ICH WILL?!“, entgegnete der maskierte Mann. „Ich hab dich für weitaus klüger eingeschätzt Dominik.“ Er kennt meinen Namen, dann muss ich ihn auch kennen. Wer ist es?! „Das was ich haben möchte, hängt um deinen Hals.“, fuhr der maskierte Mann fort und zeigte mit seinem Finger auf mein Amulett (Okay, keine große Überraschung, dass es darauf hinaus lief, oder?!).
Ich begutachtete mein Amulett und hielt es mit meiner rechten Hand fest umklammert. „Ich glaube nicht, dass ich es ihnen überlassen werde.“, entgegnete ich.
Auf einmal richtete Sam eine Pistole auf den maskierten Mann, doch noch ehe er abfeuern konnte, zauberte der Mann drei Messer aus seinen linken Ärmel und feuerte sie auf Sam ab. Ein Messer grub sich in die Erde vor Sams Füßen, das zweite Messer traf Sam beinahe am Handgelenk, doch konnte dieser noch rechtzeitig ausweichen und das dritte Messer traf die Pistole, die anschließend aus seiner Hand flog. „Na na na, sowas gehört sich doch nicht Sam.“, zischte der maskierte Mann und ermahnte ihn schön artig zu sein.
Durch diese Aktion wurde mir nun allerdings bewusst, mit wem wir es hier zu tun hatten. Ich wollte es nicht glauben, aber diese Präzession beim Messerwurf beherrschte nur ein Mensch, den ich kannte. „Lorenzo?!“, stieß ich überrascht aus und der Mann nahm seine Maske ab.
Es war tatsächlich Lorenzo, der blinde Messerwerfer und Feuerspucker aus dem Zirkus Graziano. In seinem schwarzen Anzug stand er vor uns und lächelte uns von oben herab böse an, dass einem jede Ader gefror. Doch etwas war heute anders an ihm: Lorenzo konnte sehen! Er verbeugte sich scheinheilig. „Sorpresa, würde der dummschwätzende Clown Filippo nun sagen – Überraschung.“
„Sie können sehen, aber wie ist das möglich?“, fragte ich ihn erschüttert.
„In der Welt der Schatten ist alles möglich, mein junger Freund.“, antwortete er mir lediglich. „Ich hab allerdings keine Zeit für lange Erklärungen, denn die Sonnenfinsternis hält nur eine bestimmte Zeit an. Also gib mir das Amulett, oder ich werde deine Freunde töten. Vielleicht fang ich aber auch mit deinem lieben Großvater an.“, drohte er mir.
„Jetzt gib ihm schon das Amulett!“, rief Michael mir ängstlich zu. Ich überlegte fieberhaft was ich tun sollte. Das Amulett besaß unvorstellbare Kräfte, die selbst ich noch nicht alle ergründet habe. Was würde geschehen, wenn ich es ihm gebe? Ich blickte verzweifelt und Hilfe suchend zu meinem Opa. Er schüttelte dezent den Kopf und gab mir zu verstehen, dass ich es ihm nicht geben darf.
„Jetzt gib mir schon das Amulett du dummer Junge!“, schrie mich Lorenzo wütend an.
Ich wollte nachgeben, denn ich könnte es nicht ertragen, noch mehr Menschen die mir etwas bedeuten zu verlieren. Doch dann wurde Lorenzo hinterrücks angegriffen. Wie aus heiterem Himmel stand Oma Forster auf der Matte und verpasste dem Messerwerfer mit einem dicken großen Ast ein Schlag in den Rücken. Es geschah alles furchtbar schnell. Mein Opa forderte uns alle auf wegzulaufen. Ich sah wie Michael und Patrick mit denn mir vier unbekannten Menschen in Richtung Café rannten, in der Davids Schwester Agnes arbeitete. Indessen packte ich Marcus Rollstuhl und fuhr ihn quer übers Parkgelände. Sam folgte uns und wir versteckten uns in der Kirche, in der ich einst mit Sam gewesen bin, als Marcus noch im Koma lag. Ich machte mir große Sorgen um meinen Opa, den ich bei der Flucht aus den Augen verlor und auch Oma Forster war verschwunden.
Wir saßen hinter dem Altar, nachdem wir Marcus aus seinem Rollstuhl lupften, und hielten uns versteckt. Es war mucksmäuschenstill, bis Marcus das Schweigen brach: „Da vorne wäre ein Beichtstuhl. Hat jemand Lust zu beichten? Meine letzte Beichte liegt schon einige Jahre zurück.“
Ich nutzte die Gelegenheit um mir einige offene Fragen beantworten zu lassen. „Du kannst gleich mit dem Beichten beginnen und mir sagen, was du dir dabei gedacht hast, eine Pistole bei dir zu tragen.“ Ich blickte Marcus vorwurfsvoll an, doch konnte ich nicht wirklich böse auf ihn sein.
„Erinnerst du dich noch an deine Demonstration vor der Villa von Dr. Zobel?“, fragte Marcus mich und ich nickte. „Es war wie ein Blitzschlag in meinem Kopf, als ich sah wie Dr. Zobel in sein Porsche einstieg und an dessen Rückspiegel ein Wunderbaum (Duft: Pina Colada) hing. Im Auto, das mich anfuhr hing derselbe Wunderbaum und hinterm Steuer saß sein Sohn Sebastian!“
„Sebastian ist also der Unfallfahrer?!“, stieß ich wenig überrascht aus.
„Ja und ich war sooo stinkwütend…, er hat mir mein Leben ruiniert! Als ich dann bei Herr Blum zu Besuch war, stahl ich mir in einem unaufmerksamen Moment seine Pistole (Für all meine logisch denkenden Leser: Eine Waffe liegt natürlich nicht einfach so rum, aber machen wir hier eine Ausnahme und sagen einfach, dass Herr Blum nach seinem Dienst mit nach Hause nahm). Ich wollte Sebastian lediglich einen Schreck einjagen, das musst du mir glauben Nick.“, erklärte Marcus mir.
„Doch dann hast du seinen Vater erschossen?!“, erwiderte ich enttäuscht über sein Verhalten.
Marcus verneinte schnell: „Nein das war ich nicht, das war…“
„Diego. Es war mein Bruder!“, mischte sich nun Sam ins Gespräch ein. „Er sah, wie Marcus mit der Pistole auf Sebastian zielte und entwendete sie ihm. Dann erschoss er damit Dr. Zobel.“


77. Ein Licht am Ende des Tunnels – Teil 2
Ich starrte Sam an, dessen Blick zum Teppichboden hin haftete. Vor ein paar Stunden gab ich ihm noch einen zärtlichen Kuss und wäre mit ihm Pferde stehlen gegangen (Nein nicht wirklich, dass ist wieder nur so ein Spruch. Habt ihr das nach all der Zeit noch nicht verstanden?!). Doch nun war alles anders. Er fühlte sich mir auf einmal so fremd an… als würde ich den wahren Sam gar nicht kennen.
Sam erzählte uns die ganze Geschichte, von Anfang bis Ende. „Schon seitdem ich denken kann, war die Akrobatik-Kunst ein wichtiger Bestandteil meiner Familie. Meine Urgroßeltern beherrschten es, meine Großeltern beherrschten, meine Eltern beherrschten es und meine Geschwister und ich ebenfalls. Es macht unheimlich viel Spaß, auf dem Trapez durch die Lüfte zu gleiten, oder in schwindelerregender Höhe Kunststücke auf dem Hochseil zu absolvieren. Natürlich ist das alles mit einem Risiko verbunden und nicht jedermann ist dieser Herausforderung gewachsen – siehe Alice, die Höhenangst hat.“ Sam schmunzelte, doch als er weiter erzählte, wich jede Freude aus ihm. „Leider sind die Einnahmen für die Akrobaten äußerst bescheiden und meine Familie kommt aus sehr ärmlichen Verhältnissen. Wir hatten Rechnungen zu bezahlen, doch konnten wir keineswegs so viel Geld auftreiben. Mein Vater wendete sich deshalb an einen Kredithai – Dr. Dietmar Zobel.“
„Unser Bürgermeister ist… war ein Kredithai?!“, stieß Marcus überrascht aus. Ich zischte ihn an, denn ich wollte nicht, dass jemand Sams Geschichte unterbricht.
„Er lieh uns das benötigte Geld, womit wir unsere Rechnungen zahlen konnten.“, fuhr Sam unbeirrt fort. „Doch nun hatten wir Schulden bei einem Kredithai und der verlangte sein Geld mit Zinsen zurück. Meine Eltern sahen keinen anderen Ausweg, als eine alte Familientradition wieder aufleben zu lassen: Sie brachten uns das Stehlen bei! Mit unseren akrobatischen Fähigkeiten, war es ein leichtes in der Nacht die Leute auf den Straßen zu überfallen. Es machte keinen Spaß und mein schlechtes Gewissen wurde von Tag zu Tag größer, doch tat ich es ausschließlich für meine Familie.“
„Der Dieb mit der Clown-Maske im Gesicht, das war nicht nur eine Person, sondern du und deine Familie?!“, stieß Marcus wieder überrascht aus (Blitzmerker -.-).
„Ganz genau.“, erwiderte Sam schuldig. „Doch umso mehr Geld wir von den Bürgern dieser Stadt stahlen, umso schärfer wurden die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei und wir konnten nicht genügend Geld einsammeln. Dr. Zobel ist ein gnadenloser und unbarmherziger Mensch. Er hat das Netz und die Trapeze beschädigen lassen und meine Eltern auf dem Gewissen. Ich kam hierher um der Polizei von den üblen Machenschaften von Dr. Zobel zu erzählen, notfalls hätte ich auch gestanden, dass ich für die Diebstähle verantwortlich war. Doch Diego wollte weitaus mehr. Aus Rache entwendete er Marcus die Pistole und erschoss den raffgierigen Kredithai. Als ich dazukam, lag der Bürgermeister bereits tot in der Wiese. Diego wollte auch seinen Sohn Sebastian erschießen, doch ging ich schließlich dazwischen. Ich rangelte mit meinem eigenen Bruder, denn ich wollte ihm die Waffe wegnehmen. Immer mehr Polizisten rückten vor und dann löste sich der zweite Schuss…“
„M-Moment.“, fuhr ich ihm nun in die Geschichte ein. „G-Gab es einen zweiten T-Toten?“ Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob noch eine zweite Leiche in der Nähe des Sees rumlag.
„Möge die Seele von Maurice in Frieden ruhen!“, rief eine Stimme und wir Drei schraken auf, drehten uns um und blickten nach oben. Auf dem Altartisch stand Lorenzo und hielt zwei Messer in der Hand. „Praktisch, dass ihr euch in der Kirche versteckt habt, denn dann habt ihr es nicht mehr weit zu eurer eigenen Beerdigung (Der Kerl reißt auch noch Witze… dabei find ich ihn alles andere als lustig).
„B-Bitte, tun sie meinen Freunden nichts.“, bat ich Lorenzo verzweifelt. „Ihnen geht es doch ausschließlich um das Amulett. Wenn sie es haben wollen, dann gebe ich es ihnen.“
„Du gibst es mir freiwillig?“, harkte Lorenzo misstrauisch nach.
„Zuerst lassen sie meine Freunde gehen.“, entgegnete ich und versuchte stark zu bleiben.
„Hör auf damit Nick!“, rief Marcus mir zu. „Der Kerl wird dich ohne mit der Wimper zu zucken umbringen, sobald er das Amulett in seinen Händen hält.
„Halt die Klappe Marcus!“, schrie ich ihn nun wütend an. „Das Recht mir zu sagen, was ich zu tun hab, hast du vor langer Zeit verspielt.“ Ich wandte mich wieder an Lorenzo. „Also abgemacht? Sie lassen meine Freunde gehen und dafür gebe ich ihnen das Amulett.“
Lorenzo überlegte kurz. Seine bösen Augen blickten vom Altar auf mich herab, während Sam Marcus langsam wieder zurück in seinen Rollstuhl hievte. Schließlich sagte Lorenzo: „Abgemacht!“
Nachdem Sam und Marcus die Kirche wohlbehalten verlassen hatten, standen Lorenzo und ich uns zwischen den Sitzbänken Auge in Auge gegenüber. Lorenzo streckte seine rechte Hand nach dem Amulett aus. „Abgemacht ist abgemacht.“, sagte er schmunzelnd.
„Verraten sie mir nur noch zwei Dinge.“, sagte ich und versuchte Zeit zu schinden. Ihre tragische Geschichte, wie es zu ihrer Blindheit kam – war das alles nur erfunden?“
„Die Geschichte war nicht erfunden, sondern stammt tatsächlich aus dem Leben dieser Hülle.“, antwortete Lorenzo mir und ich stutzte bei dem Wort „Hülle“. Was meint er damit schon wieder?
„Es gibt da noch etwas was ich wissen möchte.“, sagte ich.
„Versuchst du Zeit zu schinden?“, fragte mich Lorenzo mies gelaunt. „Die zwei alten Knacker werden dir nicht zu Hilfe eilen, denn die hab ich bereits aus dem Weg geräumt.“
Ich schluckte und musste an meinen Opa denken. Bitte nicht… Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und mich zusammenzureißen. „Haben sie meinen Dad auf den Gewissen?“, fragte ich ihn schließlich. Egal was Sam und seine Familie getan haben, zu einem Mord wären sie nicht fähig (Mal abgesehen von Diegos Mordanschlag auf Dr. Zobel, den nun keiner sonderlich vermissen wird).
Lorenzos Grinsen wurde immer breiter. „Ja das hab ich.“, antwortete er mir ohne Reue zu zeigen. „Du hast die Clown-Maske in meinem Wohnwagen entdeckt und mich hinterher auch noch beim Einfaltspinsel Giovanni beschuldigt – und jetzt gib mir das Amulett!“
Lorenzo wurde von Sekunde zu Sekunde ungeduldiger. Ihm rannte die Zeit davon, denn die Sonnenfinsternis war bald vorüber. Mit meiner Hand umschlang ich das Amulett, das nach wie vor um meinen Hals hing. „Jetzt gib es mir, oder ich werde dich töten.“, drohte Lorenzo mir.
„Sie würden mich doch ohnehin umbringen – mit oder ohne Amulett.“, sagte ich schließlich. „Nach all der Zeit hab ich einiges über das Amulett herausgefunden und wissen sie, welche Fähigkeit des Amuletts mir am besten gefällt? Es ist die Kraft meine Gefühle zu verstärken und momentan verspüre ich vor allem eines: Hass!“ Lorenzo wollte mich angreifen, doch im selben Moment ließ ich mein Amulett wieder los und all meine angestaute Wut bündelte sich in einem hellen und schattigen Lichtstrahl. Der Lichtstrahl traf den überraschten Lorenzo auf der Brust, woraufhin er quer durch die Luft segelte und vor dem Altar unsanft landete. Er rührte sich nicht mehr und jeder normale Mensch wäre nach diesem Angriff nicht mehr am Leben – Doch es kam mal wieder anders.
Lorenzo stand auf, sein schwarzer Anzug war ruiniert, aber körperlich zeigte er keine einzige Schramme. Seine Augen funkelten mich rot an und als er seinen Mund öffnete, packte mich die blanke Angst. Er spie Feuer! Nun stand für mich eines fest: Lorenzo konnte kein Mensch sein!


78. Ein Licht am Ende des Tunnels – Teil 3
Ich hab ja so einiges erlebt, aber das jemand nach mir Feuer speit war selbst mir neu (Ruft mal jemand die Feuerwehr? Wie war die Nummer doch gleich? Ach dreistellige Zahlen konnte ich mir noch nie merken). Lorenzo war ein Feuerspucker schön und gut, aber das kam wie aus dem Nichts geschossen. Ich konnte mich gerade noch hinter einer Steinsäule in Sicherheit bringen, während sie dich heißen Flammen in die weiße Mauer brannten. „Dominik, Dominik, Dominik.“, sagte Lorenzo ganz langsam (Danke ich kenne meinen Namen). „Findest du nicht, dass es hier ein wenig zu heiß für dich wird? Gib mir das Amulett – auf der Stelle!“
„Niemals!“, schrie ich ihm von hinter der Säule aus zu. Ich hörte seine Schritte, wie er sich mir langsam näherte. Ich sah nur noch einen Ausweg. Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte zum Weihwasserbecken. Lorenzo war mir dicht auf den Fersen. Ich nahm eine volle Ladung Weihwasser in meine Hände und schüttete es in sein Gesicht. Lorenzo hielt sich vor Schmerzen die Hände vors Gesicht und jaulte fürchterlich. Sein Kopf fing zu qualmen an. Ich war sehr erfreut über diesen Ausgang (Und ich dachte immer, das funktioniert nur in Fernsehen). Aber was ist Lorenzo jetzt eigentlich? Er sprach vorhin von einer Art Hülle. Steckt vielleicht eine Art Dämon in seinem Körper? Ich war zwar verrückt und abenteuerlustig, aber lebensmüde war ich deshalb noch lange nicht. Ich rannte schnell aus der Kirche und versuchte mich in Sicherheit zu bringen. Ich blickte mich um. Von Sam und Marcus war nichts zu sehen und mir fiel ein Stein vom Herzen (Die Idioten haben mich ernsthaft mit dem Irren allein gelassen? Tolle Freunde -.-). Dafür entdeckte ich ein anderes mir vertrautes Gesicht: Fernando stand mit seinen Drag Queens erstarrt auf der Wiese (Die Armen!).
Plötzlich hörte ich ein lautes Gebrüll aus der Kirche und ehe ich mich versah, kam Lorenzo heraus gestürzt. Er entdeckte mich natürlich sofort und nahm die Verfolgung wieder auf (Ich Armer!). In meinem ganzen Leben bin ich nicht so schnell gelaufen und Herr Berthold wäre sicherlich stolz auf mich (In Zukunft werde ich die Schule nicht mehr mit der Hölle vergleichen). Ein Feuerstrahl kam wieder auf mich zugeschossen, doch ich konnte gerade noch in Deckung gehen und mit einer Rolle seitwärts davon kullern. Das Feuer traf einen Baum und versetzte ihn in Flammen. Ich fluchte innerlich, denn wenn der Irre hier alles abfackelt, dann sind hier alle Menschen in größter Gefahr!
„Ich habe langsam genug von deinen Spielereien Dominik. Gib mir das Amulett, oder du wirst deine Familie und Freunde nie wiedersehen!“ Lorenzo drohte mir wieder, doch würde er uns alle mit dem Amulett erst recht umbringen. Ich durfte es ihm keinesfalls überlassen. Ich muss kämpfen!
Ich hielt mein Amulett wieder ganz fest und versuchte die Wut von vorhin wieder hervorzurufen. Normalerweise fiel mir das nicht schwer, doch aktuell verspürte ich mehr Angst als Wut. Eine Waffe, ich benötige eine Waffe um mich wehren zu können. Ich blickte mich rasend schnell um, doch seitlich standen nur zwei große Bäume, vor mir lag der große See und hinter mir… Lorenzo. Er feuerte einen weiteren Feuerstrahl auf mich ab. Ich sprang zur Seite und die Flammen verwandelten sich im Seewasser zu Dampf. Das war die Idee – Wasser! Ich hatte nur eine einzige Chance, ansonsten würde ich als Brathähnchen enden (Auch wenn ich mich optisch sehr heiß finde, so war mir das Ganze hier zu heiß!). „So wie du zielst, könnte man meinen du wärst immer noch blind!“, rief ich Lorenzo provozierend zu. Lorenzo der mir inzwischen sehr nah war, schoss einen weiteren Feuerstrahl auf mich ab. Ich machte eine Rolle vorwärts und kullerte durch seine Beine hindurch. Dann richtete ich mich wieder auf, packte den überraschten Lorenzo an beiden Armen und ließ mich mit ihm ins Wasser fallen. Mein Gedanke war, dass er mich hier zumindest nicht flambieren konnte. Doch wie sollte es nun weitergehen? Lorenzo und ich rangelten unter Wasser miteinander. Er zog ein Messer aus seinem Hosenbein und griff mich damit an. Ich versuchte ihn abzuwehren. Ich durfte keine Zeit verlieren, denn schon bald würde mir die Luft ausgehen. Ich versetzte Lorenzo einen Schlag in den Brustkorb. Sein Körper fühlte sich stahlhart an und meine Hand schmerzte hinterher. War dieser Kerl denn unbesiegbar?! Während mein Blick zum Seegrund wanderte und ich etwas Erstaunliches dort ausfindig machte (Kann euch gerade nicht sagen was, denn ich ertrinke gleich), ging mir allmählich die Luft zum Atmen aus. Ich versuchte an die Wasseroberfläche zu schwimmen, doch Lorenzo hielt mich am rechten Bein fest. Ich streckte meine Hände in die Höhe und aus dem Wasser raus. Es war nicht mehr weit zur Oberfläche, nur noch ein bisschen… Ich blickte nach unten. Lorenzo grinste mich selbst unter Wasser böse an. Wenn ich hier jetzt ertrinke, dann gelangt er an mein Amulett und gewinnt. So darf es aber einfach nicht enden!
Lorenzo zerrte an meinen Beinen, während ich mich hemmend gegen ihn zu wehren versuchte. Mit meinen Händen paddelte ich an der Wasseroberfläche hin und her, in der Hoffnung irgendwo Halt zu finden. Ich öffnete meinen Mund und Wasser gelangte in meine Lunge. Das ist das Ende!
Wie durch ein Wunder griff plötzlich jemand nach meinen Händen und zog mich mit all seiner Kraft aus dem Wasser. Ich konnte nicht sehen wer es war, doch wurde ich von ihm an Land getragen. Mein ganzer Körper, samt der Kleidung die ich trug, war durchnässt und ich fühlte mich wie ein Frosch.
Dann knallte es auf einmal laut und ein Lichtkegel schoss aus meinem Amulett in den Himmel empor. Der Mond zog endlich weiter und brachte die Sonne wieder zum Vorschein. Zur gleichen Zeit kam ein mächtiges Gebrüll aus dem See und ein schwarzer Schatten stieg daraus hervor. Der Schatten nahm eine mir noch unbekannte Gestalt an und als die ersten Sonnenstrahlen auf ihn fielen, brüllte er vor Schmerz auf und verschwand für immer aus unserer Welt.
Ich war erleichtert und schloss meine Augen, denn ich fühlte mich unendlich müde. Ich hörte wie eine vertraute Stimme zu mir sagte: „Das war ganz schön knapp. Das hast du fantastisch gemacht Nicki.“ Ich wusste jetzt wer mich aus dem Wasser rettete und ein Lächeln fuhr über mein Gesicht. Es glich einem Wunder! „Keine Angst, Hilfe wird gleich unterwegs sein.“, sagte die mir vertraute Person, doch verlor ich allmählich mein Bewusstsein. „Nick? Nick?!“ Die Person rüttelte an meinem Körper und versuchte mich bei Bewusstsein zu halten. Doch es war zu spät, denn ich war einfach zu lange unter Wasser gewesen. Um mich herum verfinsterte sich alles. In der Dunkelheit marschierte ich einen dunklen Pfad entlang und als ich wieder zu mir kam, stand ich an einer hohen Felsklippe.


79. Ein Licht am Ende des Tunnels – Teil 4
Ich marschierte einen dunklen Pfad entlang. Irgendwann umgab mich ein helles Licht und ich stand an einer hohen Felsklippe. Hinter mir befand sich unendliches Grasland und vor mir das große weite Meer. Ein lauwarmer Wind blies mir um die Ohren, der sich einfach herrlich anfühlte. Ich fühlte mich frei und jeglicher Schmerz, jegliche Angst und jeglicher Kummer der letzten Monate schien vergessen zu sein. Dann hörte ich eine Männerstimme hinter mir: „Du solltest nicht hier sein mein Sohn.“ Ich drehte mich um und blickte zu meiner großen Freude in das Gesicht meines Vaters.
„Träum ich das nur?“, fragte ich ihn verwundert, während ich mich zusammen riss nicht zu weinen.
„Du träumst nicht, doch bin ich leider nur ein Geist. Du kannst mich zwar sehen, aber nicht berühren.“, antwortete mein Vater mir.
Ich wollte ihn fest in den Arm nehmen und am liebsten nie wieder loslassen, doch schien mir dies nun unmöglich zu sein. „W-Wo bin ich hier?“, fragte ich ihn schließlich.
„An der Klippe der Entscheidung. Du kannst wählen zwischen Leben und Tod.“, erklärte er mir.
„Ich dachte immer, das läge in Gottes Händen.“, erwiderte ich verwirrt. „Und nun soll ich selber entscheiden, ob ich lieber bei dir bleibe – frei von jeglichem Schmerz – oder zurück ins Leben gehe und mich mit allem auseinandersetze?“
Mein Vater blickte mich tröstend an. „Deine Entscheidung kann dir niemand abnehmen mein Sohn, aber deine Mutter braucht dich jetzt, wo sie doch bald deinen Bruder zur Welt bringt. Das Leben mag dir manchmal Steine in den Weg legen, doch hat sich auch Marcus für diesen Pfad entschieden.“
„Ja und wo ist er gelandet? Im Rollstuhl…“, sagte ich sarkastisch. „A-Aber du hast Recht! Ich muss zurück ins Leben, denn Mum, Grandpa und meine Freunde brauchen mich.“
Mein Dad lächelte mich an und streckte seine Hand nach mir aus. „Ich liebe dich mein Sohn und ich bin sehr stolz auf dich!“ Ich lächelte zurück und streckte meine Hand nach seiner aus. Unsere Hände berührten sich zwar in der Luft, doch ging meine durch seine hindurch. Er war wirklich nur ein Geist, was mich traurig stimmte, aber ich war überaus glücklich, ihn noch einmal gesehen zu haben. Als ich in mein Leben zurückkehrte, fragte ich mich, ob das Treffen hier nur ein Traum war.

Ich atmete leicht ein und wieder aus. „Sehr schön machst du das. Immer weiter atmen.“, sagte eine Frauenstimme zu mir und als ich meine Augen öffnete, kniete Krankenschwester Regina neben mir. „Willkommen zurück im Leben.“, sagte sie erleichtert.
„Dominik mein Schatz. Es geht dir gut, dem Himmel sei Dank!“, rief mir meine Mutter unter Tränen zu und umarmte mich so fest, dass ich beinahe wieder keine Luft bekam.
„Du erstickst ihn ja noch Beate.“, sagte mein Grandpa zu ihr. Unsere Blicke trafen sich und ich konnte erkennen, wie erleichtert er darüber war, dass ich wieder zu mir kam.
Auch ich war erleichtert, dass es ihm gut ging und als ich mich umblickte, fiel mir ein noch größerer Stein vom Herzen. Meine besten Freunde Jasmin und David standen ebenfalls in meiner Nähe und waren wieder quicklebendig. „Oh Nick, wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht.“, sagte Jasmin zu mir und nahm mich ebenfalls in den Arm (Tag der Umarmungen oder was?).
Als Jasmin mich wieder los ließ, blickte ich mich um. Ich saß angelehnt an einem Baum in der Nähe des Sees im Park. Unzählige Menschen befanden sich im Park, darunter Polizisten, Ärzte, Politiker, Feuerwehrmänner und einige Bürger dieser Stadt. Ein Krankenwagen stach mir ins Auge und ich sah, wie ein Arzt eine weiße Plane zuzog, in der sich Leichnam des armen Maurice befand.
Auch die Leiche von Dr. Zobel wurde abtransportiert. Sein Sohn Sebastian stand in der Nähe und vergoss keine Träne (Ob der überhaupt weinen kann? Vermutlich hat er gar keine Tränensäcke mehr). Mein Mitleid hielt sich stark in Grenzen, nachdem was er Marcus angetan hat. Ich wandte mich an Jasmin und sagte ihr mit noch etwas schwacher Stimme: „Sag deinem Vater, er soll den See gründlich durchsuchen. Ich habe dort etwas entdeckt, was ihn interessieren dürfte.“
„Ich weiß.“, sagte Jasmin augenzwinkernd zu mir. „Marcus kam dir zuvor.“ Ich blickte zum See, an dem nun ein großer gelber Kran stand und etwas aus dem Wasser zog. Es war ein Auto!
„Ich will, dass der Mörder meines Vater für immer hinter Gittern wandert!“, schrie Sebastian der Polizei zu, die gerade Diego Colei in Handschellen abführten. Ich blickte mich um, ob ich auch Sam irgendwo entdeckte, doch meine Suche blieb ohne Erfolg.
„Herr Zobel!“, rief Jasmins Vater Sebastian entgegen. „Ich bin mich sicher, dass ihr Vater alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um das Auto, mit dem sie Herrn Rohling angefahren haben, im See zu versenken. Doch nun hat das Versteckspiel ein Ende und ich muss sie bitten, mich aufs Revier zu begleiten.“ Sebastians Gesicht wurde kreidebleich und anschließend wurde er ebenfalls von einem Polizisten abgeführt. Als er im Polizeiwagen saß, trafen sich unsere Blicke noch einmal. Dann fuhr das Polizeiauto los und ich sah Sebastian für eine sehr, sehr lange Zeit nicht wieder. Hinter einer Absperrung entdeckte ich Fernanda und ihre Drag Queens. Sie winkte mir zufrieden zu.
„Ende gut, alles gut!“, rief Oma Forster überaus glücklich und ich war erleichtert, dass es auch ihr gut ging (Diese Frau ist mir ein Rätsel, aber so eine coole Oma hab ich noch nie erlebt).
„Ende gut, alles gut?“, wiederholte mein Opa verdattert. Dann sagte er leise etwas zu ihr, was nur ich verstand. „Du solltest an der Arschbacke meines Sohnes kleben und auf ihn aufpassen. Stattdessen verlierst du ihn aus den Augen und wir haben nur Ärger am Hals.“
„Als die Schüsse fielen und Panik ausbrach, hab ich ihn im Getümmel eben aus den Augen verloren. Es tut mir Leid.“, entschuldigte sie sich bei ihm. „Keiner von uns konnte auch nur im Geringsten erahnen, was heute genau geschehene würde. Nicht einmal wir Beide wussten es.“
Ich hätte dem Gespräch gerne weiter gelauscht, doch dann kam mir mein Retter in Not entgegen. Ich staunte nicht schlecht, als ich erkannte, dass Marcus mich aus dem Wasser zog. Er saß aber wieder im Rollstuhl und grinste mich an. „Meine Mund-zu-Mund-Beatmung hat wohl gut angeschlagen.“
Ich wurde rot im Gesicht. „Danke dir. Du bist mein Held.“
Marcus wurde ebenfalls rot im Gesicht. „Naja, ich musste dich retten und ehe ich mich versah, stand ich auf meinen Beinen und sprang ins Wasser.“, erklärte er mir. „Leider bin ich danach wieder sofort umgeknickt, aber Sam hievte mich freundlicherweise zurück in den Rollstuhl.
„Wo ist Sam?“, fragte ich Marcus, denn allmählich machte ich mir Sorgen. „Wieso hat er mich eigentlich nicht aus dem Wasser gezogen?“
„Sam sagte er kann nicht schwimmen. Hast du das noch nicht gewusst?“, antwortete Marcus mir und ich schüttelte überrascht mit dem Kopf. Ich wusste von Sam so einiges nicht… „Sam und Alice haben der Polizei alles gestanden, über die Diebstähle, was Dr. Zobel damit zu hatte. Anschließend wurden die Beiden abgeführt. “ Ich schaute betrübt zum See, von wo aus sie gerade Lorenzos Wasserleiche bargen. So viele Menschen mussten leiden, doch nun hat die Tragödie ein Ende. Doch gab es noch so viele Fragen in meinem Kopf, die ungeklärt waren und vielleicht auch ungeklärt blieben.

Fortsetzung folgt...!

80. David gegen Goliath – Teil 1
Die letzten Tage haben mich sehr in Anspruch genommen und mich ausgepowert. Verzeiht mir also, wenn ich euch heute dem kleinen Zwerg überlasse, den ich so lieb hab. Hier ist David:

Im Juni schien die Sonne fröhlich und es war noch nicht so erstickend heiß, wie im Juli und August. Ein Glück für meinen besten Freund Nick, der mir immer wieder erklärte, dass er ungern als Brathähnchen enden würde. Wir veranstalteten eine Grillparty bei Jasmin und ihrem Vater im Garten. Nicks Mutter und sein Opa, Oma Forster und meine Schwester Agnes waren ebenfalls hier, denn es sollte ein fröhliches Familienfest werden. Bis das Essen soweit war, verbrachte ich noch einen kurzen zurückgezogenen Moment mit meinen Freunden in Jasmins Zimmer. „Schade, dass Marcus nicht kommen konnte.“, sagte Jasmin, die ein wenig mit ihrem kleinen Hamster Goliath spielte. Wie ihr wisst, mag ich den Hamster nicht sonderlich und blätterte daher in einem Buch.
„Er wollte eventuell später noch kommen, aber seine Physiotherapie geht natürlich vor. Jetzt wo er wieder auf den Beinen stand, ist er wieder voller Tatendrang.“, erklärte Nick ihr.
Nick weihte Jasmin und mich über die Vorkommnisse bei der Sonnenfinsternis ein. Von uns erstarrten Menschen, hat keiner mitbekommen, was währenddessen geschehen war. Jasmin stand der Mund weit offen, als Nick uns über die Fähigkeiten seines Amuletts einweihte. Ich wiederum war etwas ungehalten. Ich zitiere mich: „Wir sind deine besten Freunde und du hast es nie für nötig empfunden uns einzuweihen?!“, schrie ich Nick aufgebracht an. Er konnte meine Wut und Enttäuschung aber wieder ein wenig dämpfen. Ich zitiere: „Ich wollte euch Beide lediglich fernab von jedwedem Unheil bewahren!“ Er ist so lieb und doch so ein Idiot, denn wir sind schon groß!
„Sag mal David.“, sprach Nick mich an, während er bäuchlings auf Jasmins Zimmerteppich lag. „Hast du eigentlich eine Ahnung, warum sich einige Menschen bei der Sonnenfinsternis bewegen konnten, während alle anderen wie Zapfsäulen dastanden?“
Ich überlegte kurz, dann antwortete ich ihm: „Ich hab mir ausführlich Gedanken dazu gemacht, aber das System dahinter will mir einfach nicht einleuchten. Zuerst dachte ich vielleicht, dass sich nur homosexuelle Menschen noch bewegen können, aber dann wären dein Opa und Oma Forster ja ebenfalls erstarrt. Auch das Geschlecht oder das Alter können etwas damit zu tu haben – mit anderen Worten, ich hab nicht die leiseste Ahnung. Du hättest Lorenzo fragen sollen.“
„Und was hat es mit diesem bösartigen Schatten auf sich, der aus ihm herauskam?“, fragte Jasmin.
Auf diese Frage hatte ich eine Antwort: „Ich schlug in einigen Büchern nach, nachdem mir Nick den Schatten gründlich beschrieb und kam zu dem Entschluss, dass es sich hierbei um einen…“
„Kinder, essen!“, rief Nicks Mutter auf einmal vom Erdgeschoss herauf.
Unsere Unterhaltung fand ein jähes Ende. „Halt Goliath, bleib hier!“, rief Jasmin ihrem Hamster zu, der gerade von ihrem Schoß sprang. „David, fang ihn bitte ein und setz ihn in seinen Käfig.“
Na toll, jetzt darf ich auch noch Rattenfänger für sie spielen? Ich fing ihren frechen Hamster mit meinen kleinen Händen ein, während meine besten Freunde bereits zur Tür rausmarschierten. Goliath strampelte wild in meinen Händen. Ich setzte ihn zurück in seinen Käfig und verschloss das kleine Türchen, indem ich einen Hebel umlegte. Dann marschierte ich ebenfalls hinaus.
„Warten sie Frau Rottbach, ich helfe ihnen beim Tragen.“, sagte Jasmin freundlich zu Nicks Mutter und nahm den Brotkorb und die Barbecue-Sauce, während meine große Schwester Agnes noch das Dressing für den Salat zubereitete. „Na hoffentlich vergiftet sie uns nicht.“, flüsterte Nick mir zu.
Als wir hinaus in den grünen Garten der Blums schlenderten, saßen Nicks Opa und Oma Forster bereits am Gartentisch und verteilten Teller und Besteck, während Herr Blum am Grill zugange war.
„Für David gibt es ein extra großes Stück Fleisch, damit er noch groß und stark wird.“, meinte Herr Blum, was ich alles andere lustig fand, aber Nicks Gemüter natürlich wieder anregte.
Wir setzten uns an den Tisch, gerade als auch Agnes mit dem Salat und der fertigen Dressing-Sauce dazukam. Sie wollte den Salat auf dem Tisch abstellen, doch der hochschwangere Bauch von Nicks Mutter war ihr ein wenig im Weg. „Oh Verzeihung.“, sagte Frau Rottbach und tapste zur Seite.
„Schon in Ordnung Frau Rottbach. Schwanger zu sein, ist eben nicht immer ganz einfach.“, erwiderte Agnes ihr mit einem freundlichen Lächeln. „Wann kommt das Baby denn zur Welt?“
„Ich hab nächsten Sonntag einen Termin im Krankenhaus.“, antwortete Frau Rottbach ihr. „Ach herrje bin ich aufgeregt. Ich hoffe nur, das mein zweiter Sohn mir weniger ein Probleme bereitet.“
„Wie darf ich das denn bitte verstehen?!“, fragte Nick seine Mutter böse guckend, während Jasmins Vater ihm eine Wurst auf den Teller legte. Natürlich meinte seine Mutter es nicht böse und so sorgte es schnell für heiteres Gelächter am Tisch. Es war schön, dass wir hier heute alle beisammen waren.
„Ich soll dir übrigens liebe Grüße von Sam ausrichten Dominik.“, sagte Herr Blum und brachte die gute Stimmung am Tisch damit ein wenig zum kippen. Jasmin blickte ihren Vater vorwurfsvoll an, denn damit wurde sie unweigerlich auch an Diego erinnert. „Oh, wie dumm von mir…“
„Schon in Ordnung Herr Blum.“, sagte Nick freundlich. „ Ich wollte sie ohnehin noch fragen, ob sie mir einen Termin bei ihm vereinbaren können. Ich würde ihn gerne besuchen und mit ihm reden.“
„Also ich halte das für keine so gute Idee Schatz.“, sagte seine Mutter. „Der Junge stammt aus einer Diebesfamilie. Wenn ich daran denke, was dir alles Schlimmes passieren hätte können.“
„Mum… schon in Ordnung.“, sagte Nick zu ihr.
Wir aßen ausgelassen unter dem Sonnenschirm auf der Terrasse und es schmeckte ausgezeichnet. „Das Fleisch schmeckt wirklich hervorragend.“, machte Nicks Opa Herr Blum als Kompliment, der sich wiederum herzlichst bedankte. Auch Agnes Salat-Dressing war schmackhaft und nicht wie bereits von Nick befürchtet, vergiftet! Meine Schwester lächelte mich an und ich lächelte zurück. Ich liebte meine Schwester. Da unsere Eltern mal wieder auf Reisen waren, war sie das Wichtigste für mich!
Meine Liebe könnte sich lediglich auf zwei Menschen verteilen, wenn Jasmin meine Gefühle für sie erwidern würde. Doch für sie war ich noch immer nur ein guter Freund. Meine Verbitterung ließ ich mir nicht anmerken und blickte zum strahlend blauen Himmel empor. Ich sah auch ein Fenster, das von Jasmins Zimmer stammte. Allerdings zog es mir vor Schreck die Sandalen aus, als ich sah, wer auf dem Fensterbrett rumkrabbelte: Jasmins kleiner Hamster Goliath war ausgebüxt!


81. David gegen Goliath – Teil 2
Dieses kleine freche Nagetier! Ist der doch tatsächlich aus seinem Käfig ausgebüxt und krabbelt nun auf dem Fenstersims herum. Wie konnte er überhaupt aus seinem Käfig entkommen? Ich überlegte scharf und war mir unsicher, ob der Hebel auch einschnappte und sein Türchen versiegelte. Allem Anschein nach wohl nicht… Ich musste den kleinen Ausreißer schnell wieder einfangen und das möglichst ohne dass Jasmin von meinem Missgeschick erfuhr. Sie verlor bereits ihre Mutter, wenn sie jetzt auch noch ihren Hamster verliert, wäre das meine Schuld!
„Ich geh mal kurz auf die Toilette.“, log ich. „Ihr Fleisch war köstlich Herr Blum.“
„So köstlich, dass es dir nun schwer im Magen liegt?“, fragte Nick mich belustigt.
„Danke David. Freut mich, dass es dir schmeckte.“, erwiderte Jasmins Vater.
Ich stand von meinem Platz auf und schlenderte seelenruhig ins Haus. Mit der Ruhe war es allerdings vorbei, als ich im Haus war. Ich rannte sofort los, die Treppe hinauf und in Jasmins Zimmer. Ich blickte zum Fenster und hatte Glück, dass sich Goliath dort noch immer aufhielt.
Ich schritt langsam und leise auf ihn zu. „Na du kleiner Ausreißer. Jetzt sei schön artig und komm zum lieben kleinen Onkel David.“ Ich streckte meine Hände nach ihm aus, doch genau in diesem Moment sprang Goliath vom Fenstersims auf den Boden und rannte durch meine beiden Beine hindurch. Ich drehte mich um und konnte gerade noch sehen, wie er unter Jasmins rustikale Kleiderkommode kroch. Ich kniete mich auf Jasmins Teppichboden und schaute mit einem Auge unter die Kommode. „Jetzt stell dich nicht so an und komm her!“, befahl ich dem Hamster und streckte meinen Arm nach ihm aus. Dadurch dass mein Arm und meine Hand so dünn und klein waren, passte er gut unter die Kommode. Doch wieder nahm der freche Hamster Reißaus und rannte davon. Als ich meinen Arm unter der Kommode hervor zog, stieß ich versehentlich gegen einen lockeren Fuß und zu meinem Pech löste sich ein Teil der Kommode und Jasmins Kleider regneten auf mich herab.
Ich fand mich unter BHs, Tops, Slips und ihrem neusten Bikini wieder. „Na toll.“, murmelte ich.
„Was ist das hier für ein Lärm?“, fragte meine Schwester Agnes, die durch die Tür reingeschneit kam. „Was in aller Welt hast du angestellt David?! Agnes legte ihre Hände an ihre Hüften und setzte ihren „Du-hast-eine-Menge-Ärger-Mister“-Blick auf.
„Iiiiich suche nur etwas.“, erklärte ich ihr zuerst langsam, dann schnell.
„Und dafür zerlegst du Jasmins Kleiderschrank und badest in ihren Klamotten?“, erwiderte Agnes skeptisch. „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du nicht doch auch ein Dessert haben möchtest.“
„Nein danke!“, entgegnete ich schroff.
„Bring dieses Chaos wieder in Ordnung. Hast du mich verstanden?“, befahl mir meine große Schwester und ich nickte, während einer von Jasmins BHs mir vom Kopf herab hing. „Männer!“, sagte Agnes noch und verließ das Zimmer wieder.
Ich befreite mich von Jasmins Kleidern und blickte mich im Zimmer um. „Wo bist du, du kleines mieses, nerviges, freches Nagetier?“, fragte ich gereizt. Ich konnte ihn nicht finden, also beschloss ich, das Chaos erst einmal wieder in Ordnung zu bringen. Mit meinen kleinen Händen reparierte ich geschickt Jasmins Kleiderkommode und legte ihre Anziehklamotten wieder sorgfältig gefaltet in den Schrank zurück. Dank Agnes, beherrschte ich es, Ordnung zu halten – ganz im Gegensatz zu Nick!
Es lag nur noch ein violettes Top von Jasmin am Boden, doch als ich es aufheben wollte, bewegte es sich davon. Das es hier nicht spuckt war mir klar, also konnte mir nur Goliath diesen Streich spielen.
Dieses Mal würde er mir nicht entkommen! Ich sprang zur Stelle, an der das Top lag, doch war das auch das Einzige was ich erwischte. Goliath entkam mir erneut und sauste davon.
Zu meinem Bedauern hatte Agnes die Zimmertür einen Spalt breit offen gelassen und Goliath rannte hinaus auf den Flur. Ich fluchte innerlich und bekam Panik. „Neeeeein!“ Ich nahm sofort die Verfolgung auf und rannte ebenfalls in den Flur. Goliath krabbelte in das nächste beste Zimmer – das Badezimmer! Praktisch, dachte ich mir, denn wenn ich ihn wieder eingefangen hab, dann konnte ich diesen kleinen Satansbraten im Klo runterspülen! Diesen Gedanken setz ich natürlich nicht in die Tat um, denn ich bin kein Tierquäler. Außerdem wäre das eine typische „Animal Welfare“-Aktion…
„Komm raus Goliath.“, sagte ich leise, während ich hinter mir die Badezimmertür absperrte. „Komm raus, wo immer du dich auch versteckt halten magst – damit ich dir den Hals umdrehen kann!“
Ich musste nicht lange suchen und fand ihn in der Dusche, wie er gerade den Duschhahn hinaufkletterte. „Was für ein Hamster bist du eigentlich? Ein Tarzanhamster?!“, stieß ich überrascht aus. Goliath brachte seine nächste freche Aktion – ob gewollt oder nicht – und betätigte den Duschknopf. Innerhalb einer Sekunde schoss mir eiskaltes Wasser ins Gesicht, wodurch ich erst einmal nichts mehr sehen konnte. Das Wasser spritzte durch das ganze Bad und verteilte sich auf dem Boden. Goliath bewegte sich auf dem Duschknopf und stellte die Temperatur auf heiß!
Es klopfte an der Badezimmertür. „David, sitzt du immer noch auf dem Klo?!“, rief mir Jasmin fragend durch die Tür hindurch. „Ich mach mir langsam Sorgen um dich. Geht es dir gut?“
Ich legte mir schnell eine Antwort zurecht, während ich mir mein nasses Haar hinter die Ohren strich und schnell Handtücher auf dem Boden verteilte, doch das Wasser spritzte unentwegt weiter. „Äh mir geht’s gut!“, antwortete ich Jasmin laut, obwohl ich bis kopfüber in Scheiße steckte!
„Du musst ja reichlich Wasser getrunken haben, dass du geschlagene dreißig Minuten im Bad verbringst!“, rief mir Jasmin erneut durch die Tür hindurch. „Oder liegt dir das Fleisch meines Dads vielleicht doch so schwer im Magen?!“
„Nein, nein, alles ok!“, rief ich ihr schnell zu und wünschte, sie würde abhauen. Ich hörte ein Quieken und als ich zum Boden der Dusche blickte, sah ich Goliath darin schwimmen. „Jetzt hab ich dich!“, rief ich ihm zu und packte ihn mir. Endlich hatte ich ihn wieder eingefangen!
„David, wieso kommt da Wasser aus dem Badezimmer, das den Flur überflutet?“, fragte mich Jasmin und ich setzte einen schockierten Blick auf. Ich hatte ganz vergessen den Wasserhahn abzudrehen. „David, mach jetzt bitte die Tür auf, oder ich hole meinen Dad und der tritt die Tür ein!“, rief Jasmin.
Mir blieb keine andere Wahl, denn mit Jasmins Vater wollte ich mich wahrlich nicht anlegen. Ich öffnete die Badezimmer und Jasmin sah sich das verursachte Chaos an. Dann blickte sie zu mir und Goliath, den ich noch immer in meinen Händen hielt. „Du hättest mir ruhig sagen können, dass du gerade dabei bist, dich mit Goliath anzufreunden, indem ihr gemeinsam badet. Nur wieso musstest du dafür das ganze Badezimmer unter Wasser setzen?“
Ich schaute Jasmin an und wusste nicht so recht, ob ich lachen oder weinen sollte. „Tut mir Leid, dein kleiner Freund ist mir entwischt und ich wollte ihn einfangen, ehe du was merkst.“
Jasmin schaute mich zunächst mit einem eiskalten Blick an, doch dann musste sie schmunzeln und sagte: „Du bist so süß David. Viel süßer als Goliath.“ Dann gab sie mir unerwartet einen Kuss auf den Mund, was in mir Glücksgefühle hervorrief. „Jetzt hab ich zwei kleine süße Freunde.“, sagte Jasmin hinterher lächelnd zu mir und ich lächelte ebenfalls. „Mein Dad wird dich für das Chaos einsperren!“

Fortsetzung folgt...!

82. Leben und Tod – Teil 1
Danke, dass du mich begleitest.“, sagte ich zu Oma Forster, als wir die Stufen zur Jugendstrafanstalt hinaufmarschierten. Heute stand mein Besuch bei Sam an und ich war sehr aufgeregt und nervös.
„Aber das mach ich doch gerne.“, erwiderte sie. „Für mich bist du schon sowas wie mein eigener Enkel. Aua…“ Oma Forster hielt sich ihre linke Hand an ihren Rücken.
„Was ist? Hast du Schmerzen?“, fragte ich sie besorgt.
„Nur mein Rücken.“, erklärte sie mir und versuchte dabei gelassen zu bleiben.
„Gib mir deine Hand, ich helfe dir die restlichen Stufen hinauf.“, bot ich ihr an. Ich war erstaunt, denn dies waren die ersten Anzeichen dafür, dass Oma Forster doch nicht mehr ganz so fit ist.
In der Eingangshalle erwartete Herr Blum uns bereits. „Ich konnte dir leider nur fünf Minuten mit Sam herausschlagen. Du solltest also das Beste daraus machen.“, erklärte er mir.
„Trotzdem vielen Dank Herr Blum.“, erwiderte ich.
Jasmins Vater führte mich und Oma Forster wortlos durch einen Gang. Nach etwa einer Minute, blieb er vor einer verschlossenen Tür stehen und sagte: „Wir sind da. Sam wartet drinnen bereits auf dich.“ Meine Nervosität stieg an. Endlich würde ich Sam wiedersehen…
„Ich warte hier solange auf dich. Viel Glück.“, sagte Oma Forster und lächelte mich ermutigend an. Ich drückte mit zitternden Händen die Türklinke nach unten und betrat das Zimmer.
Es war ein recht kleines Zimmer, in dem lediglich ein Tisch mit zwei Stühlen stand. Zudem war es recht dunkel hier und die grauen Wände vermittelten eine eisige Atmosphäre. Nur durch ein kleines Fenster, an dem draußen Gitter angebracht waren, kam das Licht der Sonne herein. Sam stand mit dem Rücken zu mir vor dem Fenster. Als er sich zu mir umdrehte, lächelte mich sofort an. Da war es wieder – das wohlig warme Gefühl, das sein zartes Lächeln bei mir jedes Mal hinterließ, wenn er mich ansieht. „Du kommst spät.“, sagte er grinsend.
„Ja ich weiß. Ich hatte eine Menge Dinge zu verarbeiten.“, erklärte ich ihm.
„Das sollte kein Vorwurf sein. Ich hätte sogar verstanden, wenn du mich gar nicht besuchen kommst.“, erwiderte Sam verständnisvoll und das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht.
„Natürlich komm ich dich besuchen. Du bist mir wichtig – trotz allem was geschehen ist.“, erklärte ich ihm und ging drei Schritte auf ihn zu. „D-Du warst mein Freund und i-ich hab dich geliebt!“
„Warst und geliebt, sprich Vergangenheitsform.“, schmunzelte Sam und setzte sich auf einen Stuhl.
Ich setzte mich auf den anderen Stuhl und blickte Sam traurig in seine dunkelblauen Augen. „J-Ja. Ich dachte ich würde dich kennen, aber das stellte sich als großer Irrtum heraus.“
„Ist schon okay Nick. Es ist meine Schuld, das ist mir durchaus klar und deshalb sitz ich hier auch meine Strafe ab. Herr Blum setzt sich freundlicherweise für mich ein.“, sagte Sam.
„Geht es dir hier denn gut?“, fragte ich ihn leicht beunruhigt. „Sind die anderen Insassen freundlich zu dir? Du wurdest doch nicht verprügelt oder?“ (Blödes Kopfkino manchmal…)
„Nein, nein, es geht schon. Und denen, die mich nicht leiden können, geh ich eben bestmöglich aus dem Weg.“, beruhigte Sam mich ein wenig und lächelte mich wieder an.
Ich griff nach Sams Hand und streichelte sie ganz sanft. „Ich bin für dich da Sam. Wir bleiben Freunde.“, sagte ich zu ihm und anschließend kullerte eine Träne Sams Wangen hinunter. Dann ging die Tür auf und Herr Blum erklärte uns, dass die Zeit um wäre. Ich verabschiedete mich von Sam mit einer kurzen aber sehr innigen Umarmung. Sam winkte mir traurig, aber lächelnd hinterher.

Als wir nach Hause kamen, sah ich Michael und Patrick mit ihren Skateboards auf der Straße herumdüsen. „Hey Nick!“, rief Michael mir zu. „Hast du mal wieder Lust mit uns zu skaten?!“
In der Tat hab ich schon lange nicht mehr mit den Beiden geskatet, aber heute war mir irgendwie nicht danach. „Tut mir Leid ihr Beiden. Ein andermal gerne wieder.“, antwortete ich Michael, während Patrick sich dezent im Hintergrund aufhielt. Im war es peinlich, dass er versucht hat mich zu küssen und mir seine Liebe gestehen wollte. Doch nach Marcus und Sam stand mir nicht der Sinn nach einer neuen Beziehung. Ich hoffte trotzdem, dass Patrick und ich Freunde bleiben konnten.
Als Oma Forster und ich das Haus betraten, sagte sie: „Ich geh gleich mal nach oben und ruh mich ein wenig aus. Vielleicht bin ich doch nicht mehr die Allerjüngste.“
Ich blickte ihr mit einem mulmigen Gefühl hinterher. Danach schlenderte ich ins Wohnzimmer, wo meine Mutter sich gerade ihre Tarot-Sendung im Fernsehen ansah, während sich mein Opa ein Glas Rotwein genehmigte. „Und wie war dein Besuch bei Sam?“, fragte mich meine Mutter interessiert.
„Traurig, aber ich glaube ich konnte ihn ein wenig aufheitern.“, antwortete ich ihr. „Jedenfalls sind wir im Guten auseinander gegangen und wenn er mich braucht bin ich für ihn da.“ Meine Mutter lächelte mich an und streichelte meinen Arm, als sie auf einmal einen entsetzten Ausdruck im Gesicht hatte. Ich spürte etwas Nasses auf dem Fußboden und als ich hinunter blickte, waren meine Socken ganz durchnässt. „Wieso ist unser Wohnzimmer überschwemmt? War David etwa hier?“
Meine Mutter sah mich entgeistert an, während mein Opa gluckste. „Ich glaube meine Fruchtblase ist soeben geplatzt.“, sagte meine Mutter (Irgh ein Bad in Fruchtblasenwasser…).
Mit einem Mal stand mein Opa auf den Beinen (wenn auch etwas torklig) und ich nahm die bereitgestellte Tasche zur Hand. „Wir müssen sofort ins Krankenhaus.“, sagte ich. Wir halfen meiner Mutter auf die Beine und führten sie aus dem Haus raus. „Grandpa du musst fahren.“
„I-Ich kann nicht! Ich hab was getrunken.“, erwiderte mein Opa und Panik breitete sich in mir aus, da meine Mutter über starke Schmerzen klagte. „Ich glaube das Baby kommt.“ (Was du nicht sagst -.-)
„Irgendetwas müssen wir aber tun!“, rief ich laut über den Hof und gerade in dem Moment fuhren die Zwillinge mit ihren Skateboards vorbei. „Bei meiner Mutter haben die Wehen eingesetzt.“
„Oh.“, sagte Patrick lediglich.
„Wir müssen ins Krankenhaus, aber von uns kann keiner fahren!“, erklärte ich den Beiden.
„Patrick kann fahren!“, rief Michael wie ein Geistesblitz. „Wir haben beide den Führerschein mit siebzehn gemacht, aber nur Patrick hat ihn bestanden. Ich bin leider durchgefallen.“
„Ja aber…“, erwiderte Patrick unsicher, doch er hatte keine andere Wahl. Mein Opa drückte ihm den Autoschlüssel in die Hand und die Fahrt ins Krankenhaus ging los.

Ich wartete zusammen mit meinem Opa und den Zwillingen im Flur des Krankenhauses, während meine Mutter unter Schmerzen meinen kleinen Bruder zur Welt brachte. Dann fiel mir etwas ein. „Du Grandpa, wir haben Oma Forster ganz vergessen Bescheid zu geben.“
„Wir rufen sie an, sobald das Baby da ist.“, meinte mein Opa.
Krankenschwester Regina kam mit einem strahlenden Lächeln aus dem Zimmer. Mein Opa und ich standen sofort auf den Beinen und schauten sie fragend an. „Sowohl der Mutter, als auch dem Baby geht es ausgezeichnet.“, sagte sie und Erleichterung und Freude breitete sich bei uns aus. „Sie dürfen jetzt zu ihnen, aber bitte nicht so lange. Sie benötigt noch sehr viel Ruhe.“
Als wir das Zimmer betraten, hörten wir als Erstes ein Baby schreien. Meine Mutter hielt meinen kleinen Bruder in den Händen und sie war überglücklich. „Da ist ja der kleine Racker.“, sagte mein Opa hocherfreut. „Er ist genauso ein Schreihals wie sein Bruder.“
Ich musste lachen und begutachtete meinen Bruder ebenfalls. „Der hat ja eine Glatze!“, stieß ich entsetzt aus, was aber natürlich als Scherz gelten sollte. Meine Mutter grinste mich an.
„Und wie soll er heißen?“, fragte mein Opa meine Mutter neugierig.
„Dein Vater hatte bereits einen Namen für ihn ausgesucht.“, sagte meine Mutter und blickte mich dabei an, sie von Dad sprach. „Sein Name ist Felix, denn das bedeutet übersetzt „glücklich“ und so glücklich wie heute, war ich schon lange nicht mehr (Süßer Name). Ich liebe euch alle so sehr!“ Ich spürte wie das Amulett um meinen Hals die glücklichen Gefühle von uns allen aufnahm und sie in mir verstärkte. Dies war einer der glücklichsten Tage in meinem Leben!

Während mein Opa noch eine Weile bei meiner Mutter im Krankenhaus blieb, um für sie und das Baby zu sorgen, fuhr ich spätabends zusammen mit den Zwillingen wieder zurück nach Hause. Ich war den Beiden unendlich dankbar für ihren spontanen Einsatz und gab ihnen jeweils ein Küsschen auf die Wange. „Hey, vielleicht können wir ja mal einen Dreier starten!“, lachte Michael und fing sich von Patrick und mir böse Blicke ein. Da dies zum Glück aber nur als (schlechter) Scherz gedacht war, mussten auch Patrick und ich anschließend lachen (Die guten alten Zeiten sind zurück!).
Als ich mein Haus alleine betrat, war es überall stockdunkel. Ich zog mir leise meine Schuhe aus und ging die Treppe nach oben. Ich musste Oma Forster unbedingt von der guten Nachricht berichten. Sollte sie schon schlafen, werde ich sie eben wecken, denn sie würde es mir nie verzeihen, wenn sie erst morgen davon erfuhr (Sie würde mich verprügeln und bei lebendigem Leib häuten).
Ich klopfte sachte an ihrer Zimmertür, doch es kam keine Antwort. Dennoch betrat ich ihr Zimmer und durch den Lichtschein aus dem Gang, konnte ich sie in ihrem Bett schlafen sehen. Mit leisen Schritten näherte ich mich ihrem Bett und freute mich schon darauf, ihr müdes und anschließend hellwaches Gesicht zu sehen, wenn sie von Felix Geburt erfuhr.
Ich setzte mich behutsam zu ihr aufs Bett und stupste sie leicht an. Ihr Gesicht zeigte nach oben zur Decke, während ihr Körper unter der Bettdecke eingemummelt war. Sie zeigte keinerlei Reaktion. „Oma Forster.“, flüsterte ich leise lächelnd vor mich hin. „Aufstehen, es gibt gute Nachrichten!“ Ich stupste sie ein weiteres Mal an, doch wieder zeigte sie keinerlei Reaktion. „Oma Forster?“
Mit einem Mal kam mir das Ganze seltsam vor und mein Lächeln verschwand. „Oma Forster?“, sagte ich erneut und rüttelte dabei an ihrem Arm. „Oma Forster!“, rief ich nun etwas lauter und rüttelte noch stärker an ihrem Arm. Entsetzen breitete sich in mir aus. Das durfte nicht sein, bitte nicht!
Sie atmete nicht mehr und auch ihren Puls spürte ich nicht. In meinen Augen bildeten sich Tränen, während ich weiterhin sanft an ihren Armen rüttelte. „Oma Forster… G-Grandma?!“ Tränen liefen meine Wangen hinunter und ich hielt mir die Hand vor den Mund. Als ich sie wieder wegnahm, sagte ich: „Grandma wach auf – bitte!“ Doch sie wachte nicht wieder auf. Ihre Augen waren geschlossen und ich glaubte zu sehen, wie sie lächelte. „Grandma…“, sagte ich unter Tränen. Ich legte meinen Kopf auf ihre Brust, während sich meine Trauer durch das Amulett verstärkte. Ich weinte bittere Tränen und gleichzeitig streichelte ich ihre leblose Hand. Leben und Tod lagen heute näher als jemals zuvor. Ich war so glücklich über die Geburt meines Bruders und nun war ich so unendlich traurig über den Tod von Oma Forster, die immerhin friedlich im Schlaf starb.


83. Leben und Tod – Teil 2
Der Himmel war bedeckt von Wolken, doch zum Glück fiel kein Regen, denn Trauer lag bereits in der Luft. Es war die Beerdigung von Oma Forster und viele Menschen waren heute erschienen, um sich von ihr zu verabschieden. Wir standen alle um ihr Grab, in der ihr Sarg niedergelassen wurde, während Pfarrer Epp ein paar Gebete sprach. Ich blickte in die traurigen Gesichter von Oma Forsters Enkel Bobby und Annie. Das kleine Mädchen weinte bittere Tränen, während sie sich tröstend an die Hand ihrer Mutter klammerte. Bobby verzog keine Miene, doch konnte ich in seinen Augen den Schmerz und die tiefe Trauer entdecken. Hinter ihm standen sein leiblicher Vater und ein blondes junges Mädchen, etwa in Bobbys Alter. Es war seine Halbschwester und ihr Name war Caroline Beck. Daneben stand Bobbys Ziehvater. Er war der Sohn von Oma Forster und kämpfte gegen seine Tränen an – doch am Ende ließ auch er sie raus. Zu seinen Füßen saß der Husky Timo.
Meine Familie nahm natürlich auch Abschied von ihr, wo sie doch solange ein Teil unserer Familie war. Meine Mutter trug ein schwarzes Kleid und hielt in ihren Armen ein Bündel, in der mein kleiner Bruder Felix eingewickelt war. Mein Opa stand ihr zur Seite und legte seine Hand auf ihre Schulter. Auch meine Freunde waren gekommen. David und Jasmin standen händchenhaltend nebeneinander, während Leopold Blum und Agnes Wink mit gesenkten Köpfen hinter ihnen standen. Auch Marcus war gekommen. Er saß in seinem Rollstuhl weiter vorne und blickte auf das Grab hinab.
„So lasst uns Abschied nehmen und möge mit jeder vergossenen Träne, die Sonne in der Zukunft noch heller erscheinen und uns glückliche Tage bescheren.“, sagte Pfarrer Epp schlussendlich.
Jeder der Anwesenden hielt eine rote Rose in seinen Händen und nacheinander traten wir alle an das Grab von Oma Forster. Bobby ließ seine Rose nur zögerlich in das Grab fallen, denn der Abschied von seiner Großmutter viel ihm zunehmend schwer. Als ich an der Reihe war und an das Grab trat, blickte ich auf das Bild von Oma Forster. Ihre Augen strahlten voller Lebensfreude und sie lächelte einem entgegen. Ja, so war sie – voller Lebensfreude und Tatendrang, sie hatte vor nichts Angst, ihr Körper und Geist fühlte sich immer lebendig an und sie liebte ihre Familie über alles.
„Leb wohl Grandma, ich werde dich nie vergessen.“, flüsterte ich leise vor mich hin, als ich die Rose elegant in ihr Grab warf. „Du wirst für immer in meinem Herzen verankert sein.“
Als ich für den Nächsten Platz machte und auf die Seite trat, entdeckte ich etwas weiter entfernt einen bärtigen Mann. Er stand unter einen Baum und starrte mit überkreuzten Armen zu uns herüber. Mir kam der Mann bekannt vor, doch wollte mir nicht einfallen wer das war. Unsere Blicke trafen sich und der Mann winkte mir zu. Dann schritt er davon und ich sah ihn nicht wieder.

Ich schlenderte über den Friedhof und betrachtete die einzelnen Grabsteine. So viele Menschen die von dieser Welt gingen. Ich fragte mich, ob der verunglückte Maurice hier auch irgendwo seine Ruhe fand. In der Zeitung stand kürzlich etwas vom Ende des Zirkus Graziano. Kein Wunder, verlor Giovanni doch seine talentierten Akrobaten, seinen Dompteur und seinen Messerwerfer (Na hoffentlich stürzt das den armen Clown Filippo nicht in eine tiefe Depression).
Bobby stand auf einem kleinen Hügel und blickte zum Himmel empor. Ich beschloss ihm Gesellschaft zu leisten und stellte mich wortlos neben ihn. Sein Haar wehte leicht im Wind und er musste es sich immer wieder hinters Ohr schieben, damit er etwas sehen konnte.
Schließlich war er es, der die Stille durchbrach. „An meinem letzten Geburtstag erzählte meine Oma mir, wie gern sie dich hat Nick. Sie meinte, dass du einer der mutigsten Menschen bist, den sie kennt und das wir Beide uns sehr ähneln würden… - abgesehen von deinem schwarzen Humor.“
„Ja, aber manchmal übertreibe ich es und verletze dadurch Menschen.“, erwiderte ich verunsichert.
„Durch dich haben die Menschen aber was zum Lachen.“, meinte Bobby lächelnd und legte seine rechte Hand auf meine Schulter. „Die Dunkelheit bezwingt man nur mit dem Licht der Freude.“
Bobby war dabei den Hügel wieder hinunter zu marschieren, doch rief ich ihm noch etwas hinterher und er hielt inne. „Deine Oma war ein fabelhafter Mensch und sie hat dich sehr geliebt! Ich hoffe wir sehen uns eines Tages wieder und dann…, dann werden wir sie ehren, indem wir gemeinsam tanzen und uns von nichts und niemanden die Freude am Leben nehmen lassen.“ Bobby lächelte mich an, hob seine rechte Hand in die luftige Höhe und winkte mir dankbar für alles zu.

Mein kleiner Bruder quengelte, als ich wieder zu meiner Familie und meinen Freunden dazu stieß. „Oh oh, ich glaub da hat jemand die Windeln voll.“, meinte mein Opa (Mein Bruder stinkt -.-).
Meine Mutter zog frische Windeln aus dem Kinderwagen. „Oh darf ich das vielleicht machen Frau Rottbach?“, fragte Agnes sie ganz erfreut. „Bitte, bitte, bitte.“
„Von mir aus sehr gerne Agnes. Ich bin über jede Hilfe dankbar.“, erwiderte meine Mutter.
„Solltest du jemals einen Babysitter für den kleinen Sprössling und Dominik benötigen, dann ruf mich an, denn Polizisten eignen sich am besten dafür.“, sagte Jasmins Vater strahlend.
„Ich brauch doch keinen Babysitter!“, protestierte ich mürrisch und alle lachten mich aus. Auch meine beiden Freunde David und Jasmin lachten herzhaft. „Schöne Freunde seid ihr. Was ist jetzt eigentlich? Seid ihr nun zusammen oder nicht?“ Ich grinste breit, als die Beiden scharlachrot im Gesicht wurden und mir die Antwort schuldig blieben (Sieht mir sehr nach einem Happy End aus). „Ich komm gleich wieder.“, sagte ich kurz darauf. „Ich muss nur noch kurz etwas erledigen.“
Ich ging noch einmal über den Friedhof und blieb erst bei einem kleinen Grab mit einem weißen Marmorstein stehen, auf dem geschrieben stand: „Hier ruht Bernd Rottbach“. Ich kniete mich zu ihm herunter und betrachtete das Grab traurig. Ich musste an meine Begegnung mit ihm an der Klippe denken und fragte mich noch immer, ob das Alles nur ein Traum war.
„Dein Vater wird über dich wachen, wo immer er auch sein mag.“, sagte auf einmal eine Stimme neben mir. Ich richtete mich auf und blickte waagrecht in die honigbraunen Augen von Marcus.
„Marcus, d-du stehst ja.“, sagte ich überrascht und erfreut zugleich (Luftsprünge mach).
„Ja endlich.“, erwiderte Marcus glücklich. „Du schuldest mir eine Badehose.“
Ich grinste breit. „Die sollst du haben. Von mir aus auch hunderte!“ (Nackt wäre er mir ja lieber!)
„Trägst du das Amulett eigentlich noch?“, fragte er mich neugierig und ein wenig ängstlich. Ich zog das Amulett aus meinem schwarzen Anzug den ich trug und zeigte es ihm. „Hast du keine Angst, dass noch einmal etwas Schlimmes geschehen könnte?“
Ich schüttelte den Kopf. „Bei der nächsten Sonnenfinsternis bin ich nicht mehr auf dieser Welt.“
Marcus lächelte mich an und dann nahm er mich unerwartet in den Arm. „Ich bin immer für dich da.“, flüsterte er mir zärtlich ins Ohr. „Die schlimmen Tage sind vorbei. Ab sofort stehen gute Zeiten vor der Tür und ich will sie mit dir gemeinsam erleben. Was sagst du?“
„Wenn du mich damit fragen willst, ob ich dir noch einmal eine Chance gebe und wir wieder zusammen sein können…?“, schlussfolgerte ich langsam. „Ich liebe dich Marcus“, In seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus „aber momentan halte ich das noch für keine so gute Idee.“ Marcus Lächeln verschwand wieder so schnell aus seinem Gesicht, wie es kam. Ich konnte die Enttäuschung in seinen Augen sehen. „Es gibt da etwas, was ich vorher noch erledigen muss.“
„Was denn?“, fragte mich Marcus neugierig und verwirrt zugleich.
„Das wirst du schon noch sehen.“, sagte ich und grinste ihn an. Dann blickte ich wieder zum Himmel empor. Die Sonne kämpfte sich durch die dicke Wolkenschicht hindurch und schickte ihre sonnigen Strahlen zur Erde hinunter. Marcus lächelte nun ebenfalls und nahm mich bei der Hand. Ich war ihm von Herzen dankbar und mir war durchaus bewusst, dass mein Herz stärker denn je für ihn schlug.


Epilog / Prolog – 2 Jahre später:
Sofia Graziano marschierte im Dunkel der Nacht die Straßen entlang. Erst als sie an einem kleinen Buchladen vorbeikam, kam sie zum Stillstand. Sie schaute durch das Schaufenster und begutachte ein ganz besonderes Buch. Dann zog sie ihr Handy heraus und wählte eine Nummer. „Hallo ich bin es.“, sagte sie gewohnt verführerisch. „Ja, die Scheidung von meinem Mann ist durch. Der arme Kerl tut mir richtig leid, aber es war besser so für ihn, denn dann wird er in nichts Schlimmes hineingezogen.“ Sofia blickte sich in der Straße um und achtete darauf, dass sie keiner beobachte oder belauschte. „ Ich glaube unser kleiner Freund Dominik, hat es inzwischen weit gebracht.“, sagte sie in den Hörer. „Ich begutachte doch gerade tatsächlich sein selbstgeschriebenes Buch mit dem Titel „Aura – Licht und Schatten“. Würde mich interessieren, ob ich auch darin vorkomme.“ Sofia lächelte schelmisch. „Du hast deinen Schüler gut erzogen Rufus Frenzel. Du kannst Regina und ihrer Schwester Gisela Fauna Bescheid geben – es ist so weit. Die magischen Gegenstände müssen zu dem vereinbarten Ort zusammengetragen werden, damit wir den Schattenphönix wieder erwecken können!“

ENDE!